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Vorwort vom 30. Januar 1969 des Pfarrers Hermann Knodt

„Das Hessische Wappenbuch unternimmt es, durch eine umfassende heraldische Behandlung von über 1000 Orten des Landes - und einer Anzahl von rund 12 000 Familien aller Stände und jedes Alters - einen Überblick zu geben, wie es in solcher Vereinigung und Aufarbeitung keine Vorgänger besitzt.“ (Hessische Staatskanzlei, Staatssekretär Bach).

„Eine neuartige und soziale Leistung erbringt dieses Wappenbuch dadurch, daß zwischen den Wappen des Adels, der Bürger und Bauern kein Unterschied mehr gemacht wird; keine ständischen Ansichten trennen diese Zeichen, vielmehr ergibt sich aus der neuen uns sachlichen Ordnung, daß alle Stände und Berufe miteinander zusammenhängen, und ein genaueres Studium der Wappen und Marken wird ergeben, daß der größte Teil des heutigen Hessenvolkes auch blutsmäßig den gleichen Ahnen des Mittelalters entspringt. Die mit den Wappendarstellungen gebotenen geschichtlichen und volkskundlichen Hinweise für die einzelnen Orte und Familien geben zugleich Aufschluß über ganz neue Rechts- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge: Damit wird dieses Hessische Wappenbuch ein unvergleichlich wertvolles Lehr- und Anschauungsbuch für die Heimatkunde“ (Oberbürgermeister Dr. Walter Kolb , Vorsitzender des Hessischen Städteverbandes).

Diese Ausführungen von maßgeblicher staatlicher und kommunaler Seite seien im folgenden noch die Leitgedanken dieses Werkes und die hieraus sich ergebenden z. T. neuen Erkenntnisse angefügt. Zum allgemeinen Verständnis und zur Einordnung dieses Wappenwerkes in den Rahmen unserer gesamtdeutschen Geistes-, Kultur-, Rechts- und Kunstgeschichte ist folgendes zu sagen: Es ist das uralte Recht jedes freien Menschen als Persönlichkeit Namen zu führen und diesen Namen mit einem Zeichen zur klaren Unterscheidung von anderen zu kennzeichnen. In dem Augenblick, wo ein Mensch namenlos und nur noch zur Nummer gemacht wird, hört er auf, eine freie Persönlichkeit zu sein. Der Anfang aller Schriftzeichen war die Bilderschrift. Die Wahl solcher sichtbaren Personenzeichen ist uralt und war natürlich dem Einzelnen überlassen. Sobald sie aber da war und von der Gemeinschaft der Mitlebenden anerkannt wurde, gewann sie in der Öffentlichkeit einen ausgesprochenen Rechtscharakter und durfte von keinem anderen geführt werden. Damit wurde das Recht, einen Namen und ein Zeichen zu führen, zugleich zur Pflicht und damit zur Beurkundung rechtsverbindlicher Handlungen bei Kauf, Verkauf, Ladungen, Auslosungen usw., schließlich im Erbgang zum Familienzeichen.

Von hier aus gesehen ist das, was wir heute Heraldik nennen, nur eine, weil farbig besonders in die Augen fallende 700 Jahre alte, aus dem Kriegshandwerk erwachsende Weiterbildung der uralten Personen- und Familienzeichen unseres und anderer Völker, die bis in die Prähistorie zurückreicht und mit dem Rechtsleben von jeher eng verbunden war. Hiermit beantwortet sich die oft naiv gestellte Frage, ob man überhaupt zur Neuannahme oder Führung eines solchen Zeichens berechtigt sei, ganz von selbst, wenn auch heute anstelle der bildlichen Zeichen unserer Vorfahren die bildlose Unterschrift getreten ist, die leider nicht mehr das sagt, was einst das alte Hauszeichen sagte: „Wir als die von einem Stamme stehen auch für einen Mann.“ Somit ruht die spätere Heraldik kultur- und rechtsgeschichtlich gesehen ohne Zweifel auf den Schultern der mindestens noch 700 Jahre älteren germanischen Personen- und Familienzeichen, den sogenannten Hausmarken. Nur von hier aus wird es verständlich, 1. daß bei Aufkommen der Waffenheraldik (Wappen = Waffen) die alten Hausmarken oft in den Schild gesetzt, dadurch zu Wappen werden und 2. daß beim Aufhören der Kriegsheraldik und Turnierheraldik durch die Erfindung des Schießpulvers diese mit den mittelalterlichen Wappen eng verbundene Zeichensprache nicht mit den Ritterrüstungen verschwand, sondern nunmehr als Beurkundungs-Heraldik nicht nur weiterblühte, sondern sich allgemein ausbreitete. Von da aus gesehen ist die Übernahme der sogen. Heraldik durch die freien Bürger in den Städten sowie alle Urkundspersonen wie Schultheißen, Schöffen usw. auf dem Lande keine „Nachäfferei“ ritterlicher Sitten, sondern eine durchaus logische rechtliche Weiterentwicklung. Somit wird in Zukunft die Heraldik als Wissenschaft und Kunst einer historischen und zweckgebundenen Farben- und Formensprache die Hausmarke unbedingt mit in ihr Forschungsgebiet einbeziehen müssen, wie das in neueren Wappenwerken bereits geschieht, wo die Marken und Wappen nicht mehr nach Ständen getrennt, sonder sachlich, figürlich und alphabetisch geordnet erscheinen. Zugleich seien alle, die von dieser Wissenschaft und Kunst durch langjähriges Studium nichts verstehen, im Interesse einer geordneten Weiterpflege davor gewarnt, von Sachkenntnis nicht getrübt, Wappen zu entwerfen. Auch gute Graphiker sind noch keine Heraldiker.

Wir beginnen also mit der Hausmarke als dem ältesten Bestandteil der späteren Heraldik, heute noch in vielen Wappen und Wappenteilen vorhanden. Das erste Werk über die Hausmarke schrieb der Begründer der germanischen Altertumskunde Ole Worm (1588-1654) in seinen „Sechs Bänden dänischer Denkmäler“. Er bezeichnet sie als „Runae familiares“ und sieht in ihnen durch Zusammenschiebung von Runen entstandene altgermanische Monogramme, sogenannte Binderunen, ähnlich wie die ersten deutschen Kaiser ihre Urkunden mit einem aus lateinischen Buchstaben ihres Namens zusammengefügten Monogramm unterschrieben. Auch die beiden nordischen Gelehrten, der Schwede Liljegren und der Isländer Magnussen, vertraten dieselbe Ansicht. Da in den nordischen Ländern die Runen noch bis ins Mittelalter und darüber hinaus im Gebrauch waren, ist an dieser Feststellung nicht zu zweifeln. Und was dort nachweisbare Tatsache ist, dürfte auch für Deutschland und unsere Gegend einmal Gültigkeit gehabt haben. So ist z. B. der Gebrauch der Runen in der Wetterau noch in fränkischer Zeit nachgewiesen u. a. durch den Fund einer scheibenförmigen Fibel mit der Runenschrift „Thurudhild“ auf einem fränkischen Friedhof bei Friedberg (vgl. Adamy, Kunstdenkmäler des Kr. Friedberg, S. 74).

Aus derselben Zeit stammen die ältesten deutschen Stammesgesetze. Dort erscheint die Hausmarke urkundlich als Unterschrift. Nach dem Gesetz der Burgunder (um 500) hatten bei einer

Beurkundung die Zeugen eigenhändig ihr Zeichen (Signum) unter des Dokument zu setzen, in der Lex Salica der salischen Franken (um 500) kommt das Wort „Signum“ als Personenmarke ebenso oft vor wie im Gesetz der ripuarischen Franken um 550. Im alemannischen Recht zu Beginn des 7. Jahrhunderts hatte der Richter sein Signum oder Sigillum dem zu Ladenden zu übersenden. Auch das Recht der Westgoten kennt die Hausmarke als Signum. Im altfriesischen Recht des 8. Jahrhunderts hatte beim Losen jeder Beteiligte sein Signum selbst einzukerben (vgl. K. K. Ruppel, Die Hausmarke, Berlin 1939, S. 95). Nimmt man zwei Angaben des bekannten Literaturprofessors August Vilmar in Marburg in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ (Marburg 1868) hinzu, so sieht man, daß dieser uralte Rechtsbrauch noch bis in unsere Zeit weiterlebte. Dort ist (S. 87) zu lesen, daß in Hessen der Schultheiß einen besonderen Stab, den Einwarts-Stab hatte, „daran man diejenigen so (beim Gericht) nicht zur Stelle, pflegte zu schneiden“. Derselbe berichtete (S. 189), daß der Dorfhirte auf einem Kerbstock die Tiere seiner Herde einkerbte und dadurch den Eigentümer sofort kannte (weil wohl das Tier dasselbe Zeichen

ins Ohr geschnitten trug).

Es war der Professor der Rechte an der Universität Kiel A. C. I. Michelsen, der die Hausmarke zuerst in die deutsche Rechtswissenschaft einführte und 1853 hierüber ein kleines Buch schrieb, in dem er nachwies, daß bei den germanischen Grundstücksübertragungen mittels der festuca notata die Hausmarke (nota) in den übergebenen Stab (festuca) eingeschnitten wurde. Es schließt: „Die Lehre von den Hausmarken wird in Zukunft ein wesentliches Kapitel der germanischen Altertumskunde bieten“. Der nächste, der sich um die Markenforschung große Verdienste erwarb, ist K. G. Homeyer, Professor der germanischen Rechtsgeschichte an der Universität Berlin. Er rief 1853 durch ein Flugblatt öffentlich zur Sammlung von Hausmarken auf mit dem großen Erfolg, daß ihm von Skandinavien bis in die Schweiz, von Italien über Frankreich bis zum Baltikum viele Tausende zugingen, die er in seinem Werk „Die Haus- und Hofmarke“ 1878 nur zum Teil veröffentlichte.

So fand sich z. B. eine ganze aus Marken gebildete Stammtafel einer Familie Gau durch fünf Generationen, bei der die Marke des Stammvaters von den jedesmal ältesten Söhnen unverändert weitergeführt wird, während die der nachgeborenen Söhne durch bestimmte Beizeichen verändert werden. Bei Homeyer finden sich aus dem Lande Hessen fast keine. Gab es hier keine? Das Gegenteil ist der Fall. Ein Blick in die Archive beweist dies. So konnte ich bei meiner Vorarbeit für mein hessisches Wappenbuch bereits deren über 1600 feststellen, die druckfertig mit Namen und Jahr vorliegen und durch weitere Forschung beliebig vermehrt werden können. Ich nenne nur drei gehäufte Beispiele: Im Stadtarchiv Butzbach tragen fast alle alten Bürgermeisterrechnungen auf dem Pergamentumschlag seit 1453 die Hausmarke der Bürgermeister im Schild (Übergang der Marke zum Wappen), im Staatsarchiv Darmstadt findet sich ein Pergamentheft mit den Marken der Wollweberzunft der Reichsstadt Friedberg von 1468-1600 mit fast 300 Marken, die O. Praetorius in den „Friedberger Gesch. Bll“, 14, 1939 bis 1942, veröffentlicht hat. Den größten und rechtsgeschichtlich bedeutendsten Fund konnte ich 1950 im Gemeindearchiv des Dorfes Gambach in der Wetterau machen, 425 Marken von 1640-1768 der dortigen bäuerlich und adlig gemischten Marktgenossenschaft als Teilhaber am dortigen Marktwald („Volk und Scholle“, 1951, Heft 2, und „Hess. Fam.-Kunde“, 1954, Heft 2). Herbert Spruth, der Vorsitzende des Vereins „Herold“ in Berlin und Veröffentlicher pommerischer Hausmarken, schreibt darüber in der Zeitschrift „Familie und Volk“, 1955, 175, folgendes: „Die Bedeutung dieses Fundes ist von ungewöhnlicher Wichtigkeit, wenn die sämtlichen germanischen Volksrechte die Markenführung auch kannten, die noch heutigentags weiterleben, so blieben die Einzelheiten dieses Brauches innerhalb des letzten Jahrtausends doch undeutlich. Nunmehr zeigt meine Veröffentlichung, daß tatsächlich noch in neuerer Zeit die Markenführung in Gambach sich nach germanischem Genossenschaftsrecht vollzogen hat. Dieses stellt eine grundlegende Ergänzung unserer Kenntnisse über die Markenführung in deutschem Gebiet dar und kann gar nicht wichtig genug genommen werden … Eine Bestätigung für den germanischen Charakter in dem Gewohnheitsrecht und der Sitte der Markenführung, die bisher angenommen, aber nicht nachweisbar war.“

Während die Hausmarkenforschung bisher stark vernachlässigt war und erst jetzt wieder in das Blickfeld der Forschung rückt (Mitteilung des „Herold“, Berlin, 1955, 79), ist die Heraldik im engeren Sinne im Lande Hessen (wozu wir archivalisch Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Nassau und Frankfurt, Rheinhessen, die an Rheinland-Pfalz abgetretenen vier nassauischen Kreise, Schmalkalden und Wimpfen zählen) mit überaus zahlreichen Quellen vertreten. Die Staatsarchive in Darmstadt, Marburg und Wiesbaden, die Stadtarchive der großen und kleinen Städte, die Standesherrlichen und Adelsarchive, die Gemeinde- und Pfarrarchive des Landes sind noch lange nicht heraldisch voll ausgeschöpft, sowohl hinsichtlich der Urkunden als der Aktenbestände. Außergewöhnlich reich und vielseitig sind die hessischen Quellen der Heraldik gerade in unserem Rhein-Main-Gebiet als einem ältesten deutschen Kulturzentrum: Heraldische Hoheitssymbole der Landesherren, Patrone, Gerichtsherren und Besitzer, kirchlicher Würdenträger, Grabdenkmäler und einfache Grabsteine, Wappen an Toren und Häusern, Siegel, Münzen, Glaswappen in Kirchen und Profanbauten, Totenschilde und Stifterwappen, Kelche, Kannen und andere kirchliche Geräte, Siegelringe und Petschaften, Gebrauchsgegenstände aller Art, Ortswappen, Genossenschafts-, Ordens- und Zunftwappen, Exlibris, Pfeifenköpfe und Tassen bis herab zu den mehr oder minder guten Wappen auf Weinetiketten der studentischen Korporationen und Vereine, stellen eine vielseitige Musterkarte unserer deutschen Symbolfreudigkeit dar, die in unserer industriellen, ganz auf das Sichtbare eingestellten Zeit wieder sehr in Brauch kommt. „Das Recht, Wappen zu führen und beliebig anzunehmen, war ja immer ein völlig freies, und blieb auch tatsächlich frei, als die Kaiser das Recht beanspruchten, bürgerliche Wappen zu verleihen“, schreibt E. Heydenreich in seinem „Handbuch der praktischen Genealogie“, II, S. 154. Dies ist aus dem vorhergesagten ohne weiteres klar.

Die Heimat der Heraldik in ihrer zweckgebundenen strengen Formensprache, ihren guten Farbregeln und ihrer Kunstsprache ist Frankreich. Von dort kam die Pflege dieser Kunst durch die Herolde oder „Knappen von den Waffen“ nach Deutschland und brachte französische Fachausdrücke mit, die heute noch leben, wie z. B. Blasonieren = Wappenbeschreibung. Die Herolde unterstanden alten angesehenen Rittern als den Vorstehern der Turniergesellschaften, in deren Auftrag sie bei den sportlichen Turnierkämpfen die Berechtigung der Teilnehmer prüfen, ihre Wappen ausrufen mußten usw. Dies setzte natürlich eine genaue Kenntnis voraus, was zur Anlegung der ältesten Wappenbücher führte (vgl. Hierzu v. Berchem, Galbreath und Hupp, „Beiträge zur Geschichte der Heraldik“, Berlin 1939). Der in Hessen bekannteste kaiserliche Herold war der Schutzbegleiter Luthers, Kaspar Sturm von Oppenheim, dessen Bild 1520 Dürer zeichnete und dessen Heroldsschwert sich im Museum in Friedberg befindet, wo er sich nachher niederließ und noch Nachkommen von ihm leben sollen.

Die allermeisten Wappen sind, wie angegeben, selbst gewählt. Wappenbriefe gab es erst seit dem 15. Jahrhundert. Sie waren Gnadenerweise und ihre Angabe oft zweifelhaft. Die Verleihung war eine Geldeinnahme der kaiserlichen Kanzlei oder der damit beauftragten Hofpfalzgrafen; das kleine Palatinat oder Comitive war das Recht, bürgerliche Wappen, das große, Adel und Adelswappen zu verleihen. Auch die meisten Universitäten besaßen die kleine Comitive, doch wurden auch viele Wappenbriefe ohne Comitive ausgestellt. Vielfacher Mißbrauch führte dann zur Aufhebung dieser Rechte. Da der Nachweis der Zugehörigkeit zu den verschiedenen Adelsstufen oft mit Rechten an Besitz und Stiftungen verbunden war, entstanden zum Schutz gegen Adelsschwindel sogenannte Heroldsdämter, die in jedem Land eine Adelsmatrikel führten und bei Standeserhöhung und Verleihung neuer adliger Wappen mitwirkten, 1918 dann aufgehoben wurden. Zur Pflege der Wappenkunst, Bekämpfung des sogenannten Wappenschwindels durch sog. Wappenfabriken (Kontore) bei der bürgerlichen Heraldik entstanden genealogischheraldische Vereine, die eingetragene Wappenrollen führen und von denen der Verein „Herold“ in Berlin der älteste ist. Nachdem die „Hessische Wappenrolle“ nicht mehr weitergefürt wird, können Wappen für unser Gebiet in die „Rhein-Main Wappenrolle“ der Mittelaltergruppe „Ritter von Darmstadt“ eingetragen werden. Der Verein hat geeignete Heraldiker und Wappenzeichner und führt seit 1997 die „Rhein-Main Wappenrolle“.

Das Verdienst, erstmals wissenschaftliche Methoden in die mit der Genealogie verbundene Heraldik gebracht zu haben, gebührt dem in der Kirchengeschichte als dem Stifter des Pietismus wohlbekannten Theologen Philipp Jakob Spener. Geboren wurde er am 13. Januar 1635 in Rappoltsweiler im Elsaß, wo sein Vater gräflich-rappoltsteiner Registrator und Rat war. Seine Beziehungen zu Hessen sind eng gewesen, denn seine Patin, Agathe Gräfin von Solms-Laubach, war die Gemahlin Eberhards Herrn von Rappoltstein. Als sie 1637 mitten in den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges durch den Tod ihres Gemahls in tiefste, auch finanzielle Not geriet, war ihr starker christlicher Glaube, ein Erbe des Laubacher Elternhauses, ihr einziger Halt, den sie noch auf ihrem Sterbebett ihrem damals 13jährigen Patenkinde so unauslöschlich einprägte, daß er durch Spener im sogenannten Pietismus zu einer tiefwirkenden Erneuerung der ganzen evangelischen Kirche wurde. Spener wurde 1666 als Senior der Geistlichkeit nach Frankfurt am Main berufen, wo er die längste Zeit seines Amtes waltete, ward 1686 Oberhofprediger in Dresden und 1691 Probst in Berlin, wo er am 5. 2. 1705 starb. Sein erstes heraldisches Werk war „Insigna serenissimi Familiae Saxonicae“ (1660), ein Kommentar zum sächsischen Wappen. Seine bedeutendsten heraldischen Werke schrieb er während seiner Frankfurter Zeit, seine „Historia insignium Illustrium s. Operis Heraldici, Pars specialis (Frankfurt 1680), Pars generalis“ (ebd. 1690), 1717; eine erste Systematik der Heraldik, die, wie Heydenreich a. a. O. schreibt, „durch ihre Vollständigkeit, Klarheit in der Anordnung und technische Präzision Epoche gemacht und lange klassisches Ansehen genoß“. Spener gab hier dem heraldischen Mystizismus den Todesstoß, er erläuterte die einzelnen Teile des Wappens historisch, indem er sie selbst als geschichtliche Gebilde betrachtete. Auch sein „Theatrum nobilitatis Europeae“ ist ein monumentales Werk, das für sich genügen würde, den Verfasser zum berühmten Mann zu machen. Von Frankfurt aus weilte Spener oft in Laubach, wo er auch predigte und dort die ersten Bet- und Bibelstunden hielt. So dürfen wir ihn auch in heraldicis mit Stolz zu den Unseren rechnen. Vgl. Hess. Familienkunde 1956, Heft 11/12.

Wir geben im folgenden die Richtlinien, nach denen das Wappenrecht aufgestellt und geordnet wurde.

Richtlinien der Bearbeitung: Aufgenommen wurde jedes innerhalb des heutigen Landes Hessen und der früheren Gebiete vorhandene und nachweisbare Wappen oder Marke einschließlich von bisher namentlich unbekannten.

Während die verhältnismäßig in sich geschlossenen Gebietsteile wie Frankfurt, Nassau, Rheinhessen und Waldeck in besonderen Bänden zusammengefaßt werden, umfassen die übrigen Bände beide Hessen, zwischen denen besonders in früheren Zeiten ein reger Beamten- und Familienaustausch stattfand, und zwar in der dem Verfasser zugänglich gewordenen Reihenfolge. Jeder Band enthält über 100 Wappen und Marken. Bei Abbildung des Wappens wurde, bis auf wenige erläuternde Angeben, auf eine heraldische Beschreibung verzichtet, da sie den Textumfang sehr vermehrt hätte. Bei einfachen Schildbildern genügte die Beschreibung ohne Bild. Von vielen alten Wappen, die nur als Siegel erhalten sind, sind die Farben nicht bekannt.

Bei dieser planmäßigen Inventarisierungsarbeit, die sich über 60 Jahre erstreckte und natürlich noch nicht abgeschlossen ist, und die der Verfasser, damals Pfarrer in Wallenrod und Schlitz, als staatlich beauftragter Kreisurkundenpfleger und Kreisdenkmalspfleger des Kreises Lauterbach begann, konnte eine Unmenge vergessener alter Familienwappen und Hausmarken wieder entdeckt und mit den einstigen Trägern identifiziert und so der Vergessenheit entrissen werden. Damit wurde eine bis ins kleinste gehende Ergänzung der vorhandenen Kunstdenkmälerwerke geschaffen, in denen die einfachen Grabsteine meist nicht zu finden sind. Dabei konnten durch Heranziehung alter Wappenwerke und die gewonnene planmäßige große Übersicht zahlreiche Wappenirrtümer und vielfacher sog. Wappenschwindel aufgedeckt und richtiggestellt werden.

Ein Wappenirrtum liegt vor, wenn eine Person oder Familie im guten Glauben und infolge mangelnder Kenntnis ein Wappen gleichen Namens ohne nachweisbaren genealogischen Zusammenhang als ihr Wappen annahm und führte, oder es ihnen von dritter Seite zugestellt wurde. Solche Fälle sind, besonders beim Neuerwachen der Familienforschung und des heraldischen Interesses in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreich und oft dadurch veranlaßt, daß das alte Siebmachersche Wappenbuch keinerlei genealogische Angaben enthält. Solche Wappen wurden auf meinen Vorschlag entweder geändert oder durch Neuannahme ersetzt, soweit dies erreicht werden konnte. Wo nicht, ist dies durch Hinweis auf die Herkunft angegeben.

Der Wappenschwindel: Weit übler ist die Tatsache, daß geschäftstüchtige Schwindler das neu erwachte heraldische Interesse benutzten, um den ein Familienwappen Suchenden „ihr Wappen“ in ebenso farbenprächtiger wie heraldisch meist schlechter Darstellung für teures Geld zu verkaufen, indem sie Wappen gleichen oder ähnlichen Namens kopierten oder änderten und mit einem gefälschten pomphaften Text der Verleihung durch einen Kaiser versahen, wobei sie als Quelle meist eine gar nicht existierende „Europäische Wappensammlung“ mit Band und Seite angaben, zugleich mit einer oft sinnlosen Farben- und Figurendeutung. Diese sogen. Wappenfabriken sind heute den Heraldikern alle bekannt und wagen sich kaum mehr ans Licht.

Wie sollte man diese Wappen hier behandeln? Es ergaben sich zwei Möglichkeiten, einmal sie einfach auszumerzen, wenn die Wappenführer sich von der Tatsache überzeugt hatten. Schwieriger war es, wenn solche Wappen schon 50 bis 100 Jahre in der Familie geführt und auf Petschaften und Siegelringen benutzt wurden. In diesem Falle galt es, den falschen Text zu beseitigen und die Zeit der Annahme dafür zu setzen. Was das Wappen ein Neuentwurf gewesen und heraldisch fehlerfrei, so war eine Weiterführung gegeben, war es aber die Kopie eines schon vorhandenen, vielleicht mit gleichem Namen, so mußte es in Bild oder Farbe irgendwie abgeändert werden. Solche Fälle sind dem Verfasser öfter vorgelegt und in dem angegebenen Sinne berichtigt worden.

Gedächtniswappen: Da in alter Zeit die Hausmarke und anschließend das Wappen ganz einfach das Bildzeichen des Namens war, hat man schon früh nachträglich Wappen geschaffen von Personen, die selbst keines geführt haben, so z. B. von den Aposteln, Heiligen, einstigen Königen und exotischen Fürsten, ja sogar von Christus oder von Karl dem Großen und Apten aus vorheraldischer Zeit usw. Wir staunen, etwa in dem herald. Werk des Konzils von Konstanz eine Menge derartiger Wappen zu finden, oder etwa in der Reformationszeit in den Schild gesetzte Buchstabenmonogramme. Solche posthume Gedächtniswappen geben die Erinnerung an eine Persönlichkeit natürlich viel wirkungsvoller wieder als ein bloßer Name. So wurden in bewußter Weiterbildung dieses Brauchs z. B. im neuen hess. Ortswappenbuch die in Ortssiegeln stehenden Heiligen heraldisch durch ihre viel richtiger darstellbaren Beizeichen ersetzt.

Wappenneuannahme: Das Hessische Wappenbuch enthält daher zahlreiche Neuannahmen, jedesmal mit genauer Orts,. Zeit- und Familienangabe, um damit für die Zukunft jeden Wappenirrtum wie Schwindel auszuschließen und es in heraldisch richtiger Form für immer festzulegen. Diese Aufnahme erfolgte kostenlos in der Annahme einer späteren Bandabnahme. Es herrscht bei vielen immer noch der aus völliger Unkenntnis der rechtsgeschichtlichen Tatsachen fließende Irrtum, daß ein Wappen nicht „echt“ sei, wenn es nicht „verliehen“ oder „alt“ sei, ferner daß eine Wappenannahme Nachäfferei des Adels sei, daß man damit den Anschein von adlig erwecken wolle usw.

Diese falsche Vorstellung hat sich dann der Wappenschwindel zunutze gemacht. Tatsache ist jedoch, wie vorher nachgewiesen, daß das Recht des freien Mannes, eine Hausmarke oder ein Wappen als sichtbares Familiensymbol anzunehmen, niemals bestritten wurde, ja in alter Zeit zum Zwecke der Unterschrift Pflicht war, ferner daß etwa 90 % aller Wappen niemals verliehen, sonder frei angenommen und geführt wurden, und daß Wappenverleihungen einst nur ein Geldgeschäft der kaiserlichen Pfalzgrafen war oder mit einer Adelsverleihung verbunden, endlich, daß viele, besonders bei alten Beamten- und Schöffenfamilien, einst sicher vorhanden gewesene Wappensiegel u. Petschaften spurlos verloren gingen in der Zeit, wo die Briefe nicht mehr zugesiegelt, sondern geklebt wurden, weshalb von da aus gesehen eine Neuannahme durchaus berechtigt erscheint. Dr. Carl Knetsch hat nachgewiesen, daß Wappenpetschaften von Beatmen zur Verhütung von Mißbrauch nach dem Tode oft vernichtet werden mußten.

Rechtslage und Rechtsschutz: Das Recht, ein eigenes Wappen als Geschlechtswappen anzunehmen, steht jedem zu. Nur darf das neue Wappen mit einem bereits bestehenden nicht genau übereinstimmen, sonst ist die Ausschließlichkeit verletzt. Auf den Rechtsschutz eines Wappens ist die Vorschrift des § 12 BGB (Namensrecht) analog anzuwenden, und zwar hinsichtlich des Wappens der Einzelperson, der adligen, der bürgerlichen als auch des Wappens einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das Wappenrecht ist wie das Namensrecht ein durch gemeines Gewohnheitsrecht anerkanntes Persönlichkeitsrecht. Es ist ein neben dem Namensrecht stehendes absolutes Recht zur Kennzeichnung der Person und Familie. Unvordenklichkeit ist als Rechtsgrund anzuerkennen. Hiernach besteht Rechtsschutz für jedes irgendwo veröffentlichtes Wappen 1) analog nach § 12 BGB, 2) nach dem Reichsgesetz vom 19. 1. 1901 betr. Urheberrecht an den Werken der Literatur und Tonkunst, wozu nach § 1, Nr. 3 auch die Abbildungen wissenschaftlicher und technischer Art gehören, die ihrem Hauptzweck nach nicht als Kunstwerke zu betrachten sind. 3) nach dem Reichsgesetz vom 9. 1. 1907 betr. Urheberrecht an Werken der bildenden Kunst und Photographie, 4) nach dem Reichsgesetz vom 12. 5. 1894 zum Schutz der Warenbezeichnung in der Fassung vom 1. 4. 1913 bei Eintragung eines Wappens als Warenzeichen. Reichsgerichtsentscheidung in RGZ Band 71, Seite 263 ff.

Quellennachweise: Aufgenommen wurde kein Wappen oder Marke ohne Quellennachweis, um stets eine Nachprüfung oder weiter zurückreichende Nachforschung zu ermöglichen. Diese Quellen sind natürlich von sehr verschiedener Art und Zuverlässigkeit. Hier muß ausdrücklich betont werden, daß bei der ungeheuren Fülle des anfallenden Stoffes und einer Mitteilung von Dritten es nicht möglich und auch nicht Aufgabe dieser erstmaligen Gesamtinventarisierung war, die angegebenen gedruckten oder handschriftlichen Quellen und Angaben auf ihren Ursprung oder ihre Richtigkeit jedesmal zu untersuchen. Dies muß den Einzelforschern überlassen bleiben, und der Verfasser und sein Nachfolger sind für jede Ergänzung und Berichtigung dankbar.

Dankbar ist er den Herren Direktoren der Staatsarchive, Stadtarchive, standesherrlichen, Gemeinde- und Pfarrarchive, daß sie die heraldische Auswertung erlaubten, sowie den verschiedenen Bearbeitern einzelner, meist städtischer Sammlungen, die aufgenommen werden konnten. Da die Quelle jedesmal angegeben ist, erübrigt sich hier eine nochmalige Aufzählung.

Das von mir verfaßte und 1944 herausgegebene Rhein-Mainische Wappenbuch war in kürzester Zeit vergriffen. Nachdem 1956 das Hessische Ortswappenbuch Doppelband 1 und 2 von mir herausgegeben wurde erscheint nun in Fortsetzung das Hessische Familienwappenbuch.

Erschöpfend ist das bis jetzt von mir gesammelte Material trotz seiner Fülle noch lange nicht. Es gibt noch zahlreiche Archive, die noch nicht oder nur teilweise heraldisch durchgearbeitet werden konnten, abgesehen von den ständig weitergehenden Neuannahmen von Wappen. Möge sich ein Bearbeiter oder eine familienkundliche Vereinigung und damit eine Art von hessischem Heroldsamt an einer zentralen Stelle finden, die das begonnene Werk sachgemäß betreuen und weiterführen. In anderen europäischen Ländern genießen solche Vereinigungen z. T. staatlichen Schutz und finanzielle Unterstützung.

Wo Familienbewußtsein lebendig ist und gepflegt wird als ein volkserhaltendes Gut, wo Familienforschung betrieben und Familiensinn vorhanden ist, ist der Wunsch nach einem alle Familienmitglieder auch sichtbar verbindendem Symbol nur natürlich. Familien desselben Namens, aber ohne blutsmäßigen Zusammenhang, gibt es viele, wo aber Familien desselben Namens auch dasselbe Wappen führen, gehören sie sofort erkennbar auch zusammen.

Wenn der Adel im Bewußtsein der hohen Bedeutung dieses Gebiet in besonderer Weise gepflegt hat, so ist dies nur anzuerkennen, aber wahrlich kein Grund, dies nicht auch selbst zu pflegen, zumal alle Volksgenossen weithin dieselben Ahnen haben. Es gibt nämlich weder eine rein adlige, noch rein bürgerliche oder bäuerliche Ahnentafel. In ihnen stehen in alter Zeit alle Stände friedlich nebeneinander.

Wir leben heute in einer Zeit, in der die große Bedeutung eines mit einem Blick zu erfassenden Symbols wieder in wachsendem Maße erkannt wird. Wort und Name sprechen niemals so eindrucksvoll und auf den ersten Blick so stark an, wie ein schlichtes, klares Sinnbild, das, auch gesetzlich geschützt, als Handelsmarke eingetragen, eindeutig eine Firma, ein Industriewerk, einen Verlag, einen Verein bezeichnet. Etwas anderes waren die alten Wappen und Marken auch nicht. Ihre durch nahezu 1000 Jahre gewordene und gewachsene Symbolsprache, ihre klaren Linien und Formen sind künstlerisch nicht zu überbieten und bleiben daher auch für die Zukunft bestes Vorbild und hohe Schule für alle Neuschöpfungen auf diesem Gebiet. „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“

Abschließend kann als Ergebnis einer erstmaligen hier gebotenen Übersicht über rd.

15 000 Marken und Wappen aller Stände und Berufe unseres Landes Hessen das gesagt werden, was sich auch sonst mit der Kultur-, Wirtschafts- und politischen Geschichte unseres deutschen Volkes in einem seiner ältesten Kulturländer deckt. Danach ist zu beobachten:

- Ein oft tragischer Wechsel von fleißigem, sieghaftem Aufstieg und oft katastrophalem Sturz, der sich gerade in den Schicksalen der Familien und Geschlechter am deutlichsten spiegelt.

- Daraus ergeben sich heute noch wie einst durchaus fließende Grenzen zwischen den verschiedenen Ständen und Volksschichten, die einst lang nicht so exklusiv waren, wie man oft meinte, verursacht durch Leistung oder Versagen, aber auch durch wirtschaftliche und kriegerische Katastrophen.

- Ein vielfach nachweisbares Hinüber- und Herüberfließen des Blutes und der Erbmasse der verschiedenen Stände vom höchsten Adel bis herunter zum Leibeigenen, biologisch oft nebenehelich, erzwungen durch starre Lehns- und Standesrechte, aber stillschweigend geduldet, ja durch Führung des Familiennamens des Vaters, freilich ohne Standesrechte, anerkannt, auch in den Wappen durch Beizeichen legitimiert, erbbiologisch aber von großer Bedeutung. Der spätere Rechtssatz, der eigentlich Unrecht ist: „La recherche de la paternité est interdite“ galt noch nicht.

- Untereinander stark versippte Beamten- und Pfarrerdynastien, die seit der Reformationszeit gerade auch in Hessen anstelle der alten Adelsgeschlechter treten und eine feste Führerschicht bilden, bei der früher meist vorhandener Kinderreichtum von großer biologischer Bedeutung ist.

- Hieraus ergibt sich die große volkserhaltende sittliche und religiöse Bedeutung der bewußten Pflege des Familiensinns als Verpflichtung und Verantwortung für die Zukunft, die in Hessen von jeher lebendig war. - So bietet das Hessische Wappenbuch weit mehr, als sein Name auf den ersten Blick vermuten läßt. Ein neues und weites Feld voll beglückender Schönheit liegt vor uns und lädt uns ein, aus der überreichen Ernte auch unser Teil einzubringen.

Besonderer Dank für die heraldische Durchsicht gebührt Herrn Hans Joachim v. Brockhusen, für die textliche Herrn Professor O. Praetorius. Kirchenrat D. Grimmell und Reg.-Archivrat Dr. Hensicke.

Darmstadt, im Frühjahr 1969

Hermann Knodt

Das vorstehende Vorwort wurde von Pfarrer Hermann Knodt im Januar 1969 verfaßt. 5 ½ Monate später verstarb Hermann Knodt am 18. Juni 1969 in Darmstadt.

Das von Pfarrer Knodt gesammelte heraldische und genealogische Material ist so umfangreich, daß es etwa 10 weitere Bände füllen könnte.

Dieter Krieger


Hessisches Wappenbuch Familienwappen und Hausmarken

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