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Kapitel 6
ОглавлениеAuf dem Weg zum Parkplatz kramte Sabine den Autoschlüssel aus ihrer Handtasche. Den Mann, der ihr entgegenkam, sah sie nicht und rannte ihn über den Haufen, so dass er beinahe lang hingeschlagen wäre. „Können Sie nicht aufpassen?“, schnauzte sie und stampfte wutschnaubend auf ihr Auto zu.
Kurz bevor sie es erreichte, wurde sie völlig unerwartet ausgebremst, als ihr Absatz zwischen zwei Gehwegplatten steckenblieb. Auch das noch! Ihre verzweifelten Bemühungen, sich aus der Falle zu befreien, blieben erfolglos. Zu ihrem maßlosen Erstaunen, kam der Mann, den sie umgerannt hatte, zurück, um ihr behilflich zu sein. Da sie keine andere Wahl hatte, folgte sie seiner Aufforderung, den Schuh von ihrem Fuß zu lösen und sich auf die naheliegende Steinmauer zu setzen, während er ihren Absatz wieder befreite. Immer noch besser als wenn er an ihrem Bein gezerrt hätte.
Nach wenigen Minuten war es dem Fremden gelungen, den Schuh ohne größere Beschädigungen zu lösen. Er trat auf sie zu und reichte ihn ihr. Ohne ihn anzusehen, riss sie ihm den Schuh aus der Hand. Von ihrer guten Erziehung war gerade noch so viel übrig, dass sie sich mürrisch bedanken konnte.
„Da muss sie aber jemand ganz schön auf die Palme gebracht haben.“, bemerkte der Fremde.
„Das geht Sie gar nichts an!“, wies sie ihn zurecht und machte sich auf den Weg zu ihrem Auto. Dabei humpelte sie, weil sie sich noch nicht die Zeit genommen hatte, den befreiten Schuh wieder anzuziehen. Der fremde Mann blieb völlig verdattert zurück und starrte ihr nach. Hätte sie selbst sich in dieser Situation gesehen, wäre sie vermutlich in schallendes Gelächter ausgebrochen, aber im Moment war sie nicht in der Lage, sich mit ihrer Umwelt auseinander zu setzen.
Beim Einsteigen warf sie jedoch einen Blick auf ihren Helfer, während sie ihren Schuh endlich anzog, und ärgerte sich im selben Moment, dass sie ihn so gemein behandelt hatte. Er sah nett aus. Was sollte er nur von ihr denken? Doch im nächsten Moment schwappte wieder eine heiße Welle der Wut in ihr hoch, da sie Katrin und Christian engumschlungen aus dem Restaurant kommen sah. Schnell stieg sie in ihr Auto und verließ mit quietschenden Reifen den Parkplatz.
Als sie an einer roten Ampel anhalten musste, legte sich die Wut langsam wieder und Scham über ihr Verhalten machte sich breit. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, erst im Restaurant so einen peinlichen Auftritt hinzulegen und anschließend auch noch ihren Frust an einem völlig Unbeteiligten auszulassen? Nur gut, dass sie keinem der Beteiligten – mit Ausnahme von Christian, der jetzt sowieso nicht mehr zählte – je wieder unter die Augen treten musste.
Als sie auch noch einen Parkplatz direkt vor ihrer Tür ergatterte, war sie schon wieder sicher, dass es hin und wieder doch noch Glücksmomente in ihrem Leben gab. Sie ließ sich nicht so schnell unterkriegen. Doch dieses Gefühl hielt nicht lange vor, denn als sie auf den Beifahrersitz griff, um ihre Handtasche zu schnappen, griff sie ins Leere. Verdammt! Wo war denn diese blöde Tasche? Sie durchsuchte den Fußraum und die Rücksitzbank, aber die Tasche blieb verschwunden. Das konnte doch nicht wahr sein. In ihrer Tasche befanden sich sämtliche Papiere und natürlich auch ihr Haustürschlüssel. Unnötig zu erwähnen, dass auch das Handy in der Handtasche war und sie somit nicht einmal einen Schlüsseldienst anrufen konnte. Jetzt verfluchte sie sich dafür, dass sie immer so misstrauisch war, dass sie keinem ihrer Nachbarn einen Zweitschlüssel gegeben hatte. Nicht einmal Simone, obwohl sie inzwischen sogar miteinander befreundet waren. Aber anfangs hatte sie keinem vertraut und als sich dann eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelte, hatte sie einfach nicht mehr daran gedacht, einen Schlüssel bei Simone zu deponieren.
Was jetzt? Natürlich hätte sie Christian anrufen und um Hilfe bitten können, da er immer noch seinen Schlüssel zu der gemeinsamen Wohnung hatte. Aber nach diesem Abend wäre sie eher durch das Badezimmerfenster eingebrochen als Christian anzurufen. Außerdem hätte sie dafür noch nach einer Möglichkeit zum Telefonieren suchen müssen.
Wo hatte sie nur die Tasche gelassen? In Gedanken ließ sie den peinlichen Teil des Abends so lange Revue passieren (wobei sie bei den besonders unangenehmen Momenten ein wenig vorspulte), bis ihr schließlich einfiel, dass sie die Tasche das letzte Mal bewusst wahrgenommen hatte, als sie sich auf die Mauer setzte. Also musste sie sie wohl dort liegen gelassen haben. Wie blöd konnte man eigentlich sein? Hoffentlich hatte sie keiner geklaut.
Sofort startete sie den Wagen und machte sich erneut auf den Weg zum 'Chez Philippe'. Dort angekommen suchte sie die Stelle an der Mauer sorgfältig ab, an der sie gesessen hatte. Nichts! Sie suchte auch noch den Rest der Mauer ab, aber die Tasche war nirgends zu finden. So ein Ärger! Als wenn der Abend nicht schon schräg genug gewesen wäre.
Wie ein begossener Pudel machte sie sich auf den Weg zum Auto. Nun würde sie nach Hause fahren, bei Simone klingeln und von dort den Schlüsseldienst benachrichtigen müssen. Nur gut, dass Simone immer lange wach war. Die Verlustmeldung ihrer Tasche und sämtlicher Papiere könnte bis morgen warten. Dafür fehlte ihr jetzt die Energie.
Sie zwang sich, nicht so schnell zu fahren. Das wäre in ihrer jetzigen Verfassung sehr leichtsinnig. Passend zu dem Rest des Abends war natürlich weit und breit kein Parkplatz zu bekommen. Diesen Preis musste man zahlen, wenn man stadtnah wohnen wollte. Nachdem sie dreimal um den Block gefahren war, fand sie endlich eine Lücke, in die sie ihr Auto hineinquetschen konnte. Gut, dass sie noch nie Probleme mit dem Einparken hatte. Es hätte gerade noch gefehlt, dass sie ein anderes Fahrzeug rammte.
Leider hatte sie noch ein ganz schönes Stück bis zu ihrer Wohnung zu laufen, was mit diesen Schuhen bestimmt kein Vergnügen wäre. Sie waren eben nicht zum Wandern gedacht. Nach nur wenigen Schritten nervten sie die Schuhe so sehr, dass sie sie kurzerhand auszog. Damit sie die teuren Strümpfe nicht ruinierte, zog sie diese auch gleich aus. Es war ja dunkel, da spielte das keine Rolle.
Beim Laufen hatte sie genug Zeit, noch einmal über ihre missliche Lage nachzudenken und die Wut machte einer großen Leere platz. Wie sollte es nun weitergehen? Mit Christian war sie nun endgültig fertig, das stand fest. Das gemeine Gefühl der Einsamkeit überkam sie und Tränen stiegen in ihr auf. Tapfer schluckte sie die Tränen hinunter. So sollte sie niemand sehen, auch Simone nicht. Notfalls könnte sie sich später in ihrem Bett ausheulen.
Mit hängendem Kopf schlug sie den Weg zu ihrer Haustür ein und stieß mit jemandem zusammen. Der Mann hatte ihr den Rücken zugewandt, weil er die Klingelschilder las und hatte sie deswegen nicht kommen sehen. Als sie mit so viel Schwung in ihn hineinlief, dass er mit dem Kopf an die Klingelschilder stieß, drehte er sich um und fragte: „Ist das ihre Art, Männer anzumachen?“
Oh nein, der Typ, der ihren Absatz befreit hatte! Was machte der denn hier? Die Unterstellung, dass sie auf diese Art und Weise Männer anbaggern könnte, machte sie schon wieder wütend. Sie hatte einfach die Nase voll von dieser Welt und insbesondere von Männern. „Nein, ich versuche sie nur auf diese Art aus dem Weg zu räumen!“, erwiderte sie trotzig. „Was haben Sie denn hier zu suchen? Sind Sie ein Privatdetektiv und spionieren mir nach?“
„Würde sich das denn lohnen?“, gab er zurück.
„Würden Sie mir jetzt mal sagen, warum Sie sich vor meiner Haustür herumtreiben oder soll ich gleich die Polizei rufen? Die sind ganz scharf auf Stalker.“
„Wie rufen Sie ohne ihr Handy die Polizei?“
„Woher wollen Sie wissen, dass ich kein Handy dabei habe?“
Ein amüsiertes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Wenn ich Sie so anschaue, haben Sie außer einem Paar Strümpfen und einem Paar Schuhen nichts in der Hand und unter dem Kleid würde mir ein Handy sicher ins Auge fallen.“
Sabine wurde rot bis unter die Haarwurzeln. Als der Mann das bemerkte, beschloss er, sie nicht weiter zu ärgern. „Ich wollte Ihnen Ihre Handtasche, in der sich übrigens auch ihr Handy befindet, bringen. Deshalb bin ich hier.“
„Was machen Sie mit meiner Tasche und woher wissen Sie, dass mein Handy darin ist? Und woher wissen Sie, wo ich wohne?“
Wieder machte sich ein entwaffnendes Lächeln in seinem Gesicht breit. „Sie haben ihre Handtasche vorhin liegen lassen, nachdem ich nicht aufgepasst und sie umgerannt hatte.“ Diesen Seitenhieb konnte er sich nicht verkneifen, was Sabine noch tiefer erröten ließ. „Um Ihnen die Tasche zu bringen, musste ich natürlich nachschauen, ob Papiere darin sind, die mir verraten, wo die Tasche zu Hause ist. Dabei habe ich auch ihr Handy gefunden, das übrigens seitdem ungefähr neunmal geklingelt hat. Nachdem ich dem Anrufer gesagt habe, dass sie jetzt einen neuen Freund haben, hat er sich nicht mehr gemeldet.“
„Was haben Sie gemacht? Sie sind einfach an mein Handy gegangen und haben so einen Mist von sich gegeben? Sind Sie krank?“, ereiferte sich Sabine und wurde mit jedem Wort lauter.
„Hey, das war ein Witz! Selbstverständlich bin ich nicht an ihr Handy gegangen. Was denken Sie denn von mir?“
„Das weiß ich noch nicht so genau!“, schnappte Sabine.
„Sind Sie immer so oder haben Sie heute einen schlechten Tag?“
„Tut mir leid,“ sagte Sabine zerknirscht, der inzwischen aufgegangen war, dass sie den armen Kerl, der ihr nach ihrem unmöglichen Benehmen vor dem Restaurant sogar noch die Handtasche nach Hause brachte, schon wieder für Christians Verhalten büßen ließ.
„Sie dürfen mich zur Wiedergutmachung auf einen Drink einladen.“, schlug der Fremde vor.
„Ich kenne Sie doch gar nicht. Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich einen völlig Unbekannten mit in meine Wohnung nehme?“
„Wie kommen Sie darauf, dass ich mit einer völlig Unbekannten in ihre Wohnung ginge?“, konterte er. „Ich habe gleich um die Ecke ein Lokal gesehen, das ganz nett aussah und noch geöffnet ist. Was halten Sie also davon, wenn Sie sich in Ihrer Wohnung wieder gesellschaftsfähig herrichten, während ich hier unten warte und wir gehen dann gemeinsam auf einen Drink in dieses Lokal? Ich heiße übrigens Thomas Ritter, nur damit Sie nicht mit einem völlig Unbekannten etwas trinken gehen müssen.“, schmunzelte er.
„Na gut, der Vorschlag hört sich akzeptabel an.“, gab Sabine versöhnlich zu. „Ich heiße übrigens Sabine Peters.“
„Ich weiß.“
Na klar, er hatte ja in ihrer Handtasche gewühlt! Er hielt ihr die Tasche hin und sie machte sich auf den Weg in ihre Wohnung. Irgendwie war es nett, dass sie den Abend nicht in so schlechter Stimmung allein verbringen musste. Zehn Minuten später kam sie in Jeans und Sweatshirt wieder aus dem Haus und sie machten sich auf den Weg.