Читать книгу Gute Gedanken + gute Gefühle = gute Früchte - Джеймс Аллен - Страница 11
ОглавлениеKapitel 4Selbstlose Liebe vorleben
Man sagt, dass Michelangelo in jedem unbehauenen Steinblock eine schöne Figur erblickte, die von der Hand eines Meisters herausgebracht werden müsse.
Gleichermaßen befindet sich in jedem Menschen ein göttliches Ebenbild, das auf die meisterliche Hand des Glaubens und den Meißel der Geduld wartet, um hervorgebracht zu werden. Und dieses göttliche Ebenbild zeigt sich als makellose und selbstlose Liebe.
In jedem menschlichen Herzen befindet sich – wenngleich oftmals von harten und undurchdringlichen Ablagerungen überwuchert – der Geist der göttlichen Liebe, dessen heilige und makellose Essenz nicht sterben kann und ewig ist.
Das ist die Wahrheit im Menschen. Das ist der Anteil des Allerhöchsten, das Reale und Unsterbliche.
Alles Übrige verändert sich und vergeht.
Nur diese Wahrheit ist unvergänglich.
Diese Liebe durch stetige Rechtschaffenheit zu leben, heißt, in ihr zu leben, sich ihrer bewusst zu werden, und im Hier und Jetzt in die Unvergänglichkeit einzugehen. Diese Bewusstwerdung ist ein Einswerden mit Gott, ein Einswerden mit der Wahrheit, mit dem zentralen Herzen aller Dinge, und die Erkenntnis unserer eigenen göttlichen und ewigen Natur.
Um diese Liebe zu erlangen, sie zu verstehen und zu erfahren, muss der Mensch mit großer Beharrlichkeit und Sorgfalt an seinem Herzen und seinem Geist arbeiten; er muss seine Geduld immer wieder erneuern und stark im Glauben bleiben, denn es gilt, viele Ablagerungen zu beseitigen, bevor sich das göttliche Ebenbild in seiner Herrlichkeit zeigen kann.
Wer nach dem Göttlichen in sich trachtet, wird immer wieder auf die Probe gestellt und muss sich auf zahlreiche Prüfungen einstellen.
Dies ist auch notwendig, denn wie könnte diese außergewöhnliche Geduld, ohne die keine wirkliche Weisheit erlangt werden kann, sonst erworben werden?
Immer wieder steht der Mensch vor einer Situation, in der sein Trachten ergebnislos geblieben zu sein scheint und seine Mühen vergeblich erschienen.
Mitunter wird sein Bild von einer voreiligen Berührung verunstaltet und ein andermal, wenn er seine Arbeit für beinahe vollendet glaubt, muss er feststellen, dass das, was er für die schöne Form der göttlichen Liebe hielt, völlig zerstört wurde und er muss, geleitet von seiner bitteren Erfahrung, wieder von vorne beginnen.
Wer sich jedoch fest vorgenommen hat, sich nach dem Höchsten auszurichten, erkennt auch, dass solche Schläge keineswegs Niederlagen sind. Alle Misserfolge sind nur scheinbar, nicht wirklich.
Jeder Missgriff, jedes Stolpern, jeder Rückfall in die Selbstsucht, ist eine gelernte Lektion, eine gewonnene Erfahrung, aus der ein goldenes Körnchen Weisheit herausgezogen wird und dem Vorwärtsstrebenden hilft, sein vornehmes Ziel zu erreichen, „um aus seinen Mängeln eine Leiter zu bauen, und, sofern wir nur über jede Entgleisung hinwegsteigen, Höh’res zu schauen.“9
Dieser Weg führt unweigerlich zum Göttlichen, und jeder auf diese Weise erkannte Fehltritt gleicht einem toten Selbst, über das er sich erhebt und der ihm als Trittstein für Höheres dient.
Sobald Sie Ihre Schwächen, Ihre Sorgen und leidvollen Erfahrungen als Stimmen begreifen, die Ihnen verdeutlichen, wo Sie noch schwach und fehlerhaft sind, wo Sie dem Wahren und Göttlichen noch nicht entsprechen, werden Sie sich selbst unablässig beobachten, und jeder Fehltritt, jeder Schmerz, wird Ihnen aufzeigen, woran Sie noch zu arbeiten haben und was Sie aus Ihrem Herzen zu beseitigen haben, um der vollkommenen Liebe näherzukommen.
Je mehr Sie sich Tag um Tag von der inneren Selbstsucht lösen, umso mehr wird die selbstlose Liebe durch Sie zum Ausdruck gebracht werden.
Nachdem Sie geduldig und ruhig geworden sind, nachdem Ihre Launenhaftigkeit und Ihre Gereiztheit von Ihnen abgefallen ist und Sie die Gelüste und Vorurteile, von denen Sie bisher versklavt wurden, beherrschen, wissen Sie, dass das Göttliche nun in Ihnen erwacht ist und dass Sie dem ewigen Herzen nähergekommen sind. Sie wissen dann, dass Sie sich bereits sehr nahe an der selbstlosen Liebe befinden.
Göttliche Liebe unterscheidet sich von der menschlichen Liebe insofern, als Erstere frei von Parteilichkeit ist. Menschliche Liebe richtet sich unter Ausschluss aller übrigen Objekte auf ein bestimmtes Zielobjekt, und wenn dieses Zielobjekt nicht mehr vorhanden ist, ist das Leid des Liebenden groß.
Göttliche Liebe umfasst das gesamte Universum und klammert sich nicht an ein bestimmtes Einzelteil, sondern enthält in sich das Ganze, und wer sie über den Weg der allmählichen Reinigung und Erweiterung seiner menschlichen Liebesausrichtungen und der sich daraus ergebenden Beseitigung aller selbstsüchtigen und unreinen Elemente erlangt hat, hat sich vom Leid befreit.
Aus einer absolut reinen Liebe, die für sich selbst nichts erstrebt, kann kein Leid erwachsen.
Dennoch sind die menschlichen Liebesausrichtungen als Zwischenstufen zum Göttlichen durchaus notwendig; eine Seele kann nur dann an der göttlichen Liebe teilhaben, wenn sie auch zu einer tiefen und intensiven menschlichen Liebe fähig ist.
Nur, indem wir die menschliche Liebe und die menschlichen Leiderfahrungen durchmachen, können wir die göttliche Liebe erlangen und verwirklichen.
Jede menschliche Liebe wird durch einen menschlichen Hass ausgeglichen. Es gibt jedoch eine Liebe, welche keinen Gegenpart und keine Gegenreaktion zulässt; diese Liebe ist göttlich und selbstlos und versprüht ihren Duft auf jedermann gleichermaßen.
Die menschliche Liebe ist eine Widerspiegelung der göttlichen Liebe und zieht die Seele näher an die Wirklichkeit, an die Liebe, welcher Leid und Wandel nicht bekannt sind, heran.
Es ist gut, dass die Mutter, deren Zärtlichkeit auf das kleine hilflose Wesen an ihrer Brust überströmt, durch die dunklen Gewässer des Leides schreitet, wenn sie dieses fleischliche Wesen auf dem kalten Erdboden liegen sieht. Es ist gut, dass ihre Tränen fließen und ihr Herz schmerzt, denn nur so kann sie an die vergängliche Natur der Freuden und der sinnlichen Objekte erinnert werden und der ewigen und unvergänglichen Realität näherkommen.
Es ist gut, dass der Liebende, der Bruder, die Schwester, der Ehemann oder die Ehefrau Qualen leidet, wenn das sichtbare Objekt seiner oder ihrer Zuneigung fortgerissen wird, denn diese Lektion bringt den Liebenden dazu, seine Zuneigung der unsichtbaren Quelle von allem zuzuwenden.
Nur dort kann beständige Befriedigung gefunden werden.
Es ist gut, dass der Stolze, Ehrgeizige und Selbstsüchtige Niederlagen, Erniedrigung und Ungemach zu erleiden und das glühend heiße Feuer der Bedrängnis zu durchschreiten hat, denn nur so kann die auf Abwege geratene Seele dazu gebracht werden, über das Rätsel des Lebens nachzudenken. Nur so kann sich das Herz erweichen, und für die Aufnahme der Wahrheit vorbereitet werden.
Wenn der Stachel der Pein das menschliche Herz durchdringt, wenn die Wolke der Düsternis und Einsamkeit über der Seele der Freundschaft und des Vertrauens schwebt, dann wendet sich das Herz der behütenden Liebe des Ewigen zu, und findet in ihrem stillen Frieden Ruhe. Niemand, der sich dieser Liebe nähert, wird trostlos weggeschickt und niemand wird in der dunklen Stunde der Prüfung verlassen.
Die Herrlichkeit der göttlichen Liebe kann nur im Herzen des durch das Leid geläuterten Menschen geoffenbart werden, und das Ebenbild des himmlischen Zustands kann nur wahrgenommen und verwirklicht werden, nachdem die leb- und formlosen Ablagerungen der Unwissenheit und des Selbst weggehauen wurden.
Nur die nicht nach persönlicher Befriedigung oder Erwiderung trachtende Liebe, nur die unparteiische Liebe, die keinen Herzenskummer hinterlässt, kann göttlich genannt werden.
Der an das Selbst und an die trostlosen Schatten des Übels geknebelte Mensch stellt sich die göttliche Liebe als etwas vor, das zu einem unerreichbaren fernen Gott gehört. Für ihn ist die göttliche Liebe etwas, das ihn nicht betrifft und das sich außerhalb von ihm abspielt.
In der Tat befindet sich die Liebe Gottes immer außerhalb des Zugriffsbereichs des Selbst, doch sobald Herz und Geist vom Selbst befreit sind, wird die höchste Liebe, die Liebe Gottes, eine innere Realität.
Diese innere Verwirklichung der heiligen Liebe ist die viel beredete und kaum verstandene Liebe Christi; die Liebe, welche die Seele nicht nur vor der Sünde errettet, sondern sie über die Macht der Versuchung erhebt.
Doch wie lässt sich diese hohe Form der Liebe erreichen?
Die Antwort, welche uns die Wahrheit immer schon gegeben hat und immer geben wird, lautet: „Machet euch leer und ich fülle euch.“
Die göttliche Liebe kann erst erfahren werden, wenn das Selbst tot ist, denn das Selbst ist eine Verleugnung der Liebe, und wie könnte etwas Verleugnetes erfahren werden?
Erst nachdem der Stein des Selbst von der Grabkammer der Seele weggerollt wurde, streift der bislang gekreuzigte, tote und begrabene unsterbliche Christus, der reine Geist der Liebe, die Tücher der Unwissenheit ab, und ersteht in all seiner Herrlichkeit auf.
Falls Sie nicht glauben können, dass der Geist der Liebe täglich an das dunkle Kreuz der selbstsüchtigen Wünsche genagelt wird, frönen Sie einem Irrglauben, und haben die Liebe Christi nicht einmal annähernd erfahren.
Sie sagen mir nun, dass Sie die Erlösung in der Liebe Christi kennen würden. Sind Sie von Ihrer Launenhaftigkeit, Ihrer Gereiztheit, Ihrer Eitelkeit, Ihren Verwünschungen, Ihren Aburteilungen und Ablehnungen Ihrer Mitmenschen erlöst? Falls nicht, wovon sind Sie dann erlöst? Wobei haben Sie die verwandelnde Liebe Christi erfahren?
Wer die göttliche Liebe erfahren hat, ist ein neuer Mensch geworden und lässt sich von den alten Elementen des Selbst nicht mehr herumschubsen und beherrschen.
Er ist für seine Geduld, Reinheit, Selbstbeherrschung, Souveränität, sein Mitgefühl und seine Güte bekannt.
Die göttliche oder selbstlose Liebe ist nicht nur ein Gefühl; sie ist ein Zustand des Wissens, welcher die Vorherrschaft des Bösen und den Glauben an das Böse zerstört, und die Seele auf die Erkenntnis einer höheren Instanz erhebt. Für den Weisen sind Wissen und Liebe ein und dasselbe.
Die ganze Welt bewegt sich auf eine umfassende Erkenntnis dieser göttlichen Liebe zu. Dies ist der Sinn und Zweck des Universums, und jedes Haschen nach Glück, jedes Hinausgreifen der Seele auf Objekte, Ideen und Ideale ist eine Bemühung, dies zu erkennen. Doch gegenwärtig erkennt die Welt diese Liebe nicht, weil sie nach dem flüchtigen Schatten greift, und in ihrer Blindheit die Substanz übersieht.
Und so gehen Leid und Elend weiter, und müssen solange weitergehen, bis die Welt infolge der Lehren, die sie aus den sich selbst zuzuschreibenden Quallen zieht, entdeckt, dass die Liebe selbstlos ist und dass die Weisheit ruhig und friedvoll ist.
Diese Liebe, diese Weisheit, dieser Friede, dieser ausgeglichene Geistes- und Herzenszustand kann von allen Menschen erreicht und verwirklicht werden, die bereit sind, das Selbst loszulassen, und die demütig alles, was die Aufgabe des Selbst beinhaltet, leben wollen.
Im Universum gibt es keine willkürliche Macht und die stärksten Schicksalsketten, welche die Menschheit gefangen halten, wurden vom Menschen selbst geschmiedet. Die Menschen sind an Leid verursachende Umstände geknebelt, weil sie selbst es so wollten, weil sie in ihre Ketten vernarrt sind, und weil sie ihr kleines Verlies des Selbst für etwas Schönes halten; sie haben Angst davor, dieses Verlies zu verlassen, weil sie dann alles für real und wünschenswert Gehaltene zu verlieren befürchten.
Die innewohnende Macht, welche die Ketten schmiedete und das dunkle und enge Verlies erbaute, kann aufgebrochen werden, wenn dies gewünscht wird, und die Seele wird dies wünschen, sobald sie die Nutzlosigkeit ihres Verlieses erkannt hat und sie durch langes Leiden auf den Empfang des endlosen Lichts und Liebe vorbereitet wurde.
So wie der Schatten der Gestalt nacheilt und der Rauch auf das Feuer folgt, so folgt auch Wirkung auf Ursache, und Leiden und Glück folgen den Gedanken und Taten der Menschen.
Auf der Welt gibt es keine einzige Wirkung, welche nicht auch eine offene oder verdeckte Ursache hätte, und diese Ursache ist absolut gerecht.
Der Mensch erntet Leid, weil er in naher oder ferner Vergangenheit Schlechtes gesät hat; er erntet Glück, wenn er Samen des Guten ausgesät hat.
Möge der Mensch darüber nachdenken und möge er versuchen, diese Zusammenhänge zu verinnerlichen. Dann wird er nur noch Samen des Guten ausstreuen, und die Unkräuter, die er bisher im Garten seines Herzen wuchern ließ, verbrennen.
Dass die Liebe selbstlos ist, kann die Welt nicht verstehen, weil sie ihren eigenen Vergnügungen nachläuft und in enge Bahnen vergänglicher Interesse eingepfercht ist; in ihrer Unwissenheit hält sie diese Vergnügungen und Interessen für reale und dauerhafte Dinge.
In den Flamen fleischlicher Gelüste gefangen und qualvoll gepeinigt, kann sie die reine und friedliche Schönheit der Wahrheit nicht erkennen. Von niederen Trieben des Irrtums und der Selbsttäuschung gepeitscht, wird sie aus dem Herrschaftshaus der alles sehenden Liebe ausgesperrt.
Da dem Menschen diese Liebe abgeht und er sie nicht versteht, greift er zu einer Unzahl scheinbarer Verbesserungen, die keinerlei innere Opfer verlangen, und jedermann glaubt, dass gerade seine Reform die Welt nunmehr für immer und ewig in die richtigen Bahnen lenken würde, während er selbst weiterhin in seinem Herzen dem Übel frönt. Von Verbesserung kann nur dann die Rede sein, wenn das menschliche Herz verbessert wird, denn von dort geht alles Übel aus. Die Welt wird die Lektion der göttlichen Liebe erst dann gelernt haben, wenn sie der Selbstsucht und dem Wettstreben entsagt.
Möge der Reiche aufhören, den Armen zu verachten, und möge der Arme aufhören, den Reichen zu verdammen. Möge der Gierige Freigiebigkeit lernen und der Lüsterne rein werden. Möge der Feilscher auf Wettstreit verzichten und der Lieblose gütig werden. Möge sich der Neidvolle am Wohlbefinden anderer erfreuen und der Verleumder sein schändliches Tun einstellen. Dann betreten wir fürwahr ein goldenes Zeitalter. Wer sein eigenes Herz läutert, ist der größte Wohltäter der Welt!
Wenngleich die Welt gegenwärtig von einem goldenen Zeitalter – der Verwirklichung der selbstlosen Liebe - noch ausgeschlossen ist, und dies auch noch lange so sein wird, können Sie es, sofern Sie dies wünschen, ab sofort betreten, wenn Sie sich über Ihr selbstsüchtiges Selbst erheben, von Vorurteilen, Hass und Verdammung ablassen, und sich der sanftmütigen und verzeihenden Liebe hingeben.
Wo Hass, Abneigungen und Verdammung herrschen, kann die Liebe nicht gedeihen. Die Liebe kann nur im Herzen des von jeglicher Verdammung geläuterten Menschen wohnen.
Sie werden nun einwenden: „Wie soll ich den Trunkenbold, den Scheinheiligen, den Kriecher, den Meuchelmörder denn lieben können? Solche Gestalten kann ich nur ablehnen und verdammen.“
Gefühlsmäßig werden Sie solche Menschen nicht lieben können, aber wenn Sie sagen, dass Sie nicht anders können, als sie abzulehnen und zu verdammen, geben Sie auch zu erkennen, dass Sie mit der großen allumfassenden Liebe nicht vertraut sind, denn es ist sehr wohl möglich, einen inneren Zustand der Erleuchtung zu erlangen, der Sie dazu befähigt, die Verursachungskette, welche diese Menschen zu dem gemacht hat, was sie jetzt sind, nachzuvollziehen, sich in ihr Leiden zu versetzen, und von der Gewissheit ihrer letztendlichen Läuterung auszugehen. Diese Haltung wird es Ihnen unmöglich machen, diese Menschen voll und ganz abzulehnen und zu verdammen, und Sie werden ihnen immer Mitgefühl entgegenbringen.
Wenn Sie die Menschen nur lieben und wohlwollend über sie sprechen, solange sie Ihre Pläne nicht durchkreuzt haben oder solange sie etwas anders getan haben, das nicht Ihr Wohlgefallen findet, werden Sie noch nicht von der göttlichen Liebe geleitet. Falls Sie in Ihrem Herzen ständig Vorwürfe und Beschuldigungen bergen, entzieht sich Ihnen die selbstlose Liebe.
Wer diese Liebe kennt, bewegt sich am Herzen aller Dinge und in seinem Herzen befindet sich kein Platz mehr für die Verdammnis.
Da diese Liebe den Menschen nicht bekannt ist, erheben sie sich zu Richtern über ihre Mitmenschen und vergessen, dass es einen ewigen Richter gibt. Wenn andere Menschen dann von ihren eigenen Ansichten abweichen, ihre jeweiligen Reformen und Methoden nicht befolgen, werden die Abweichler als fanatisch, weltfremd, realitätsfern, unehrlich oder uneinsichtig gebrandmarkt. Im Selbst verankerte Menschen wähnen sich sicher. Doch der Mensch, dessen Herz in der höchsten Liebe verankert ist, verzichtet auf eine Einordnung und Brandmarkung anderer; ihm liegt nichts daran, andere zu seiner Meinung zu bekehren oder sie von der Überlegenheit seiner eigenen Methoden überzeugen zu wollen.
Da er das Gesetz der Liebe kennt, lebt er es vor und nimmt allen Menschen gegenüber dieselbe ausgeglichene und ruhige Geisteshaltung ein. Ob Verdorbener oder Tugendhafter, Narr oder Weiser, Gebildeter oder Ungebildeter, Selbstsüchtiger oder Selbstloser – der Segen seiner ausgeglichenen Denkweise wird allen gleichermaßen zuteil.
Diese Weisheit, diese göttliche Liebe, können Sie nur auf dem Wege einer unermüdlichen Selbstdisziplin und der Erreichung fortwährender Siege über Ihr Selbst erlangen. Nur diejenigen, deren Herz rein ist, schauen Gott, und wenn Ihr Herz rein genug ist, werden Sie eine Neugeburt erfahren, und die Liebe stirbt niemals ab, sie verändert sich nicht, sie endet nicht in Leid und Schmerz. Sie werden Seelenfrieden erlangt haben!
Wer nach der göttlichen Liebe trachtet, bemüht sich ein ums andere Mal darum, die Verdammung zu überwinden, denn derjenige, der das reine spirituelle Wissen besitzt, weiß, dass es keine Verdammung geben kann. Und nur das zur Verdammung unfähig gewordene Herz ist zur vollkommenen Liebe fähig.
Die Christen verdammen die Atheisten, die Atheisten verspotten die Christen. Katholiken und Protestanten liefern sich einen ständigen verbalen Schlagabtausch und der Geist des Wettstrebens und hasserfüllter Regeln beherrscht die Szenen, die doch von Frieden und Liebe erfüllt sein sollten.
„Wer seinen Bruder hasst, ist ein Totschläger“,10 ein Kreuziger des göttlichen Geistes der Liebe, und solange Sie nicht allen Anhängern gleich welcher Religion oder auch ohne Religionszugehörigkeit mit derselben unparteiischen Haltung und ohne Vorbehalte begegnen können, sind Sie von der Liebe, die dem Liebenden Freiheit und Erlösung beschert, noch weit entfernt.
Die Erkenntnis dieses göttlichen Wissens, der selbstlosen Liebe, löscht den Geist der Verdammung aus, vertreibt das Böse und erhöht das Bewusstsein auf eine Stufe, auf der Liebe, Göttlichkeit und Gerechtigkeit als universal, erhaben und unzerstörbar erkannt werden.
Bringen Sie Ihrem Geist starkes, unparteiisches und sanftmütiges Denken bei.
Erteilen Sie Ihrem Herzen Unterrichtsstunden in Reinheit und Mitgefühl.
Geben Sie Ihrer Zunge Nachhilfeunterricht in Schweigsamkeit und schulen Sie sich in wahrhaftigem Reden. Dann wird der Friede bei Ihnen einkehren und Sie werden die unsterbliche Liebe erfahren.
Eine solche Lebensweise, welche Sie ohne missionarischen Eifer und ohne Bekehrungsversuche vorleben, wird auch andere Menschen überzeugen. Sie argumentieren nicht, Sie predigen nicht, Sie halten keine Vorträge; die Weisen werden Sie dennoch finden. Auf diese Weise werden Sie zu den Herzen der Menschen vordringen, ohne dass Sie auf andere einreden oder sie zu ändern versuchen.
Denn die Liebe ist eine alles überwindende Kraft und große Macht, und Worte und Taten der Liebe sind unvergänglich.
Die Erkenntnis, dass die Liebe universal, alles überragend und alles durchdringend ist, die Befreiung von den Fesseln des Übels, die Aufgabe der inneren Unruhe, das Wissen, dass jeder Mensch auf seine Weise zur Verwirklichung der Wahrheit strebt, Zufriedenheit, Sorglosigkeit, Gelassenheit – das ist Seelenfriede, Frohsein, Unsterblichkeit, Göttlichkeit.
Das ist die Verwirklichung der selbstlosen Liebe.
9 Henry Wadsworth Longfellow
10 Johannes 3,15