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Sie setzte einen kleinen Topf auf, goss aus einem Behälter rötlich braune Masse hinein, rührte ständig. „Was is‘ denn das?“ fragte Helmut misstrauisch, beugte sich vor.

„Sehr lecker: Hühnermägen, Hühnerleber, Hühnerherzen. Dazu Zwiebeln und Möhren, Maggi - der Kalle ist ganz scharf drauf. Deshalb dachte ich, es sei auch etwas für dich.“

Man könne gar nicht vorsichtig genug sein, meinte er, unglaublich, was man heute in fremden Haushalten an Besonderheiten vorgesetzt bekomme - . Wenn nur der Name exotisch gut klinge, alles habe sich auf Wortebenen verschoben. Er sei vor allem bei Bratkartoffeln, Grünkohl, Sauerkraut geblieben.

„Genau so habe ich dich eingeschätzt.“ Sie lachte. „Erinnerst du dich, wie wir oft in der Nacht noch Bratkartoffeln gemacht haben?! Auf unserem schönen Ofen, im Winter, wenn wir Hunger hatten. Und Hunger hatten wir immer!“

Aber für Bratkartoffeln habe sie die Kartoffeln immer in zu dicke Scheiben geschnitten. Sei nicht in ihren Kopf gegangen: dass die dünn zu sein hatten.

„Ich habe mich nur dumm gestellt, damit du es machtest. Ich wollte immer weiter in meinen Romanen lesen -.“

„Deine subtile Art, mich zu ärgern. Hab aber immer gerne gekocht ... für dich immer! Pudding, Götterspeisen, anderes Süßes.“

„Und du hast mitgegessen - gierig, gierig. Wer von uns den Topf auskratzen durfte, war stets umstritten! Ich habe es als Erster gesagt!

Nein: ich, ich!

Sie lachten, trugen Brot, die Platten,Tee in den anderen Raum. Er sei überhaupt ein ziemlich häuslicher Typ gewesen, seine Bratkartoffelpfanne habe er anschließend penibel ausgewischt. Von außen habe sie fürchterlich ausgesehen, aber innen stets astrein. Sie habe sich nie in ihrem Leben für Haushalt interessiert, erst jetzt, wo alles andere vorbei sei, müsse sie es notgedrungen tun.

Der Hund klapperte in einer Ecke mit dem Napf, schob ihn auf den Steinfließen gierig vor sich her, um alle Reste aus den Ecken zu bekommen. Sie aßen, sprachen über die Zeit, als sie in dieses Haus gezogen waren. Mitten im Krieg, als die Bombenangriffe losgegangen seien, 42 oder 43, das genaue Jahr wussten sie nicht. Freya meinte, sie sei noch in Berlin in die Schule gekommen, in die Erste Klasse oder beide ersten, er sowieso zuerst in der Stadt. Dann seien sie unten im Dorf in die Schule gegangen und auf einmal in dieselbe Klasse, weil die kleine Schule in dem roten Backsteinbau nur zwei Klassen gehabt habe: Eins bis Vier, Fünf bis Acht.

Sie lachten. „Wie hieß die noch ... unsere Lehrerin? - Ganzganz jung, bestimmt gerade aus dem Lehrerseminar. Unis brauchten die damals noch nicht. Meistens nicht mal Abitur.“

„Fräulein Sell ... mann“, sagte er langsam. „Oder Selke. Irgendwas mit Sel.“

„Siele!“ schrie Freya. „Noch ganz jung, fast BDM-Mädchen. Sommersprossen. Sehr schöne rotblonde Haare, kurz geschnitten.“

„Ja -: rote Haare, Sommersprossen sind des Teufels Volksgenossen!“

„Das kam immer von dir - ich liebte sie innig.“

„Du warst auch ihr bevorzugter Liebling -.“

„Wir beide! Weil wir aus Berlin kamen, wo sie mit Sicherheit gerne hingegangen wäre, und weil unser Vater strenger Nazi war. Nazi auch sie ... jeden Morgen mit Deutschem Gruß!“

„Wann ist unser Führer Adolf Hitler geboren?“ schmetterte Helmut. „Suchender Blick im Klassenraum, der am Größten, Stärksten von uns hängen blieb. Kläuschen, du! - Äh, äh ... eben wusste ich‘s noch. - Sag du es ihm, Freya! - Kerzengrade hoch, und mit laut tragender Stimme: Am 20. April 1884, Fräulein Siele, in Braunau am Inn! In Österreich. - Sehr gut, Freya, an dir könnte sich das Kläuschen wirklich ein Beispiel nehmen. Doch es gibt heute kein Österreich mehr, sondern nur noch ... was -? Freya? - Das Großdeutsche Reich, Fräulein Siele!“

„Neiiin -“, schrie sie, „das hast du gerade alles erfunden. Ich kenne dich!“

Sie wischte sich mit einem Taschentuch Gesicht, Augen ab. Auf jeden Fall das Beste, was ihnen als Kinder hatte passieren können … dieser Umzug nach hier. Ständig unterwegs: Beeren sammeln, Pilze sammeln, Bucheckern, Brennholz. - Schwimmen gehen, Fische fangen.

Nur nie den Hund bekommen, meinte Helmut, weil die Zeiten zu schlecht waren. Angeblich. Dabei sei der wirkliche Grund Omas Phobie gegen Hunde gewesen, gegen den Dreck den sie ins Haus tragen, die Haare die sie verlieren. - Hunde hätten ihr Leben wirklich noch bis zum Äußersten verfeinert. „Einen für dich ... einen für mich. Aber jetzt hast du endlich einen.“ Er zeigte auf Kalle, der seinen Topf blank geleckt hatte, nun neben ihnen auf dem Teppich lag.

„Ja -.“ Ihre Augen! Gesicht völlig entspannt, sie war tief in ihm drin.

„Weißt du noch, wie wir mit Zehn, Elf unbedingt, sofort einen Hund haben wollten?! Das muss schon nach dem Krieg gewesen sein: du etwa Zehn, ich Zwölf. Und wie wir uns ständig ausmalten, wie es sein würde, endlich den Hund zu haben. Abends: - wochenlang.“

Sie hob die Schultern.

„Du erinnerst dich nicht? Er sollte immer in deinem Bett schlafen, aber unten, am Fußende. Und tagsüber, wenn wir draußen herumliefen, wolltest du ihn vorn in die Bluse und deine Jacke stecken, weil er noch ein Welpe war, nicht richtig rennen konnte. Und er sollte nie Halsband oder Leine tragen, nie im Leben! Er sollte immer ganz frei sein.“

„Das soll ich gesagt haben -?“

„So war dein Entwurf des freien Lebens eines freien Hundes - weiß ich noch genau!“

Jetzt werde ihr vieles klar -. Die Hundeerzieherin, die, wohin sie ab und zu mit Kalle gehe, sage oft: Der Hund nimmt Sie nicht ernst! Ich hatt’s vorhin schon erwähnt, sie lachte. „Und wirklich ... tief drinnen freut es mich immer irgendwie, wenn der nicht so ganz blind gehorcht -.“

Freya: die Freie! Wenn‘s auch ein Naziname gewesen sei - wie seiner. Mut wie Mut und hel wie groß, ganz.

„Meinst du?“

„Unsere Namen standen bestimmt auf der Liste zeitgemäßer Kindernamen - damalsdamals. Vorausschauend aufs kommende Große, mit Sicherheit.“

„Meinen Namen habe ich immer gemocht.“

„Ich auch“, sagte er, „deinen! Meinen nicht so besonders.“

Und welchen habe er dafür lieber gehabt -?

William, Ernest, Knut - . Und Anton, Mark, Henry David, Saul. Stanislaw Jerzy, Lew...

„Wer ist Henry David?“ fragte sie.

„Henry David Thoreau ... astrein. Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat!“

Kenne sie nicht. Klinge aber gut, müsse sie dann mal lesen.

Unbedingt! Nur einige Seiten. Gelebt ungefähr Achtzehnhundertfünfzig.

„Und keine Frauen?“ sagte sie forschend.

Er hob langsam die Schultern, lachte. „Ich war, bin doch ein Mann. Du hast nach den mir lieberen Vornamen gefragt.“

„Eins zu Null. - Doch nur Schriftsteller -? Keine anderen Helden?“

„Nein ... andere nicht. Später nicht. Als Kind einige Militärs, wie Rommel. Also Erwin. Der aber wirklich als Kind: sehr früh. Danach nur Schreiber. Die anderen haben mir kein Herzklopfen gemacht, nicht das geringste! All dieses Kroppzeugs, das da rumlief: Verkäufer, Richter, Unternehmer, Pastöre, Ärzte, Politiker, Millionäre -. Nicht das geringste. Wirkliches Herzklopfen lösten nur die Schreiber aus!“ Er überlegte. „Und vielleicht Physiker, Mathematiker. Wenn ... dann. Wenn dafür Begabung gehabt. - Herzklopfen nur durch Schreiber, aber auch Frauen - weil du eben fragtest. Carson, Alice, Kathrine, Virginia, Astrid wären in diese Richtung die Namen.“

Alice aber auch von einem Mann! sagte sie.

Nicht Alice Wonderland. Die auch Klasse, natürlich - Alice Munro! Kanadierin.

„Kenn ich nicht.“

„Ziemlich unbekannt, Kurzgeschichten. Oft sehr schöne Geschichten: - alles von der Frau aus geschrieben. Doch die Beste: Astrid, aus Schweden! Hast du die noch nachholen können, so lange nach unserer Zeit -?“

„Ja, jetzt im Krankenhaus, in der Psychiatrie. Pippi Langstrumpf.“

Sie lachten, sahen sich lange an.

„Und dann noch Freya -“, sagte er plötzlich langsam, „die hat mir auch Herzklopfen gemacht. Schon mit Sechs. Seit sie sich mit drei oder vier mit Hilfe meiner Schulbücher selbst das Lesen, Schreiben beigebracht hatte. - Das hat mich wirklich geschockt - wohl weil mir selbst das Lesen-, Schreibenlernen so schwer fiel. Seitdem wusste ich, dass ich mich vor dir in acht zu nehmen hatte!“

Auch sie habe immer das Gefühl gehabt, gleichberechtigt zu sein - ja. Obwohl Mädchen und zwei Jahre jünger. - Dafür bedanke sie sich -!

Sie versuchte übertrieben lächelnde Verbeugung, die aber misslang, und als sie den Kopf hob, sah er, dass die Augen wieder feucht waren.

„Jetzt will ich dir aber dein Zimmer zeigen“, sagte sie, stand schnell vom Tisch auf. „Und anschließend, wenn du nichts dagegen hast, möchte ich noch ein wenig raus.“

Sie gingen nach oben. Die Wände sehr hell gestrichen, kahl, im Flur stand drückende Wärme. Sie riss Fenster, Türen auf, versuchte Durchzug zu machen, erzählte, dass diese Hitze schon mehr als eine Woche anhalte. Für Ende August sehr warm! Doch wenigstens der Sommer sei noch einmal zurück gekommen. Nur würden dann die Zimmer im Obergeschoss oft unerträglich heiß, unten sei es besser wegen der dickeren Mauern. - Dies das Zimmer, wo er schlafen könne. Übrigens der Raum, wo sie im Krieg gewohnt: - sie zusammen mit Mutti.

„Kommt mir alles unbekannt vor -“, Helmut lachte.

Er müsse sich die vielen Möbel damals dazudenken. Das Haus sei völlig zugestellt gewesen, mit Möbeln aus Omas, Opas Haus und aus ihrer Wohnung in Berlin. „Private Evakuierung, Opas Idee! Alle Menschen, Möbel rüber ins Sommerhaus!“ Und sein Riecher nicht schlecht: ihre Wohnung völlig ausgebrannt und bei Omas, Opas Haus der obere Stock. - Guter Riecher! Aber Opa sei auch vier Jahre Sanitäter in Frankreich gewesen. „In dem Lazarett im Elsass, wo sie aus Verdun die Zusammengeschossenen hingekarrt hatten. Der wusste, was Krieg bedeutet!“

An Opa habe er kaum Erinnerung, sagte Helmut.

Sie starke - habe sich oft mit ihm unterhalten. Sei für sie die männliche Bezugsperson gewesen. „An Opa Paul gehangen. Der erzählte gern von früher, oft richtig spannend. Wenn ich später aus dem Studium zu Hause war, immer sofort zu Opa hoch!“

„Ich konnte mit dem nicht sprechen. Der verschlug mir irgendwie immer gleich die Sprache, ständig fragte der, was ich später mal werden wolle -!“

Sie lachte. „Du warst ihm sehr verdächtig.“

„Weshalb?“

„Der hielt dich für absoluten Träumer: völlig weltfremd! - Da konnte ich reden, was ich wollte, von dieser Einschätzung, die ich für absolut falsch hielt, konnte ich ihn nicht abbringen. Später haben wir das Thema Helmut immer gemieden, weil ich dabei fürchterlich an die Decke gehen konnte.“ Sie lachte. Aber auch ihr Vater sei ihm verdächtig gewesen. - Einer der freiwillig in den Krieg gehe und Frau, zwei kleine Kinder zu Hause zurücklasse, tauge nichts! „Das bezog sich auf den Spanienkrieg, in den Papa mit der Legion Condor gegangen war. Wohl 37, 38.“

„Papa hat mir später, kurz vor seinem Tod erzählt, dass er da mit hingemusst habe! Der ganze Stab, er sei Berufsoffizier gewesen.“

„Sicher, oft schlimme Zwänge. - Aber wenn man dann später etwas hört von Guernica, die Bilder sieht, die Berichte, Romane liest, wird einem bei Legion Condor übel -. Nicht nur ein Bisschen.“

Bei ihnen seien diese Taten in der Nachkriegszeit systematisch kleingeredet worden. Gezielte politische Verblödung. Während sie hier vieles aufgearbeitet hätten. „Dieser Krieg wurde damals natürlich vom intellektuellen Aufstand vieler getragen. Aus aller Welt. Macht schon Herzklopfen -. Doch irgendwie war mir bei diesem Krieg auch immer zuviel Emotion im Spiel - Emotion im Anfang. Und bei Emotionen zu Beginn rationalisieren die Leute später oft, und es kommt dann zu irrationalem Verhalten. - Nach meiner Erinnerung, Frey, haben wir damals schon beide viel darüber diskutiert!“

Doch Opa sei es ums Tatsächliche gegangen, nicht ums Politische. Ein Familienvater mit Frau, zwei kleinen Kindern habe nicht freiwillig in den Krieg zu ziehn, Punkt! „Dieser Krieg wurde ja von allen Seiten zwischen angeblich Freiwilligen ausgetragen, bis auf die Franco-Leute“, sagte sie. „Und dass sich Papa später nie wieder zu seiner Familie hinten bei den Russen getraut hat, bestätigte natürlich Opas Verdacht extrem.“

„Der hatte wahnsinnige Angst, verhaftet und zur Umerziehung nach Sibirien geschickt zu werden -“, sagte Helmut. Sich nie nach Ost-Berlin getraut, auch im Anfang nicht, als das noch möglich gewesen wäre. „Dabei habe er sich angeblich den ganzen Krieg und vorher nichts zu schulden kommen lassen. Immer dieser Überzeugung gewesen. - Nur ganz zuletzt, als bei uns zum ersten Mal die großen Dokumentationen über Nationalsozialismus, den Krieg liefen, eine lange Reihe, deren Folgen er sich alle angesehen hat, habe ich ihn zum ersten Mal verstört gesehen. In Bezug auf seine eigene Vergangenheit. Irgendwie politisch verstört, schuldig .... das muss Ende der Siebziger Jahre gewesen sein.“

Sie sahen sich an, lächelten, gingen nach draußen. Als sie schon vor dem Tor waren, lief sie noch einmal zurück, weil ihre Schuhe nicht die richtigen waren. Helmut ging am Zaun entlang durchs Gras, besah sich die Häuser. Der Hund lief mit. Als sie hinten zum Zaun gekommen waren, hörten sie am Eingang Freya rufen. Kalle sprang über eine niedergedrückte Maschendrahtstelle, Helmut folgte ihm langsam.

„Da seid ihr ja -“. Sie hatte sich ganz umgezogen, trug jetzt beige Shorts, weißes T-Shirt, festere Schuhe. „Es ist einfach zu heiß“, sagte sie, als sie seinen musternden Blick sah.

„Steht dir aber gut“, sagte er. „Ich könnte Shorts nicht mehr tragen: lauter Krampfadern. Da würden alle jungen Mädchen entsetzt tuscheln -.“

„Die würden auch über mich tuscheln: - hast du diese Alte gesehen, die auf jung macht?! Fürchterlich.“ Doch wahrscheinlich würden sie von den jungen Mädchen überhaupt nicht mehr gesehen. Die Alten bildeten sich immer nur ein, noch irgendwelche Aufmerksamkeitswerte zu haben -.

Sie lachten. Er vermisse den See, sagte er, nach seiner Erinnerung habe man vom Haus aus den See sehen können. Doch nichts.

Hinter der Hügelkante. Vom Haus aus könne man nur durch eines der oberen Fenster ein Stück vom See sehen: aus seinem alten Zimmer heraus!

„Also doch keine Täuschung -“, sagte er zufrieden.

Als sie ein Stück den Weg durchs Gras gegangen waren, sah er plötzlich unten den See liegen. Die Ufer waren mit Sträuchern, Bäumen bewachsen, auf der gegenüberliegenden Seite verlief eine Landstraße. Einzelne Gehöfte, am linken Ende das Dorf. Der Blick ging weit übers Land, gestaffelte Seen, Wälder, weitere Ortschaften. Die Sonne stand schon tief im Westen rechts, modellierte die Unebenheiten der Landschaft gut heraus.

„Da hast du dir wirklich ein schönes Fleckchen gesucht -.“

„Unsere Ureltern!“ Dabei habe Oma, Uroma, nie und nimmer hier bauen wollen, sondern hinten in Lychen, das damals unter den vornehmen Berlinern sehr angesagt gewesen sei, habe Opa mal erzählt. Das sei ein Riesenkrach zwischen seinen Eltern gewesen, doch sein Vater habe sich schließlich durchgesetzt. Er sei hinten aus Pommern gewesen, von einem Bauernhof aus einem kleinen Dorf. Da der älteste Sohn den Hof erbte, hatten die anderen weichen müssen. Uropa, Opas Vater, habe Maurer gelernt und sei später nach Berlin gegangen, weil dort mehr zu verdienen war. Nach der Meisterprüfung als Bauunternehmer selbstständig gemacht, die Aufbruchsphase im Kaiserreich nach 70/ 71, mit den hohen Reparationsleistungen der Franzosen. „Kurz: Uropa wurde vermögend, aber sein Herz hing noch an dem kleinen Dorf seiner Kindheit in Pommern. Und so hat er sich hier eine Ersatzheimat gebaut, wenigstens für den Sommer. Mit Großstadtleben soll er, eigentlich, nichts haben anfangen können.“ Sie lächelte. „Doch er starb früh. Mitte Fünfzig soll er schon von Arthrose, Rheuma, einem Arbeitsunfall kaputt gewesen sein, so dass er sich kaum noch bewegen konnte.“

Sie gingen den schmalen Pfad im Hang hinunter. Seine Schwester hatte ihn vorsichtig gefragt, ob er sich diese Unebenheiten zutraue, vor dem steilen Anstieg zurück gewarnt, doch er wollte zum Wasser. Am Ufer unten war eine kleine Plattform an Erlen befestigt - Kunststofffässer mit Brettern drüber -, davor ein Ruderboot. Die Nachbarn oben seien Angler, aber selten in ihrem Haus. Sie schlugen den Uferpfad nach links ein, der noch schmaler war. Lauter Erlen, einige Birken, dünne Buchen.

Nach einigen hundert Metern kamen sie zu der Stelle, die sie ihm hatte zeigen wollen. „Erinnerst du dich?“

Er wiegte den Kopf, hob die Schultern. „Unsere alte Badestelle -?“

„Genau! Aber jetzt sind die Ufer völlig überwuchert. Damals, zu unserer Zeit, kamen die Leute hinten vom Dorf im Winter, wenn alles zugefroren war, um die Uferbäume zu schneiden. Brennholz war kostbar. Doch das hat schon lange aufgehört, nur noch die Biber fällen hier. Alles unter Naturschutz.“

„Trotzdem schöne Stelle zum Baden.“

Ja, das Gras wachse nie sehr hoch, und hinter der Uferböschung falle das Wasser gleich tief ab. Sogar mit Sand.

Sie setzte sich ins Gras, das im Schatten der Bäume lag. Helmut warf einen Stock ins Wasser, forderte Kalle auf, ihn zu holen. Doch der Hund stand nur am Ufer, bellte den Stock an.

Der sei wasserscheu -. Den bekomme sie nicht ins Wasser, so oft sie es auch schon versucht habe. Der Hund ging jetzt vorsichtig mit den Vorderfüßen hinein, fasste mit hoch gezogenen Lefzen den herangetriebenen Stock, zog ihn sich ins Trockene, kaute drauf herum. Wenn sie schwimmen gehe, belle er ihr vom Ufer aus immer nur nach. Seit sie den Hund habe, traue sie sich nicht mehr, weit hinauszuschwimmen, weil sie befürchte, er komme vielleicht doch noch hinterher, ertrinke dann in seiner Panik. Früher sei sie bis in die Hälfte des Sees geschwommen oder ganz rüber.

Sie lachten, er setzte sich dicht neben sie ins Gras. „Du warst immer eine gute Schwimmerin, weitaus bessere als ich.“

„Im Wasser fühle ich mich wohl. Schwimmen strengt mich auch nicht an. Im Wasser bin ich rundum zufrieden, manchmal sogar glücklich.“

Dann müsse sie es oft tun, sagte er lächelnd. Was einen glücklich mache, solle man tun!

„Wollen wir?“ fragte sie. „Ich hätte Lust.“

„Los ... du! Ich nicht: ich habe meine Stützstrümpfe an -.“

„Du auch, Stützstrümpfe müssen bei der Hitze doch fürchterlich sein.“ Schon hatte sie die Kleider abgestreift, watete in den See. Er sah auf ihren nackten Körper, der langsam im Wasser verschwand, bis sie sich mit Schwung nach vorn warf. „Und jetzt du!“ schrie sie, als sie auftauchte. „Das Wasser ist herrlich. Lass die Strümpfe an, sieht doch keiner.“

Flirrendes Licht

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