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Kapitel II - Schießübungen

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Schweigend folgte die Gruppe ihrer Anführerin. Sandra ging an der Ortsgrenze von Königsdorf entlang Richtung Süden. Dabei bedeutete sie ihnen ab und zu stehenzubleiben. Sandra huschte dann flink in eines der Häuser, nur um kurz darauf wieder mit grimmiger Miene und einem Kopfschütteln aufzutauchen.

Diese Vorgehensweise ließ sie nur relativ langsam vorankommen. Die Sonne kletterte nach und nach höher am Himmel. Das Versprechen, es würde ein schöner Tag werden, schien sich zu erfüllen – zumindest was das Wetter anging.

Sie hat wieder nichts gefunden, erklangen Toms Gedanken in Martins Kopf. Ich kann ganz deutlich spüren, dass sie hofft, in einem der Häuser noch etwas Essbares aufzutreiben.

Schicksalsergeben verdrehte Martin die Augen. Er konnte sich immer noch nicht an diese stille Art der Verständigung gewöhnen. Für die Kinder schien es jedoch so selbstverständlich zu sein, dass sie schon gar nicht mehr darüber nachdachten. Er hatte sie zwar gebeten, es zu lassen, aber eigentlich war es egal, solange nur Patrick und vor allem Sandra nichts davon mitbekamen.

Martin war sich immer noch nicht sicher, wie sie darauf reagieren würde. Auf der einen Seite sorgte sie sich zwar um das Wohl der Kinder, auf der anderen schien sie aber auch nicht sehr zögerlich zu sein sein, wenn es darum ging, sich Dingen zu entledigen, die ihr hinderlich erschienen.

Ich frage mich sowieso, warum sie hier sucht. Martin hatte sich einen Ruck gegeben und antwortete auf dem gleichen Weg. Ich fände es sinnvoller, in einem der Restaurants oder Geschäfte in Königsdorf nachzusehen, ob es dort noch etwas brauchbares gibt. Stattdessen gehen wir langsam aber sicher in Richtung Autobahn.

Ich frage sie.

Noch bevor Martin reagieren konnte, hatte sich Tom aus der Gruppe gelöst und mit ein paar schnellen Schritten zu Sandra aufgeschlossen.

»Was willst du?« Sandras Stimme klang nicht sehr erfreut darüber, dass der Junge den bescheidenen Schutz, den ihm die Gruppe bot, verlassen hatte. »Du siehst doch, dass ich noch nichts gefunden habe.«

»Ja, sehe ich.« Tom nickte bedächtig, was so gar nicht zu dem passen wollte, wie sich ein Dreizehnjähriger normalerweise in einer solchen Situation verhielt. »Ich denke, dass du einen Grund dafür hast, nicht in Königsdorf selbst nach Vorräten zu suchen, sondern in Richtung der A4 zu gehen. Und sag mir nicht, es sei wegen der Zombies.«

»Du bist ein kluges Kerlchen. Also streng deinen Kopf noch ein bisschen mehr an und sag mir, was wir mindestens so dringend brauchen wie Essen, um die ganze Scheiße hier einigermaßen heil zu überstehen.«

Tom musste nicht nachdenken, denn er wusste die Antwort ebenso gut wie jeder andere in der Gruppe. »Waffen und Munition natürlich. Patricks Morgenstern mag zwar beeindruckend aussehen, aber wirklich effektiv ist er nicht. Ein paar zusätzliche Schusswaffen wären daher sicher kein Fehler.«

»Siehst du, du bist in der Tat ein kluges Kerlchen«. Sandra grinste, wurde aber sofort wieder ernst. »Weißt du denn auch, was südlich von Königsdorf in der Nähe der Autobahn ist?«

»Nein, ich war hier noch nie.«

Mir einem Mal wallten die Erinnerungen wieder in Sandra hoch. Im Gegensatz zu Tom war sie schon einige Male hier gewesen, zusammen mit ihrem Vater. Damals hatte er sie noch nicht so oft verprügelt, dafür später umso mehr. Manchmal vermeinte sie auch heute noch, die Schläge förmlich zu spüren. Und sie war jedes Mal froh gewesen, noch am Leben zu sein, wenn es vorüber gewesen war.

»Dann lernst du heute also etwas dazu«, sagte sie schärfer als beabsichtigt. »Und jetzt geh zu den anderen zurück und stör mich nicht länger!«

Sandra drehte sich abrupt um und stapfte weiter die Straße entlang. Tom sah ihr ein wenig verdattert hinterher.

»Ich wollte dich warnen«, raunte Martins Stimme neben seinem Ohr. »Aber du warst zu schnell. Lass Sandra besser in Ruhe.«

Der junge Mann war geräuschlos herangekommen und legte nun seine Hand auf Toms Schulter.

Der schaute ihn an und grinste. »Ach, es ist schon gut. Immerhin weiß ich jetzt, warum wir diesen Weg hier nehmen.«

Martin schüttelte unmerklich den Kopf, doch Patrick war ebenfalls nähergekommen und hatte den letzten Satz noch gehört. »Warum denn?«, wollte er prompt wissen. »Was hat dir Sandra erzählt?«

»Sie hofft, in der Nähe der Autobahn weitere Waffen zu finden.«

»Es wäre sicher kein Fehler, wenn wir mehr davon hätten, denn der Herr hält seine Hand auch über die Wehrhaften. Also sollten wir uns beeilen, den Anschluss nicht zu verlieren.«

Er nickte den anderen zu, und die Gruppe nahm wieder ihre »Marschordnung« ein. Die beiden Männer sicherten die Flanken, die Kinder gingen in der Mitte.

Es gibt dort ein Schützenhaus, meldete sich Tom unhörbar bei Martin. Ich habe es in ihren Gedanken gesehen. In Erinnerungen an eine bessere Zeit.

Du kannst ihre Gedanken lesen?!? Martin war so verblüfft, dass er die Frage beinahe laut ausgesprochen hätte.

Nur wenn sie schreien, so wie vorhin. Sie sind dann so laut, dass man sie gar nicht überhören kann.

*

Das Knallen mehrerer Schüsse zerriss die Stille des Vormittags. Aus dem Inneren des Hauses tauchte eine Gestalt auf. Sandra!

Es knallte zwei weitere Male, dann war nur noch ein metallisches Klicken zu vernehmen.

»Scheiße!«, brüllte Sandra und zog sich rasch noch ein paar Schritte von dem Gebäude zurück.

In der Haustür erschien eine weitere Gestalt. Die zögerte einen Moment an der Grenze zwischen Licht und Schatten, dann setzte sie sich wieder in Richtung auf die junge Frau in Bewegung.

Ein neuerlicher Knall ertönte, und der Kopf des Zombies zerplatze wie eine überreife Melone. Sandra hatte in Windeseile das Magazin gewechselt und wischte sich nun angewidert die stinkenden Schleimspritzer aus dem Gesicht.

»Hat er dich überrascht, mein Kind?«, wollte Patrick wissen.

»Nein, hat er nicht. Da drin war ein ganzes Rudel von denen. Fast als ob sie nur darauf gewartet hätten, dass jemand in das Haus geht. Außerdem bin ich nicht Ihr Kind.« Bei den letzten Worten schienen die Augen der jungen Frau eisige Blitze zu verschießen.

»Das … das ist mir nur so herausgerutscht.«

»Denkst du wirklich, dass in einem der Häuser hier noch etwas zu holen ist?«, beteiligte sich nun Martin an dem Gespräch, und Patrick schien ihm für den Themenwechsel dankbar zu sein.

»Es war zumindest einen Versuch wert. Irgendwo in dem Dreckskaff muss es ja schließlich noch was zu futtern geben. Konserven, Eingemachtes, irgendwas. Ich habe einen scheiß Hunger, und ich könnte wetten, dass das keinem von euch anders geht.«

»Vielleicht sollten wir …«

»Ja, ich weiß, was du sagen willst. Im Ortskern suchen, nicht wahr? Stell dir vor, darauf bin ich selbst schon gekommen. Aber zuerst müssen wir zur A4, sonst reißt uns die neue ›Königsdorfer Bürgerwehr‹ den Arsch auf, und zwar mit ihren Zähnen.«

Martin verkniff sich die Frage, was Sandra an der A4 zu finden hoffte. Wenn Tom recht hatte, und es dort ein Schützenhaus gab, dann konnten sie mit ein wenig Glück die eine oder andere großkalibrige Waffe erbeuten. Gasdruckwaffen und Kleinkaliber waren nutzlos, die bauten bei einem Treffer nicht genug Druck im Gewebe auf. Das wusste selbst Martin, obwohl er mit Waffen ansonsten nicht viel am Hut hatte. Aber die Zeiten änderten sich, und es blieb einem nichts anderes übrig, als sich an diese Veränderungen anzupassen, wenn man überleben wollte.

*

Eine gute halbe Stunde später näherte sich die Gruppe einem Hain, in dem wohl das Schützenhaus untergebracht war. Martin nutzte einen Moment, in dem Sandra sich zu den anderen umdrehte, und machte sie durch ein Zeichen auf sich aufmerksam.

»Was willst du?«, flüsterte sie, nachdem sie zu ihm hingegangen war.

»Ich habe nachgedacht.«

»Ach, das kannst du auch?« Sandra hob eine Augenbraue. »Und ganz ohne weißes Pulver?«

»Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt für Sarkasmus.«

»Dann rede endlich!«

»Es ist wegen dem Haus. Das, in dem die Zombies waren. Du hast gesagt, sie hätten dort regelrecht auf jemanden gewartet.«

»Und weiter?«

»Wenn es nun ein Hinterhalt ist?«

»In dem Haus krabbelt nichts mehr. Ich habe dort gründlich aufgeräumt.« Sandra tätschelte ihre Pistole.

»Ich meine das Schützenhaus. Manchmal habe ich den Eindruck, dass nicht alle Zombies doof sind, sondern dass einige von ihnen gezielt handeln oder von jemandem gelenkt werden. Und dieser jemand kann sich denken, dass wir uns hier Waffen beschaffen wollen, was also liegt näher, als hier einen Hinterhalt zu legen?«

»Nun, da ist was dran. Anscheinend bist du ja doch zu etwas zu gebrauchen.«

»Fein.« Martin verdrehte die Augen. »Und was machen wir jetzt?«

»Was wollen wir schon groß machen? Wir sind leise und legen alles um, was sich uns in den Weg stellt. Punkt. Noch Fragen?«

Martin, ich habe Angst. Das war Rosis »Stimme«, wenn er sich nicht täuschte.

Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Martin versuchte, zusammen mit den Worten auch ein Gefühl der Zuversicht zu übermitteln.

»Hallo? Noch jemand zu Hause?« Sandras Stimme machte ihm klar, dass er soeben abwesend gewirkt haben musste.

»Äh, ja, natürlich.«

»Ich will es nicht nochmal sagen müssen«, knurrte sie. »Wenn du zum Problem wirst, dann muss ich es lösen. Also, was ist jetzt? Noch Fragen?«

Martin schüttelte stumm den Kopf.

»Gut. Du bleibst bei den Kindern. Patrick und ich gehen rein und sehen uns um. Wenn in fünf Minuten nicht einer von uns wieder draußen ist, macht ihr, dass ihr von hier verschwindet, und zwar so schnell es geht. Also los!«

*

»Leise« hat sie gesagt, dachte Martin, als die Tür des Schützenhauses mit einem Krachen aus den Angeln flog, und er wusste nicht, ob er belustigt oder eher besorgt sein sollte.

Patrick hatte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen geworfen, und das Holz konnte diesem Ansturm roher Gewalt nichts entgegensetzen. Fast nichts. Vermutlich würde sich an der Schulter des Mannes ein beachtlicher blauer Fleck bilden.

Martin und die Kinder lauschten angespannt auf die Geräusche, die gedämpft zu ihnen drangen. Bislang schien das Haus verlassen zu sein, zumindest waren keine Schüsse oder sonstiger Kampflärm zu hören.

Glaubst du, sie schaffen es? Gabi hatte sich eng an ihren Helden geschmiegt. Wir brauchen dringend noch eine Waffe. Das buchstabiert man W-A-F-F-E.

»Sie schaffen es bestimmt.« Kurz war Martin versucht, dem Mädchen beruhigend über den Kopf zu streicheln, unterließ es dann aber doch lieber. Die Verehrung der Kleinen war ihm unangenehm, und er wollte ihr keine weitere Nahrung geben.

»Ich denke, in dem Haus sind keine Knirscher«, ließ sich Michael vernehmen. »Die, die ich spüren kann, sind weiter weg. Vielleicht auf der Autobahn oder so.«

»Ihr sollt doch nicht über eure Fähigkeiten reden.« Martin klang besorgt.

»Die beiden sind doch im Haus und können uns nicht hören.«

»Aber das kann sich jeden Moment ändern.«

Wie um Martins Worte zu bestätigen, tauchte in diesem Augenblick Sandra im Eingang auf und winkte ihnen zu. »Alles sauber. Los, kommt rein!«

*

»Wer den Herrn fürchtet, der hat eine sichere Festung, und seine Kinder werden auch beschirmt!« Mit diesen Worten empfing Patrick Martin und die Kinder in der kleinen Schankstube des Schützenhauses.

Hier drin schien alles in Ordnung zu sein. Zwar herrschte eine gewisse Unordnung, dennoch war alles intakt, und es schien auch nichts zu fehlen.

Sandra verschwand durch die Tür hinter dem Tresen, nur um kurz darauf mit ein paar blau-roten Päckchen in der Hand wieder aufzutauchen.

»Ich habe Kekse gefunden. Nur trockenes Zeug, aber besser als nichts. Wohl bekomm’s!«

Sandra warf den anderen die Päckchen zu, und riss dann selbst eines davon auf.

»Wenn feder waff im Bauff hat, fau iff naff der Waffenbammer«, erklärte sie mit vollen Backen kauend.

»Nach der was?« Martin war als einziger noch nicht am essen und schaute sie nun erstaunt an.

»Waffenkammer.« Sandra hatte den Keksbrei mit einem kräftigen Schluck Bier hinuntergespült.

Patrick hatte die Kiste hinter dem Tresen entdeckt und sich sogleich eine der Flaschen gekrallt. Sandra hatte nicht lange gezögert und es ihm gleichgetan. Das »flüssige Gold« schien ihr zu munden. Zumindest ließ dass der laute Rülpser erahnen, der soeben aus ihrem Mund kam.

»Wohlsein!« Martin feixte. Insgeheim frage er sich, ob der Pfarrer in diesen Chor einstimmen oder bessere Manieren an den Tag legen würde.

»O tempora, o mores!«, ließ sich dieser auch prompt vernehmen, zwinkerte Martin zu, nahm noch einen kräftigen Schluck und versuchte dann, Sandras Vorlage zu überbieten.

»Das habe ich sogar verstanden«, stelle Martin fest. »Ich habe ebenfalls Asterix gelesen.«

»Und es ist zwischen all dem Staub in Deinem Kopf hängengeblieben?« Sandra sah ihn provozierend an.

»Lass ihn in Ruhe!« Gabi schob sich vor ihren Helden. »Er hat dir nichts getan. Das buchstabiert man G-E-T-A-N.«

»Ach wie süß.« Sandra grinste schief. »Denkst du, ich habe Angst vor dir?«

»Sandra, es reicht!« Die Heiterkeit war mit einem Mal aus Patricks Gesicht verschwunden, und er sah die junge Frau tadelnd an. »Das Mädchen hat recht, Martin hat dir nichts getan.«

»Und wenn schon!«, giftete sie zurück. »Wo wärt ihr denn alle ohne mich, hm? Würdet immer noch in einem Dreckloch kauern und darauf warten, dass ihr gefressen werdet. So sieht es nämlich aus!«

»Das ist der Alkohol. Du weißt nicht, was du redest.«

»Als ob ich noch nie ein Bier getrunken hätte!« Sandra begann merklich zu lallen.

»Das vielleicht schon, aber wohl nicht, nachdem du ein paar Tage lang nichts mehr gegessen hast, oder?«

»Aaaach, scheisssss draufffff! Ihr gönndmich allemaaal!«

Sandra stürzte den Rest der Flasche hinunter und wollte sich eine zweite greifen. Für einen Moment stand sie wankend vor der Bierkiste und stierte sie mit leerem Blick an. Mit einem Mal wurde ihr Körper von einem gewaltigen Schluckauf erschüttert.

»Isch glaub, mirwirdschle …«

Laut »Ullrich!« rufend kotzte Sandra den Inhalt ihres Magens über die Bierkiste, dann sackte sie in die Knie. Mit einem leisen »Scheiße!« kippte sie langsam zur Seite und blieb einfach liegen.

»Was hat sie?«, wollte Rosi, die jüngste in der Gruppe, wissen. »Ist sie krank?«

»Zum Glück sind die Flaschen dicht und lassen sich wieder abwaschen«, murmelte Patrick. Laut sagte er: »Nein, keine Angst, die wird wieder. Sie hat den Alkohol zu schnell auf nüchternen Magen getrunken, und ihr Körper hat ihr gezeigt, was er davon hält. In ein oder zwei Stunden ist sie wieder auf den Beinen.«

*

Während Sandra ihren Rausch ausschlief, suchte Patrick zusammen mit Martin die Waffenkammer. Deren Eingang befand sich unweit des Schießstands und war durch eine stabil wirkende Tür gesichert.

»Einrennen ist wohl nicht«, stellte Martin fest.

»Mit meiner Schulter laufe ich heute gegen keine Türe mehr, soviel ist sicher«, machte Patrick klar. »Aber vielleicht geht es ja auch mit Treten.«

Er hatte das letzte Wort noch nicht zu Ende gesprochen, da krachte sein Stiefel auch schon gegen das Holz der Tür. Diese erzitterte unter der Wucht des Tritts, hielt aber stand.

Es bedurfte zweier weiterer Versuche, bis das Holz ein Stück weit nachgab, doch die Tür war damit noch lange nicht offen.

»Scheint zusätzlich durch ein großes Querriegelschloss gesichert zu sein«, sagte Patrick mehr zu sich selbst. »Da kommen wir so nicht weiter.«

»Dann versuchen wir es halt damit!« Martin deutete auf einen Stuhl, der unweit der Tür an der Wand lehnte.

»Ich glaube nicht, dass sich der Riegel von einem Sitzstreik beeindrucken lässt.«

Statt einer Antwort schnappte sich Martin den Stuhl und hieb ihn mit aller Wucht auf den Boden. Bereits beim ersten Mal brachen dabei zwei der Stuhlbeine ab.

»Jetzt weiß ich, was du meinst!« Patricks Gesicht hellte sich auf. »Ja, so könnte es gehen.«

Jeder von ihnen schnappte sich ein Stuhlbein und rammte es in den Türspalt. Sie drückten mit aller Kraft gegen die improvisierten Hebel, und schließlich gab die Tür mit einem lauten Knall nach, als der Querriegel auf einer Seite aus seiner Verankerung gerissen wurde.

»Das wäre geschafft!« Patrick klang zufrieden.

Doch der Erfolg hielt nicht lang an. In dem relativ kleinen Raum befand sich nichts außer einer Reihe Stahlschränke, die allesamt einen sehr massiven Eindruck machten.

»So ein Mist!« Patrick hämmerte seine Faust gegen die Wand. »Hier helfen uns auch die Stuhlbeine nicht weiter.«

»Dann muss es eben anders gehen.« Martin flitzte aus dem Raum, ohne eine Antwort abzuwarten.

Sofort fiel Patrick Sandras Pistole ein, aber er verwarf den Gedanken daran wieder. Wenn Martin mit der Waffe ankam, würde er ihm erklären müssen, dass das ein sinnloses Unterfangen war, denn im Gegensatz zu dem, was in manchem Hollywood-Film zu sehen war, konnte man ein solches Schloss keinesfalls aufschießen. Im Gegenteil musste man sich sogar höllisch vor Querschlägern in Acht nehmen, was es ratsam erscheinen ließ, erst gar nicht den Versuch zu unternehmen.

Kurz darauf war Martin wieder da. Freudestrahlend schwenkte er einen Schlüsselbund vor dem Gesicht des anderen.

»Wo hast du die her?«

»Waren hinter dem Mehl in einem der Küchenschränke versteckt.« Martin grinste.

»Und wie kommt man auf so etwas?«

»Ich will es einmal so ausdrücken: Ich musste schon öfter in meinem Leben Dinge verstecken, also weiß ich auch, wie man Verstecke findet.«

»Klingt logisch. Und wenn es jetzt noch tatsächlich die Schlüssel für die Waffenschränke sind, dann hast du dir einen Orden verdient, mein Junge. Oh, entschuldige bitte, alte Gewohnheit.«

*

Die meisten Schränke enthielten nur Sportwaffen, doch in einem wurden die beiden Männer fündig. Neben einem antiquiert wirkenden Vorderlader befand sich ein halbwegs passabel aussehendes Gewehr darin, das für ihre Zweck geeignet schien.

»Oh ein original K98k« stellte Patrick mit Kennerblick fest. »Das war das Standardgewehr der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.«

»Sie kennen sich mit Waffen aus?«

»Nicht wirklich, dafür aber mit Geschichte. Und diese Waffe ist mir in Erinnerung geblieben, weil mir einst ein Jugendfreund in höchsten Tönen davon vorschwärmte. Mit einer entsprechenden Zieleinrichtung versehen, soll es sich selbst heute noch bestens als Scharfschützengewehr eignen. Das hat wohl mit dem starr verriegelnden Verschluss zu tun, wie er es ausdrückte, was irgendwie Einfluss auf die Präzision beim Schießen hat. Genau verstanden habe ich es aber nicht.«

»Ich denke, die Theorie dahinter ist nicht wirklich wichtig. Hauptsache man kann sich damit effektiv gegen die Zombies zur Wehr setzen.«

»Und der Herr belohnt all jene, die beharrlich sind. Das hier dürfte die passende Munition sein.«

*

Mit ihrer Ausbeute zufrieden hatten sich die beiden wieder im Schankraum bei den anderen eingefunden und warteten darauf, dass Sandra zu sich kam. Diese tat ihnen nach gut einer Stunde den Gefallen, öffnete die Augen und setzte sich stöhnend auf. Ihr Rausch war wie weggeblasen, dafür hatte sie einen ordentlichen Kater, was ihre Laune nicht unbedingt hob.

»Wir waren zwischenzeitlich in der Waffenkammer und haben das hier gefunden.« Stolz hob Martin ihr den Karabiner unter die Nase.

»Scheint ein Original aus dem Zweiten Weltkrieg zu sein.« Sandra musterte die Waffe abschätzig. »Was besseres gab es da nicht?«

»Wenn dir ein Vorderlader lieber ist …«

»Ha, ha, wie witzig!«

»Doch ehrlich, es gibt einen im gleichen Schrank, wo wir das Ding hier her haben.«

»Das glaube ich dir sogar, du Spaßvogel, aber mit so einem ollen Teil kannst du deine Gegner leichter totwerfen als erschießen. Gib mal her!«

Damit nahm Sandra ihm den Karabiner aus der Hand und musterte ihn eindringlich. Sie betrachtete das Schloss, das kleine Magazin und den Lauf. Dann prüfte sie den Abzug und nickte zufrieden, als der Schlagbolzen wie erwartet nach vorne schoss.

»Munition?«

»Hier.« Martin gab ihr die Päckchen.

»Weißt du, wie man damit umgeht?«

»Sehe ich etwa so aus?«

»Nein, natürlich nicht.« Sandra feixte. »Aber ich dachte, ich frage trotzdem einfach mal. Patrick?«

»Gott bewahre! Zwar habe ich keine Hemmungen, die erbarmungswürdigen Kreaturen dort draußen zu erlösen und in das Reich des Herrn zu schicken, aber Schusswaffen fasse ich nicht an! Ich bin ein Mann des Geistes.«

»Mit einem selbstgebauten Morgenstern.«

»Der nur der Selbstverteidigung oder dem Schutze Hilfloser dient.«

»Du hast den Pfarrer gehört«, erklärte Sandra an Martin gewandt. »Du gibst ihm also den Schild zurück, und dafür zeige ich dir, wie man dieses Schätzchen hier zum Bellen bringt.«

*

»Nur fünf Schuss? Ist das nicht ein bisschen wenig?« Martin sah Sandra skeptisch an.

»Den Soldaten hat es damals auch genügen müssen, also stell dich nicht so an! Mehr geht in das Magazin halt nicht rein, aber es ist immer noch besser, als mit Steinen zu schmeißen, oder?«

Sandra hatte auf dem Schießstand eine Klappscheibe gefunden und diese in Position gebracht. Anschließend hatte sie Martin erklärt, wie er die Waffe lud, entsicherte, spannte und damit schoss.

»Ja klar ist es besser als Steineschmeißen.« Martins Gesicht war anzusehen, dass er am liebsten eine Maschinenpistole oder einen Flammenwerfer gehabt hätte.

»Und vergiss nicht, das Schulterstück ordentlich einzuziehen, bevor du abdrückst.«

»Häh? Was soll ich?«

Sandra verdrehte die Augen. »Du sollst den Schaft fest gegen die Schulter drücken, sonst bekommst du mächtig Aua. Jetzt verstanden?«

»Klar, schließlich bin ich nicht doof.«

»Das klang eben noch anders.«

»Ist ja schon gut«, nörgelte Martin. »Kann ja nicht jeder so ein Waffenexperte wie du sein.«

»Da du offenbar erkannt hast, wer von uns beiden der Experte ist, wärst du dann jetzt vielleicht auch geneigt, endlich das zu tun, was ich dir sage?«, flötete Sandra und klimperte dabei mit den Augen, dann brüllte sie ohne Vorwarnung los: »Entsichern! Zielen! Schießen! Los jetzt!«

Mit einem lauten Krachen brach der Schuss. Martin ließ vor

Schreck beinahe die Waffe fallen. Er setzte sie vorsichtig ab und rieb sich die rechte Schulter.

»Ich habe doch gesagt, du sollst das Ding ordentlich dagegen pressen. Der Verschluss verriegelt starr, und es gibt auch keine Nachlademechanik, die einen Teil des Rückschlags auffangen könnte. Aber du bist ein ganzer Kerl, du schaffst das schon.«

Martin wusste in diesem Moment nicht, ob er Sandra dafür hassen oder lieben sollte. Auf der einen Seite bewunderte er diese toughe Frau, auf der anderen mochte er die Art nicht, wie sie von oben herab mit ihm sprach. Schließlich fügte er sich seufzend in sein Schicksal und versuchte, mit dem nächsten Schuss wenigstens in die Nähe der Zielscheibe zu kommen …

*

»Wir brechen auf«, wies Sandra die anderen an, nachdem sie mit Martin wieder in die Schankstube zurückgekehrt war. »Unser Held hier trifft inzwischen immerhin ein Scheunentor, wenn es direkt vor ihm steht und sich nicht zu schnell bewegt. Das muss fürs Erste genügen. Außerdem ist davon auszugehen, dass der Lärm der kleinen Schießübung bald unsere Freunde auf den Plan rufen wird.«

»Dann gehen wir jetzt nach Königsdorf hinein?«, wollte Patrick wissen.

»So ist es.« Sandra nickte. »Es ist inzwischen fast Mittag, also wollen wir doch mal schauen, was die hiesigen Restaurants so auf der Tageskarte haben.«

Da alles gesagt war, machte die Gruppe sich auf den Weg. Ohne dass es einer Anweisung Sandras bedurft hätte, nahmen sie dabei wieder die alte Marschordnung ein. Die Kinder hatten sich während des Aufenthalts einigermaßen stärken und ausruhen können und stimmten kurz nach dem Aufbruch wieder ihr stilles Lied an.

Wir sind die Pilger nach Eden

dort wollen wir in Frieden leben

und unter Seinem hellen Licht

das Dunkel uns niemals anficht

wir sind die Vergessenen

beschimpft als die Besessenen

doch wir sind nur die Pilger nach Eden

wo in Frieden wir werden ewig leben

Chronik von Eden

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