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Insekten und Seuchen

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Claras Tagebuch teilt uns auch mit, wie die geschulte Krankenschwester aus Gründen der Hygiene und Gesundheit in ihrer neuen Umgebung Sauberkeit und Ordnung etabliert, Krankheiten vorbeugt und ausheilt, Insekten bekämpft und sogar Skorpione und Taranteln vernichtet. Auch hier notiert sie alles emsig :

«Ganze Heuschreckenschwärme kommen wieder übers Land» (20. September 1915).

«Abends schwirrt es von Heuschrecken und Käfern und Faltern, alles kommt zum Licht.» Oder: «Schreckliche Moskitonacht» (24. Sept. 1915).

«Ich entdecke Läuse. Sofort wird geputzt und zur Wäsche bereit gemacht» (19. September 1917).

«Jagd auf Sandfliegen» (5. Oktober 1915).

«Schreckensnacht mit vier Wanzen.» (27. Oktober 1915)

«Der 8. Skorpion tot; diesmal im Schlafzimmer» (18. August 1916).

Viel alarmierter ist sie, wenn sie entdeckt, dass Insekten Karlfridelis Bettchen bewohnen. Am 26. Juni 1917 notiert Clara: «Ich finde Wanzen in Büeblis Bettchen und dasselbe wird in der Badewanne ausgebrüht.» Zuweilen bewundert man Claras Tapferkeit: «Ich nähe im Büdeli, da fällt mir auf einmal etwas vom Dach auf die Arbeit, und wie ich nachsehe, sind es ein Skorpion und eine Heuschrecke im Zweikampf. Als ich das Grausen überwunden, gehe ich mit der Feuerzange dahinter» (13. August 1917).

Unter diesen Umständen wurde Clara immer zäher und ­konnte etwa gelassen zusehen, wie ihr Mann Vipern erschlug, auf Schlangen schoß, Fallen für Schakale stellte und allerlei Ungeziefer vernichtete.

Clara graute es vor den verschiedenen Ungeziefern. Sie wusste, dass eine einzige kleine Laus ein Flecktyphuserreger sein könnte, dass Mücken die Malaria übertragen und Fliegen die Ruhr ­und andere ansteckende Infektionskrankheiten verbreiten. Auch war ihr bewusst, dass die vertriebenen und geschwächten Armenier für diese Krankheiten am anfälligsten waren und die Seuchen gleichzeitig auch verbreiteten. Mit Entsetzen beschreibt Clara das einzige für die Verhältnisse «normale Begräbnis», das sie in der Stadt Aleppo sah: «Ein kleiner achtjähriger Junge fällt beinahe ganz aus seinem Sarg heraus, Schwärme von Fliegen kriechen ein und aus. (…) Große Epidemien sind vorauszusehen» (28. September 1915).

Die unmöglichen hygienischen Verhältnisse in der ganzen ­Gegend führten tatsächlich zu Seuchen und Epidemien: Flecktyphus, Malaria, Influenza, Cholera, Ruhr, die ägyptische Augenkrankheit (Trachoma) u.ä. Bei den Sigrists wurden diese Infek­tionskrankheiten zu einem wichtigen Gesprächsthema während ihrer täglichen Zusammenkünfte. Anfang 1916 sprach man schon von Europäern aus ihrem Bekanntenkreis, die sich mit dieser oder jener Krankheit angesteckt hatten. Am häufigsten waren es Ärzte, die erkrankten. Am 24. Januar 1916 notiert Clara: «Dr. Farah zum Mittagessen da. Er kommt von Bagtsche, wo Dr. Konos am Flecktyphus erkrankt ist.» Dann am 9. Februar 1916: «Nun erkrankt auch noch Dr. Badier am Flecktyphus, der unsern Doktor in Entilli ersetzt. Also ist für die Strecke keiner mehr zu haben. Da und dort sind neun Fälle.» – «Rundum hat fast alles Fieber», heißt es am 3. Juli, und am 7. September 1916 war es Frau Wittig, die Frau des deutschen Ingenieurs von Fritz, der es elend ging, und der Doktor meinte, sie habe Typhus.

Die Südost-Türkei war von der Cholera-Epidemie am stärksten betroffen. Am 5. Oktober 1915 berichtet Clara von den ersten Cholerafällen, und am 22. Mai 1916 vermerkt sie, dass wegen Cholera selbst in Aleppo schon die Schulen geschlossen seien. Dr. Schilling43, der in den Jahren 1915–1916 in der Amanus-Gegend stationierte deutsche Sanitätsarzt, trägt Folgendes vor: «Dr. Schiff und ich fanden die Dörfer des Amanus stark durchseucht, anscheinend durch die von Norden durchziehenden Truppen. Eine Infektionsquelle schien der schmutzige Straßenort Keller zu sein, drei Stunden oberhalb Islahiye, wo an der Straße ein Rinnsal von ei­nem fließenden Brunnen aus verlief und, stark verunreinigt, stets reichlich zum Trinken, Waschen, Spülen gebraucht wurde.»44 Von demselben Brunnen ist wohl in Claras Tagebuch die Rede: «Die ersten Cholerafälle durch armenische Deportierte gestern abend hierher gebracht. Sie winden sich und sterben direkt neben dem Brunnen des Dorfes. Es ist uns beiden zum Davonlaufen» (25. Ju­ni 1916). Und wer – statt der Sigrists – läuft davon? Der türkische Kommandant! Am 26. Juni 1916 notiert Clara entsetzt: «Der Kommandant hat zusammengepackt und ging auf plötzlichen Befehl, oder aus Angst vor der Cholera? Diesen gesammelten Armeniern, die alle choleraverdächtig waren, sagte er, sie sollten gehen, wohin sie wollten. Alles stob auseinander. Eine Frau war nachts schon in das Dorfhaus gegangen, wo sie starb. Fritz sagte einem Türken ruhig, dass solche Häupter des Gesetzes bei uns [in der Schweiz] gehängt würden.»

Zum Glück folgten bald darauf Impfungen und Quarantänen, und die Eheleute Sigrist-Hilty blieben von den vielen Seuchen verschont.



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