Читать книгу Plan C - Doris Nox - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеIm Moment habe ich nicht besonders viel zu tun.
Daher schlendere ich gerne stundenlang durch die Gegend. Innerhalb weniger Minuten erreiche ich von unserem Haus aus den Fluss, auf dessen Uferweg ich kilometerweit spazieren gehen kann. Dieser Leinpfad wurde ganz früher mal dafür angelegt, damit Menschen und Zugtiere Frachtschiffe flussaufwärts ziehen konnten. Diese Arbeit haben längst leistungsstarke Motoren übernommen und der Fluss und seine Pfade werden nun gerne von Freizeitsportlern, Ausflüglern und Spaziergänger, wie mich, genutzt.
Eine Frau, die bereits gestern und vorgestern auf dieser Bank vor dem Wasserbahnhof saß, starrt traurig auf ihre Füße. Ich wäre auch traurig, wenn ich so hässliche Schuhe tragen müsste. Und ich würde wahrscheinlich noch trauriger schauen, wenn ich meine Tage auf einer unbequemen Holzbank verbringen müsste.
Man sollte seine Zeit nicht mit rumsitzen tot schlagen, denke ich und setze mich neben sie, um Untersuchungen über die Zeit und wie Menschen sie wahrnehmen und erleben durchzuführen.
Die Dame schaut mich skeptisch an, doch ich weiß ja mittlerweile was sich gehört und schenke ihr ein strahlendes Lächeln.
„Schöner Platz!“, sage ich. Ich halte diese Worte für einen besonders gelungenen Einstieg, ein hervorragendes Warm-up.
„Hau ab!“
„Hau doch selber ab, du Spaßbremse!“. Spontan entscheide mich für die Abkürzung und eskaliere das Gespräch.
Nun bricht sie in Tränen aus. Schluchzend schlägt sie sich ihre mageren Hände vor das unglückliche Gesicht.
„Der Platz ist reserviert!“, jammert sie.
„Für den Märchenprinzen, oder was?“
Mir platzt gleich der Kragen. Mit dieser Nervensäge muss endlich mal jemand ein ernstes Wörtchen reden.
Stoßweise atmet sie ein und flüstert:
„Ge-ge-ge-genau!“
Dann wendet sie ihren Blick wieder nach vorne, zuckt mit den Achseln und murmelt so, dass ich es kaum höre:
„Auf dich habe ich ganz bestimmt nicht gewartet!“
Menschen schenken der Liebe einfach zu viel Beachtung. Sie erhoffen sich viel zu viel von der der Beziehung zur geliebten Person. Helena hat mir mal erklärt, dass dies was mit der frühkindlichen Beziehung zur Mutter zu tun hat. Oder war es umgekehrt? Nun bin ich dankbar, dass ich nie Kind war. Wer weiß, mit welchen Wahnvorstellungen ich durch die Welt irren würde! Und dann mache ich das, was ich am besten kann: ich streue tüchtig Salz in die offene Wunde.
Ich ziehe ein kurzes Stückchen Kreide aus meiner Tasche und schreibe auf den Asphalt vor ihren Füßen in den potthässlichen Schuhen: „Engel mit gebrochenen Flügeln in liebevolle Hände abzugeben.“
Während sie noch versucht, meinen Werbeslogan, der für sie auf dem Kopf steht zu entziffern, gleitet ein Standup-Paddler elegant an uns vorbei. Von der anderen Seite nähern sich zwei Ruderer, die sich mächtig ins Zeug legen müssen, um gegen die starke Strömung anzukommen.
„Hier gibt es keine Märchenprinzen! Wenn du Glück hast, findest du hier höchstens einen Frosch. Aber mal ganz ehrlich: willst du den küssen?“
Am gegenüberliegenden Flussufer spielen Kinder, ein Junge und drei Mädchen, lautstark Verstecken. Das Mädchen mit den langen blonden Locken muss suchen. Sie hat uns den Rücken zugewandt und zählt langsam rückwärts:
„Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier …!“
„Frechheit!“ Energisch steht meine Nachbarin auf.
„Ich komme!“ ruft der Blondschopf und der kleine Junge plumpst ins Wasser. Der Busch, hinter dem er noch schnell in letzter Sekunde Unterschlupf gefunden hat, war wohl doch keine gute Wahl.
Und dann springen wir gemeinsam ins Wasser, um den kleinen Prinzen vor dem Ertrinken zu retten.