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Der Grund für unser Dasein

«Zu fragen bin ich da, nicht zu antworten.»

(Henrik Ibsen - norwegischer Dramatiker; 1828-1906)

Aus Sicht der Natur ist es doch so: Wir werden geboren, allenfalls vermehren wir uns, und danach sterben wir. Alles andere ist unwesentlich und interessiert das Universum wenig. Eigentlich einfach, oder? Wir werden also – so scheint es zumindest auf den ersten Blick – geboren, um einige Zeit später zu sterben. Und wir sind nicht gekommen, um zu bleiben. Ganz unzimperlich sagt das auch Herbert Feuerstein (1937-2020), (bekannt u.a. aus der Sendung «Schmidteinander» mit Harald Schmidt), in seinem selbst verfassten und vertonten Nachruf: «Ich bin jetzt tot, und Sie werden das irgendwann auch sein. Spätestens dann sind wir quitt!» Oder gibt es da vielleicht doch mehr? Gibt es etwa ein Leben nach dem Tod?

Viele Menschen sind – trotz objektivem Wohlstand und guter Gesundheit – unglücklich oder innerlich unerfüllt und unsicher. Ein Gefühl, das sich vielfach mit dem Alter noch verstärkt. Man fühlt, wie sich der eigene Körper verändert, und muss dabei noch zuschauen, wie Bezugspersonen aus dem eigenen Umfeld sterben. Spätestens dann verschwindet das Bild der eigenen Unsterblichkeit, das uns in jungen Jahren oft begleitet. Wir beginnen nachzudenken und uns über dies und das zu wundern. So war das auch bei mir! Als ich damit anfing, mit anderen Menschen über meine Gedanken und Erfahrungen zu sprechen, wurde mir schnell klar, dass es ganz vielen Menschen ähnlich geht wie mir. Dies ist wohl ein natürlicher Prozess. Selbst sehr schöne und sehr erfolgreiche Menschen haben ihre Probleme und machen sich darob Gedanken – oder wollen diese vielleicht nicht wahrhaben. Oft scheint es sogar so, dass es Menschen, die alles zu haben scheinen und dies zum Teil in einem Rekordtempo erreichten (Erfolg, Geld, Position, Ruhm, Macht, Sex…), vielfach innerlich miserabel geht und sie mit dem Erreichten nicht mehr klarkommen. Sie verlieren den Bezug zur Realität, zum Jetzt, haben leider nicht selten falsche Freunde – oft führt das schliesslich zu Skandalen, Süchten und Depressionen. Wir kriegen dies selbst in all den vielen Klatschmagazinen über Promis, Musiker und Schauspieler täglich vor Augen geführt. Trotzdem werden diese Persönlichkeiten von Millionen von Menschen beneidet, auch wenn eigentlich gar kein Grund dazu besteht.

Wie aber sieht es nun mit einem Leben nach dem Tod aus? Die Religion gibt uns diesbezüglich einige Ansätze und Denkanstösse, aber keine klaren Antworten. Viele Menschen glauben wohl theoretisch an ein, wie auch immer geartetes Fortbestehen nach dem Tod, aber verdrängen dies innerlich. Menschen wiederum, die nicht an einen ‹klassischen› Gott glauben oder Atheisten sind, glauben im Mindesten an die Gesetze der Natur, da diese empirisch nachweisbar sind. Diese Gesetze lehren uns, dass die Natur keine Vernichtung, sondern lediglich die Verwandlung kennt. Nichts wird sprichwörtlich für immer vernichtet, sondern alles bleibt in irgendeiner Art und Form bestehen und wird verwandelt: Wasser etwa in Wasserdampf oder Blätter in Erde und Nährstoffe. Diese Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Deshalb – so dürfen wir annehmen – gibt es auch für unseren Körper und unseren Geist keinen eigentlichen Tod, sondern lediglich eine Metamorphose.

Wir Menschen sind ganz offensichtlich ein Teil der Natur und meiner Meinung nach – im religiösen Kontext – ein Teil der Schöpfung. Überall werden wir heutzutage gewarnt, dass wir im Begriff seien, die Natur zu zerstören. Für mich aber ist diese Aussage falsch und entsteht aus einer überheblichen Betrachtungsweise. Nein, wir können die Natur nicht vernichten – sondern höchstens kann die Natur uns Menschen vernichten. Auch wenn wir den Planeten mit unserem gigantischen Bevölkerungswachstum und unserem exzessiven Konsum niederbrennen, so kann er sich immer wieder davon erholen. Selbst wenn dies Millionen von Jahren brauchen würde – in der Rechnung der Natur beziehungsweise der Geschichte der Erde, die rund 4.6 Milliarden Jahre alt ist, ist diese Zeitspanne nicht mehr als ein kleiner «Mückenfurz».

Bleibt die Frage, was uns als Menschen und Individuen ausmacht? Ist es das, was wir bisher gemacht und wie wir gelebt haben? Unser Beruf, unsere Lehre, unser Studium, unser Unternehmen oder die (sogenannte) Karriere, das Hobby, die Familie, der wir entstammen oder die wir vielleicht selbst gegründet haben? Oft heisst es, wir sollten «tiefe Spuren» im Leben hinterlassen, man solle oder müsse etwa die Welt zum Guten verändern. Vor allem in Lebenshilfe-Büchern, von denen es abertausende gibt, wird das gerne so gepredigt. Müssen wir aber tatsächlich, jeder Einzelne von uns, die Welt als eine (aus unserer Sicht) bessere zurücklassen? Ist das unsere Verpflichtung und Berufung? Sind wir nicht einfach hier, um die Welt und unsere Träume zu «er-leben»? Stellen wir uns doch eine Welt vor, in der Jede und Jeder eine Lebensmission hätte, die darauf basiert, mit unserem Dasein eine tiefe Spur zu hinterlassen. Es wäre wohl der reinste Horror, hier auf Erden zu leben, oder? Jeder Mensch wäre dann ein Egoist mit seinem eigenen, persönlichen Weltbild und seinem vermeintlichen Wissen darum, was gut ist und was schlecht. So träumen – um nur ein Beispiel zu nennen – etwa im viel gelobten ‹Silicon Valley›, der Heimat zahlreicher Start-ups und Technologieunternehmen, viele Menschen davon, unsere Welt besser zu machen – damit aber, das sei auch erwähnt, gleichzeitig sehr viel Geld zu verdienen. Nun, ich bin überzeugt, dass es nicht darum geht, auf der Welt und bei unseren Mitmenschen die besagte «Spur» zu hinterlassen oder zu missionieren, andere also gewissermassen zu bekehren. Das kann doch nicht der Sinn unserer Lebensmission sein. Ist es nicht vielmehr so, dass wir uns um unser selbst Willen entwickeln sollten? Zählt wirklich der (vermeintliche) Erfolg, den wir gegen aussen präsentieren, oder geht es nicht vielmehr um ein inneres Wachsen? Ganz offensichtlich werden viele Menschen geplagt durch geheime Süchte und schlimme, für sich und ihre Mitmenschen verletzende Verhaltensweisen. Könnte es nicht sein, dass der Sinn unseres Daseins – und das ist bedeutend schwieriger als es prima vista klingt – in der Überwindung einer oder mehrerer unserer persönlichen Defizite besteht? Der Rest ist vielleicht gänzlich unwichtig, und wir könnten alles andere mit viel Spass im Hier und Jetzt erleben. Das wäre doch eine schöne Zuversicht und gäbe wahrlich einen Lebenssinn.

Quellen und weiterführende Literatur

• Herbert Feuersteins Nachruf auf sich selbst. - WDR 5, 7.10.2020. https://youtu.be/qLgSP4gKOZ4

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