Читать книгу Metropolen, Megastädte, Global Cities - Dirk Bronger - Страница 11
Begriffsfindung These 2 Das Phänomen „Metropole“/„Megastadt“ bzw. die Metropolisierung/Megapolisierung ist einkomplexer, alle Lebensbereiche umfassender Prozess. Dieses „gesellschaftliche Totalphänomen“ist nur multidimensional und damit multi-disziplinär erfassbar. 2.1 „Verstädterung“ – „Urbanisierung“ – „Metropolisierung“: Das begriffliche Dilemma
ОглавлениеBislang gibt es weder eine einheitliche noch eine eindeutige Definition der zentralen Begriffe „Metropole“/„Metropolisierung“. Daher soll zunächst der Versuch einer systematisierenden Begriffsbestimmung von Metropolisierung unternommen werden.
Die Überschrift enthüllt zwei grundsätzliche Dilemmata:
1. Die im deutschen Sprachgebrauch hauptsächlich verwendeten Begriffe „Urbanisierung“ und „Verstädterung“ haben, da keineswegs immer synonym gebraucht, zu erheblicher Verwirrung geführt. Während der englischsprachige Raum nur den Begriff „urbanization“ kennt, unterscheidet die deutsche Literatur häufig zwischen den oben genannten Begriffen. Dabei wird unter „Verstädterung“ zumeist die Zunahme bzw. Vergrößerung von Städten nach Zahl, Fläche und vor allem Einwohnern sowohl absolut als auch im Verhältnis zur ländlichen Bevölkerung bzw. zu nicht-städtischen Siedlungen verstanden. „Urbanisierung“ beinhaltet dagegen die Ausbreitung städtischer Lebens-, Verhaltens- und Wirtschaftsformen. Manche Autoren bewerten „Verstädterung“ umfassender als „Urbanisierung“. Andere verwenden beide Termini wie auch den der „Urbanisation“ synonym.
2. „Urbanisierung“, vor allem ihre dynamische Komponente, ist in ihren verschiedenartigen Erscheinungsformen einschließlich der Folgewirkungen ein nicht nur in der stadtgeographischen Forschung, sondern auch in der „Dritte“-Welt-Literatur seit über 40 Jahren behandeltes Phänomen. Gemeinsam ist allen Beiträgen, dass „Metropolisierung“ unter „Urbanisierung“/„Verstädterung“ subsumiert wird. Bis dato taucht der Terminus „Metropolization“/„Metropolisierung“ als eigens definierter Begriff nur äußerst selten und weder in der englisch- noch in der deutschsprachigen stadtgeographischen Literatur auf.
In der Stadtgeographie von Heineberg (1986, 1989) wird „Metropolisierung“ zum ersten Mal erwähnt und mit „demographischer Vergroßstädterung“ (1989: 5) gleichgesetzt, mithin auf ihren statistischen Begriffsinhalt reduziert; im gleichen Sinn wird der Begriff von Hofmeister (1993: 59) aufgefasst. Lichtenberger arbeitet mit dem wenig glücklichen Begriff „Metropolitanisierung“. Er „bedeutet, dass sich die Kernstädte außerhalb der Stadtgrenze mit Vor-Städten umgurten und große Verdichtungsräume entstehen“ (1998: 26). An anderer Stelle bezeichnet sie ihn als „Umwandlung von Städten in Agglomerationen“ (ibid.: 27). Auch der Expertenbericht zu URBAN 21 (Weltkonferenz zur Zukunft der Städte, Berlin 4. – 6. Juli 2000) enthält keinerlei Definition zu den Zentralbegriffen „Metropole“/„Metropolisierung“ bzw. „Megastädte“/„Megapolisierung“. Es ist lediglich zu entnehmen, dass „Megastadt“ mit „Urban Agglomeration“ gleichgesetzt wird (Hall/Pfeiffer 2000: 14; ebenso Clark 1996: 46). Ähnlich unpräzise äußert man sich hierzu in der englischsprachigen Literatur. Die wissenschaftliche Bewältigung des Phänomens erscheint in weiter Ferne – jedenfalls wenn man sich die betreffende Definition in der Gesamtdarstellung von Brunn/Williams vor Augen führt: „A metropolis is properly the chief city (but not necessarily the capital) of a country, state or region, but it is often loosely used to refer to any large city“ (1983: 6).
Ähnliches gilt, wenn bei der Begriffsfindung „metropolis“ in dem kürzlich erschienenen Sammelwerk „Living the Global City“ auf die Metapher von Mumford zurückgegriffen wird, in der diese als „the most complete compendium of the world“ beschrieben wird (1961: 639). Inhaltlich wird bereits Sutcliffe konkreter, wenn er bei der Begriffsfindung die ausgeprägten metropolitan-spezifischen Zentralitätsfunktionen betont, die die Bewohner des Hinterlandes nicht mehr nur, wie in traditionellen Städten, mit Dienstleistungen versorgen, sondern wenn diese dazu tendieren, „als Markt, als Informationszentrum und als Mittelpunkt politischer Organisation die Aktivitäten in ihrer Einflusssphäre“ zu beherrschen (1984: 3).
Es hat also den Anschein, dass deutlich mehr Darstellungen existieren, die im Titel das Wort „Metropole“ führen, als dass es Definitionen zum Begriff selbst gibt. Im weltweiten Vergleich sind die gegebenen Begriff(-sinhalt)e jedenfalls nicht operationalisierbar.
Nachfolgend seien einige Gründe genannt, die eine Unterscheidung der beiden Begriffe „Urbanisierung“ und „Metropolisierung“ notwendig machen:
1. Die viel zitierten, jedoch unpräzisen Komplexbegriffe „Urbanisierungsquote“ und „Urbanisierungsrate“ sind quantitativ kaum zu operationalisieren. Abgesehen davon, dass nur eine Minderheit (insbesondere) der jungen Staaten über einen klar definierten Stadtbegriff verfügt (UN-Demographic Yearbook 1998: 37–40) und sich dieser zudem in vielen Fällen häufig geändert hat (z.B. Indien), weist bereits die statistische Abgrenzung „Stadt“ von Land zu Land sehr verschiedene Dimensionen auf: So variiert die Untergrenze „Stadt“ beispielsweise von 200 Einw. in Skandinavien bis 50.000 in Japan. Die bereits 1966 von den Vereinten Nationen vorgeschlagene Untergrenze von 20.000 für die „urbane“ Bevölkerung (PD-UN 1966: 23) hat sich bis heute nicht durchsetzen können.
2. Die Fragwürdigkeit einer weltweit vergleichenden Darstellung des Phänomens „Urbanisierung“ liegt auch auf kulturell-begrifflicher Ebene: „Denn strukturell und funktional ist Städtisches nun einmal grundverschieden zwischen dem europäischen Norden und dem Mediterrangebiet, zwischen West-Afrika, den Andenländern und Ostasien. Das berühmte Kriterienbündel allgemeiner Aussagen wird dabei so schmal, dass … es keine allgemein-verbindliche, über Raum und Zeit gültige Definition des Städtewesens geben kann“ (Schöller 1983: 25).
3. Das in der Mehrzahl der Entwicklungsländer erst nach dem Zweiten Weltkrieg nennenswert einsetzende „städtische“ Wachstum ist, im Unterschied zu den Industrieländern, in hohem Maße auf die Metropolen konzentriert.
4. Dementsprechend betreffen die Folgewirkungen – rasch zunehmende soziale und wirtschaftliche Marginalisierung immer breiterer Bevölkerungsschichten, Verslumung, Verkehrschaos, Luftverschmutzung usw. – schon aufgrund der knappen Finanzmittel in erster Linie die Metropolen in den Ländern der „Dritten“ Welt.
5. Schließlich bewirkt die Überkonzentration der Verwaltungs-(Haupt-)Stadt, vor allem aber der Wirtschaftsfunktion in den Metropolen der „Dritten“ Welt eine tief greifende und überdies fortlaufende Verschärfung der regionalen Entwicklungsunterschiede mit ebenfalls ernsten Auswirkungen bis hin zur Existenzgefährdung der betreffenden Staaten.