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Wie ist die Welt gedacht?

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Wer sich mit der Geschichte systematischen Denkens befasst, das über Befunde der Einzelwissenschaften hinaus Weltbilder bauen will, stößt irgendwann auf eine Erscheinung namens »Idealismus«. Damit ist hier eine philosophische Richtung gemeint, die glaubt, die Welt wäre Denken. Bevor man darüber lacht, sollte man verstehen, was das heißen soll.

Es gibt mindestens zwei Untergattungen des Idealismus, den subjektiven und den objektiven. Der subjektive lebt davon, dass eine Person, die denkt, nie etwas anderes dabei denken kann als Gedanken. Mehr noch: Wir können nicht wissen, wie oder was etwas ist, das man nicht wissen kann. Aber alles, was man weiß, ist eben Gedanke. Wissen gibt es nämlich gar nicht, wenn es nicht das Vermögen ist, sich an etwas zu erinnern und es in Überlegungen zu verwenden. Jeder Versuch, den Einfall, es gäbe nur Gedanken, zu widerlegen, wird sofort Denkvorgang. Der subjektive Idealist ist davon tief beeindruckt.

Der nächstliegende Einwand dagegen ist der gröbste: Die experimentell ermittelbaren Überlebensregeln für mich, das Subjekt meines subjektiven Idealismus, sind so, dass ich zum Beispiel sterbe, falls ich lange genug keine Nahrung mehr zu mir nehme. Dann kann ich auch nichts mehr denken. Wer das bestreitet, mag es testen.

»Subjektiv« im Sinne von »willkürlich«, das heißt so, dass einem Subjekt wie mir freistünde, sich alles zurechtzudenken, wie es will, ist das, was ich von der Welt weiß, meist nicht. Die Aussage: »Alles ist (nur) Gedanke.« fügt unter diesen Bedingungen dem, was man beachten muss, bloß eine Art Schnörkel hinzu – als hätte jemand eine Sprache erfunden, in der man an jedes Wort die Silbe »denk« hängt: »Esdenk istdenk eherdenk eindenk albernesdenk Spieldenk alsdenk eindenk seriösesdenk Denkergebnisdenk.«

Da setzt eine andere Spielart des Idealismus an, die objektive. Der objektive Idealismus weiß, was der subjektive auch weiß, nämlich, dass man nichts denken kann als Gedanken. Aber anders als sein subjektiver Bruder erkennt er an, dass es zumindest eine subjektive Untersorte Denken gibt, die nicht einfach denken kann, was sie will. Ich und du gehören dazu.

Der objektive Idealismus folgert daraus aber keineswegs, dass das, was dem Denken Grenzen setzt, etwas anderes wäre als Gedanke. Er folgert stattdessen, dass »Denken« etwas anderes sei als ein beliebiges Subjekt, das von sich meint, es denke. Der objektive Idealismus denkt sich einen Gedankenzusammenhang, der solche Subjekte überwölbt und in sich einbegreift.

Das können Gedanken (eines) Gottes sein. Vielleicht ist es eine Riesen-Rechensumme namens »mathematisches Universum« (so sagen diverse Physikbegeisterte heutzutage). Man kann es auch »Geist« nennen (so sagten diverse Philosophiebegeisterte vor 200 Jahren).

Seinen intellektuellen Höhepunkt und seine reichste systematische Ausarbeitung fand der Idealismus in Deutschland. Der sogenannte Deutsche Idealismus (man schreibt das Adjektiv oft groß, weil die beiden Wörter zusammen einen Begriff bilden) wurde weltberühmt, weil ein Philosoph diesen Höhepunkt erreicht und diese Ausarbeitung geleistet hatte. Sein Name ist Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

In dessen Schriften steht neben Einsichten auch schwer verdauliches Zeug, zum Beispiel über die Natur, etwa übers Verhältnis von Materie und Licht. In Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften heißt es:

Die erste qualifizierte Materie ist sie als reine Identität mit sich, als Einheit der Reflexion-in-sich, somit die erste, selbst noch abstrakte Manifestation. In der Natur daseiend ist sie die Beziehung aus sich als selbständig gegen die anderen Bestimmungen der Totalität. Dies existierende allgemeine Selbst der Materie ist das Licht, – als Individualität der Stern, und derselbe als Moment einer Totalität die Sonne.4

Hier steht nichts über Sachverhalte, die heute sogar Kindern beigebracht werden und die man mit ein paar einfachen Versuchen leicht selbst lernt – nichts davon, dass Materie eine Masse hat und Licht nicht, dass Licht sich in Wellen ausbreitet, die mit Elektrizität und Magnetismus einhergehen, nichts darüber, dass sich am Licht aber auch Teilcheneigenschaften finden lassen. Das Wissen darüber hat uns bis zum Computer, auf dem ich diesen Satz hier gerade schreibe, eine Menge Zeug eingebracht, mit dessen Hilfe Hegel, hätte es ihm zur Verfügung gestanden, noch viel umständlichere Sätze hätte denken und schreiben können als die zitierten, weil ihm solche Technik, wäre sie vorhanden gewesen, weniger originelle Beschäftigungen abgenommen hätte.

Hegel. 100 Seiten

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