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Kapitel 3Spirituelle Macht erlangen

Die Welt ist voll von Männern und Frauen auf der Suche nach Vergnügen, Unterhaltung, Neuigkeiten und Genussfreuden. Man lässt sich gerne von Gelächter oder Tränen rühren, und sucht nicht nach Stärke, Standfestigkeit und innerer Macht, sondern umgarnt die Schwäche und vergeudet das bisschen Macht, das man hat.

Männer und Frauen, die über wirkliche Macht und Einfluss verfügen, gibt es nur wenige, weil nur wenige die notwendigen Opfer auf sich nehmen wollen, um diese Macht zu erlangen und noch weniger bereit sind, geduldig an ihrer Charakterschulung zu feilen.

Sich von ständig schwankenden Gedanken und Impulsen leiten zu lassen, ist schwächlich und machtlos; diese Kräfte zu steuern und unter Kontrolle zu halten, ist stark und mächtig.

Menschen, die von einer starken animalischen Leidenschaft getrieben werden, haftet die Wildheit von Untieren an.

Das ist keine Macht! Zwar sind die Elemente der Macht vorhanden, aber diese Wildheit und Grausamkeit muss von einer höheren Intelligenz zuerst gezähmt werden, bevor wirkliche Macht beginnen kann, und der Mensch kann nur dann eine Machtzunahme erfahren, wenn er immer höhere Zustände der Intelligenz und Bewusstheit erweckt.

Der Unterschied zwischen einem schwachen und einem mächtigen Menschen liegt nicht in der Ausgeprägtheit des persönlichen Willens (denn der Starrsinnige ist meist schwach und töricht), sondern in der konzentrierten Ausrichtung der Bewusstheit, welche seinen Wissensstand widerspiegelt.

Der Vergnügungssüchtige, der im Trubel Schwelgende, der nach dem neuesten Schrei Gierende und der von Impulshandlungen und hysterischen Emotionen Getriebene weiß nichts von den Prinzipien, welche Ausgeglichenheit, Beständigkeit und Einfluss vermitteln.

Machtentfaltung ist nur möglich, nachdem der Mensch seine Impulse und eigensüchtigen Neigungen im Griff hat, sich auf seine höhere und ruhigere Bewusstheit in sich besinnt und auf ein Prinzip ausrichtet. Die Erkenntnis unwandelbarer Prinzipien ist sowohl die Quelle als auch das Geheimnis der höchsten Macht.

Wenn nach langem Suchen, Leiden und Opfern das Licht eines ewigen Prinzips auf die Seele fällt, stellt sich eine göttliche Ruhe ein und eine unbeschreibliche Freude erfüllt das Herz.

Wer ein solches Prinzip erkannt hat, wandert nicht mehr ruhelos umher, sondern bleibt ausgeglichen und selbstbeherrscht. Er ist nicht mehr Sklave seiner Leidenschaften, sondern wird zum Chefarchitekten im Tempel des Schicksals.

Wer vom Selbst, und nicht vom Prinzip, regiert wird, wird wieder wankelmütig, sobald seine Annehmlichkeiten auf dem Spiel stehen. Ihm geht es um die Verteidigung und die Wahrung seiner Interessen; er hält alle Mittel und Wege für rechtmäßig, sofern sie ihm nur dieses Ziel verheißen.

Er ist ständig auf der Hut vor seinen Gegnern und viel zu egozentrisch, als dass er erkennen könnte, dass er selbst sein größter Gegner ist. Die Arbeit eines solchen Menschen fällt auseinander, weil sie von Wahrheit und Macht abgetrennt ist.

Jede auf dem Selbst aufgebaute Mühe ist ohne Fundament. Nur das auf einem unzerstörbaren Prinzip fußende Werk ist von Dauer.

Der auf dem Sockel eines Prinzips stehende Mensch ist in jeder Lebenslage ruhig, kühn, unverzagt und beherzt.

Wenn er sich in der Stunde der Prüfung zwischen persönlichen Annehmlichkeiten und der Wahrheit zu entscheiden hat, verzichtet er auf seinen Komfort und bleibt standhaft. Sogar angedrohte Folter und Tod bringen ihn nicht ins Wanken.

Der am Selbst ausgerichtete Mensch betrachtet den Verlust seines Wohlstands, seiner Annehmlichkeiten oder seines Lebens als sein größtmögliches Unglück.

Für den prinzipientreuen Menschen sind solche Ereignisse vergleichsweise unbedeutend und wiegen nicht annähernd so viel, wie der Verlust des Charakters, der Verlust der Wahrheit. Für ihn ist der Verrat der Wahrheit das Einzige, was er als „Unglück“ bezeichnen würde.

In der Stunde der Krise zeigt sich, wer die Speichellecker der Finsternis und wer die Abkömmlinge des Lichts sind. Wenn sich Unheil, Ruin und Verfolgung abzeichnen, werden die Schafe von den Böcken geschieden7 und zeigen sich die wahrhaft mächtigen Männer und Frauen dem ehrfürchtigen Blick kommender Zeitalter.

Solange der Mensch seine Besitztümer genießen kann, ist es leicht für ihn, sich einzureden, dass er an die Prinzipien des Friedens, des Miteinanders und der universalen Liebe glaube.

Doch sobald dieser Zustand in Gefahr ist oder er ihn gefährdet wähnt, schreit er lauthals nach Krieg; er offenbart, dass er keineswegs an Frieden, Miteinander und Liebe glaubt, sondern von Eigennutz und Hass durchdrungen ist.

Wer seinen Prinzipien auch dann treu bleibt, wenn all seine irdischen Dinge in Gefahr sind, ja, wenn sogar Ruf und Leben auf dem Spiel stehen, ist ein machtvoller Mensch, dessen Wort und Werk Bestand haben; ein Mensch, den die Nachwelt ehrt und dessen Andenken sie hochhält.

Statt das Prinzip der göttlichen Liebe zu verleugnen, hielt Jesus auch in den Stunden der Schmerzen und der Entbehrung aus, und heute fällt die Welt in andächtiger Verehrung vor ihm auf die Knie.

Spirituelle Macht kann nur durch die innere Erleuchtung erlangt werden. Einen anderen Weg gibt es nicht, denn diese Erleuchtung ist die Verwirklichung spiritueller Prinzipien.

Diese Prinzipien können nur durch ständiges Einüben und Anwenden verwirklicht werden.

Nehmen wir zum Beispiel das Prinzip der göttlichen Liebe:

Denken Sie ruhig und sorgfältig über dieses Prinzip nach, mit der Absicht, es gründlich verstehen zu wollen. Lassen Sie sein Suchlicht über all Ihre Gewohnheiten, Handlungen, Verhaltensweisen, Worte und Interaktionen, alle Ihre gemeinsten Gedanken und Wünsche gleiten.

Wenn Sie so vorgehen, wird die göttliche Liebe in Ihnen immer mehr zur Entfaltung gelangen, und Ihre eigenen Unzulänglichkeiten werden immer deutlicher im Kontrast zu dieser Liebe stehen und Sie anspornen, an sich zu arbeiten. Sie haben dann einen Blick auf die unvergleichliche Herrlichkeit eines unwandelbaren Prinzips geworfen und werden Ihre Schwächen, Ihre Selbstsucht, Ihre Defekte nie mehr einfach nur hinnehmen, sondern solange nach dieser Liebe trachten, bis Sie sich in Harmonie damit gebracht haben.

Dieser innere Zustand der Harmonie ist die spirituelle Macht.

Nehmen Sie sich auch andere spirituelle Prinzipien vor, zum Beispiel das Prinzip der Reinheit und des Mitgefühls, und gehen Sie ebenso vor. Die Wahrheit wird Sie danach drängen, nicht zu ruhen, bis Sie Ihre Seele von jedem Makel gereinigt haben und Ihr Herz keine schroffen, harten, verdammenden und mitleidlosen Anwandlungen mehr ertragen kann.

Sie werden spirituelle Macht nur in dem Maße erlangen können, in dem Sie diese Prinzipien verstehen, verwirklichen und Ihr Leben darauf aufbauen, und diese Macht wird sich in Form immer größerer Leidenschaftslosigkeit, Geduld und Gelassenheit bemerkbar machen.

Leidenschaftslosigkeit führt zu einer besseren Selbstbeherrschung. Eine außergewöhnliche Geduld ist das Gütesiegel göttlichen Wissens und Gelassenheit unabhängig von allen Aufgaben, Pflichten und Ablenkungen des Lebens zeichnen den machtvollen Menschen aus. „Es ist leicht, auf der Welt nach den Regeln anderer zu leben. Es ist ebenso leicht, nach seinen eigenen Vorstellungen zurückgezogen zu leben. Größe aber bezeugt der, der inmitten der Menge freundlich die Eigenständigkeit des Einsamen bewahrt“.8

Einige Mystiker vertreten die Auffassung, dass eine vollkommene Leidenschaftslosigkeit die Quelle jener Macht sei, welche (so genannte) Wunder bewirke, und es ist sicherlich so, dass der Mensch, der einen so hohen Grad der vollkommenen Kontrolle über all seiner inneren Kräfte erworben hat, dass kein noch so großer Schock ihn mehr aus dem Gleichgewicht bringen kann, in der Lage ist, diese Kräfte meisterlich zu leiten.

Eine geduldig und ausgewogen immer größer werdende Selbstbeherrschung bedeutet mehr Stärke und Macht, und Sie können eine solche Zunahme nur erlangen, indem Sie Ihre Bewusstheit auf ein Prinzip ausrichten.

Wie ein Kind, das nach zahlreichen Gehversuchen und Stürzen letztendlich gelernt hat, ohne Hilfestellung zu laufen, kommt auch für Sie auf dem Wege zur Erlangung dieser Fähigkeit der Tag, an dem Sie versuchen müssen, alleine stehen zu können.

Lösen Sie sich von der Tyrannei der Gebräuche, Traditionen, Konventionen und den Meinungen anderer, um eigenständig und aufrecht ihren Weg zu gehen.

Verlassen Sie sich auf Ihr eigenes Urteil; seien Sie Ihrem eigenen Gewissen ergeben; folgen Sie Ihrem inneren Licht, alle äußeren Glanzlichter erweisen sich oftmals nur als Irrlichter.

Manche Leute werden Ihnen erzählen, dass das unklug sei, dass Ihre Einschätzung und Ihr Urteil falsch seien, dass Ihr Gewissen verquer sei, und dass das Licht in Ihnen Dunkelheit sei. Hören Sie nicht auf sie!

Falls die Meinungen dieser Personen stimmen sollten, werden Sie dies als Wahrheitssucher rascher herausfinden als diese Menschen, und Sie können diese Entdeckung nur machen, indem Sie Ihre Macht auf dem Prüfstand stellen.

Bleiben Sie deshalb unverzagt auf Ihrem Weg. Ihr Gewissen ist immerhin Ihr eigenes, und ihm treu zu bleiben, ist Ihre Sache. Dem Gewissen anderer zu folgen, hieße, sich zu versklaven.

Sie werden oftmals stolpern oder fallen, werden sich viele Wunden zuziehen und sich oft anstoßen. Machen Sie gläubig weiter und gehen Sie unerschütterlich davon aus, dass Ihnen der letztendliche Sieg gesichert ist!

Suchen Sie nach einem Fels, einem Prinzip, und nachdem Sie fündig geworden sind, halten Sie sich daran fest.

Bringen Sie diesen Fels unter Ihre Füße, stellen Sie sich aufrecht darauf, und Sie werden den Wellen und Stürmen der Selbstsucht trotzen.

Denn Selbstsucht ist in jeder ihrer Formen Verschwendung, Schwäche und Tod. Selbstlosigkeit ist in ihrem spirituellen Aspekt Bewahrung, Macht und Leben.

Je mehr das spirituelle Leben in Ihnen wächst und Sie nach Prinzipien leben, umso mehr werden Sie selbst der Unverwandelbarkeit und Schönheit dieser Prinzipien gleichen; Sie werden ihre unsterbliche Essenz spüren und das ewige und unzerstörbare Wesen des Gottes in Ihnen erfahren.

7 Anspielung auf Matthäus 25,32. Bedeutung: das Gute vom Schlechten unterscheiden

8 Ralph Waldo Emerson (1803 – 1882) US-amerikanischer Geistlicher, Lehrer und Philosoph

Gute Gedanken + gute Gefühle = gute Früchte

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