Читать книгу Wege, die man nicht vergißt - Dietmar Grieser - Страница 7
ОглавлениеVorwort
E s führt kein Weg zurück« lautet der (deutsche) Titel eines seiner letzten Romane. Thomas Wolfe selbst hat dessen Veröffentlichung nicht mehr erlebt: Mit kaum vierzig war der im Millenniumsjahr 1900 geborene US-amerikanische Erzähler aus der Generation der Faulkner-Steinbeck-Hemingway von der Bühne abgetreten. Hatte er in den elf Jahren nach Erscheinen seines Hauptwerks »Schau heimwärts, Engel«, das ihn 1929 über Nacht berühmt gemacht hatte, seinen Sinn geändert?
In den 1970er Jahren, da der Name Thomas Wolfe noch in aller Munde war, habe ich mich intensiv mit diesem Autor beschäftigt, bin ihm sogar (für mein Buch »Schauplätze der Weltliteratur«) in seinen Geburtsort Asheville (North Carolina) nachgereist, um an Ort und Stelle Wolfes Romanfiguren nachzuspüren. Welche der beiden Botschaften, die er uns Lesern hinterlassen hat, mag die letztgültige sein? »Schau heimwärts, Engel« oder »Es führt kein Weg zurück«?
Ich denke, es gelten beide. Und so ist auch der mit dem vorliegenden Buch unternommene Versuch, jener vielen Wege zu gedenken, die ich in meinem Leben als Schriftsteller wie als Privatperson beschritten, erforscht oder auch nur im Gedächtnis bewahrt habe, ein ambivalentes Unternehmen: Es wird ebenso von Straßen, Gassen, Pfaden und anderen Verkehrswegen die Rede sein, an die ich wohl nie zurückkehren werde, wie auch von solchen, zu denen es mich beständig »heimwärts« zieht, und sei es nur in der Erinnerung.
Da sind zum einen diejenigen, die uns allen zufolge ihrer Berühmtheit vertraut sind: Champs-Elysées und Downing Street, Via Dolorosa und Newski-Prospekt.
Dann die Örtlichkeiten, die wir aus der Geschichte, aus Literatur, Malerei und Film zu kennen glauben: Don Quijotes Windmühlenroute, Federico Fellinis »La Strada« oder Greta Garbos »Freudlose Gasse«. Wo wurden die Fernsehserien »Lindenstraße« und »Die Straßen von San Francisco« gedreht?
Und schließlich die Verkehrswege, die unser eigenes Alltagsleben mitgeprägt haben: der Schulweg von anno dazumal, die Route, die unsere Hochzeitskutsche genommen hat, die sagenumwobenen Wiener »Durchhäuser« mit ihren Schleichwegen und Abkürzungen, die »Via Sacra« der Jahr für Jahr aufgeschobenen Mariazell-Wallfahrt, die gerade eben jubilierende Wiener Ringstraße oder die 4,5 Kilometer lange Prater-Hauptallee.
Bleiben wir im Lande, im alten wie im neuen Österreich: Wie verlief die Kaiserstraße nach Olmütz, wo 1848 der 18jährige Franz Joseph den Thron bestiegen hat? Welchen Weg hat Mozarts Postkutsche auf der vom Dichter Eduard Mörike nachempfundenen Reise nach Prag genommen? Was hat es mit der ominösen Fahnengasse im Zentrum Wiens auf sich, die es nur zu zwei Hausnummern gebracht, aber um ein Haar einen Krieg ausgelöst hat? Wem begegnen wir auf der Kaiserpromenade von Gastein? Was steckt hinter der »Gelben Straße«, die Veza Canetti in ihrem gleichnamigen Roman porträtiert hat? Wem verdanken Franz Werfel und zahlreiche weitere NS-verfolgte Künstler den legendären »F-Weg«, der ihnen 1942 das Leben gerettet hat? War Ödön von Horváths Diktum »Straßen machen mir Angst« Aberglaube oder Prophetie?
Auf vier Kontinenten war ich unterwegs, um Topoi wie Tennessee Williams’ »Endstation Sehnsucht«, die Catfish Row aus der Oper »Porgy and Bess«, den Schauplatz von Georg Trakls Gedicht »Grodek« und die Wüstenpiste von El Alamein aufzufinden. Ihnen allen und vielen mehr wollen wir in diesem Buch nachspüren – in Österreich, in den Nachbarländern und im Rest der Welt. Ihren Namen, ihrer Geschichte, ihrer Aura, ihren Schicksalen, ihren Geheimnissen.