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2.2 Weißsein

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»Mir wurde beigebracht, Rassismus nur in einzelnen Handlungen der Gemeinheit zu sehen, nicht in unsichtbaren Systemen, die meiner Gruppe Dominanz verleihen.« 6

Peggy McIntosh

In der kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus ist es wichtig, auch einen Begriff für die Menschen zu bilden, die von Rassismus profitieren. Denn wenn diese ohne Bezeichnung bleiben, kann das dazu beitragen, dass von Weißsein als selbstverständlicher Norm ausgegangen wird. Weiße Menschen als solche zu benennen, ist daher ein relevanter Schritt, um rassistische Machtstrukturen zu beleuchten.

Das Antidiskriminierungsbüro Köln (Öffentlichkeit gegen Gewalt e. V.) definiert Weißsein wie folgt:

»Als weiß in diesem Land gelten Menschen, deren Zugehörigkeit zu Deutschland nicht in Frage gestellt wird und die nicht negativ von Rassismus betroffen sind. Es wird kursiv geschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein Konstrukt und nicht um eine reale Hautfarbe handelt« (ADB Köln 2017, S. 5).

Interessant im Zusammenhang mit Weißsein ist die Tatsache, dass die meisten weißen Personen überhaupt kein Bewusstsein von ihrem Weißsein und dessen Auswirkungen haben (ebd.). Denn sie haben das enorme Privileg, sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen, da sie nicht durch selbigen diskriminiert werden, sondern durch ihn profitieren. Sich selbst nicht im Kontext von Rassismus zu verorten und die eigene Positioniertheit nicht reflektieren zu müssen, ist nur eins von zahlreichen Privilegien. Weitere Privilegien sind zum Beispiel: Wenn weiße Personen eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz suchen, stellt Weißsein kein Hindernis dar (siehe Kap. 4.4.1); wenn die Polizei weiße Personen kontrolliert, können diese sich sicher sein, dass ihre Hautfarbe nicht der Grund dafür ist; weißen Personen wird nicht akut bewusst gemacht, dass ihre Form, ihr Verhalten oder ihr Körpergeruch auf alle Menschen zurückfallen wird, die auch weiß sind (vgl. McIntosh 1989, S. 10).

Weiße Privilegien müssen auch auf den Kontext rassistischer Gewalt bezogen werden, konkret beispielsweise auf die Situation nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau am 19. Februar 2020. Denn auch hier wird deutlich, dass weiße Personen sich nicht mit der dauerhaften Angst und dem Schrecken auseinandersetzen müssen. Denn für sie selbst besteht nicht die akute Gefahr und auch nicht die permanente Sorge um das eigene Leben und um das Leben der eigenen Community (vgl. Agar u. Kalarickal 2020).

Weiße Personen profitieren von rassistischen Machtstrukturen, ob nun bewusst oder unbewusst. Denn diese wirken allgegenwärtig (vgl. Yeboah 2017, S. 154 ff.). Weißsein ist somit eine Machtposition, die nicht abgelegt werden kann, auch wenn weiße Personen zum Beispiel von anderen Diskriminierungsformen betroffen sind:

»Durch Weißsein ist man privilegiert. Natürlich werden Positionen in gesellschaftlichen Ordnungen nicht allein durch Weißsein geprägt. Geschlecht, Klasse, Gesundheit usw. schaffen ebenfalls Machtstrukturen. Dass Weiße etwa arm oder reich, gesund oder beeinträchtigt, jung oder alt sein können, bedeutet nicht, dass manche von ihnen die Privilegien des Weißseins verlieren würden. Auch wenn Weißsein damit dynamisch und flexibel ist, bedeutet das jedoch nicht, dass es individuellen Spielräumen obliegt, das eigene Weißsein abzulegen. Als systemische Position ist Weißsein keine Weltanschauung, sondern eine Machtposition und als solche ein kollektives Erbe des Rassismus und auch am Werk, wenn Weiße es nicht bemerken (wollen)« (Arndt 2017, S. 43).

Aktuell erfolgt nur sehr vereinzelt eine kritische Beschäftigung mit dem eigenen Weißsein und der damit verbundenen Anerkennung rassistischer Machtstrukturen. Eine solche Auseinandersetzung in ihrer gesamtgesellschaftlichen Breite ist in Deutschland längst überfällig. Wenn Forschung in diesem Bereich getätigt wird, erscheint es wichtig, auch diese kritisch zu diskutieren. Denn es ist fragwürdig, wenn in Teilen der kritischen Weißseins-Forschung wieder ausschließlich weiße Personen, deren Umgang mit der eigenen Positioniertheit und deren »Leid« im Fokus der Betrachtung stehen. Bei einer solchen Fokussierung besteht die große Gefahr, die weiße Vorherrschaft wieder zu reproduzieren und weiße Personen erneut in die relevanteste Position zu rücken. Wenn die kritische Weißseinsforschung dagegen versucht, Weißsein zunächst sichtbar zu machen und anschließend als zentrale normstiftende Position aufzuheben, dann kann sie als Herrschaftskritik anerkannt werden (vgl. Stark u. Noack 2017, S. 896; Yeboah 2017, S. 156 f.; El-Tayeb 2017, S. 8 ff.).

In der Auseinandersetzung mit Rassismus, Weißsein und Privilegien betont Arndt (2017, S. 43), dass es dabei nicht um »Schuldzuschreibungen« geht, sondern um die Anerkennung von Rassismus »als ein komplexes Netzwerk an Strukturen und Wissen«, das weltweit prägend für Sozialisation und kontinuierliche Reproduktion wirkt. Somit

»ist das Nicht-Wahrnehmen von Rassismus ein aktiver Prozess des Verleugnens, der durch das weiße Privileg, sich mit Rassismus nicht auseinandersetzen zu müssen, gleichermaßen ermöglicht wie abgesichert wird« (ebd., S. 43).

Wenn es doch zu einer Auseinandersetzung mit diesen Privilegien kommt, führt dies zunächst meist zu einer starken Abwehr. Jedoch werden auch andere Reaktionen beschrieben, die häufig abhängig von der Phase der Reflexion der eigenen Positioniertheit in der rassistischen Machtstruktur sind. Diese Reaktionen reichen von der Unterstellung einer Übertreibung über das Bedürfnis, eine Ausnahme sein zu wollen, über Scham und Schuldgefühle bis hin zu einer Anerkennung, dass Rassismus als Machtverhältnis existiert (vgl. Ogette 2019, S. 23 ff.). Ein Nicht-Wahrnehmen(-Wollen) von Rassismus und der eigenen Privilegien findet auch häufig in vermeintlich positiven Aussagen weißer Personen Ausdruck wie: »Ich sehe keine Unterschiede!«, oder: »Wir sind doch alle gleich!« Diese Aussagen werden vor allem dann getätigt, wenn weiße Menschen auf Rassismus und/oder explizit auf ihre Privilegien angesprochen werden (Hasters 2020). Auch diese Form des Umgangs mit Rassismus stellt sowohl eine Verleugnung rassistischer Machtstrukturen als auch eine Abwehrstrategie dar, um sich nicht mit Rassismus beschäftigen zu müssen. Dies verhindert Prozesse der (Selbst-)Reflexion und kann zu Verletzungen bei Menschen führen, die durch Rassismus diskriminiert werden, indem ihnen dadurch, von privilegierter Position aus, die alltäglichen Erfahrungen abgesprochen werden.

Vor dem Hintergrund der Verleugnung rassistischer Machtverhältnisse und abwehrender Reaktionen steht der Begriff der »white fragility« oder »weißen Zerbrechlichkeit«, mit dem

»die von Unsicherheit begleitete Interaktion von weißen Menschen in einer diversen Gesellschaft [bezeichnet wird], in der immer häufiger von diskriminierten Minderheiten eine strukturelle Kritik an weißen Privilegien formuliert wird« (Amjahid 2021, S. 16).

Das allgemeine Sprechen über Weißsein, weiße Strukturen oder weiße Privilegien ist für viele weiße Personen unangenehm, weil sie es nicht gewohnt sind, als Gruppe benannt, beschrieben, bewertet und kritisiert zu werden, unabhängig davon, wie behutsam, »sachlich« und auch losgelöst vom konkreten Gegenüber die Kritik formuliert wird (ebd., S. 17). Im Sinne der Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln in gesellschaftlichen Machtverhältnissen ist es notwendig, sich der eigenen Abwehrreflexe und Zerbrechlichkeiten immer wieder aufs Neue bewusst zu werden (siehe Kap 7.1). Dies gilt umso mehr, wenn ich in professionellen Kontexten Verantwortung trage, so auch in und für Beratungssettings.

Das hat ja was mit mir zu tun!?

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