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Eine gute Marke Die Phorusgasse

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Nicht wenige der rund 12 000 Wiener Straßennamen geben dem Lokalchronisten Rätsel auf. Wie ist das, um ein Beispiel herauszugreifen, mit der Phorusgasse im 4. Bezirk, diesem kurzen Straßenstück zwischen Wiedner Hauptstraße und Mittersteig? Wer oder was steckt hinter diesem Namen? Eine Berühmtheit, die in den 140 Jahren seit jener Benennung durch den Wiener Gemeinderat (oder wie immer die dafür zuständige Instanz zur damaligen Zeit hieß) in Vergessenheit geraten ist? In keinem Lexikon wird man sie finden. Andere Spurensucher tippen vielleicht auf einen dunklen Zusammenhang mit einer Meeresgottheit aus der antiken Sagenwelt. Aber mitten im Binnenland der Wienerstadt? Auch der 280 vor Christus errichtete Leuchtturm von Pharos gibt diesbezüglich nichts her. Was also, verdammt noch mal, hat es mit diesem ominösen Phorus auf sich?

Um das Rätsel zu lösen, müssen wir uns in der Wiener Stadtchronik des Jahres 1824 umsehen.

Nicht anders als im übrigen Europa werden auch in Wien zu dieser Zeit Küchenherd und Heizofen noch mit Holz gespeist. Nicht nur in den Hinterhöfen, sondern auch mitten auf der Gasse sieht man die Hausknechte am Werk, die den aus den Wäldern herbeigeschafften Ster Holz mit Handsägen zerteilen und mit der Axt zu ofengerechten Scheiten spalten. Sowohl der damit verbundene Lärm wie der dabei entstehende Abfall wachsen sich zu einer Plage aus, die obendrein den Verkehr behindert.

Wie könnte man ihr beikommen?

Eine Handvoll unternehmungsfreudiger Wiener Geldleute tut sich zusammen und setzt eine Idee in die Tat um, die einer der sechs entwickelt hat: Wie wär’s mit der Gründung eines Betriebes, der dem lästigen Holzspalten in den engen Gassen ein für allemal den Garaus macht? Ferdinand Graf von Pálffy, Leopold Freiherr von Hackelberg-Landau, Anton Offenheimer, ein Mechaniker namens Matthias Reinscher, der Naturforscher Franz Unger und der nunmehr als Hofagent tätige ehemalige Bürgermeister von Czernowitz, Ignaz von Schönfeld, rufen eine Aktiengesellschaft ins Leben, die unter dem Namen »k.k. privilegierte erste Wiener Holzzerkleinerungsanstalt« den Haushalten die betreffende Arbeit abnimmt. Mit dem vereinigten Kapital der sechs Investoren können leistungsstarke, mit Dampfkraft betriebene Schneidemaschinen angeschafft werden, ihr Ausstoß beträgt über 100 Quadratklafter Brennholz pro Tag, mit eigenen Zustellwagen wird den Kunden die Ware ins Haus geliefert.


In voller Aktion: die »k.k. privilegierte erste Wiener Holzzerkleinerungsanstalt«

Sitz des Unternehmens ist jene freie Fläche auf der Wieden, die in etwa dem heute von Phorusgasse, Ziegelofengasse, Leibenfrostgasse und Mittersteig begrenzten Geviert entspricht. Jetzt braucht das »Werkel« nur noch einen Namen, der sich der Klientel einprägt. Die Herren Unternehmer überlegen hin und her, ein Vorschlag folgt auf den anderen – da entdeckt einer der sechs, als er gerade wieder einmal die Liste der Kompagnons durchgeht, daß deren Namen, wenn man die Anfangsbuchstaben in der richtigen Reihenfolge aneinanderfügt, ein höchst klangvolles Wort ergeben: Phorus. P für Pálffy, H für Hackelberg, O für Offenheimer, R für Reinscher, U für Unger, S für Schönfeld – so einfach ist das.

Der neue Markenname wird binnen kurzem zum Begriff – so wie in späterer Zeit Meinl, Piatnik oder Anker. Ja, sogar in die hohe Literatur findet er Eingang: Als 1841, im siebzehnten Jahr des Bestehens der »k.k. privilegierten ersten Wiener Holzzerkleinerungsanstalt Phorus«, Johann Nestroy seine Posse »Die verhängnisvolle Faschingsnacht« zu Papier bringt, läßt der Dichter in einer der Szenen des Stückes einen Herrn Tatelhuber auftreten, der sich nach der Profession des Liebhabers seiner Dienstmagd Sepherl erkundigt. Und was erfährt er über den Berufsweg dieses Holzhackers Lorenz?

»Er ist – wie sag’ ich’s gschwind – er war früher Mitarbeiter des Phorus.«

»Phorus? Ist das ein Journal?«

»Es ist die Anstalt, wo’s kleine Holz g’macht wird.«

Dem Unternehmen ist freilich keine Dauer beschieden: Die hohen Betriebskosten verteuern das Brennholz in einem Ausmaß, daß die Firma Phorus nach kaum dreißig Jahren in die Unrentabilität schlittert und liquidiert werden muß. Ein paar Jahre wurstelt noch der Nachfolger Matthias Feldmüller, seines Zeichens Schiffmeister und Holzhändler, weiter, dann wird der Betrieb endgültig eingestellt, und die »Commune«, die 1856 das Areal übernimmt, errichtet an der Stelle der vormaligen Holzzerkleinerungsanstalt eine Feuerlöschanlage, der, weitere drei Jahre später, eine Kavalleriekaserne, 1880 eine Detailmarkthalle und schließlich ein Blumengroßmarkt folgen. Doch die Erinnerung an das Unternehmen der Herren Pálffy, Hackelberg, Offenheimer, Reinscher, Unger und Schönfeld ist so stark, daß auch lange nach dem Firmenzusammenbruch der Begriff Phorus nichts von seinem Wohlklang eingebüßt hat und in den Straßennamen Phorusgasse und Phorusplatz fortlebt.

Erst in der NS-Ära der Jahre 1938–1945 tritt eine Zäsur ein, und das hat seinen Grund darin, daß die übereifrigen Beamten jener Magistratsabteilung, der die systemkonforme Überprüfung der Wiener Straßennamen obliegt, herausfinden, das seinerzeitige Phorus-Konsortium sei nicht nur mit aristokratischen, sondern – oh Schreck! – auch mit einer Reihe jüdischer Namen durchsetzt. Das darf nicht sein! Die Arisierer im seit dem 13. März 1938 von dem NS-Bürgermeister Hermann Neubacher dominierten Wiener Rathaus leisten ganze Arbeit: Die Phorusgasse wird am 9. Dezember 1938 in Maitzengasse umbenannt.

Ludwig Maitzen ist einer jener vier Wachebeamten, die beim fehlgeschlagenen Nazi-Putsch vom Juli 1934 mitgewirkt haben und, vom Militärgericht zum Tod verurteilt, im Hof des Wiener Landesgerichtes gehenkt worden sind. Die Polizeiakten berichten, daß Maitzen – im Gegensatz zu seinen Komplizen, die sich alle mit »Heil Hitler« von dieser Welt verabschiedet haben – vor seiner »Justifizierung« mit dem Gefängnisgeistlichen ein Gebet gesprochen hat.

Was die gegenständlichen Straßennamen betrifft, wird am 27. April 1945 der alte Zustand wiederhergestellt: Die Maitzengasse heißt wieder Phorusgasse, und dabei soll es bleiben, auch wenn heute kaum noch jemand mit dem alten Namen etwas anzufangen weiß. Wo zuletzt ein Blumengroßmarkt das Terrain des Phorusplatzes beherrschte, steht nun ein Pensionistenheim – nur der gute alte »Dreizehner« dreht unverändert seine Runden.

Zum Schluß noch ein Hinweis auf zwei weitere Wiener Straßennamen, die immer wieder zu Fehldeutungen verleiten: Der in Oberdöbling gelegene Platz »In der Krim« hat nichts mit der Schwarzmeer-Halbinsel gleichen Namens zu tun, sondern hält, wiewohl durch Verballhornung unkenntlich gemacht, die Erinnerung an einen einst populären Gastwirt namens Josef Grimmer wach. Und die Kärntnerstraße ist keine Huldigung an Österreichs südlichstes Bundesland, sondern verweist auf jene im Mittelalter Carnarium genannten Leichenhöfe, die sich an dieser Stelle des alten Wien befunden haben.

Wege, die man nicht vergißt

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