Читать книгу Gewaltprävention im Alltag - Dirk Zeuge - Страница 8
ОглавлениеEigensicherung
Ein wichtiger Aspekt für alle Hilfskräfte ist die Vermeidung von riskanten Einzelaktionen. Hilfsorganisationen aber auch Polizei und Militär haben Leitfäden, wie und unter welchen Bedingungen Leben gerettet werden können. Es gilt der Grundsatz, das eigene Leben und die Gesundheit vorrangig zu schützen. Denn es macht keinen Sinn, wenn man aus Unvorsichtigkeit selbst verletzt wird und somit Hilfe benötigt. Der wichtigste Aspekt ist daher der Eigenschutz.
In anderen Berufen wird der Eigenschutz zumeist auch über Arbeitsschutzgesetze abgedeckt, die vorrangig immer das Ziel haben, die Gesundheit und das Leben des Mitarbeiters zu schützen.
Doch wie ist es im privaten Umfeld? Kümmern wir uns im zivilen Leben um unseren Eigenschutz? Betrachten wir eine mögliche Definition:
„Die Eigensicherung ist der aktive Schutz über geeignete vorbeugende Maßnahmen, die Gefahren für Leib oder Leben abzuwenden.“6
Kernbotschaft stellt „der aktive Schutz“ dar. Jeder einzelne von uns ist gefordert, sich selbst, für seine eigene Sicherheit einzusetzen aber auch mit der Thematik auseinanderzusetzen. Dies bedeutet, dass wir uns in die Lage versetzen müssen, gefährliche Situationen frühzeitig zu erkennen und auch richtig einzuschätzen. Alles, was diese Aktivität stört, ist zu unterlassen. Als Beispiel soll hier die mögliche Ablenkung durch den permanenten Blick auf das Smartphone genannt werden oder aber auch das Musikhören im öffentlichen Raum. Durch solche oder andere Störfaktoren werden Warnsignale übersehen bzw. Geräusche (wie bspw. eine heranfahrende Straßenbahn) überhört.
Demgegenüber steht der passive Part der Eigensicherung, der als Eigenschutz bezeichnet wird. Unter Eigenschutz wird die Schutzausstattung bei Einsatz- und Sicherheitskräften verstanden. Die Ausstattung gehört zu den präventiven Hilfsmitteln und umfasst bspw. schusssichere Westen, Feuerwehrhelme, feuerfeste Kleidung etc.
Noch einmal zurück zur Definition: Neben dem aktiven Schutz gehören zur Eigensicherung alle „geeigneten [und] vorbeugenden Maßnahmen“, die notwendig sind, um Gefahren abzuwenden. Zuhause könnte man darunter bspw. einbruchshemmende Mittel für die Wohnung verstehen, wie Alarmanlagen, Sicherheitstüren und -fenster etc.
Sind wir außerhalb unserer Wohnung unterwegs, umfasst die Eigensicherung die Hilfsmittel, die uns dazu befähigen sollen, den Eigenschutz aufrecht zu erhalten. Wichtiger als die Hilfsmittel ist jedoch der aktive Teil der Eigensicherung, also unsere Umgebungsaufmerksamkeit und daraus resultierend unsere Wachsamkeit.
Nur unsere eigene Aufmerksamkeit kann verhindern, dass wir Opfer eines Unfalls oder einer Gewalttat werden. Somit wird klar, dass Eigensicherung bereits ein Thema wird, sobald wir die Wohnung verlassen und eine Straße überqueren wollen. Oder gehen Sie unbedacht über die Straße und riskieren es, dass ein Fahrzeug, welches mit hoher Geschwindigkeit heranrast, Sie erfasst? Ein anderes, gern genommenes Beispiel ist jenes, bei dem Sie des nachts durch den Park gehen, in welchem sich häufig zweifelhafte Gestalten aufhalten.
Doch wie kann das Umgebungsbewusstsein bzw. die eigene Aufmerksamkeit und somit die Überlebensfähigkeit (Survivalbility) geschärft werden? Hierzu bietet sich der von Jeff Cooper entwickelte Farbcode an, der im folgenden Kapitel erläutert wird.
Cooper-Farbcode
John Dean „Jeff“ Cooper († 25.09.2006) war ein ehemaliger US-Militär des US-Marine-Corps und anerkannter Schusswaffenexperte. Als Fachmann wurde er beauftragt, Zivilisten, Polizisten und Soldaten im Umgang mit Schusswaffen zu schulen. Cooper vertrat die Ansicht, dass der wichtigste Punkt, um einer tödlichen Konfrontation zu begegnen, nicht die Kampftechnik oder die Waffe, sondern die Gefechtsbereitschaft sei. In militärischen Einheiten wird diese in unterschiedliche Stufen der Wachsamkeit untergliedert. Steigt die Gefährdungslage an, so muss gleichzeitig die Bereitschaft zunehmen, Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um die Gefahr abzuwenden.
Bezogen auf die zivile Selbstverteidigung vertrat Cooper die Ansicht, dass dazu ein gesundes Umgebungsbewusstsein notwendig ist. Damit ist die Fähigkeit gemeint, seine Umgebung bewusst wahrzunehmen, um Situationen mit Gefahrenpotential zu erkennen und auch einschätzen zu können. Wird eine mögliche Gefahrensituation erkannt, muss die Bereitschaft gegeben sein, die Schritte zu unternehmen, die notwendig sind, um aus dieser gefährlichen Situation zu entkommen: sei es zu flüchten, sich zu verstecken oder zu kämpfen.
Cooper entwickelte einen Farbcode, um den Status der EIGENEN Aufmerksamkeit abzubilden:
Weiß
Sie schenken Ihrer Umgebung keine Aufmerksamkeit, da Sie eine Gefährdung ausschließen. Bei einer möglichen Attacke sind Sie daher völlig unvorbereitet und werden überrascht.
Die heutige Technikhörigkeit oder auch -abhängigkeit führt dazu, dass sich Menschen vollkommen von ihrer Umgebung abschotten. Als Beispiel sei hier das Smartphone genannt. Menschen laufen durch die Gegend und hören Musik. Dazu verwenden sie die modernsten Kopfhörer, die die Umgebungsgeräusche unterdrücken und für sie somit ausblenden. Gleichzeitig schreiben sie in den sozialen Medien oder „zocken“ ihre Lieblingsspiele. Mit gesenktem Blick und der Aufmerksamkeit auf dem Display wird die Straßenbahn nicht bemerkt, die direkt auf Kollisionskurs ist, weil das Display so viel Spannendes zu bieten hat. Das Gehör wird derweil von Musik eingelullt und ist nicht in der Lage, die aufheulende Sirene der Straßenbahn zu erfassen und zu melden, da es beschäftigt ist, die Musik zu erfassen.
Selbst eine Plauderei mit einem Bekannten oder das Tippen einer SMS führt zu einer geringeren Achtsamkeit. In Folge dieser Ablenkung werden potentielle Gefahren zu spät oder im schlechtesten Fall überhaupt nicht bemerkt. Das Ergebnis kann glimpflich, nämlich verletzungsfrei, ausgehen oder zu schwersten Verletzungen oder gar zum Tod führen.
Vielleicht klingt es in Ihren Ohren so, dass das Gefahrenpotential aufgebauscht und das Risiko übertrieben dargestellt wird. Dennoch: Eine kaum vorhandene Aufmerksamkeit gegenüber dem unmittelbaren Umfeld kann dazu führen, dass sich der Betroffene scheinbar urplötzlich in einer Situation wiederfindet, die er nicht erwartet hatte. Dass dies immer wieder vorkommt, belegen Aussagen von Opfern. So war der oder die Täter „plötzlich da“. Es klingt, als ob die Situation überfallartig entstanden ist.
Bei sich zu Hause, wenn Sie in der gewohnten und sicheren Umgebung sind, dürfen Sie im Status weiß verweilen.
Gelb
Sind Sie außerhalb der Wohnung, also jenseits Ihrer gewohnten, sicheren Umgebung, sollten Sie Ihre Aufmerksamkeit anpassen und erhöhen. Da keine Bedrohung vorliegt, befinden Sie sich in einem aufmerksamen und zugleich entspannten Zustand.
Die Umgebung wird aufmerksam ohne Panik wahrgenommen. Man ist sich bewusst, dass heute der Tag sein könnte, an dem man sich verteidigen muss. Mit dieser entspannten Grundwahrnehmung wird die Umgebung aufmerksam „gescannt“. Es werden fortlaufend Informationen aufgenommen, was um einen herum geschieht.
Potentielle Angreifer haben es dadurch deutlich schwerer, Sie zu überrumpeln. Bevor es die technischen Ablenkungsmöglichkeiten wie bspw. Smartphones gab, befanden sich viele Menschen in dieser Aufmerksamkeitsstufe.
In der entspannten Grundwahrnehmung nehmen Sie mit erhobenem Kopf alles wahr. D. h., dass Sie aufmerksam bleiben und nicht mit abgesenktem Kopf (bspw. mit dem permanenten Blick auf das Smartphone gerichtet) durch die Gegend laufen. Auch bei einer Unterhaltung mit einem Bekannten behalten Sie Ihre Umgebungsaufmerksamkeit bei. Dadurch bemerken Sie frühzeitig Fahrzeuge und/oder Personen, die auf Sie zukommen.
In dieser gelben Phase bemerken Sie sofort, wenn eine Person ein verdächtiges Interesse an Ihnen zeigt. Sie haben die Zeit, um entsprechend zu reagieren bzw. Zeit zu überlegen, wie Sie reagieren können. Eine Option könnte sein, dass Sie bspw. die Straßenseite wechseln, Ihre Richtung ändern oder um Hilfe rufen.
Die Wahrscheinlichkeit vom Zustand gelb in rot zu kommen, ist geringer, da Sie kein leicht verfügbares Opfer sind. Täter suchen in der Regel Opfer, keine Gegner.
Aus einer gesunden Aufmerksamkeit sollte jedoch keine Paranoia werden, bei der Sie hinter jeder Ecke eine Gefahr oder einen Täter sehen! Es geht um eine geschärfte Wahrnehmung, vergleichbar wie beim Autofahren. Auch hier achten Sie auf den Verkehr, halten Abstand zum Vordermann, um im Ernstfall genügend Zeit für eine Vollbremsung zu haben oder haben eine natürliche Bereitschaft, dass die Grünphase einer Ampel endet und Sie anhalten müssen.
Orange
Ihre Wachsamkeit ist erhöht. Sie nehmen eine mögliche, spezifische Bedrohung wahr, von der eine Gefahr ausgehen könnte. Eine Person ist möglicherweise verdächtig gekleidet (sie trägt einen Wintermantel bei sommerlichen, heißen Temperaturen). Sie sehen eine Gruppe betrunkener Männer, Sie bemerken einen lautstarken Streit, sehen Gewalttätigkeiten, Sie sehen Rauch oder etwas anderes weicht von der Normalität ab. Irgendetwas ist nicht in Ordnung und lässt ihre inneren Alarmglocken läuten.
Sie bereiten sich gedanklich auf zwei Szenarien vor. Bei der ersten Variante prüfen Sie, welche Fluchtmöglichkeiten es gibt. Sind Notausgänge in der Nähe? Wo befinden sich Feuerlöscher? Auf welchem Weg kann man die Örtlichkeit schnell verlassen? Wo gibt es Fluchtchancen? Gibt es ggf. Deckungs- und/oder Versteckmöglichkeiten, damit man nicht im Fadenkreuz des Täters ist?
Bei der zweiten Variante bereiten Sie sich auf eine eventuelle Konfrontation vor, da eine Flucht nicht möglich oder ein Versteck nicht vorhanden ist. Welche Möglichkeiten zur Verteidigung bzw. welche Hilfsmittel stehen zur Verfügung? Haben Sie einen Tactical Pen7, ein Pfefferspray oder eine Taschenlampe oder ein anderes Hilfsmittel griffbereit zur Hand? Können Gegenstände, die sich in der Nähe befinden als Selbstverteidigungsmittel verwenden lassen? Welcher Gegenstand bietet sich hierzu an?
Legen Sie Ihr Buch zur Seite. Schauen Sie sich um. Was sehen Sie? Was bietet sich an? Ich sitze an einem Schreibtisch. Hier liegt eine Schere, ein Kugelschreiber als Alternative zum Tactical Pen, ein Tacker, eine Tastatur, die Maus, das Computerkabel, eine Zeitschrift und Bücher. Alle diese Gegenstände lassen sich nutzen. Wenn Sie unterwegs sind, können Sie andere Gegenstände verwenden. Regenschirm, Handtasche, Stein, Stock o. a. Sie können so tun, als ob Sie sich die Schuhe binden. Ihr eigentliches Ziel ist es, Dreck oder Sand aufzuheben, um diesen werfen zu können.
Beobachten Sie die Situation und die Umgebung weiter, wägen Sie ab, wann und wie Sie den Ort des Geschehens verlassen können bzw. müssen. Zeitgleich legen Sie fest, wann die Grenze erreicht ist, ab der Sie handeln und Ihren Plan mit den drei einzigen Optionen (Flucht, Verstecken oder aktive Verteidigung) umsetzen müssen.
Wenn Sie bspw. das Gefühl haben, verfolgt zu werden, wäre eine mögliche Handlungsalternative, ein belebtes Geschäft oder Lokal zu betreten. Das könnte bspw. eine angemessene Reaktion sein, um einen möglichen Angreifer zu verwirren oder abzuschrecken.
Sollten Sie sich geirrt haben und die Situation bereinigt sich, betrachten Sie es als erfolgreiche Übung und schalten Sie wieder in den Zustand „gelb“ zurück. Zweifeln Sie nicht an sich oder lassen Sie sich einreden, Sie wären hysterisch. Nutzen wir erneut das Beispiel vom Autofahren. Sie sind an einer unübersichtlichen und gefährlichen Kreuzung oder Einmündung langsam vorbeigefahren, weil es hier besonders häufig „kracht“. Dieses Mal ist nichts passiert, weil alle vorsichtig waren. Das heißt aber nicht, dass beim nächsten Mal auch wieder alle vorsichtig fahren.
In dieser Stufe des Cooper-Farbcodes geht es darum, dass wir agieren und selbst aktiv sind. Wir nehmen also das Heft des Handelns selbst in die Hand. Somit lassen wir uns nicht in eine abwartende, passive Position bringen, in der wir nur noch reagieren können. Aktion geht vor Reaktion!
Rot
Während im Zustand Orange noch ausgelotet wurde, ab wann die Grenze überschritten ist, um reagieren zu müssen, ist jetzt der Augenblick des Handelns gekommen. Ein Bedrohungsszenario steht unmittelbar davor, Wirklichkeit zu werden bzw. ein potentieller Angriff wird erkannt und die Bereitschaft zum Kampf ist vorhanden, da Sie sich durch Ihre Aufmerksamkeit mental auf die Situation einstellen konnten und sich einen Plan zurechtgelegt haben. „Wenn X passiert, dann schlage auf folgende Körperpartie“ oder „[…] sprühe ich dem Angreifer mit dem Pfefferspray in die Augen“ oder „nehme ich folgenden Fluchtweg“.
Wie auch immer die der Phase „Orange“ ausgedachte Strategie aussieht, jetzt ist es Zeit, diese umzusetzen.
Der entscheidende Punkt ist, dass die Bereitschaft vorhanden ist, sich bei einem körperlichen Angriff konsequent zu wehren und schnell und hart zurückzuschlagen! Es gilt keine Zeit zu verlieren, sobald eine Flucht nicht mehr möglich ist.
Schwarz
Der Kampf ist vorüber oder die Flucht ist geglückt. Sobald Sie sich in sicherer Entfernung oder an einem sicheren Ort befinden, ist es notwendig, sich auf die eigene Unversehrtheit hin zu prüfen. Hierzu tastet man seinen Körper auf etwaige Verletzungen ab.
Dies mag im ersten Moment lächerlich erscheinen. Doch in Gefahrensituationen schüttet der Körper vermehrt Adrenalin in den Blutkreislauf aus, was zu einer Steigerung der Herzfrequenz aber auch zu einer Hemmung des Schmerzempfindens führt. Gleichzeitig verengen sich die Blutgefäße, so dass der Blutdruck ansteigt, die Sauerstoffversorgung u. a. für die Muskulatur wird erhöht, Energiereserven werden mobilisiert. All diese körpereigenen Reaktionen bewirken, dass Körperverletzungen nicht sofort bemerkt werden. Erst mit dem Abbau von Adrenalin werden Schmerzen und/oder Verletzungen bemerkt. Bis dahin kann der Körper eine Menge Blut verloren haben und die eigene Handlungsfähigkeit, um bspw. den Notarzt zu rufen, eingeschränkt oder nicht mehr vorhanden sein.
Handlungsoptionen
„Jeder nicht geführte Kampf,
ist ein gewonnener Kampf.“
unbekannt
Als Handlungsoption werden verschiedene Wahlmöglichkeiten verstanden. Damit ist gemeint, dass im Extremfall zumindest eine der nachstehenden Maßnahmen ergriffen werden kann. Diese sind:
• Flucht
• Verstecken
• Kampf / Aktive Verteidigung
Damit diese Optionen zur Verfügung stehen, ist es notwendig, dass wir uns die Umgebungsaufmerksamkeit aneignen. Denn nur dann haben wir auch die Möglichkeit, die Wahl zu treffen, ob wir die Flucht ergreifen, uns verstecken oder kämpfen wollen. Grundsätzlich sollte unsere erste Wahlmöglichkeit immer die Flucht sein. Diese Option stellt i. d. R. die beste Wahl der oben aufgelisteten Handlungsoptionen dar. Denn es gilt, dass jeder Kampf, der nicht geführt wird, ein gewonnener Kampf ist! Und zwar auf körperlicher (bezogen auf die eigene körperliche Unversehrtheit) als auch auf juristischer Ebene.
In Anlehnung an das Cooper-Farbmodell besteht die Möglichkeit, die sich aufbauende Situation von außen zu betrachten. Währenddessen ist es ratsam, sich mögliche Strategien zu überlegen. Wird eine selbstdefinierte Grenze erreicht oder überschritten, gilt es den potentiellen Fluchtplan umzusetzen.
So erzählte bspw. ein Teilnehmer eines Selbstverteidigungskurses, nennen wir ihn Michael, von folgender Begebenheit:
Michael war an einem Frühlingsabend mit seiner Partnerin auf dem Weg zu seinem PKW. Es war bereits ein wenig dämmrig, als zwei junge Erwachsene auf der gleichen Straßenseite an ihnen vorbeigingen. Nach ca. zehn bis zwanzig Metern drehten beide plötzlich um und folgten ihnen.
Michael war unsicher, ob die plötzliche Kehrtwende dem Zufall geschuldet war oder sie als potentielles Opfer ausgesucht worden waren. Um der Ursache auf den Grund zu gehen und um die beiden Personen im Blick zu haben, tat er so, als hätten sich die Schnürsenkel seiner Schuhe geöffnet. Er nahm deshalb die Partnerin zur Seite und widmete sich ausgiebig den Schürsenkel mit der Absicht, die beiden Männer vorbeigehen zu lassen.
Übrigens, er hatte überhaupt keine Schnürschuhe an. Das übergeordnete Ziel war es, dass die beiden Männer vor ihnen laufen. So hatte er sie im Blick, konnte den Abstand zu ihnen variieren, die Richtung wechseln. Dies tat er auch und änderte bei der nächsten Gelegenheit die Route zum eigenen Fahrzeug.
Michael beobachtete die Situation und überlegte, wie er aus der möglichen Bedrohungslage entziehen konnte. Gleichzeitig wollte er möglichst in Bewegung bleiben, um schnellstens aus dem Fadenkreuz des potentiellen Angreifers zu verschwinden.
Nehmen wir an, Sie werden tatsächlich verfolgt, so ist es unbedingt notwendig, sich nicht in eine statische Situation zu begeben. Das Verharren in einer Position oder an einem Ort macht es für den Angreifer leichter, das Opfer auszurechnen. Aus diesem Grund ist es wichtig, in Bewegung zu bleiben. Eine „Fluchtvariante“ wäre, sich an einen belebten Ort wie eine Einkaufspassage, Markthalle oder Fußgängerzone zu begeben, um dann zu versuchen, in der Menschenmasse unterzutauchen und zu flüchten. Frauen, die gestalkt oder bedroht werden, wird empfohlen, in eine Gaststätte zu gehen und nach Hilfe zu fragen.8
Selbstredend müssen unsere Optionen der jeweiligen Situation angepasst sein. Es macht beispielsweise wenig Sinn, einen mit einer Schusswaffe bewaffneten Täter oder gar einen Amokläufer anzugreifen. Hier ist es sinnvoller, die zweite Variante zu wählen. Versteck suchen und in diesem das Mobiltelefon auf lautlos und den Vibrationsmodus auf „aus“ stellen. Ergibt sich eine gute Fluchtchance, sollte sich die bietende Gelegenheit genutzt werden.
Erst wenn die ersten beiden Optionen, Flucht und Verstecken, nicht (mehr) gegeben sind, sollte über einen Kampf bzw. einen Angriff nachgedacht werden. Dieser Angriffsplan steht dabei im Zusammenhang mit der jeweiligen Handlung des Täters. Bei einem bewaffneten Raubüberfall bei dem erkennbar ist, dass es dem Täter „nur“ um Wertgegenstände geht, das eigene Leben aber sonst nicht gefährdet ist, wäre es äußerst riskant, sich mit dem Angreifer anzulegen. Anders sieht es aus, wenn das eigene Leben (bspw. durch eine Amoktat) bedroht ist.
6 https://de.wikipedia.org/wiki/Eigensicherung, 10.10.2021.
7 Der Tactical Pen ist ein Hilfsmittel zur Selbstverteidigung und wird im weiteren Verlauf des Ratgebers erklärt.
8 „Ist Luisa hier?“ – https://luisa-ist-hier.de, Stand: 10.10.2021.