Читать книгу Flirrendes Licht - Dieter Pflanz - Страница 3

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Es war heiß, sein Rücken schwitzte. Er spürte das Hemd unter dem Rucksack nass werden. Und das schon am Anfang! Vielleicht doch keine gute Idee, den letzten Weg zu Fuß laufen zu wollen - .

Völlig unbekannt. Dunkel unter den hohen Buchen, obwohl draußen die Sonne schien. Hinter den Erlen, Buchen unten am Wasser, am anderen Ufer, dessen Hang steil abfiel, Wiesen, Büsche, Gärten, Häuser nur oben auf der Kante. Kaum zu sehen, einige Dächer, Wände mit Fenstern, darunter zwei, drei Schuppen, ein Gartenhaus, das rund und vornehm aussah. Wahrscheinlich weil es weiß gestrichen war. Vornehm rund und nicht klein, noch von vor dem Krieg. Vielleicht sogar von vor dem Ersten, obwohl das Holz diese lange Zeit schwer überlebt haben konnte. Und dann noch im Hang oberhalb des Wassers. Bestimmt feuchte Luft, fast ständig. Oder es war ein Neubau, ziemlich neuer, nach Plänen der guten alten Zeit. Sozusagen Nostalgiebau ... nach uralten Plänen. Aus der Erinnerung, für die Erinnerung: fürs gute Gefühl - .

Er konnte alles deutlich sehen, obwohl über fünfhundert Meter, tausend weg. Der See hier am unteren Ende nicht breit. Tief eingeschnitten und nicht breit, drüben die Wiesenhänge, auf dieser Seite Wald. Auch drüben etwas Wald, links hinten, weiter weg, hinter den Wiesen, wo‘s keine Häuser mehr gab. Aber anderer Wald: Kiefern anscheinend. Die abfallenden Grashänge früher für die Häuser zum Überleben. Gärten, Schafe, Ziegen, vielleicht ab und zu eine Kuh. Und unten ein alter Kahn zum Fischen.

Die meisten Hänge, die er zwischen den Bäumen hindurch einsehen konnte, sahen so aus, wie wahrscheinlich früher. Nur der weiß leuchtende Pavillon fiel aus dem Rahmen: wollte etwas Besseres sein - . Eindeutig! Auch das Boot unten, die Boote. Ein solides Anlegerfloß, Holzfläche über großen Tonnen, und darauf eine weiß gestrichene Bank. Ebenfalls grell weiß.

Eindeutig: die wollten was Besseres sein!

Frage nur, ob schon zu sozialistischen Zeiten - . Oder noch.

Er hievte den Rucksack ab, setzte ihn auf den sandigen Weg, wollte nach dem Fernglas suchen, um die Einzelheiten drüben genauer erkennen zu können. Schon hatte er die Schnürung gelockert, als er laut „Nein!“ sagte.

Er verschloss den Rucksack wieder, hob ihn zurück auf die Schultern, ließ aber den Bauchgurt offen, damit Luft unter die Rückenauflage kam. Der Weg sandig mit tiefen Einfurchungen von Regenbächen, Treckern, vielleicht auch anderen Autos. Doch schwer vorstellbar, dass hier häufig normale Autos fuhren, müssten ständig von einer Wegeseite auf die andere wechseln, um mit den Bodenblechen nicht aufzustoßen. Selbst das Gehen schwierig, ständig drückten sich die Fußspitzen tief ein, rutschten zur Seite weg. Doch zum Glück Schatten. Immer noch Buchen, jedoch jünger, dünner als unten, und vermischt mit Kiefern.

Während er ging, überlegte er, wie in dieser sandigen Erde Buchen wachsen konnten. Vielleicht reichten die Wurzeln tief runter ins Grundwasser vom See, mehr als fünfzehn, zwanzig Meter waren es nicht. Oder es gab unter dem Sand Lehm, Ton, Geschiebeflächen, noch von der Eiszeit her, und der Sand war erst später aufgeweht worden. Außerdem war dies eindeutiger Nordhang, kaum der prallen Sonne ausgesetzt, selbst ohne die Bäume nicht.

Der Weg zog sich in leichtem Bogen den Berg hoch, war weit zu überblicken, bestimmt einen Kilometer weit. Oder fast. Doch oben, wo er in der Biegung verschwand, wurde es heller, sonniger. Wohl andere Baumarten, Schonungen, niedrigeres Gehölz, - mit Sicherheit heißer, aber vielleicht auch ebener, leichter zu gehen.

Er beschleunigte den Schritt, um die einsehbare Wegstrecke schnell hinter sich zu bringen. Markierungen, die nach Wanderzeichen aussahen, gab es nicht mehr, nur ab und zu kryptische Zeichen an Baumstämmen, die nach Forstzeichen aussahen. Irgendwelche Hinweise für Holzabholung, Kartierungen, vielleicht Besitzanzeigen wenn es Privatleuten gehörte. Obwohl hier bestimmt wenig privat, nach vierzig, fünfzig Jahren Staatswirtschaft - . Oder: grade wieder! Restitution - die Klöster, Kirchen, Güter hatten sich sofort alles wieder unter den Nagel gerissen.

Der Weg wurde sehr heiß. Der Sand, die hellen Steine reflektierten die Sonne, die wegen der dünnen Äste der Kiefern kaum Schatten warf. Er spürte, wie der Schweiß am Rücken herunterlief, schob die Finger unter die Rucksackauflage, um zu kühlen. Auch die Beine wurden wieder schwer, wie jedesmal wenn er zu schnell zu steile Berge anging. Die Venen der Unterschenkel schmerzten, bestimmt schon angeschwollen. Er zog mühsam die Hosenbeine hoch, mit einigem Drehen der Füße im Sand, und sah, dass die Waden dick waren.

Hatte keinen Zweck - . Er setzte sich auf eine Fahrspurkante, stützte den Rucksack auf der Erde ab. Sonst riss noch der Film. Wie damals in der Nacht im Wald, als so schön Schnee lag und Vollmond schien. Er grinste. Und so was dann in einem fremden Wald.

Völlig fremd, überhaupt nicht nachvollziehbar, dass sie diesen Weg früher ständig gelaufen waren - . Nicht die geringste Erinnerung. War natürlich schon Jahrzehnte her, an die vier, um genau zu sein. Oder er hatte sich verlaufen, und es war überhaupt nicht der richtige Weg.

Wahrscheinlich der falsche - aber oben wurde es heller. Niedrige Schonungen oder Ackerland, Wiesen. Er ging langsam weiter, schlurfte fast über den sandigen Boden. Der Druck in den Beinen hatte aufgehört, nur die Stützstrümpfe fühlten sich feucht an: die Haut unten den engen Stützstrümpfen. Doch es war Wind aufgekommen, der angenehm von hinten blies, aus östlicher Richtung. Er war fast auf der Kuppe. Der Wind war schon da, und das Haus damals hatte auf der Kuppe gelegen: - doch nicht verlaufen!

Er ging schneller, nach einigen hundert Metern erkannte er, dass das hellere Licht hinten den Bäumen von Wiesenflächen herrührte. Der Weg ging in eine Art Hohlweg über: rechts weiter die Kiefern des Waldes, links eine mit Büschen bewachsene Böschung, dahinter riesige Wiesenflächen. Soweit man sehen konnte nur Gras, das hinten wieder verschwand, wohl nach unten verschwand, in einen Hangabfall. Keine Häuser, keine Mauern, Zäune, Felsen - nur Gras. Es sah aus, als löse sich diese riesige Fläche in den Himmel auf. Nahtloser Übergang von Gras zu Himmel: grüngraues Gras ... flirrendes Licht ... graublauer Himmel - . Keine Wolken. Nur Wind, der am Böschungsrand das höhere Gras, Blätter bewegte. Das Gras auf den Flächen war zu kurz, als dass man daran den kräftigen Wind erkennen konnte. Dicht hinter dem Wald - am oberen Rand des Waldes, durch den er gekommen war - lagen riesige Mengen gemähtes Gras. Nicht Heu, sondern Grasberge, alt, angefault, wie die illegal entsorgten Garten-, Grasabfälle auf dem Land an Waldrändern, nur dass die Mengen hier weitaus größer waren. Riesig, hundertfach größer, der Anblick deprimierend, besonders gegen den schweifenden Blick nach rechts auf die weiten Flächen. Und den Himmel.

Er ging in den Hohlweg, der steiniger war als der Weg vorher. Die Büsche hinter ihm verdeckten den abstoßenden Blick auf die riesigen Grashaufen, die Sträucher, Bäume links auf der Böschung wurden höher, warfen wieder Schatten. Und plötzlich sah er in dunkleren Rinnen Äpfel liegen, hellgelbe Äpfel gegen grauen Stein. Er bückte sich, hob einen Apfel auf, roch dran. Sommerapfel: richtiger Sommerapfel, Roggenapfel, Klarapfel, voll reif. Er wischte ihn an der Hose ab, schaute nach oben, biss hinein. Weich, vollreif - und oben auf der Böschungskante der Baum. Voller Früchte, nur ziemlich hoch.

Hastig setzte er den Rucksack ab, kletterte den kleinen dornigen Hang hinauf, fand oben im Gras lauter weißgelbe Äpfel. Und groß, für Sommeräpfel sehr groß. Er wühlte in der Hose nach dem Taschenmesser, schnitt einen Apfel durch, probierte. Vollreif, mürbe, süß. Er trug die am besten aussehenden in einer Grasmulde zusammen, überlegte kurz, zog dann sein Hemd vorn aus der Hose, hielt es mit der linken Hand, tat die gesammelten Äpfel hinein. „Roggenäpfel ... ich werd verrückt - .“ Mit Sicherheit veredelt, irgendwann. Vor Jahrzehnten. Er versuchte sich zu erinnern, an damalsdamals, wusste aber nicht, ob hier Äpfel gestanden hatten, - wusste nicht einmal, ob er hier jemals gewesen war. Völlig unbekannt. Der Hohlweg, der ganze Weg unten vom See her - : unbekannt. Er hätte geschworen, nie hier gewesen zu sein. Doch der Himmel bekannt. Der nach weit hinten sich abwärts beugende Himmel bekannt. Unfug natürlich, gab es nicht, doch das leicht steigende Land - mit dem Abfall nach hinten ins flirrende Licht - bekannt. Bestimmt bekannt.

Er setzte sich am Weg unten in die Böschung, ließ die Äpfel aus den Hemdzipfeln ins Gras rollen. Mit dem Taschenmesser schnitt er langsam bedächtig einen Apfel in vier, dann acht Teile, steckte eins in den Mund, kaute, lutschte. Er war durstig. Vielleicht damals hier Felder gewesen, mit Ackerkrume - . Er zerschnitt einen weiteren Apfel, kaute langsam, lutschte die Stücke aus.

War allein nicht zu klären - er musste sie fragen. Die weite Grasfläche fremd, völlig fremd, aber das gebogene Land mit dem flirrenden Licht ganz hinten irgendwie bekannt. Er spürte, wie er müde wurde, legte den Kopf auf das Rückenpolster des Rucksacks, schloss die Augen. Das Licht ganz hinten bekannt - , dachte er, nur die Grasflächen nicht.

Flirrendes Licht

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