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Kapitel 1

Die ersten Sonnenstrahlen des Tages schienen durch das Fenster seines Ferienappartements. Sie blitzten neckisch zwischen den Bergen hindurch und warfen einen goldenen Schimmer auf seinen Frühstückstisch. So lässt es sich leben, dachte er, als er den letzten Bissen seines Frühstücks genüsslich in den Mund schob. Wie für ihn typisch, war es ein sehr gesundes Frühstück gewesen. Viele Früchte, Joghurt, ein wenig Honig und einen starken, frisch aufgebrühten Kaffee. Er schluckte den letzten Bissen seiner Morgenmahlzeit hinunter und genoss einen Schluck Kaffee, während er die Berge betrachtete. Hier war er gerne und konnte so gut entspannen, wie nirgendwo anders. Es war eine gute Entscheidung gewesen, die Arbeit einfach mal für einige Wochen beiseite zu legen und auszuspannen. Er hatte genug Interessenten, die ihn engagieren würden, wenn er wieder zu Hause war. Im heutigen Zeitalter wird Sicherheit großgeschrieben und nur wenige hatten genug Ahnung, was genau dazu gehörte. In seinem Beruf fühlte er sich wohl und wusste, wie er seine Kunden effizient zufriedenstellen konnte. Die beratende Tätigkeit war das finanzielle Fundament seines Lebens. Darüber hinaus waren Nebenverdienste nicht ausgeschlossen, erinnerte er sich lächelnd.

Er schob den Stuhl zurück und stand auf, um sich fertig zu machen. Seine Stimmung war nicht zum Besten bestellt, als er sich die Zähne putzte und seine Joggingkleidung anzog. Jetzt kam der schwierigste Teil des Morgens, das wusste er, und daran konnte auch der atemberaubende Ausblick auf die österreichischen Alpen nichts ändern, als er vor die Tür seines Appartements in die kühle Morgenluft trat.

Zier dich nicht so, spornte er sich an und setzte sich missmutig in Bewegung. Die ersten Schritte sind immer die Schwersten und nun beweg dich, du fauler Sack. Er nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es um seine eigene Fitness ging. Mit seinen achtundvierzig Jahren war er nicht mehr der Jüngste und sein Bauch fing auch schon an, etwas aus der Form zu gehen, wenn er nicht aufpasste. So sehr er auch auf seine Ernährung achtete, so wenig half dies auf Dauer fit zu bleiben, wenn er in seiner Freizeit nur vor dem Fernseher saß und sich bei einem Glas Rotwein entspannte. Er musste der Tatsache ins Auge sehen und zugeben, dass er an seiner Form arbeiten musste. Der Besuch in einem Fitnessstudio kam für ihn nicht in Frage. Die ganzen durchtrainierten Sportler mit ihren gestählten Körpern würden ihm auf Dauer nur die Motivation nehmen. Einem Verein wollte er auch nicht beitreten, da er die ganze Vereinsmeierei mit ihren regelmäßigen Treffen und Veranstaltungen nicht mochte. Er war ein Einzelgänger und versuchte sich immer wieder aufs Neue zu einer Laufrunde zu motivieren.

Jedes Jahr zu Silvester, war es das gleiche Spiel. Die guten Vorsätze wurden gefasst und auch schnell wieder über den Haufen geworfen. Allerdings nicht dieses Jahr. 2013 war eine besondere Herausforderung, der er sich nur zu gerne stellte, dachte er, als er langsam Geschwindigkeit aufnahm und zu seinem Rhythmus fand. Er hatte mit mehreren Freunden zusammen ins neue Jahr gefeiert. Mit dabei war eine junge Dame gewesen, die er vorher noch nie gesehen hatte. Ihr Name war Lena. Sie war ungefähr in seinem Alter und hatte wundervolles, blondes, langes Haar. Sie hatten sich auf Anhieb sympathisch gefunden und sich auf der Feier den ganzen Abend sehr innig unterhalten. Die Zeit verging wie im Flug und sie waren die Letzten, die am frühen Morgen ins Bett gingen. Im Nachhinein hatten sie beide vermutet, dass dieses Zusammentreffen von ihren Freunden arrangiert worden war, was aber alle vehement abstritten. Ob dieses Treffen arrangiert oder eher zufällig war, verlor an Wichtigkeit, denn es war der schönste Abend in den vergangenen Jahren, an den er sich gerne zurückerinnerte. Als es auf Mitternacht zuging, hatten sie sich gegenseitig ein Versprechen gegeben. Sie würden einen Vorsatz endlich in die Tat umsetzen, den sie sich schon in den vergangenen Jahren vorgenommen hatten, aber allein nie zu Ende brachten. Lena wollte mit dem Rauchen aufhören und er wollte zwei Mal in der Woche eine Runde laufen, um seine körperliche Fitness zu steigern. Sie schworen sich gegenseitig zu unterstützen, damit der Andere keinen Rückzieher machte. In den ersten Monaten des neuen Jahres ging das auch sehr gut, bis Lena im April ein Angebot von ihrer Firma bekam, ins Ausland zu gehen. Ihr zu folgen, kam für ihn nicht in Frage, da er seinen Job liebte und er noch viele Aufträge hier in Deutschland erwartete. Sie wollten es daher mit einer Fernbeziehung probieren. Nach einiger Zeit der Trennung bemerkte Lena, auf was sie in den vergangenen Wochen verzichten musste. Sie trennte sich von ihm nach nur fünf Monaten der Freundschaft.

Mittlerweile trabte er in seinem optimalen Tempo durch die Natur und seine Gedanken kreisten um Lena. Sie war das Beste, was ihm je passierte. Auch, wenn die Beziehung nicht gehalten hatte, so hatte sie ihm doch den entscheidenden Impuls gegeben, um mit seinem Vorhaben durchzuhalten. Mittlerweile war es schon fast zu einer Routine geworden, dass er sich zweimal in der Woche die Laufschuhe anzog und unterschiedlich lange Strecken lief. Es machte ihm fast sogar Spaß, wenn er erst einmal den Scheitelpunkt seiner Laufstrecke erreicht hatte. Außerdem ließen sich die Erfolge an seinem Gewicht und an seiner Fitness ablesen. Sie verbesserte sich von Monat zu Monat und, obwohl er noch weit davon entfernt war einen Marathon zu laufen, erfreute er sich an den kleinen Erfolgen, wenn er feststellte, dass sich wieder ein Kilo auf seiner Waage dauerhaft verabschiedet hatte.

Er genoss die Landschaft, die an ihm vorbeizog und er atmete die frische Luft ein. Er roch die Kiefernnadeln, die ihren unverkennbaren Duft verströmten. Das Moos, welches den Waldboden bedeckte und von der kalten Nacht noch ganz feucht war, glitzerte in der frühen Morgensonne. Er hörte die Vögel zwitschern, die den Morgen begrüßten. Die Luft war hier oben viel besser als in seiner Heimatstadt, überlegte er und atmete umso tiefer ein, als ihn ein Stechen etwas einbremste. Er rieb sich die Seite und versuchte bewusst ein- und auszuatmen. Diese verdammte Milz, spottete er, als auch noch ein leichtes Ziehen in seiner Brust hinzukam. Er hörte auf zu Laufen und ging langsam weiter, bis die Beschwerden nachließen.

Die Sonne stand nun etwas höher am Himmel und blitzte durch die Bäume. Die Strahlen wärmten behutsam seine Wange. So früh am Morgen war es noch relativ frisch in den Bergen und die Sonne brauchte einige Stunden, um die Luft zu erwärmen.

Als die Beschwerden nachließen, fing er langsam wieder an zu laufen. Erst gemächlich den Anstieg hinauf und dann immer schneller, bis er schließlich völlig außer Atem die Lichtung erreichte. Hier hielt er einen Augenblick inne, um erneut die Schönheit der Berge sowie die kühle Atmosphäre am frühen Morgen zu genießen und sog mit jedem Atemzug die mit Sauerstoff gesättigte Luft in seine Lungen. Ach, wie schön es doch war, endlich auf dem Weg zu einer besseren Fitness zu sein, dachte er. Die leichte Erkältung, die er in den vergangenen Tagen hatte, war so schnell gegangen, wie sie gekommen war. Es zeigten sich gar nicht die üblichen Beschwerden, die er sonst durchlebte. Normalerweise gab es ein paar Tage Halsschmerzen, dann Schnupfen und schließlich etwas Husten. Diesmal bemerkte er nur ein leichtes Kratzen im Hals und zwei Tage war seine Nase etwas verstopft, sodass er nicht richtig durchatmen konnte. Ein wenig Schnupfenspray brachte Linderung, aber er dachte gar nicht daran, sich ins Bett zu legen und zu faulenzen. Er wollte durchhalten und es würde ihn schon nicht umbringen.

Wie in Trance lief er weiter. Die Endorphine erwartend lief er immer schneller, aber der Rauschzustand stellte sich auch heute nicht ein. Er hatte gehört, dass der Körper beim Ausdauersport immer irgendwann Endorphine ausschüttete und die Langstreckenläufer euphorisch immer weiterlaufen konnten. Diese Situation hatte er bisher niemals erlebt. Immer wieder musste er sich selbst antreiben, um von der Couch hochzukommen und danach nicht einfach stehen zu bleiben. So lief er in einem langsamen Tempo immer weiter, überquerte die Lichtung und folgte dem Weg weiter in den Wald hinauf. Er schaute auf seine Uhr und bemerkte, dass seine Zeit bis hierher schon einmal besser gewesen war, aber diese verdammten Seitenstiche hatten ihm heute seinen Schnitt verdorben.

Sein Urlaub neigte sich dem Ende entgegen und die vergangenen drei Wochen waren von Sport, Erholung, langen Spaziergängen und Wellness in der Saunalandschaft, die sich an sein Hotel anschloss, geprägt. Es war schon mehr als nötig gewesen mal wieder auszuspannen, überlegte er, als er den Wald verließ und wieder auf die Landstraße einbog, die zu seinem Feriendomizil führte. Dies wollte er unbedingt wiederholen. Der Urlaub hatte sich gelohnt und er spürte, wie er sich auch wieder auf zu Hause freute und er Lust auf seine Arbeit entwickelte.

Seine Beine gaben einen Moment nach, als er wieder diesen Schmerz in seiner Brust verspürte. Diesmal höher, nicht so weit in der Seite. War seine Milz verrutscht? Blödsinn, konterte er und ging wieder einige Schritte langsamer. Er hatte sich bestimmt nur übernommen und hätte es gestern Abend beim Wiener Schnitzel belassen sollen. Seine Augen waren aber offensichtlich größer als sein Mund gewesen, denn er musste ja unbedingt noch die Powidl-Knödel zum Nachtisch verspeisen – mit Zimtbröseln und Vanillesoße. Nun bereute er seine Entscheidung. Dieser Nachtisch lag ihm wohl immer noch so schwer im Magen, dass er heute Morgen die Probleme beim Laufen hatte. Er sollte noch besser auf seine Ernährung achten, bläute er sich wieder einmal ein und fing wieder langsam an zu laufen. Die Schmerzen ließen nach.

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