Читать книгу Der Verkehrspolizist - Dieter Schäfer - Страница 48
Theorie und Wirklichkeit
ОглавлениеGegen Ende eines Fachhochschulstudiums für Polizei hast du viel über die verfassungsmäßig garantierten Grundsätze des Mindesteingriffs und der Verhältnismäßigkeit gehört und verinnerlicht, sodass dich eine solche Polizeipraxis ziemlich fassungslos macht.
Ich setzte mich also hin und verfasste für meine Schwägerin eine Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde und zog dabei alle argumentativen Register.
Wenige Wochen später erhielt sie einen Bescheid des Polizeipräsidenten von Mannheim. Er erklärte ihr, dass sein Beamter den Anfangsverdacht einer Straftat hatte und deshalb so handeln musste. Die Maßnahmen seien nicht unverhältnismäßig gewesen. Das Schreiben schloss mit einer Bemerkung, die ich nicht vergessen werde: „Und hätten Sie sich verkehrsgerecht verhalten, wäre Ihnen das nicht passiert.“
Ich war so aufgewühlt und entsetzt, dass ich mir damals schwor, wenn ich je in meiner Laufbahn die Gelegenheit haben würde, dies abzustellen, würde ich das tun.
Der Volksmund sagt, man trifft sich immer zweimal im Leben. Das Schicksal wollte es, dass ich im Frühjahr 1995 zum Leiter der Inspektion Verkehr beim Polizeipräsidium Mannheim bestellt wurde.
Und der Tag kam, als ein junger Mann aus Lampertheim, Sohn eines Autobahnpolizisten in Hessen, mit seinem schnittigen Coupé in eine allgemeine Verkehrskontrolle eines mir unterstellten Verkehrspolizisten kam. Er führte seinen Führerschein nicht mit. Hinweise auf seine Person gab sein ausgehändigter Werksausweis. Das Autokennzeichen hatte als Buchstaben die Initialen seines Vor- und Zunamens und er gab an, dass sein Vater Polizist in Hessen sei.
Der Beamte war gnadenlos konsequent. Er beschlagnahmte den Fahrzeugschlüssel und verwies den bei kühlen Temperaturen nur leicht bekleideten jungen Mann für ein Weiterkommen auf die Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs unweit des Kontrollortes. Der Vater des jungen Mannes rief später beim Dienstgruppenführer des Kontrollbeamten an. Er gab sich als Kollege zu erkennen und nannte seine Dienststelle. Der Kommissar bedeutete ihm, dass dies am Telefon jeder behaupten könne. Er verlangte, dass er zumindest eine Kopie des Führerscheines zur Dienststelle faxt. Besser sei aber, er käme mit dem Führerschein vorbei. Dann könne er den Fahrzeugschlüssel wiederhaben.
Sie meinen, das gibt es doch nicht? Jetzt fing mein Kampf gegen eine über Jahre eingefahrene Verwaltungspraxis erst an. Keiner der Beteiligten war bereit, in diesem Handeln ein Unrecht zu sehen. Der unmittelbare Vorgesetzte der Beamten konfrontierte mich gar mit seiner Tätigkeit als Verkehrsrechtslehrer an der Polizeischule in der Ausbildung für den mittleren Dienst. Auch dort habe er diese Verwaltungspraxis und seine Rechtsauffassung gelehrt.
Es kam mir entgegen, dass der Vater des jungen Mannes, selbst Polizist, ausgesprochen empört über das Handeln und Verhalten der einschreitenden Beamten war. Er zog alle Beschwerderegister und reichte auch eine Petition im Landtag von Baden-Württemberg ein. Das Polizeipräsidium Mannheim musste Stellung dazu beziehen und ich konnte meine Rechtsauffassung zu Papier bringen. Der Ausschuss übernahm meine Begründungen nahezu wortgleich. Die Rechtsauffassung war identisch: