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KAPITEL VIER

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Reid hatte gerade die Einfahrt verlassen, um sich mit Maria zu treffen, als er auch schon Thompson anrief, um ihn zu bitten, das Haus der Lawsons zu überwachen. „Ich habe entschieden, den Mädchen heute Abend ein wenig Unabhängigkeit zu geben“, erklärte er. „Ich werde nicht allzu lange weg sein. Aber trotzdem, halten Sie bitte Ihre Augen und Ohren offen.“

„Selbstverständlich“, stimmte der alte Mann zu.

„Und, ähm, wenn es irgendeinen Grund zur Beunruhigung gibt, gehen Sie bitte sofort zu ihnen hinüber.“

„Das werde ich, Reid.“

„Sie wissen schon, wenn Sie sie nicht sehen können oder so, können Sie an die Tür klopfen oder das Festnetztelefon anrufen …“

Thompson kicherte. „Keine Sorge, ich habe alles unter Kontrolle. Und sie auch. Sie sind Teenager. Sie brauchen ab und zu etwas Freiheit. Genießen Sie Ihr Date.“

Mit Thompsons wachsamem Auge und Mayas Entschlossenheit, sich selbst als verantwortungsbewusst zu beweisen, dachte Reid, dass er beruhigt sein und wissen konnte, dass die Mädchen in Sicherheit waren. Natürlich wusste er, dass dies nur ein weiterer seiner mentalen Ausflüge war. Er würde den gesamten Abend daran denken müssen.

Er musste die GPS-Karte auf seinem Handy aufrufen, um den Ort zu finden. Er kannte sich in Alexandria und der Umgebung noch nicht aus, nicht so gut wie Maria, mit der Nähe zu Langley und dem CIA-Hauptquartier. Und trotzdem hatte sie einen Ort ausgewählt, an dem sie noch nie zuvor gewesen war, wahrscheinlich, um sozusagen Ausgleich zu schaffen.

Auf der Fahrt dorthin verpasste er zwei Ausfahrten, obwohl die GPS-Stimme ihm mitteilte, welche Strecke er wann nehmen musste. Er dachte an die merkwürdigen Erinnerungen, die er nun zwei Mal gehabt hatte – zum ersten Mal, als Maya ihn fragte, ob Kate über ihn Bescheid wusste, und dann noch einmal, als er das Parfum roch, welches seine verstorbene Frau geliebt hatte. Es nagte an ihm und lenkte ihn so sehr ab, dass er, selbst als er versuchte, auf die Anweisungen zu hören, schnell wieder abgelenkt wurde.

Der Grund dafür, dass es ihm so seltsam vorkam, war, dass jede andere Erinnerung an Kate so lebhaft in seinem Kopf war. Im Gegensatz zu Kent Steele hatte sie ihn nie verlassen; er erinnerte sich daran, als er sie traf. Er erinnerte sich daran, als er mit ihr ausging. Er erinnerte sich an Ferien und den Kauf ihres ersten Hauses. Er erinnerte sich an ihre Hochzeit und die Geburten seiner Kinder. Er erinnerte sich sogar an ihre Streitereien – zumindest dachte er, dass er das tat.

Die reine Vorstellung, irgendeinen Teil von Kate zu verlieren, erschütterte ihn. Der Gedächtnisunterdrücker hatte bereits einige Nebenwirkungen gezeigt, wie beispielsweise die gelegentlichen Kopfschmerzen, die durch eine hartnäckige Erinnerung ausgelöst wurden – es war ein experimentelles Verfahren und die Methode der Entfernung war alles andere als operativ verlaufen.

Was, wenn mehr als nur meine Vergangenheit als Agent Null von mir genommen wurde? Der Gedanke gefiel ihm überhaupt nicht. Es war ein beunruhigender Gedanke; es dauerte nicht lange, bis er überlegte, ob er möglicherweise auch Erinnerungen an die Zeit mit seinen Mädchen vergessen haben könnte. Und noch schlimmer war es, dass es keinen Weg für ihn gab, die Antwort darauf zu finden, ohne sein volles Gedächtnis wiederherstellen zu können.

Es war alles zu viel und er spürte, wie sich erneut Kopfschmerzen bemerkbar machten. Er schaltete das Radio ein und drehte es laut auf, um sich abzulenken.

Die Sonne ging unter, als er auf den Parkplatz des Restaurants fuhr – ein „Gastropub“ mit dem Namen „Der Weinkeller“. Er war ein paar Minuten zu spät dran. Er stieg schnell aus dem Auto und ging zur Vorderseite des Gebäudes.

Dann blieb er stehen.

Maria Johansson stammte aus der dritten Generation schwedisch-amerikanischer Einwanderer und ihre CIA-Tarnung war, dass sie eine zertifizierte Wirtschaftsprüferin aus Baltimore war – obwohl Reid der Meinung war, dass sie ein Model für Titelblätter oder Poster hätte sein sollen. Sie war nur wenige Zentimeter kleiner als er. Ein Meter achtzig, lange, glatte, blonde Haare, die schwerelos auf ihre Schultern fielen. Ihre Augen waren schiefergrau und ihr Blick irgendwie intensiv. Sie stand bei etwa zwölf Grad Celsius vor der Tür. Sie trug ein einfaches, dunkelblaues Kleid mit tiefem V-Ausschnitt und ein weißes Tuch über den Schultern.

Sie entdeckte ihn, als er sich näherte, und ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. „Hallo. Lange nicht gesehen.“

„Ich … wow“, platzte es aus ihm heraus. „Ich meine, ähm … du siehst toll aus.“ Es kam ihm in den Sinn, dass er Maria noch nie zuvor geschminkt gesehen hatte. Der blaue Lidschatten passte zu ihrem Kleid und ließ ihre Augen fast leuchtend erscheinen.

„Du siehst auch nicht schlecht aus.“ Sie nickte zustimmend über seine Kleiderwahl. „Sollen wir reingehen?“

Danke Maya, dachte er. „Ja. Natürlich.“ Er griff nach der Tür und öffnete sie. „Aber bevor wir das tun, habe ich eine Frage. Was zur Hölle ist ein „Gastropub“?“

Maria lachte. „Ich glaube, es ist, was wir früher eine Kneipe genannt haben, nur mit vornehmerem Essen.“

„Verstehe.“

Das Restaurant war gemütlich, wenn auch ein wenig klein, mit gemauerten Innenwänden und freiliegenden Holzbalken an der Decke. Die Beleuchtung bestand aus hängenden Edison-Glühbirnen, die für ein warmes und gedämpftes Ambiente sorgten.

Wieso bin ich nervös?, dachte er, als sie sich setzten. Er kannte diese Frau. Sie hatten zusammen eine internationale Terrororganisation davon abgehalten, Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Menschen zu ermorden. Aber das hier war anders; es war kein Auftrag oder Diensteinsatz. Das hier war zum Vergnügen und irgendwie machte das einen Unterschied.

Lerne sie kennen, hatte Maya zu ihm gesagt. Sei interessant.

„Also, wie läuft es auf der Arbeit?“, fragte er schließlich. Er stöhnte innerlich über seinen halbherzigen Versuch.

Maria lächelte. „Du solltest wissen, dass ich darüber nicht wirklich reden kann.“

„Stimmt“, sagte er. „Natürlich.“ Maria war eine aktive CIA-Feldagentin. Selbst wenn er selber auch aktiv wäre, wäre sie nicht in der Lage, Details eines Einsatzes mit ihm zu besprechen, an dem er nicht ebenfalls beteiligt war.

„Und bei dir?“, fragte sie. „Wie ist der neue Job?“

„Nicht schlecht“, gab er zu. „Ich bin in einer Nebenstelle, es ist also vorläufig nur Teilzeit, ein paar Vorlesungen die Woche. Ein paar Benotungen und so weiter. Aber nichts besonders Spannendes.“

„Und die Mädchen? Wie geht es ihnen?“

„Ähm … sie kommen zurecht“, sagte Reid. „Sara redet nicht darüber, was passiert ist. Und Maya hat eigentlich gerade …“ Er stoppte sich selbst, bevor er zu viel sagte. Er vertraute Maria, aber gleichzeitig wollte er nicht zugeben, dass Maya sehr genau erraten hatte, was es war, worin Reid involviert war. Seine Wangen wurden rosig, als er sagte: „Sie neckt mich. Darüber, dass dies hier ein Date ist.“

„Ist es das nicht?“, fragte Maria ausdruckslos.

Reid spürte, wie sein Gesicht wieder rot wurde. „Ja, ich denke, das ist es.“

Sie lächelte wieder. Es schien so, als würde sie seine Unbeholfenheit genießen. Bei der Arbeit, als Kent Steele, hatte er bewiesen, dass er selbstbewusst, fähig und gesammelt sein konnte. Aber hier, in der realen Welt, war er nach zwei Jahren Enthaltsamkeit genauso unbeholfen, wie jeder andere.

„Und wie geht es dir?“, fragte sie. „Wie schlägst du dich?“

„Mir geht es gut“, sagte er. „Prima.“ Sobald er es gesagt hatte, bereute er es. Hatte er nicht gerade von seiner Tochter gelernt, dass Ehrlichkeit die beste Strategie war? „Das ist eine Lüge“, fügte er sofort hinzu. „Ich schätze, es läuft nicht so gut. Ich beschäftige mich selbst mit allen möglichen unnützen Aufgaben und erfinde Entschuldigungen, denn, wenn ich lange genug aufhöre, um mit meinen Gedanken alleine zu sein, erinnere ich mich an ihre Namen. Ich sehe ihre Gesichter, Maria. Und ich kann nicht anders, als zu denken, dass ich nicht genug getan habe, um es zu verhindern.“

Sie wusste genau, wovon er sprach – von den neun Personen, die in der einen erfolgreichen Explosion, welche Amun in Davos auslösen konnte, ums Leben gekommen waren. Maria griff über den Tisch und nahm seine Hand. Ihre Berührung schickte ein elektrisches Kribbeln seinen Arm hinauf und schien seine Nerven etwas zu beruhigen. Ihre Finger waren warm und weich in seiner Hand.

„Das ist die Realität, der wir ausgesetzt sind“, sagte sie. „Wir können nicht jeden retten. Ich weiß, dass du nicht all deine Erinnerungen als Null zurückhast, sonst wüsstest du das.“

„Vielleicht will ich es gar nicht wissen“, sagte er leise.

„Ich verstehe dich. Wir versuchen es trotzdem. Aber zu denken, dass du die Welt vor jedem Unheil bewahren könntest, wird dich verrückt machen. Neun Leben wurden genommen, Kent. Es ist passiert und es gibt keinen Weg zurück. Aber es hätten Hunderte sein können. Es hätten Tausende sein können. So musst du das sehen.“

„Was ist, wenn ich das nicht kann?“

„Dann … suche dir vielleicht ein gutes Hobby? Ich stricke.“

Er konnte nicht anders, als zu lachen. „Du strickst?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass Maria strickte. Dass sie Stricknadeln als Waffe nutzte, um einen Feind lahmzulegen? Mit Sicherheit. Aber tatsächliches Stricken?

Sie hielt ihr Kinn hoch. „Ja, ich stricke. Lach nicht. Ich habe gerade eine Decke fertiggestrickt, die weicher ist, als alles, was du je in deinem Leben gefühlt hast. Mein Punkt ist: suche dir ein Hobby. Du brauchst etwas, um deine Hände und deinen Geist zu beschäftigen. Wie steht es um dein Gedächtnis? Gibt es da irgendwelche Verbesserungen?“

Er seufzte. „Nicht wirklich. Ich schätze, es gab nicht viel, womit ich es hätte auffrischen können. Es ist immer noch irgendwie durcheinander.“ Er legte die Speisekarte zur Seite und legte seine Hände auf den Tisch. „Aber wenn du es gerade erwähnst … mir ist heute etwas Merkwürdiges passiert. Ein Bruchstück von etwas kam zu mir zurück. Es ging um Kate.“

„Oh?“ Maria biss auf ihre Unterlippe.

„Ja.“ Er war für einen langen Moment still. „Die Dinge zwischen mir und Kate …  bevor sie starb. Wir waren okay, oder nicht?“

Maria starrte ihn direkt an, ihre schiefergrauen Augen bohrten sich in seine. „Ja. Soweit ich weiß, war zwischen euch immer alles gut. Sie hat dich wirklich geliebt und du sie auch.“

Es fiel ihm schwer, ihrem Blick standzuhalten. „Ja. Natürlich.“ Er verspottete sich selbst. „Gott, hör mir nur zu. Ich rede tatsächlich bei einem Date über meine verstorbene Frau. Bitte erzähl meiner Tochter nichts davon.“

„Hey.“ Ihre Finger fanden wieder seine. „Es ist schon in Ordnung, Kent. Ich verstehe es. Das hier ist neu für dich und es fühlt sich komisch an. Ich bin hier auch keine Expertin …  wir werden es gemeinsam erkunden.“

Ihre Finger ruhten auf seinen. Es fühlte sich gut an. Nein, es war mehr als das – es fühlte sich richtig an. Er kicherte nervös, aber sein Grinsen verschwand und wurde zu einem verwirrten Stirnrunzeln, als ihm ein bizarrer Gedanke aufkam; Maria nannte ihn immer noch Kent.

„Was ist los?“, fragte sie.

„Nichts. Ich dachte nur gerade … Ich weiß nicht einmal, ob Maria Johansson dein richtiger Name ist.“

Maria zuckte schüchtern mit den Schultern. „Vielleicht ist er das.“

„Das ist nicht fair“, protestierte er. „Du kennst meinen.“

„Ich sage nicht, dass es nicht mein richtiger Name ist.“ Sie genoss es, mit ihm zu spielen. „Du kannst mich immer Agentin Ringelblume nennen, wenn dir das lieber ist.“

Er lachte. Ringelblume war ihr Codename, so wie seiner Null war. Es erschien ihm fast lächerlich, sich bei ihren Codenamen zu nennen, wo sie sich doch persönlich kannten – aber andererseits schien der Name Null bei vielen, die er getroffen hatte, Angst auszulösen.

„Was war Reidiggers Codename?“, fragte Reid leise. Es tat ihm fast weh, zu fragen. Alan Reidigger war Kent Steeles bester Freund gewesen – nein, dachte Reid, er war mein bester Freund – ein Mann mit scheinbar unnachgiebiger Loyalität. Das einzige Problem war, dass Reid sich kaum an ihn erinnerte. Alle Erinnerungen an Reidigger waren mit dem Erinnerungsimplantat verschwunden, welches Alan ihm zu organisieren geholfen hatte.

„Du erinnerst dich nicht?“ Maria lächelte freundlich bei dem Gedanken. „Alan gab dir den Namen Null, wusstest du das? Und du gabst ihm seinen. Gott, ich habe schon seit Jahren nicht an diese Nacht gedacht. Wir waren in Abu Dhabi, glaube ich. Wir kamen gerade von einem Auftrag zurück und tranken in einer versnobten Hotelbar einen Absacker. Er nannte dich Null, wie „Ground Zero“ – so wie das Explosionszentrum, weil du dazu neigst, ein Chaos zu hinterlassen. Das wurde dann zu Null und es blieb hängen. Und du nanntest ihn –“

Ein Telefon klingelte und unterbrach ihre Geschichte. Instinktiv schaute Reid auf sein eigenes Handy, welches auf dem Tisch lag, und erwartete, Mayas Nummer auf dem Bildschirm zu sehen.

„Entspann dich“, sagte sie. „Es ist meins. Ich werde es einfach ignorieren …“ Sie blickte auf ihr Handy und runzelte verblüfft ihre Stirn. „Es ist Arbeit. Eine Sekunde.“ Sie ging ran. „Ja? Mm-mmmh.“ Ihr düsterer Blick hob sich und landete auf Reid. Ihr Blick blieb dort, während sich besorgte Falten auf ihrer Stirn formten. Was auch immer an der anderen Seite gesagt wurde, es waren keine guten Neuigkeiten. „Ich verstehe. In Ordnung. Vielen Dank.“ Sie legte auf.

„Du siehst besorgt aus“, merkte er an. „Ich weiß, ich weiß, du kannst nicht über berufliche Dinge sprechen –“

„Er ist geflohen“, murmelte sie. „Der Attentäter aus Sion, der im Krankenhaus? Kent, er ist vor weniger als einer Stunde abgehauen.“

„Rais?“, sagte Reid erstaunt. Kalter Schweiß brach auf seiner Stirn aus. „Wie?“

„Ich habe keine Details“, sagte sie hastig, als sie ihr Handy zurück in ihre Handtasche steckte. „Es tut mir leid Kent, aber ich muss gehen.“

„Ja“, flüsterte er. „Ich verstehe.“

Um ehrlich zu sein, fühlte er sich meilenweit von ihrem gemütlichen Tisch in diesem kleinen Restaurant entfernt. Der Attentäter, den Reid zum Sterben zurückgelassen hatte – nicht nur einmal, sondern zweimal – war immer noch am Leben und jetzt auf freiem Fuß. Maria stand auf, lehnte sich zu ihm hinunter und drückte ihre Lippen auf seine, bevor sie ging. „Wir wiederholen das hier bald wieder, versprochen. Aber jetzt ruft die Pflicht.“

„Natürlich“, sagte er. „Geh und finde ihn. Und Maria? Sei vorsichtig. Er ist gefährlich.“

„Das bin ich auch.“ Sie zwinkerte ihm zu und eilte aus dem Restaurant.

Reid saß für einen langen Moment alleine dort. Als die Kellnerin vorbeikam, konnte er noch nicht einmal ihre Worte hören; er winkte nur unbestimmt seine Hand, um ihr anzuzeigen, dass er in Ordnung war. Aber er war weit davon entfernt, in Ordnung zu sein. Er hatte noch nicht einmal das nostalgische, elektrische Prickeln gespürt, als Maria ihn küsste. Alles was er spürte, war ein Knoten der Angst, der sich in seiner Magengegend formte.

Der Mann, der glaubte, dass es sein Schicksal war, Kent Steele zu töten, war entkommen.

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