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Almosen

In der Neuköllner Oper zu Berlin wurde das Musiktheaterstück »Affe« nun in zweiter Serie gespielt. Wieder waren die Vorstellungen ausverkauft. Der Blitzerfolg des neuen Bühnenwerkes ist vor allem der Musik zuzuschreiben, denn es handelt sich um die Songs des Überfliegeralbums »Stadtaffe« von Peter Fox. Dennoch ist es hier wirklich gelungen, den Liedern eine qualitativ gleichrangige Geschichte zu unterlegen. Der Kontrollfreak Peter Fox hat bei der Erarbeitung persönlich mitgemischt.

Eine der sechs Hauptrollen spielt, singt und tanzt meine Tochter Rubini, das Stück scheint ihr auf den Leib geschneidert. Ich bin stolz auf das Kind, denn es erfüllt meine kühnsten Träume. Und vertreibt meine dunklen Albträume. Ich war zwar erfreut, als Rubini einen der begehrten Studienplätze an der Berliner Universität der Künste im Fach Musical erhielt, aber ich hatte natürlich auch arge Zweifel ob dieser Berufswahl.

Das sage ich jetzt mal ganz unter uns, auch wenn ich bisher ausgiebig mit der Vortrefflichkeit des Künstlerdaseins kokettierte. Die meisten ausgebildeten Künstler sind letztendlich auf Unterstützung des staatlichen Sozialsystems oder eines privaten Mäzens angewiesen. Rubini lehnt beides kategorisch ab. Sofort mit Beendigung ihres Studiums entbindet sie mich von jedweder Unterhaltspflicht und legt tatsächlich los. In den letzten drei Jahren sah ich sie in drei verschiedenen Inszenierungen des »kleinen Horrorladens«, bei »Jesus Christ Superstar«, in »Hairspray« und den beiden Auflagen des schon erwähnten Affenspektakels.

Das Leben eines Musicaldarstellers ist kein Zuckerschlecken. Die ständigen Auditions können eine unvorstellbare Zumutung sein. Es ist ein zynisches Business. Für die wenigen ausgeschriebenen Rollen stehen Hunderte Bewerber auf der Matte. Schauspieler, Sänger und Tänzer aus aller Welt reisen auf eigene Kosten an und hoffen auf den Lottogewinn, auf die geringe Chance, tatsächlich eine der Rollen zu ergattern, die vom jeweiligen Regisseur doch insgeheim längst mit den persönlichen Lieblingen oder vom Intendanten mit den publikumswirksamen Stars und Sternchen besetzt sind. Heerscharen von studierten Künstlern sitzen dauerhaft auf Hartz IV und träumen davon, sich irgendwann ins Bild zu bringen. Die wenigen, die hin und wieder zum Zuge kommen, melden sich zwischen ihren Erfolgen meist arbeitslos.

Doch nicht mal dieses Privileg nimmt mein großes Getöcht in Anspruch. Sie jobbt in Zeiten der Flaute als Garderobiere, Sushiverkäuferin, Komparsin und Backgroundsängerin im Pop- und Rockbereich. Ihr Freund Sven ist ebenfalls ein recht erfolgreicher Musicaldarsteller und lehnt es wie meine Tochter ab, Almosen vom Staat zu beanspruchen. So lassen sie sich gemeinsam etwas anderes einfallen: Als leidenschaftliche Pokemonjäger haben sie gerade selbstentworfene T-Shirts in ihrer Pokemonjägerfacebookgruppe zum Kauf angeboten. Das brachte aber die »hauptberuflichen« Nerds auf die Palme, und ein Shitstorm brach über meine armen Kinder herein. Ja, Rubi und Sven waren echt betroffen, als sie mir davon erzählten.

Ick gloob, mir flimmert gleich der Vorhof, dit kann ja so ’n einfaches Herz wie ick jar nich mehr verarbeiten! Ein Glück, dass wir uns hier mal ’n bisschen zur Ader lassen können. In Buchdeckel gebundene Psychotherapie sozusagen. Egozentrik de luxe. Sind wirklich alle Musiker so derartige Freaks?

Nein, mein Herz – nur die Sänger und Sängerinnen! Aber die anderen Künstler und Kunstschaffenden sind auch speziell. Es kommt immer darauf an, welches Instrument gespielt wird. Nicht jeder kann alles spielen. Man muss ganz bestimmte körperliche und charakterliche Voraussetzungen mitbringen, um ein Instrument meisterlich zu beherrschen. Ein männlicher Sänger muss, wie wir ja schon festgestellt haben, über ein gewisses Maß an Egozentrik verfügen. Meistens ist er von kleinem Wuchs, und sein Ehrgeiz ist von Rachegelüsten gespeist, weil er in der Schule gemobbt wurde. Ich bin mittelgroß, knapp über eins achtzig. Jetzt wisst ihr auch, warum es bei mir nicht zur Weltkarriere gereicht hat!

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