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3.2 Vom Fall des Menschen (Genesis 3,1-13)
ОглавлениеZunächst hält Bonhoeffer fest, dass die Bibel keine Auskunft über den Ursprung des Bösen gibt. Die Schlange ist einfach da. Sie gehört sogar ausdrücklich zu den von Gott geschaffenen Tieren. Als Nächstes betont er: Der Mensch hat sich in Freiheit gegen Gottes Gebot entschieden. Er ist schuldig an dem, was ihm im Folgenden widerfährt. Was die Geschichte will: Sie beschreibt, wie sich das Wesen des Menschen durch den Sündenfall grundsätzlich verändert hat.
Für Bonhoeffer steht am Anfang des Falls die fromme Frage. Denn: „Die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde.“ Sie vermag darum eine Frage zu stellen, die den Menschen in Verwirrung bringt. Gott werden Worte in den Mund geschoben, die er nicht gesagt hat. Dadurch gelingt es der Schlange, zwischen Gottes Wort und Gott selbst zu unterscheiden. Sie weiß scheinbar um einen edleren Gott, der ein Verbot nicht nötig hat. Mit der ersten frommen Frage ist in der Welt das Böse auf den Plan getreten. Dieses zeigt sich nicht in seiner Gottlosigkeit – da wäre es machtlos. Es ist vielmehr eingehüllt in das Kleid der Frömmigkeit. Der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz. „Sollte Gott gesagt haben“ – das ist für Bonhoeffer die gottlose Frage schlechthin. Im Hinblick auf Gottes Gebot lautet die Frage folgendermaßen: Sollte er dies wirklich mir gesagt haben? Gerade jetzt? Gilt es nicht für mich vielleicht gerade nicht? Das ist die ungefährlich ausschauende Frage, durch die das Böse im Menschen Gewalt gewinnt. Auf diese Weise werden Menschen zum Ungehorsam gegenüber Gott vorbereitet.
Durch die Frage der Schlange wird dem Menschen zugemutet, Gottes Wort richtigzustellen, es zu richten, es zu beurteilen, anstatt es vertrauend zu hören und zu tun. Aufgrund einer vermeintlichen Vorstellung von Gott soll der Mensch über Gott urteilen. Er ist damit aus der Beziehung des Vertrauens der Liebe zu Gott herausgefallen.
Der Gipfel der List der Schlange besteht für Bonhoeffer darin, dass sie in ihrer Frage übertreibt. Dadurch muss Eva zwangsläufig die Position der Verteidigerin Gottes einnehmen. Anstatt der Schlange die Tür zu weisen, lässt sie sich auf das Gespräch mit ihr ein. Es hat in ihr irgendwie gezündet. Dabei erfahren die Worte Gottes im Munde Evas eine Verschärfung: „Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret’s auch nicht an, dass ihr nicht sterbet.“
Jetzt holt die Schlange zum entscheidenden Schlag aus. Gott ist zu entmythologisieren. Die Schlange verwirrt dem Menschen die Grundbefindlichkeiten seines Daseins: den Wesensunterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf, das Verhältnis von Urbild und Ebenbild. Für Bonhoeffer stehen sich in diesem Moment sicut deus (wie Gott sein) und Tod, Herrschaft im Dienst Gottes und Herrschaft aus eigenem Anspruch diametral gegenüber. Die Schlange sagt nichts Geringeres als: Gott hat Angst. Er fühlt sich in seiner Göttlichkeit durch den Menschen bedroht. Darum hat er das Verbot ausgesprochen. Der Schöpfergott wird damit unter der Hand zur mythischen Gottheit. Er kommt in Wirklichkeit aus der gleichen Wurzel wie der Mensch – aus dem Urgrund der Natur. Er ist darum im Letzten nicht mehr als die Menschen. Er ist nur faktisch, nicht wesentlich Herr. Es ist möglich, dass der Mensch ihn entthront und sich selbst zum Herrn macht. Dazu muss der Mensch nur den richtigen Weg finden. Die Schlange zeigt ihn Eva: Er liegt in der Erkenntnis von Gut und Böse. Damit wird auch die Erkenntnis zur mythischen Größe: Wer sie besitzt, hat magische Macht und beherrscht die Welt.
Die Schlange und Eva führen nach Bonhoeffers Ansicht miteinander das erste theologische Gespräch. Gott hat aus Neid etwas verboten. Gott ist also kein guter, sondern ein böser, quälerischer Gott. Gottes Wort ist Lüge. Darum ist es nur konsequent, wenn Eva um der Wahrheit willen Gottes Wort, das Lüge ist, übertritt. Schlangenwahrheit steht gegen Gotteswahrheit: „Ihr werdet mitnichten sterben“ – „Ihr müsst des Todes sterben.“ Gottes Wahrheit ist verbunden mit einem Verbot, die Wahrheit der Schlange mit einer Verheißung. Gottes Wahrheit weist den Menschen auf seine Grenze, die Wahrheit der Schlange auf seine Grenzenlosigkeit.
Im Hinblick auf das weitere Leben des Menschen tut sich damit ein gigantischer Abgrund auf: Macht durch die Verantwortung vor dem eigentlichen Herrn – Macht in alleiniger Verantwortung; der begrenzte, auf Gott bezogene gottebenbildliche Mensch – der in seinem Alleinsein gottgleiche Mensch; der Mensch, gebunden an das Wort des Schöpfers – der Mensch, gebunden an das eigene Wissen um Gott; imago dei – sicut deus. Eva versteht die Verheißung der Schlange als Möglichkeit des Frömmerseins, des Gehorsamerseins. Darum verfällt sie ihr.
In der Folge kommt es zum Fall. Eva hört auf zu theologisieren. Sie handelt. Indem sie Gottes Gebot übertritt, tritt der Mensch selbst in die Mitte. Er muss nun aus sich selbst heraus leben. Er ist nunmehr allein. Für Bonhoeffer wird dadurch das Geschöpfsein des Menschen zerstört: Mit der Grenze verliert der Mensch seine Geschöpflichkeit.
Worin besteht nun aber in Bonhoeffers Augen das Wie-Gott-Sein des Menschen? Es zeigt sich zuerst darin, dass dieser sich eigene Erkenntnis Gottes verschafft. Er geht dazu immer aufs Neue hinter das ihm von Gott gegebene Wort Gottes zurück. Fortan steht er unter dem Fluch, fragen zu müssen: „Sollte Gott gesagt haben?“
Er verleugnet seine Grenze, die gerade in der Anerkennung seiner Geschöpflichkeit besteht. Er fällt aus der Einheit von Freiheit und Geschöpflichkeit heraus. Er muss seine Geschöpflichkeit nun als Kränkung empfinden und sie mit allen Mitteln zu leugnen suchen.
Das Ausmaß des Menschenfalls ist unermesslich. Es ist die Zerstörung der Schöpfung durch das Geschöpf.
Die Folge des Falls ist, dass Adam vor Gott flieht. Doch Gott geht ihm nach, hält ihn auf, sucht ihn. „Adam, wo bist du?“, ruft Gott. „Steh vor deinem Schöpfer.“ Bonhoeffer schließt daraus: Der Mensch darf in seinem Abfall von Gott nicht allein bleiben. Es ist Gottes Gnade, dass er den Menschen stellt. Für Bonhoeffer ist das Gewissen nicht die Stimme Gottes im sündigen Menschen, sondern gerade die Abwehr gegen diese Stimme. Der Schöpfer will den flüchtenden Adam, der sich aus Scham meint vor Gott verstecken zu müssen, gerade aus seinem Gewissen herausrufen. „Heraus aus deinem Versteck, aus deinen Selbstvorwürfen, aus deiner Verhüllung, aus deiner Heimlichkeit, aus deiner Selbstquälerei, aus deiner eitlen Reue, bekenne dich zu dir selbst, verliere dich nicht in frommer Verzweiflung, sei du selbst […]“ Damit ist für Bonhoeffer der Weg vorgezeichnet, auf dem Gott in Jesus Christus dem Menschen seine Gnade zuwenden wird: Nicht anders als im offenen Bekenntnis der eigenen Schuld und im Glauben an die Vergebung allein aus Gnaden.