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2. Die krankhafte Trauerverarbeitung

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„Krankhafte Trauerverarbeitung“, dieses Wort klingt scheußlich, und ich verwende diesen Begriff höchst ungern. Er begegnet uns immer wieder in medizinischen und psychologischen Büchern und deshalb will ich ihn aufgreifen. Es ist schwierig, zu formulieren, wann Trauer angemessen und wann sie krankhaft ist. Ich persönlich würde es am liebsten so definieren: Trauer ist nicht mehr hilfreich, wenn wir länger leiden, als wir möchten, wenn wir unsere Ziele im Leben nicht mehr verwirklichen können und wir unsere Gesundheit nicht mehr erhalten wollen. Bei der krankhaften Trauerverarbeitung können wir eine der vier oben genannten Aufgaben nicht bewältigen.

1. Wir scheitern schon an der ersten Aufgabe, indem wir den Verlust leugnen. Wir weigern uns, zu glauben, dass der Partner wirklich tot ist. Immer mal wieder liest man in der Zeitung, dass ein Angehöriger über Jahre neben dem toten Körper seines Partners schläft. Wir leben in der Vergangenheit und suchen uns keine neue Lebensperspektive. Wir belassen beispielsweise das Zimmer so, wie es der Verstorbene verlassen hat. Aus dem Zimmer wird ein Altar, zu dem wir täglich pilgern. Alles, so zu belassen, wie es war, verhindert die Heilung.

Für eine bestimmte Zeit ist dieses Verhalten verstehbar. Wenn es sich jedoch über Jahre hinzieht, ist es krankhaft. Eine andere Form des Leugnens ist es, die Bedeutung des Verlustes zu verringern, indem wir den Partner abwerten. „Mir fehlt er nicht.” „Er war in Wirklichkeit kein guter Partner”, sind dazugehörige Äußerungen. Alles, was an den Partner erinnert, wird sofort weggeworfen. Um es nochmals zu betonen, für eine kurze Zeit ist es vollkommen normal und verstehbar, auf ein Wiedersehen zu hoffen und den Tod zu verleugnen.

2. Wir leugnen den Schmerz und unterdrücken ihn durch Ablenkung, durch Geschäftigkeit, Ausschalten der Erinnerung an den Toten, Ortswechsel, Ruhelosigkeit, Tabletten und Alkohol. Uns fehlen jegliche Trauersymptome. Wir ziehen uns nicht zurück, zeigen keine Traurigkeit und keine Tränen. Wir wechseln sofort nach dem Tod den Arbeitsplatz, verkaufen das Haus, stürzen uns sofort in die nächste Partnerschaft. Wir versuchen, dem Schmerz zu entrinnen, was jedoch langfristig zu schwerwiegenden Folgen führt, wie beispielsweise zu psychosomatischen Beschwerden und Erschöpfungszuständen.

3. Wir weigern uns, neue Fertigkeiten zu erwerben und die Rolle des verstorbenen Partners zu übernehmen. Wir bleiben in unserer Hilflosigkeit und in unserem Schmerz stehen und weichen den Anforderungen der Welt aus. Wir trauern chronisch. Wir denken an Selbstmord oder nehmen uns sogar das Leben.

4. Wir lassen Wut auf den verstorbenen Partner nicht zu oder quälen uns auf Dauer mit Schuldgefühlen.

5. Wir lassen uns nicht mehr auf eine neue intensive Beziehung ein, sondern halten an der früheren Bindung fest.

Des Weiteren spricht man von einer krankhaften Trauerreaktion,

•wenn die Trauer übertrieben lange anhält und wir den Eindruck haben, „nicht mehr wir selbst zu sein“;

•wenn die Trauerreaktion übertrieben ist und wir stark verzweifelt und überwältigt sind;

•wenn die Trauerreaktion verschoben wird, d.h. nicht zu dem Zeitpunkt ausgelebt wird, wo sie auftritt;

•wenn wir unfähig sind, unsere alltäglichen Pflichten zu bewältigen;

•wenn wir verstärkt zu Alkohol und Drogen greifen;

•wenn latent Selbstmordgefahr besteht.

Einen geliebten Menschen verlieren

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