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4. Von Bonhoeffers Predigten lernen

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Eine entscheidende Stärke von Bonhoeffers Predigtlehre liegt darin, dass sie davon ausgeht, dass das Wort Gottes kein leeres Wort ist, sondern Kraft besitzt, Menschen und Situationen zu verändern. Die Finkenwalder Predigtlehre hat Vikaren Zuversicht in die Möglichkeiten der Predigt und dadurch Lust am Predigen vermittelt. Bonhoeffers Freund und theologischer Gesprächspartner Eberhard Bethge, der selbst Finkenwalder Vikar war, erinnert sich:

Es gab kaum einen, der nicht verändert und freudiger an seine Predigtaufgabe ging, wenn er in die Gemeinde zurückkehrte. Und es gab kaum einen, dessen Zutrauen und Wille, etwas ausrichten und verlangen zu können, nicht gewachsen war, der nicht überzeugt davon war, wie sehr die Frische seiner Predigt von einem zweckgelösten Umgang mit der Schrift und dem Glauben an das Vorgegebene abhing.14

Positiv ist weiter, dass Bonhoeffer die Selbstmächtigkeit und Selbstwirksamkeit des Wortes hervorhebt. Die Wirksamkeit des Wortes Gottes hängt daher nicht vom Können des Predigers oder der Predigerin ab. Eine Erkenntnis, die enorm entlasten kann. Bonhoeffer will die Würde des biblischen Wortes gewahrt wissen. Sie muss gegenüber dem Prediger und dem Hörer eine eigene Stimme erhalten. Dazu gehört der Respekt gegenüber der sachlichen und inhaltlichen Fremdheit des Bibelwortes. Der Text soll mit seiner Botschaft an den Menschen zu Wort kommen. Denn nur auf diese Weise vermag er den Hörer über sich selbst hinauszuführen, d. h. über das, was er sich sowieso selbst sagen kann. Inhaltliches Zentrum dieses Den-Hörer-über-sich-selbst-Hinausführens stellt die Rechtfertigung des Sünders durch Gott allein aus Gnaden dar.

Zu würdigen ist auch, dass Bonhoeffer die grundlegende Bedeutung des Gebets für die Predigtarbeit hervorhebt. Das Gebet vermag dem Prediger neue Dimensionen zu erschließen, zu denen er auf andere Weise keinen Zugang erhalten würde. Es öffnet die Predigtvorbereitung für anders nicht zugängliche kreative und intuitive Impulse.

Auch die Konzentration der Predigt auf den Glauben an Jesus Christus stellt ein Positivum der Finkenwalder Homiletik dar: Nicht nur deshalb, weil es dadurch zu einer Wiederaufnahme reformatorischer Einsichten kam,15 sondern auch, weil damit ein befreiender Gegenentwurf zum Führerkult des Dritten Reiches vorgelegt werden konnte. In der Predigt soll den Hörerinnen und Hörern eine Person begegnen: Jesus Christus, und zwar als Person für mich.16 Die gesamte Predigtarbeit Bonhoeffers kreist darum, wie Jesus Christus als Mitte des Evangeliums in der Predigt zu Klang und Stimme kommen kann. Dass jede entschiedene Konzentration ihre Kehrseite im Verlust an Pluralität hat, wird erst in friedlicheren Zeiten sichtbar, sollte man Bonhoeffers Überlegungen aber nicht negativ anrechnen.

Problematisch ist an Bonhoeffers Predigtlehre, dass Hörer und Situation kaum thematisiert werden. Ein Grund dafür ist die Ausblendung von Erkenntnissen aus den Humanwissenschaften, wobei allerdings zu bedenken ist, dass Bonhoeffer das Gespräch mit den Humanwissenschaften nicht eigentlich ausschließen, sondern nur zurückhalten will.17 Z. B. lässt sich Bonhoeffers Predigtlehre entnehmen, dass er die Gesetze des gottesdienstlichen Sprechens gerne näher erforscht hätte.18 Im Prinzip hat er durchaus auch von der Wichtigkeit der Situation für das Ankommen der Verkündigung gewusst. Darauf hat wiederum besonders Ernst Lange hingewiesen.19 Im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Verkündigung des konkreten Gebots hält Bonhoeffer fest:

Mit Vollmacht kann zu mir nur gesprochen werden, wenn ein Wort aus der tiefsten Kenntnis meiner Menschlichkeit mich in meiner ganzen Wirklichkeit jetzt und hier betrifft. Jedes andere Wort ist Ohnmacht. Das Wort der Kirche an die Welt muss darum aus der tiefsten Kenntnis der Welt dieselbe in ihrer ganzen gegenwärtigen Wirklichkeit betreffen, wenn es vollmächtig sein will. Die Kirche muss hier und jetzt aus der Kenntnis der Sache heraus in konkretester Weise das Wort Gottes, der Vollmacht, sagen können, oder sie sagt etwas anderes, Menschliches, ein Wort der Ohnmacht. Die Kirche darf also keine Prinzipien verkündigen, die immer wahr sind, sondern nur Gebote, die heute wahr sind. Denn, was „immer“ wahr ist, ist gerade „heute“ nicht wahr: Gott ist uns „immer“ gerade „heute“ Gott.20

Ich würde nicht so weit wie Lange gehen und in diesen Sätzen Bonhoeffers „Homiletik in nuce“21 sehen. Tatsächlich enthalten sie aber eine wichtige theologische Begründung für die Berücksichtigung der Situation des Hörers, von der in der Finkenwalder Homiletik nicht explizit die Rede ist.

Die Predigtausbildung in Finkenwalde sah strikt davon ab, eine im Gottesdienst gehaltene Predigt zu kritisieren. Kritik war nur an Predigten zulässig, die im Lehrsaal zu Übungszwecken vorgetragen wurden.22 Die von Bonhoeffer im Prinzip gewollte Erziehung der Gemeinde zur Mündigkeit wird dadurch konterkariert. Paradoxerweise enthält die Vorlesung zur Predigtlehre gleichzeitig Überlegungen, wonach die Gemeinde doch – im Sinne Luthers – zur Kritik an der gehörten Predigt ermutigt werden soll:

Der Pfarrer hat ein Recht darauf zu wissen, ob in seiner Predigt Gottes Wort hörbar wurde. Die Gemeinde sollte dazu angehalten werden, in die Sakristei zu gehen zu solchem Gespräch. Aufgabe der Frau des Pfarrers, ihm diesen Dienst zu tun. Aber er muss ihn suchen!23

Bonhoeffer will die Predigt also für Kritik offenhalten. Allerdings drängt er sie in den eher privaten Bereich zurück: Sie bekommt ihren Platz im Vier-Augen-Gespräch in der Sakristei und zwischen Pfarrer und Pfarrfrau.

Ist Dein König nicht bei Dir?

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