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Zirkus Zöllner

Im Januar 1985 hatte ich meinen ersten bezahlten Auftritt. Im Friedrichfelder Eck, einem Berliner Neubauclub, in der Nähe des Tierparks Berlin. Über ein Jahr haben wir im Vorfeld auf diesen Tag hingearbeitet. Meine Band hieß Chicorée, und ich war mit zweiundzwanzig Jahren der Älteste. Achim, unser Trommler, ging noch in die Schule. Bei den Proben, die in seinem Kinderzimmer stattfanden, war immer der Großteil seiner Klasse dabei. So war unser erster Auftritt auch gleich ein großer Erfolg, denn wir hatten schon Fans.

Das Glück war uns weiterhin hold, denn just an diesem Tage war ein kleiner, pfiffiger Typ im Publikum, der uns fortan auf jedes Podest stellte, das er finden konnte. Manchmal fühlte sich das gar nicht so schön an, aber es war tausendmal besser, als jeden Tag in dieses gruselige Betonwerk zu gehen. Ich hatte in Ermangelung von Ideen und Möglichkeiten eine Ausbildung zum Betonwerker absolviert, die einzige Lehrstelle genommen, die derzeit noch im Angebot war. Planwirtschaft.

Jetzt auf dem freien Markt kann man natürlich alles lernen oder studieren, so dass es ein verheerendes Überangebot an ausgebildeten Sängern, Tänzern und Schauspielern gibt. Ich habe das meinen Kindern immer vor Augen gehalten, aber Rubini hat die väterlichen Bedenken ignoriert und es tatsächlich geschafft, ebenfalls von der Kunst zu überleben. Gerade hatte sie eine Hauptrolle, war Mogli im Kindermusical »Das Dschungelbuch«. Egon tanzt schon seit Jahren in den Kinder- und Jugendrevuen des Friedrichstadtpalastes, derzeit im »Labyrinth der Bücher«. Auffällig gut. Er will mit allen Sinnen auf die Bühne, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es ihm gelingen wird. Ich glaube, er hat nie etwas anderes im Sinn gehabt. Für ihn gibt es keinen Plan B.

Bei Mimi ist es anders, sie ist ganz Kind und allseitig interessiert. Vor allem an ihren großen Geschwistern, aber auch am kleinen Ludwig. Sie ist in einem Segelverein, in einem Karateclub, spielt Hockey, liest und malt – lediglich am Dienstag besucht sie, seit drei Jahren, den Klavierunterricht. Sie macht das gern, ist aber nicht besonders ehrgeizig.

Zum Jahresende nahm sie an einem Schulkonzert teil. Ich war auch unter den Zuschauern, habe fast drei Stunden lang gelitten. Vierzig Programmpunkte – gruselig! Zwei oder drei Ausnahmen bestätigten die Regel. Die Mütter und Großeltern überschütteten ihre Wunderkinder mit stehenden Ovationen, während ich mich mit anderen Vätern zur Energieregenerierung immer wieder vor den Toren der Schule traf – und bei der Gelegenheit leider auch gleich wieder mit dem Rauchen anfing.

Wie sah mein Engelchen dann aber süß aus! Mit ihrem weißem Plüschpullover, dem Paillettenröckchen und dem Weihnachtsstern im Haar. Am Ende hat sie sich entzückend vortrefflich verbeugt!

Es ist die Aufgabe der Männer, die Nachkommenschaft auf den Ernst des Lebens vorzubereiten. Ich habe ihr als liebender Vater sagen müssen, was ich von der musikalischen Darbietung halte. Jetzt tut mir das Herz so weh!

Ja, dit tu ick, und dit haste verdient! Jibt doch noch andre Berufe, muss ja nicht jeder in Papis Latschen rumloofen! Bei Rubi und Egon seh ick dit ja vielleicht noch ein, die kriegen ja keen Nagel in die Wand. Ick meine jetzt, ohne der Umwelt oder sich größere Schäden zuzufügen! Aber Mimi gehört zu den höheren Töchtern, die wird mal watt Ordentlichet: vielleicht Verkäuferin oder Mathematiklehrerin. Oder Olympiasiegerin. Schwimmen oder Boxen. Ärztin, Rechtsanwältin, Polizistin!

Das stimmt. Sie kann wirklich unglaublich gut rechnen. Und sie liest Bücher. Vielleicht kann sie ja bei uns die Buchhaltung übernehmen! Aber sie ist auch unglaublich quirlig. Ich hoffe ja immer noch darauf, dass sie Schlagzeugerin wird. Ich träume doch davon, irgendwann nur noch mit meinen Kindern auf der Bühne zu stehen. So’n bisschen nach Vorbild der Familie Kelly. Der Zirkus Zöllner!

Herzkasper

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