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1.2 Das Tausendfuß-Problem: Ich und Selbst

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Die reflexive Blockierung

Die Problematik von Flow und Stress wird sehr schön durch die Geschichte vom Tausendfuß und dem Spiegel illustriert: Elegant und unbefangen schlängelt sich ein Tausendfuß durch den Wald. Doch dann trifft er auf eine Spiegelscherbe und erschrickt ganz fürchterlich, als er erstmals in seinem Leben sein eigenes Abbild sieht. Wie kann man denn mit so vielen Beinen laufen, ohne sich heillos zu verheddern? Mit welchem Bein muss ich eigentlich beginnen, wenn ich wieder loslaufen will? Erschreckt stellt er fest, dass er das gar nicht weiß. Seither steht er verzweifelt und bewegungsunfähig vor der Spiegelscherbe.

Vor der Begegnung mit dem Spiegel war unser Tausendfuß im Flow. Der Blick in den Spiegel bescherte ihm Stress mit der Folge einer reflexiven Blockierung. Der unreflektiert als Ganzheit funktionierende Tausendfuß steht für das, was wir als Selbst bezeichnen wollen. Der Spiegel hingegen symbolisiert das bewusste Ich.

Chancen und Risiken des Bewusstseins

Flow ist ein Zustand, in dem wir uns als Ganzheit erfahren, die nur von einem ganzheitlichen Selbst bestimmt wird. Es gibt nur das Selbst, und sonst nichts. Wenn sich aus diesem Selbst eine zweite Ebene, eine Bewusstseinsebene heraushebt, die eine Selbst-Bespiegelung ermöglicht, entstehen neue Chancen und neue Risiken: Chancen im Sinne neuer Möglichkeiten der Kreativität, des Lernens, aber auch der Selbsterfahrung und des Selbstgenusses; Risiken in Form möglicher Teufelskreise, die sich zu vielfältigen Formen psychischer Störungen aufschaukeln können.

Lassen Sie uns vor diesem Hintergrund diese beiden zentralen Begriffe Ich und Selbst noch einmal definieren:

Ich = wertendes und intendierendes Bewusstsein (d.h. ein Bewusstsein, das Ist/Soll-Vergleiche durchführt und über die Willenskraft Veränderungen des Ist anstrebt).

Selbst = Gehirn und Körper mit allen Potenzialen, die sich entweder unbewusst entfalten oder von einem nicht wertenden, nicht intendierenden Bewusstsein begleitet werden (ein Bewusstsein, das einfach nur da ist und das sich entfaltende Sein annimmt, wie es ist).

Wenn wir diese Begriffe im hier definierten Sinn verwenden, werden sie kursiv gesetzt.

Reflexive Blockierungen im Alltag

Erinnert Sie das Tausendfuß-Syndrom an Situationen aus Ihrem Alltag? Als ich vor einigen Jahren in einer fremden Stadt dringend Geld benötigte, versuchte ich, mich auf dem Weg zum Bankautomaten an meine Geheimnummer zu erinnern. Entsetzt musste ich feststellen, dass sie mir nicht mehr als explizites Wissen zur Verfügung stand. Ich geriet in Stress und war nicht dazu in der Lage, dem Automaten auch nur einen verdammten Cent zu entlocken. Zu Hause hatte ich die Nummer in den Monaten zuvor immer mehr »automatisiert« eingegeben, ohne bewusst darüber nachzudenken. Es gibt spezielle und wirksame Techniken, um solche Fallen zu vermeiden beziehungsweise wieder aus ihnen herauszukommen, wie zum Beispiel die paradoxe Intention, auf die wir später genauer eingehen (siehe Kapitel 2.3).

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