Читать книгу Clankriminalität - Dorothee Dienstbühl - Страница 26

1.1 Clan

Оглавление

Für Clans existiert keine allgemein anerkannte Definition, sie werden jedoch als älteste und natürlichste Form menschlicher Organisationen aufgefasst, welche durch die gleiche Sprache, Kultur und Regeln ein Zugehörigkeitsgefühl aufweisen.[1] Der Begriff beschreibt einen „Familienverband, Sippe, Clique“.[2] Abgeleitet vom lateinischen Begriff planta „Spross“ wurde im altirischen cland (später irisch clann) für „Kinder, Nachkommenschaft“ verwendet.[3] Die Abstammung kann dabei mythischer Art sein, was bedeutet, dass es nicht zwangsläufig um eine nachvollziehbare Blutslinie gehen muss.[4] Eingedeutscht als Klan ist der Begriff im soziologischen Sinn „von stark wechselnder Bedeutung für alle unilinealen Abstammungsgruppen in verschiedenen Familiensystemen.“[5] In Abgrenzung zum Familienbegriff gehe es zudem eher um bestimmte Funktionen des Familiensystems (wie eine ökonomische, religiöse, politische bzw. einer Kombination unterschiedlicher Funktionen).[6]

Exkurs: Sippe, Stamm, Großfamilien

Der Clan-Begriff ersetzte im 20. Jahrhundert den der Sippe (engl. sip) für eine Großfamilie im englischsprachigen Raum. Allerdings mit der Einschränkung einer eindeutigen Abstammungslinie nach dem amerikanischen Anthropologen George Murdock.[7] Im Althochdeutsch wurde das Wort Sippe zur Bezeichnung von Blutsverwandtschaft verwendet (sibba).[8] In diesem Kontext und in der weiteren Verwendung bezeichnete der Begriff „Verwandtschaft, Liebe, Freundschaft“.[9] Im Germanischen bezeichnete der Begriff zunächst „die durch ein Bündnis begründete Verwandtschaft“[10], später die „Zugehörigkeit durch Abstammung und Verwandtschaft“.[11] Im allgemeinen Sinne bezeichnet Sippe somit eine (Groß)Familie im weiteren Sinn, deren Abstammung – wie auch bei einem Clan – nicht in einer Blutslinie erfolgen muss, sondern erdacht sein kann. Vor allem in vorstaatlichen Gesellschaften umschrieben sie die Zugehörigkeit mit religiöser, wirtschaftlicher und politischer Funktion. Damit umfasst sie eigene Regeln und Riten. Sippe oder auch Sippschaft wird im heutigen Sprachgebrauch eher umgangssprachlich gebraucht, um die Verwandtschaft zu bezeichnen,[12] hat dabei aber auch eine negative Konnotation.

Auch der Stammesbegriff ist nicht trennscharf und wird heute synonym zu Clans verwendet, besagt aber ähnliches wie der Sippenbegriff. Häufiger wird von Volksstämmen gesprochen, die eine einfache gesellschaftliche Organisationsform haben, die mit der Vorstellung einer gemeinsamen Abstammung der Mitglieder einherging.[13] Sprache/Dialekt, Religion, Brauchtum schaffen eine Grundlage für politisches Gemeinschaftshandelns, mit denen die Interessen der Mitglieder zusammengehalten werden.[14] Dies schafft wiederum Grundlage für ein gelebtes Regelwerk und Gesetze, die als gesellschaftliches und somit künstlich zu begreifen ist.[15] Der Begriff geht sowohl auf die Abstammung zurück, als eben auch in der Vorstellung eines Baumes, in dem die Wurzeln die Abstammung symbolisieren und der nach allen Seiten in die Verwandtschaftsverzweigungen entwickelt (vgl. Stammbaum, Stammbaumforschung, Stammbuch, etc.).[16] Stammesstrukturen werden in der westlichen Gesellschaft dann als tribale Strukturen bezeichnet, wenn es um gelebte Regelwerke geht, die außerhalb des geltenden Rechts liegen, also die Implementierung von Stammesrecht. Dies inkludiert, dass es soziale Zusammenschlüsse gibt, die geltendes Recht nicht anerkennen und ihre eigenen Gesetze als höherwertig erachten.[17] Stämme zeichnen sich zudem durch ihre Konkurrenz zueinander aus.[18]

Da beide Begriffe, wie auch der Begriff Clans im heutigen Sprachgebrauch negativ betrachtet werden, verwendeten Polizei und Presse häufiger den Begriff der Großfamilie, um beispielsweise über Streitigkeiten, die untereinander im öffentlichen Raum ausgetragen wurden, zu berichten. Ob dies dazu beitragen konnte, keinerlei Vorurteile zu schüren, kann kritisch betrachtet werden,[19] obwohl der Begriff auch durch historische Formen durchaus vielfältiger interpretiert werden kann.[20]

Der Clanbegriff wird mittlerweile eher als ein in anderen Ländern praktiziertes soziales Konstrukt betrachtet, da es dem heute in Europa gelebten Individualismus[21] entgegensteht.[22] In vergangenen Zeiten gab es dieses durchaus auch in Europa.

Zum Verständnis lohnt daher zunächst der vergleichende Blick nach Schottland, da der Clan-Begriff in Europa zunächst in diesem Zusammenhang Bekanntheit erlangt hat. „Clann“ bezeichnete im frühmittelalterlichen Königreich Alba ein Zusammenschluss von mindestens fünf Haushalten (Gilfine).[23] Die Highland-Clans als sozialer Großverband werden aufgrund ihres Namens als Familienverband oder zumindest als entfernt verwandt miteinander betrachtet. Dabei müssen diese Clans im Kontext von Geschichte und Geographie betrachtet werden: Nach Ende des römischen Reiches und der Christianisierung war die Zentralgewalt in Schottland und Irland schwach, stattdessen existierten unzählige „Kleinkönigreiche“, deren Oberhäupter im Endeffekt Großgrundbesitzer waren, die sowohl landwirtschaftlich als auch kriegerisch aktiv waren.[24] Erst nach drei Generationen war ein Clan etabliert.[25] Deren Macht beruht auf den verwandtschaftlichen Beziehungen, die durch die Geographie begünstigt wurden: Die kleinen Inseln und die Täler setzten den Menschen recht enge Grenzen.[26] Daraus entwickelten sich die Clans als familiäre Herrschaftsform. Die Familie eines Oberhauptes war mit vielen Angehörigen des Clans direkt verwandt oder verschwägert. Die engen geographischen Grenzen hatten den Effekt, dass eine Identifikation der Menschen mit Vornahmen und Tätigkeit oder einem herausragenden Merkmal ausreichte („Ian, der Schmied“ o.ä.).[27] Wenn man das Tal jedoch verließ, schloss man sich mit seiner Familie lieber der Schutzmacht eines Clans an, dessen Zugehörigkeit man zur Schau tragen konnte.[28] So übernahm man meist den Namen des Clans als den eigenen.[29] Wie mächtig ein Clan wurde, hing von der Politik und dem Charisma des Oberhauptes (Chief) ab, der gleichzeitig als Richter und Kriegsherr fungierte.[30] Die Hierarchien waren patriarchal und durch die Erbfolge, vor allem bei den großen Clans, geprägt.[31] In Kriegszeiten stellten die Chiefs das Clanaufgebot für den König (Ri).[32] Innerhalb der Clans gab es eigene Gesetze und Regeln für die einzelnen Mitglieder, die von Clan zu Clan abweichen konnten.[33] Die Clans standen im Wettbewerb zueinander und trugen, insbesondere aufgrund des begrenzten Territoriums, Streitigkeiten untereinander aus. Zerwürfnisse zwischen den Nachbarclans waren somit an der Tagesordnung. Jeder Clan befand sich selbst als den besten. Vor allem diejenigen, die in ihn hineingeboren waren, erfüllte ihre Herkunft mit Stolz – ein Relikt, dass sich die schottischen Clanangehörigen noch heute bewahrt haben.[34] So kultivieren die schottischen Clans noch immer ihre Traditionen wie Wettkämpfe, Familienzusammenkünfte und empfinden sich als eine gesellschaftliche Elite, was sich in Bildungsabschlüssen und entsprechenden Berufspositionen zeigt. Sie stellen allerdings keine Gegengesellschaft dar, sondern sind engagiert und im gesellschaftlichen Leben eingebunden.[35]

Der Begriff Clan wird im gegenwärtigen kriminologischen und polizeilichen Sinne in einem speziellen festgelegten Kontext gebraucht, der sich auf die Abstammung bezieht. Gemeinhin wird mit ihm die arabische Großfamilie assoziiert, die den verwandtschaftlichen Zusammenschluss diverser Kernfamilien bezeichnet. Prinzipiell tauchen solche Clan-Strukturen deutlich häufiger auf und sind längst nicht nur auf arabische Familienbündnisse begrenzt. Andererseits gehört jedoch nicht jede arabischstämmige Großfamilie zu einem Clan. Allerdings kann der verwandtschaftliche Kontext aus einer rein willkürlichen Zuordnung herrühren, die von Personen im Zuge der Migration selbst vorgenommen wurde, um sich selbst einem Clan zuzuordnen. Ein Clan umfasst daher häufig mehrere hunderte Mitglieder,[36] ist jedoch nichts zwangsläufig an einem einzelnen Namen festzumachen. Zudem zeigt sich durch Eheschließungen längst eine Vermischung der Namen. Prinzipiell tauchen solche Clan-Strukturen deutlich häufiger auf und sind längst nicht nur auf arabische Familienbündnisse begrenzt.[37] Eine einheitliche Definition existiert nicht, vielmehr haben die Medien den Begriff durchgesetzt. Gleichwohl benötigen die Behörden einen operativen Begriff und damit einhergehend eine operationalisierte Definition, als „notwendigen Übersetzungsvorgang“ um das Phänomen erfassen und bearbeiten zu können.[38]

Das Projekt KEEAS „Kriminalitäts- und Einsatzbrennpunkte geprägt durch ethnisch abgeschottete Subkulturen“ des LKA NRW hat Kriterien für einen Clan erstellt, nach denen eine Zugehörigkeit nach Namen kategorisiert werden kann. Diese Kriterien umfassen

Die Verwandtschaft als Bedingung der Mitgliedschaft („Familie als kriminelle Solidargemeinde“).
Segmentäre, hierarchisch und regelmäßig patriarchale Struktur nach Abstammung.
Ablehnung der geltenden Rechtsordnung in Deutschland sowie der Akteure aus Exekutive und Judikative.
Ideologische Legitimation des kriminellen Handelns (Abwertung der Opfer).
Paralleljustiz durch eigene Autoritäten.
Strategische Eheschließungen mit Zwangscharakter.
Nach außen dokumentierter Macht- und Gewinnstreben, durch Besetzung des öffentlichen Raumes.[39]

Es gibt einige Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zwischen den schottischen und den arabischen Clansystemen. So ist beispielsweise der beschriebene Stolz, einem bestimmten Clan anzugehören, auch den hier betrachteten Familienclans gemein.[40] Der Nachweis reicht dabei bis zu einem Stammes-Urvater, wobei auch dieser, wie zuvor ausgeführt, nicht zwangsläufig in der Blutslinie übereinstimmen muss.[41] Es geht vielmehr darum, dass das mythische Narrativ, auf dem der Stolz und die Familienehre des Clans basiert, transportiert wird. Dies umso mehr, wenn es sich um eine Abstammungslinie des Propheten Mohammed handelt.[42]

Ethnisch abgeschottete Subkulturen“ beschreiben bereits das Kernproblem: Es geht um Personenbündnisse einer Ethnie, die sich von der Mehrheitsgesellschaft abschotten und im Sinne einer Subkultur eigene Regeln und Werte leben.[43] Das Prinzip von entsprechenden Subkulturen, die eigenes Recht leben, existiert noch immer in diversen Ländern, vor allem im afrikanischen und arabischen Raum.[44] Eine solche Abschottung sieh der ehemalige UNESCO-Direktor W.H. Reuther bereits in der Bauweise der Häuser im Nahen Osten: Um die Familie zu schützen und den Zusammenhalt zu organisieren, befinden sich Häuser in einem vollständig umbauten Innenhof. Auf Fenster zur Straße wird verzichtet, das Leben spielt sich in diesen Innenhöfen ab.[45] Dies ist in Deutschland von der Bauweise nicht gegeben, allerdings findet sich immer wieder der Zusammenzug von Familien- und Verwandtschaftsmitgliedern in denselben Mehrfamilienhäusern, in derselben Straße oder zumindest in der unmittelbaren Nachbarschaft. Das KEEAS-Merkmal „Besetzung des öffentlichen Raumes“ muss nicht als Widerspruch zu der im Orient betrachteten Lebensweise gesehen werden: Mit dem regelrecht territorialen Anspruch legen sie den Grundstein für ständige Auseinandersetzungen, sowohl mit dem Staat, aber auch untereinander. Dies stellt in Hinsicht auf die Streitkultur eine grundsätzliche Ähnlichkeit zu den schottischen Clans dar, deren Mitglieder gegenseitig immer wieder Auseinandersetzungen austrugen. Solche werden in Nordrhein-Westfalen, Bremen, Niedersachsen und Berlin immer wieder an den Orten registriert, an denen mehrere Familien in unmittelbarer Nähe wohnen oder aufeinandertreffen. Reuther beschreibt exakt solche Auseinandersetzungen bis hin zu bewaffneten Überfällen als regelrechten Sport, der im Nahen Osten Tradition durch Beduinenstämme besitzt, die dies bis weit in das 20. Jhd. hinein praktizierten.[46] Clans unterscheiden sich dabei auch untereinander durch ihre individuellen Regeln, in erster Linie aber gegenüber dem Staat, in dem sie leben, und empfinden dies als eine Art Freiheit bzw. Emanzipation.[47] Dies bezeichnen wir als Paralleljustiz. Die Verwandtschaft als Bedingung für eine Mitgliedschaft ist einerseits recht absolut, andererseits existiert durchaus die Möglichkeit des Einheiratens sowie der eigenen Zuordnung im Migrationsprozess, sofern eine entsprechende Abstammung angenommen werden kann.[48] Dieser Aspekt ähnelt der Selbst-Zuordnung schottischer Handwerker, die ihr Tal verließen und sich einem Clan anschlossen, um Schutz zu genießen.

Nur einige arabischstämmige Großfamilien gehören zu einem der nachfolgend betrachteten Clans. Das LKA NRW verengt daher den Begriff Clan auf solche Familienstrukturen, deren „typischer Handlungsrahmen sich in der offensiven und öffentlichkeitswirksamen Beanspruchung regionaler oder krimineller Aktionsräume dokumentiert.“[49] Weiterhin stellt das LKA NRW in erster Linie auf türkisch-arabischstämmige Großfamilien ab, deren Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Mhallamiye/Mardelis zuzuordnen sind und deren ursprüngliche Herkunft vor der Migration in den Libanon entsprechend in der Südosttürkei liegt.[50] Gleichzeitig zählen jedoch auch Personengruppen aus palästinensischen Gebieten[51] dazu, wie beispielsweise der Abou-Chaker-Clan in Berlin.

Clankriminalität

Подняться наверх