Читать книгу Sonnenkaiser - Dirk Meinhard - Страница 6

3.

Оглавление

Es waren gerade etwas mehr als zehn Jahre vergangen, seit die Regierung neben dem größten Teil des staatlichen Eigentums auch einen Teil der staatlichen Aufgaben an die Privatwirtschaft abgegeben hatte. Der Staatsbankrott hatte viel verändert, nicht nur in diesem Land. Es war geradezu bemerkenswert gewesen, in welche Sturheit mehrere Regierungen den Weg in den absehbaren Finanzkollaps verfolgt hatten. Anhäufen exorbitanter Schulden, Absenken der Marktzinsen in den Minusbereich, quasi unlimitierte Ausweitung der Geldmenge zur Stimulierung von Wirtschaftswachstum, Ausweitung der Staatsbudgets und kontinuierliche Steuererhöhungen. Nur gingen Staatswirtschaft und Wirtschaftswachstum nicht zusammen. Das Ende waren massive Währungsspekulationen gegen die europäische Hauptwährung und ein gewaltiger Abfluss von Investitionsmitteln aus Europa. Mehrere große Volkswirtschaften kamen ihren selbst auferlegten Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach. Der Versuch, über die Europäische Zentralbank die benötigten Mittel quasi herbeizaubern zu lassen, scheiterte. Die Währung kollabierte, wertete gewaltig ab, die Staaten waren zahlungsunfähig.

Eigentlich hätte man erwartet, die europäischen Staaten würden ihre Macht nutzen, um sich mit ein paar eleganten Gesetzen aus der Affäre zu ziehen. Mit einer neuen Währung Staatsschulden abwerten, den Gläubigern einen Schuldenschnitt verordnen, Startkapital für die nächste Runde in Form von Zwangsmaßnahmen bei den Bürgern eintreiben, wie es schon vorher zahlreiche Staaten über die Jahrhunderte immer wieder gemacht hatten, um nach einigen Jahrzehnten wieder am gleichen Punkt anzukommen.

Nur dieses Mal funktionierte es nicht so. Global agierende Unternehmen und Banken, große Kapitalfonds und Investoren sahen vor allem das in Europa in Staatsanleihen angelegtes Kapital in Gefahr und organisierten sich. Den Regierungen Europas wurde der wirtschaftliche Boykott angedroht, sollten sie ihre Schulden einfach mit ein paar Tricks verschwinden lassen.

So kam es zur größten Privatisierungswelle, die Westeuropa je erlebt hatte. Die Staatsschulden wurden in Kapitalfonds gebündelt, die in den Ländern auf Shoppingtour gingen. Die Straßennetze, insbesondere Autobahnen, gingen an die Fonds, jegliche staatlich aufgebaute Infrastruktur, Schulen, Grundstücke, Wälder, Universitäten, Seen, Flüsse, Kanäle, staatliche Liegenschaften jeder Art, staatliche Unternehmensanteile. Die Liste der Käufer, die eigentlich nur verliehenes Kapital gegen Sachwerte tauschten, war ziemlich lang. Mit dem Übergang der Sachwerte gründeten sich aus den Fonds Unternehmen, die den Kapitalfonds gehörten.

In einem zweiten Schritt wurden Gesetze durch Vorgaben der Fonds an die neuen Umstände angepasst. Die staatlichen Haushalte der Bankrottstaaten wurden mit Schuldensperren belegt. Das bedeutete die zukünftige Begrenzung aller Staatsausgaben. Die Parlamentarier winkten den Input nur hilflos durch.

Natürlich wurden als erstes die sozialen Sicherungssysteme deutlich ausgedünnt, Subventionen gekürzt. Aber auch staatliche Aufgaben wurden reduziert. Ein angenehmer Effekt etwa der Autobahnprivatisierung war, dass die Instandhaltung nun nicht mehr mit Steuern bezahlt werden musste, sondern Sache der neuen Eigentümer war, ebenso aber der Neuausbau von Fernstraßen, der nun maßgeblich von ihnen geplant und von den entsprechenden Ministerien nur noch der Form halber abgesegnet wurde.

Die Reduzierung der Polizeikräfte war insbesondere in Deutschland schon vor dem Staatsbankrott bedeutend vorangeschritten. Nun übernahmen einige große Sicherheitsunternehmen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, während die Polizei sich selbst aus diesen Aufgaben weitgehend zurückzog.

Dazu gehörten nicht einfach nur private Wagen mit der Aufschrift Polizei, die durch die Straßen fuhren und deren Insassen nach Falschparkern Ausschau hielten.

Die Unruhen, die mit dem Staatsbankrott einhergingen, die wochenlangen Demonstrationen, die in vielen Großstädten in Ausschreitungen und Plünderungen übergegangen waren, hatten zahlreiche Städte in einem angeschlagenen Zustand hinterlassen. Die Bekanntgabe, dass die Millionen Arbeitslosen, deren Zahl mit der Staatspleite und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Wirtschaft noch gewaltig wuchs, nur noch mit minimaler staatlicher Unterstützung rechnen konnten, wirkte wie ein Doping für die Ausschreitungen, die von Stadtzentren auf Vororte übergriffen und Tausende von Bürgern in bessergestellten Gegenden obdachlos machten, weil deren Häuser von besinnungslos wütenden Demonstranten abgebrannt wurden.

Als Folge wurden in vielen Innenstädten Schutzzonen eingerichtet, in denen die neue private Polizei für Sicherheit sorgte. In Stadtteilen, deren Bewohner es sich leisten konnten, wurden Sicherheitsdienste mit dem Schutz des Eigentums vieler Bürger beauftragt. Weitflächig wurden solche Zonen mit Kameraüberwachung und elektronischen Sicherheitssystemen ausgestattet. Da das kaum genügte, Gewalt und gesetzeswidrige Handlungen einzudämmen, erhielten die Sicherheitsunternehmen umfassende Vollmachten und das Recht, ihre Mitarbeiter angemessen auszustatten.

Taser, wie der, mit dem der Randalierer im Amt zur Ruhe gebracht wurde, waren noch die harmlosere Ausstattung von sogenannten SecGuards, den Mitarbeitern der Sicherheitsfirmen. Schusswaffen gehörten ebenfalls zu ihrer Ausrüstung und waren gesetzlich legitimiert. SecGuards erhielten damit Rechte, die denen der staatlichen Ordnungskräfte glichen.

Das Geschäft mit der Sicherheit florierte. Viele ehemalige Polizisten fanden neue Arbeit bei solchen Firmen. Natürlich zogen diese Unternehmen auch alle möglichen anderen Interessierten an. Und der Rekrutierungsprozess wurde zunehmend verschärft, nachdem der Waffengebrauch auf den Straßen spürbar zunahm.

Für Daniel schied eine Bewerbung bei Firmen wie GlobSecure, ProtectionGuard oder CountryGuard aus. Dort suchte man körperlich überdurchschnittlich befähigte Mitarbeiter. Bereits beim ersten sportlichen Eignungstest, einem Spurt über einhundert Meter, wäre er mit einem unter der Belastung merkwürdig wegdrehenden linken Bein grandios gescheitert und hätte eine neue schlechteste Laufzeit aller Bewerber abgeliefert.

Daniel schlenderte langsam in Richtung der nahe gelegenen Einkaufsmeile. Ein Spaziergang über einen Kilometer gehörte zu den Dingen, die er problemlos bewältigen konnte. Sein Kontostand erlaubte ihm keine Shoppingtour, aber für einen Kaffee würde es reichen. Hoffentlich kam das erste Hilfsgeld tatsächlich noch an diesem Tag.

Der Termin war sehr glimpflich für ihn abgelaufen. Sein Knie hatte ihm eine Schonfrist verschafft, nur würde die auch enden und dann fand er keine Gnade mehr vor Frau Wolenski und ihren Kollegen. Dieser Termin war der notwendige Weckruf für ihn gewesen. Er hatte noch ein paar Monate Zeit, wieder Ordnung in seinen Tagesablauf zu bringen und herauszufinden, womit er in Zukunft seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Schaffte er das nicht, würde er nicht nur seine Wohnung verlieren. Was dann folgen würde, mochte er sich nicht vorstellen. Er kannte die Orte, an denen sich die Leute aufhielten, die die Gesellschaft ausspuckte, weil sie keine Verwendung mehr für sie hatte. Auch in dieser Stadt gab es die Bezirke mit den baufälligen bis zerstörten Häusern, die von ihren Besitzern aufgegeben worden waren und in denen nun die quasi Obdachlosen hausten. No-Go-Areas nannte man solche Gegenden, in denen sich nicht nur Armut, sondern auch Gesetzlosigkeit breitgemacht hatte. Polizei oder Sicherheitskräfte ließen sich dort grundsätzlich nicht mehr blicken. Jede Strafverfolgung endete an den Rändern dieser Gebiete, in denen das Tragen einer Uniform den Einsatz von Schusswaffen provozieren konnte.

Daniel ärgerte sich mittlerweile über sich selbst. Er hatte wertvolle Zeit damit vergeudet, vor der Realität wegzulaufen.

In seiner Tasche machte sich sein Smartphone durch einen intensiven Summton bemerkbar. Eine Mitteilung wartete darauf, von ihm gelesen zu werden. Er blieb am Zugang zu einer U-Bahnstation stehen, direkt unter einer der Kameras, die in regelmäßigen Abständen an hohen Masten hingen. Ein SecGuard stand ein Stück weiter und beobachtete ihn.

Daniel zog das Smartphone aus der Tasche und schaute auf das Display. Die Nachricht war vom Amt für Arbeit. Der Absender hieß Wolenski. Neugierig öffnete Daniel die Mitteilung. Er zuckte leicht zusammen, als er die ersten Zeilen nach einer kurzen bürokratischen Einleitung las.

>>Ich habe über eine Personalagentur ein Stellenangebot in der Nähe von Berlin bekommen. Ihr Profil entspricht in hohem Maße den Anforderungen. Stellen Sie sich unverzüglich persönlich vor. Ich erwarte Ihre Rückmeldung bis zum Nachmittag. Weitere Details finden Sie im angehängten Link. Es handelt sich um eine Stelle als privater Ermittler.<<

Das war unerwartet schnell gegangen. Frau Wolenski schien ihn vielleicht irgendwie ein wenig gemocht zu haben.

Sonnenkaiser

Подняться наверх