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Körperlos

Im Tourleben geraten Geist und Seele zwar in Sondersituationen und werden hart auf die Probe gestellt, aber dadurch sehr gut trainiert. Wenn man den Sondersituationen in Dankbarkeit begegnet, kann mit Wachstum gerechnet werden! Leidtragend ist nur die Hülle.

Mein Verstand sagt, dass ich mich auch hier mal kümmern müsste, und so bin ich seit fünf Jahren zahlendes Mitglied eines Sportvereins. Leider gebricht es mir an Zeit für die aktive Mitgliedschaft! Wenn ich mal zu Hause bin, müssen Berge von E-Mails abgearbeitet, Fensterbriefe geöffnet, Steuerbelege abgeheftet, Rechnungen gestellt und bezahlt werden. Und ich muss schreiben: Kolumnen, Briefe, Pläne, Konzepte, Programme, Texte, Lieder. Aber auch bei der Schreibtischarbeit fühle ich mich eigentlich noch recht fit. Erst wenn ich vom Geiste her loslasse, in den kostbaren Momenten, in denen ich nur noch die Liebste bewundern und mich an Kind und Natur erfreuen will, verlässt mich regelmäßig der Körper.

Ab Juli bin ich immer an der Ostsee zugange, an ein paar freien Tagen stoßen diesmal meine Lebensgefährtin Johanna und die Kinder dazu. Meine große Tochter Rubini ist ebenfalls dabei, mit Sveni, ihrem langjährigen Freund. Mein Herz jubiliert – mein Körper kapituliert –, ich bin in der Mitte durchgebrochen! Trotz Rubinis physiotherapeutischen Talenten, die sie mir in hohem Maße angedeihen lässt, setze ich den Kinderwagen meines kleinen Sohns Ludwig fortan als Rollator ein.

Johanna, Rubi und Sven müssen leider nach drei Tagen schon wieder zurück nach Berlin, folglich miete ich noch für ein paar Tage die Wohnung einer befreundeten Warnemünder Sängerin an. Also mit Egon (13), Mimi (9) und Ludwig (2), schon genanntem Kinderwagenrollator und ganz viel Gepäck. Die Wohnung ist ein malerisches Kleinod, aber leider nicht im Ansatz für Kinder konzipiert. Künstlerische Installationen, Glas, Porzellan, Perlenketten, sensible Pflanzen und Bilder in Bodennähe. Mimi Langstrumpf hechtet sofort ins weiße Polstermobiliar, während Ludwig alle greifbaren Installationen neugestaltet. Ich spüre, dass mich nach dem Körper nun auch noch die Nerven verlassen wollen.

Raus, an den Strand! Die vierhundert Meter sind mit der erwähnten Gehhilfe noch ganz gut zu bewältigen. Auf dem Holzweg, der vom Hotel Neptun bis ans Wasser führt, ramme ich mir einen großen Span senkrecht in die Ferse. Er lässt sich leider nicht vollständig entfernen. Es ist Sonntagabend, also keine Chance auf einen praktizierenden Arzt vor Ort – ich muss selbst Hand anlegen! Mit einem Fingernagelknipser entferne ich obere und tiefer liegende Hautschichten. So gelingt es mir nach einiger Zeit tatsächlich, den Splitter heraus zu hebeln. Es blutet stark, ich stöhne und ächze – die Kinder lachen.

Ab ins Bett! Installationskünstler Ludwig in die Mitte, wir gucken jetzt ein Video! Ich entdecke in der DVD-Sammlung meiner Kollegin etwas mit Will Smith. Ja, der ist doch immer so schön lustig – das ist jetzt genau das Richtige, leichte Unterhaltung für die ganze Familie! »Das Streben nach Glück« heißt der Film. Wenn ihr mal nicht so ganz auf der Höhe seid, solltet Ihr Euch den nicht unbedingt angucken. Ich habe jedenfalls fast geweint.

Ja, manchmal bin ich kurz davor. Ich denke: »Gleich passiert’s!«, aber dann ist es wieder weg. Ich kann nicht heulen! Da ist irgendwas verklemmt oder verstopft. Mein Herz sendet Signale, ich merke noch, wie die Lawine so schön ins Rollen kommt, und plötzlich … ich weiß nicht, grätscht mir der Kopf dazwischen … jedenfalls fließt es nicht. Seit etwa acht Jahren geht das schon so. Da hat sich richtig was angestaut – fünfzehn Kilo habe ich zugenommen! Wenn die Dämme mal brechen, werde ich wohl mindestens eine Woche durchheulen müssen! Mal im Ernst, wo sammeln sich eigentlich die ganzen Tränen? Im Kopf?

Ich kann gelegentlich keinen klaren Gedanken mehr fassen, alles ist ineinander verknotet. Nachts löse ich Probleme, die es gar nicht gibt. Ständig ist da irgendwas am Ackern – ich finde keinen Schlaf, wenn ich nicht mindestens eine Flasche Rotwein intus habe. Also ziehe ich mir meistens mindestens eine rein!

Mal janz ehrlich, Chef, ick mach mir langsam echt Sorgen um unsere jemeinsame Hülle. Live fast, love hard, die young? Dit is zu spät, Alter! Jetz ham wir unsern Film bis hierher jeschoben, nun wollen wir uns noch den Rest ankieken, okay?! Ab jetz wird mal kurz der Schongang einjelegt: Love & Peace! Ab und zu mal ’n liebevoller Gedanke im Rückspiegel, aber gloob mir: Dit große Jefühl liegt noch vor uns!

Herzkasper

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