Читать книгу Gartenzaun Connection - Doris Zielke - Страница 8

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1. Kapitel

‚Was für ein knackiger Hintern‘, dachte Karin Müller. Die Feststellung stimmte, doch falsch an der Situation war, dass besagtes Gesäß entblößt in ihrem Bett im schnellen Rhythmus auf und nieder schwang, während unter Andrew ein weibliches Wesen stöhnte. Karins Hand suchte Halt am Türrahmen. Während sie noch überlegte, weshalb sie ausgerechnet jetzt, jetzt in diesem Moment über den Hintern ihres Freundes nachdachte, während doch eigentlich ihre Welt zusammenbrechen müsste, wuselte unter dem Männerkörper ein Kopf roter Locken hervor. Das erschrockene Quieken begriff Andrew fälschlicherweise als Aufforderung zur Leistungssteigerung, woraufhin die Frau mit einer Faust auf ihn einzuschlagen begann und ein schrilles „no, no, stopp, oohhh, ooohh …“ dazu schrie. Die weit aufgerissenen panischen Augen des roten Lockenköpfchens bremsten Andrew, dem langsam zu dämmern schien, dass hier gerade etwas ziemlich schieflief.

„Warum bist du nicht im Laden?“

‚Typisch‘‚ dachte Karin, ‚ich denke in so einem Moment an Hintern und Andrew daran, wieviel Geld er verliert, während sein Souvenirgeschäft vor Edinburghs Burganlage geschlossen bleibt.‘

Cool jetzt, ganz cool! In ihren Ohren rauschte es, vor ihren Augen tanzten rote Punkte und am liebsten wäre sie auf die Toilette gestürzt, um sich zu übergeben. Aber nicht vor den Beiden! Sie würde nicht weichen, sie hatte niemanden hintergangen, sollten Andrew und Rotkäppchen doch zusehen, wie sie aus dem Bett herauskamen, während sie in der Tür stehen blieb. Sie schwieg. Hielt sich am Türrahmen fest, kniff ihre Augen in gefährliche Schlitzposition und schwieg.

„Karin!“, Andrew, dessen Highlander Gene in solch einer Situation automatisch hochploppten wie Sektkorken an Silvester, hatte noch nicht einmal seine Position gewechselt. „Es tut mir wahnsinnig leid, dass du es so erfährst.“ Jetzt bequemte er sich doch noch, nach der Bettdecke zu angeln, „wir reden gleich.“

„Oh, duuuu willst reden? Duuuu? Ich will, dass ihr in zehn Minuten aus meiner Wohnung verschwunden seid!“

„Karin?“

Karin drehte sich auf dem Absatz um.

„Karin! Das ist meine Wohnung.“

Leider auch wieder wahr. Sie war nur die Kraut, die Deutsche, die bei ihm eingezogen war und gehofft hatte, hier in Edinburgh, zusammen mit ihrem Traummann, ein Zuhause zu finden.

Was für ein verdammter Mist!

Sie riss die Wohnungstür auf und Mrs Clark, die betagte Dame von der Wohnung gegenüber, fiel fast kopfüber in Karins Arme. Natürlich, der alte neugierige Drache wusste längst von Andrews Seitensprung und wollte sich, das Ohr an die Wohnungstür gepresst, nichts entgehen lassen. Das schuldbewusste Lächeln, während sie ihre violett ondulierte Haarpracht in Form zupfte, sprach Bände. Im Hintergrund hörte sie Andrew, der wie ein wild gewordenes Känguru auf sie zu hüpfte, während er verzweifelt versuchte, in das zweite Hosenbein seiner Jeans zu schlüpfen.

‚Nur raus hier!‘ Die Tränen ließen sich nun nicht mehr zurückhalten, Karin suchte nach einem Fluchtweg und ihr Blick fiel auf die Eingangstür von Mrs Clark. Sie schob die alte Dame zur Seite und rannte zur Nachbarswohnung, die diese heuchlerische Schabracke einen Spalt weit offengelassen hatte, um einen schnellen Rückzug nach ihrem Lauschangriff zu garantieren. Das empörte „Hey!“ missachtend, erstürmte Karin den Hausflur der Nachbarwohnung, knallte die Wohnungstür zu und erreichte gerade noch rechtzeitig das kleine Bad, bevor ihr Mageninhalt den Weg nach oben fand.

Wie hatte sie sich so in Andrew täuschen können? Warum musste er ihr das antun? Sie hatte doch ihr altes Leben für ihn aufgegeben, war in Schottland geblieben, in der Hoffnung hier endlich Heimat zu finden. Karin richtete sich wieder auf und ließ ihren Blick über Mrs Clarks himmelblaues Plüschdesign wandern, das das Badezimmer dominierte. Karin beugte sich über das Waschbecken und fragte sich zum tausendsten Mal, weshalb die Schotten jahrhundertelang Krieg mit England geführt hatten, aber an einer so dämlichen Tradition des britischen Empire festhielten, einen Wasserhahn mit kaltem Wasser und einen Wasserhahn mit heißem Wasser an einem Waschbecken so weit voneinander zu platzieren, dass es unmöglich war, fließendes lauwarmes Wasser aufzufangen. Aber eigentlich war es ja diese gewisse Verschrobenheit, dieser Stolz auf die eigene Herkunft und die eigenen Macken, die es Karin in Schottland leicht gemacht hatten, sich sofort wohl zu fühlen. Das erinnerte sie an ihre ursprüngliche Heimat, ein kleines mittelalterliches Städtchen namens Wasserburg in Oberbayern. Hier war sie bei ihrer Tante Hildegard aufgewachsen, nachdem ihre Eltern, beide Reisejournalisten, bei einem Autounfall in Bangladesch ums Leben gekommen waren.

Es läutete Sturm. „Geschieht dir recht du alte Widerwurzn“, murmelte Karin, „du hast mich ja noch nie leiden können, bloß weil ich eine Deutsche bin. Wahrscheinlich hast du Angst, ich könnte deinen ganzen kitschigen Nippes klauen!“ Die Tränen strömten immer noch in Sturzbächen aus ihren Augen.

Nachdem sie sich ihren Mund ausgespült und wiederaufgerichtet hatte, ging sie zum Fenster, zog die hellblauen Polyestervorhänge mit den weißen Schäfchenwolken beiseite, öffnete das Fenster und sog tief die frische Luft ein.

‚Was jetzt? Wohin jetzt?‘ Bevor Mrs Clark die Nationalgarde herbeirief, um sie mit Handschellen aus ihrer Wohnung zerren zu lassen, brauchte sie einen Plan. Mist! Alle Freunde in Edinburgh waren vor allem Andrews Freunde, die mit Sicherheit zu ihm halten würden. Dort war keine Zuflucht zu finden. Außerdem brauchte sie jetzt einen Ort, an dem sie sich verkriechen, heulen und ihre Wunden lecken konnte.

Das Geklingel hatte mittlerweile aufgehört. War das die Ruhe vor der Erstürmung durch Sicherheitskräfte? Sie zog das Fenster wieder zu, eine Hand blieb am Vorhang mit dem Design „Schäfchenwolken auf blauem Himmel“ hängen. Nirgendwo gab es einen so blauen Himmel wie in Bayern, wie gerne würde sie sich direkt dorthin beamen, am Chiemsee entlanglaufen, Steine in den See pfeffern und anschließend nach Wasserburg zurückfahren und in dem Café am Marienplatz ein fettes Butterbrot mit draufgestreutem, frischem Schnittlauch bestellen. Die Zähne in ein richtig dunkles Brot mit knuspriger Kruste versenken. Und dann bei Tante Hildegard ihr Herz ausschütten. Ihre Tante, die sie vor vielen Jahren aufgenommen hatte und sicher krampfhaft versuchen würde sich nicht anmerken zu lassen, wie erleichtert sie war, dass die Episode Andrew vorbei war. Ein erstes Treffen zwischen Tante Hildegard und Andrew war nicht so verlaufen, wie es sich Karin gewünscht hätte. Auch wenn sie nichts sagte, so hatte Karin doch die Vorbehalte ihrer Tante gegen Andrew gespürt.

Mist, Mist, Mist! Die Tatsache, dass ihre Tante mit ihrer Menschenkenntnis Recht behalten hatte, hielt sie ab, sich eine Tasche zu schnappen, ein Flugticket nach München zu besorgen und Trost bei ihrem einzig verbliebenen Familienmitglied zu suchen. Nicht zu vergessen Streuner, dem rabenschwarzen Kater, dem sie seit jeher alle Geheimnisse anvertraute.

Jetzt klopfte es an der Wohnungstür. „Karin, Karin, öffne bitte die Tür!“ Andrew!

Karin setzte sich auf den Badewannenrand. Wie sollte sie nachdenken bei diesem Lärm? Sie rollte sich reichlich von dem rosafarbenen Toilettenpapier ab und schnaubte sich trompetend die Nase frei. Wie sie es drehte und wendete, sie würde wohl in den sauren Apfel beißen und ihrer Tante erklären müssen, dass sie erst einmal wieder bei ihr unterschlüpfen müsste. Mist, elendiger!

Das Geklopfe wurde lauter. „Karin – öffnen – wichtiger Anruf – Tante – Deutschland.“, klang es dumpf vom Hausflur durch die geschlossene Tür.

Karin horchte auf. ‚Na so was‘, dachte sie gerührt, ‚hat Tantchen wieder den siebten Sinn, dass ich ihre Hilfe brauche.‘ Halb resigniert, halb erleichtert tupfte sie sich die Tränenspuren aus dem Gesicht, entsorgte den rosafarbenen Papierklumpen in der Toilette und trat in den Flur. Das Klopfen verstummte erst, als Karin die Wohnungstür öffnete. Mrs Clark erklomm ihr Reich wie eine abgeschossene Rakete, drängte sich empört an Karin vorbei, schubste sie energisch hinaus und schloss mit einem lauten Knall die Wohnungstür. Na, die würde es sich zweimal überlegen, wie sie die nächsten nachbarschaftlichen Lauschangriffe plante! Jetzt stand Sie Andrew Auge in Auge gegenüber.

„Es tut mir wirklich leid“, so betreten hatte Karin Andrew noch nie gesehen, als er ihr das Telefon entgegenhielt.

Mit einem Kopfnicken Richtung ihrer noch, oder besser gesagt ehemaligen, gemeinsamen Wohnung fragte Karin, „ist Rotlöckchen noch drin?“ Andrew schüttelte verneinend den Kopf. Karin ging zurück in die Wohnung, Andrew folgte ihr zögernd. Sie seufzte laut auf, hielt das Telefon an ihr Ohr und sagte, „Hallo Tante Hildegard.“

Kurzes Schweigen am anderen Ende der Telefonleitung.

„Hallo, hallo, Tante Hildegard, bist du noch dran? Es tut mir leid, dass ich dich so lange habe warten lassen. Hier ist einiges passiert.“ Sie seufzte laut und theatralisch auf. Besser, die Tante schon einmal seelisch darauf vorzubereiten, was nun kommen sollte.

„Karin?“ Das war zweifelsohne eine männliche Stimme. Irritiert sah sie auf das Telefondisplay. Das war doch die Vorwahlnummer von Wasserburg?

„Karin!“, nochmal diese belegte Stimme, „Hier ist Florian.“ Und bevor sie ihn, ihren Freund aus Kindertagen begrüßen konnte, fuhr er schon wie gehetzt fort, „Karin, du musst sofort herkommen. Es tut mir leid, aber ich muss dir mitteilen, dass deine Tante letzte Nacht verstorben ist.“

Hinter ihr fiel eine Tür ins Schloss.

Gartenzaun Connection

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