Читать книгу Die dünne Frau - Dorothy Cannell - Страница 8

2

Оглавление

In der Woche nach meinem Besuch bei der Kultivierten Herrenbegleitung versuchte ich mich damit zu trösten, dass keine Neuigkeiten gute Neuigkeiten sind, aber selbst in meinen Ohren hatte der Spruch einen falschen Klang. Entweder war Mrs. Swabucher übertrieben wählerisch oder ihre Suchexpedition war kläglich gescheitert. Ich hatte ihr Jills Nummer gegeben, denn mein eigenes Telefon, das einem Trappistenkloster Ehre gemacht hätte, war längst abgeschafft. Jedes Mal, wenn ich Jills Schritte auf der Treppe hörte, hielt ich die Luft an, bis ich Sternchen sah. Meistens kam sie nur rauf, um sich von mir ein Ei zu borgen. Ihre neueste Masche war, eins in Salzwasser zu verrühren und damit um Mitternacht zu gurgeln. Ansonsten berichtete sie nur von drei obszönen Anrufen einer Dame aus dem vornehmen Knightsbridge, die Jill für ihren Zeitungsjungen hielt. Am Mittwoch endlich rief sie mich herunter und drückte mir den Hörer in die Hand. Er klinge traumhaft! Falscher Alarm, es war nicht er, sondern nur Mr. Green von der Reinigung an der Ecke, der mir überglücklich verkündete, er habe den Gürtel von meinem blauweiß gepunkteten Seidenkleid gefunden. Ich war drauf und dran, ihm zu sagen, er solle ihn als Wäscheleine behalten, aber er war ein freundliches Männlein und pflegte eine alte Mutter.

Der Samstag kam herauf und Jill bestand auf einem Einkaufsbummel. Ich müsse unbedingt neu eingekleidet werden für das Wochenende. All mein Jammern, sobald ich den Rücken drehte, werde er anrufen, half nichts und so trottete ich hinter ihr her nach Soho in eine schmuddelige Boutique. Die Besitzerin, eine Schlampe mit verfilztem schulterlangem Haar und einem tätowierten kopflosen Huhn auf dem linken Unterarm, begrüßte uns überschwänglich. Sie, Serena, werde mich verwandeln! Fragte sich nur, in was. Trotz passiven Widerstandes wurde mir ein bodenlanger purpurroter Seidenkaftan aufgezwungen, dessen Ausschnitt mit Perlenstickerei prunkte, während Ärmel und Saum von Goldborte glänzten. Serena und Jill behaupteten, ich sähe märchenhaft aus. Ich hätte es anders ausgedrückt: der Schrecken Arabiens. Aber ein Quäntchen Rückgrat bewahrte ich und verweigerte die Schnabelpantoffeln aus Goldbrokat.

»Was gluckert denn da so?«, fragte ich, als wir endlich Jills Tür erreicht hatten, völlig durchnässt, denn auf dem Weg von der U-Bahn hatte uns ein Wolkenbruch überrascht. »Hört sich an wie Tobias. Er ist irgendwo eingesperrt. Er erstickt!« Sie nahm ihren Schlüssel raus. »Das ist nicht Tobias. Du weißt ja, wie Miss Renshaw im Souterrain sich aufregt, wenn den ganzen Tag das Telefon klingelt und keiner rangeht. Deshalb schieb ich’s immer, wenn ich länger weg bin, unter den Sitzsack.«

Ihre Hand verharrte vor dem Türschloss. Wir blickten uns an. »Das Telefon!«, kreischten wir im Chor. »Es klingelt!«

Ich grapschte nach dem Schlüssel. Jill ließ ihn fallen und mit leisem, metallischem Klackern trudelte er über das dunkle Linoleum. »Rindvieh«, sagten wir gleichzeitig. Auf allen vieren krabbelten wir im Kreis herum, in unserer Panik prallten wir aufeinander.

»Zu spät!«, schrie Jill.

»Ist er in eine Spalte gerutscht?«

»Nein, du Trampel! Das Telefon hat aufgehört. Ah! Hab ihn!« Sie hielt den Schlüssel so weit wie möglich von mir weg und verbot mir, mich zu rühren, bevor sie die Tür aufgeschlossen hatte.

»Soll ich vielleicht ewig hier kauern? Ich kriege einen Krampf in den Knien.«

Jill knurrte nur kurz, als ich mich aufrappelte und ihr in die Wohnung folgte. Da standen wir nun in unseren tropfnassen Mänteln traurig mitten im Zimmer; das Telefon hockte da und sagte keinen Ton.

»Klingle, du schwarze Kröte«, befahl ich und es gehorchte.

»Geh du ran.« Jill schälte sich aus ihrem Mantel. »Und wenn das wieder diese Labortante ist und fragt, ob ich meinen Körper für Versuchszwecke spende, sag ihr, geben tu’ ich nur im Leben.«

»Riverbridge 6890«, krächzte ich. Wie kann einer Frau mit siebenundzwanzig schon die Stimme brechen?

»Ellie Simons?«, kam es vorwurfsvoll vom anderen Ende.

»Em, äh, was, ah, wer …?«

»Bentley Haskell. Den ganzen Vormittag versuche ich, Sie telefonisch zu erreichen. Ich habe Mrs. Swabucher im Büro so verstanden, dass es sich um eine Art Notfall handelt. Sollten Sie inzwischen anders disponiert haben, wäre mir das durchaus recht, allerdings weiß ich bei diesen Aufträgen gern, woran ich bin.«

»Ja, natürlich! Ich kann Sie vollkommen verstehen.« Vor lauter Schreck ließ ich den Hörer fallen, er polterte zu Boden.

Jill hockte auf einem Stuhl neben meinem linken Ohr. »Hör auf zu katzbuckeln.«

»Sst.« Ich entriss ihr die Schnur und sprach ins Mundstück. »Keine Sorge, mir ist nur das Telefon runtergefallen, nicht das Gebiss.«

Ungeduldiges Atmen kam durch den Draht. »Miss Simons, ich nehme pro Monat nur wenige Aufträge an. Die Begleitung alleinstehender Damen ist nicht mein Hauptberuf, deshalb trachte ich, meinen Terminplan so weit wie möglich im Voraus aufzustellen. Um welche Zeitspanne handelt es sich bitte, und wann?«

»Wann?«, echote ich. »Ich dachte, Mrs. Swabucher hätte Ihnen – einen Moment bitte. Sie müssen vielmals entschuldigen. Ich weiß, ich hab die Einladung hier irgendwo in meiner Handtasche. Sie wollen die Daten wissen?«

»Leiden Sie an Gedächtnisschwund, Miss Simons?«

»Wie witzig, Mr. äh …!« Ich kicherte wie ein blondes Doppeldummchen. »Ich mag Männer – Leute – mit Sinn für Humor.«

Ich hielt die Hand über den Hörer und zischte Jill verzweifelt zu: »Wann fahre ich?«

Sie schloss schmerzlich berührt die Augen. »An was erinnern dich schwarze Katzen und Spinnen am Morgen? Freitag, der dreizehnte! Und hör auf, so zu winseln, das ist menschenunwürdig.«

Jill hatte recht. Schluss mit dem Unsinn! Ich reckte die Schultern und ahmte meinen Bankberater nach, wenn er mir klarmacht, dass er meine Schecks mit einer Hand platzen lassen kann. »Mr. Hammond, ich habe alle Informationen parat. Die Daten sind dreizehnter bis fünfzehnter Februar.«

»Haskell. Bentley T. Haskell. Wie ich von unserer gemeinsamen Bekannten Mrs. Swabucher erfahre, ist Ihre Situation etwas ungewöhnlich und Sie suchen mehr als lediglich einen Begleiter. Ich soll mich als der getreue Lebengefährte ausgeben?«

»Kostet das extra? Kein Problem. Sie können das Geld in bar haben, wenn Sie wollen.«

»Vielen Dank, und zwar in nicht registrierten Scheinen, wenn’s geht.«

Komischer Mensch. Verachtete er seine Arbeit, fand er sie erniedrigend? Er klang in Eile, sich rasch wieder einem Zeitvertreib zuzuwenden, wie er kultivierten Herren ansteht.

»Sollen wir uns treffen, bevor wir losfahren?«, fragte er. »Dann können Sie mich über die Einzelheiten ins Bild setzen.«

»Nein, das wird nicht nötig sein.« Ich sah keine Veranlassung, diesem ohnehin feindseligen Herrn einen Grund zu liefern, sich zu drücken. Mrs. Swabuchers barmherzige Beschreibung von mir mochte von der Wirklichkeit abweichen. »Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, Mr. Haskell, schicke ich Ihnen den Terminplan – Abfahrtszeit, Reiseziel usw.«

»Vielen Dank, aber richten Sie alle Korrespondenz an das Büro. Meine Privatadresse gebe ich Klienten nicht.«

Hatte der Mann Angst, ich könnte in einer stürmischen Nacht auf seiner Türschwelle erscheinen und ihn vergewaltigen? »Wunderbar.« Wo hatte ich nur meine Gedanken? »Wie Sie, Mr. Haskell, möchte ich das Ganze rein geschäftlich behandeln.« Ich lachte silberhell auf, um ihm zu zeigen, wie spaßig ich alles fand.

»Störe ich Sie gerade beim Essen?«

»Nein.« Wollte er das Visier herunterlassen und mich einladen?

»Ich dachte schon, Sie hätten sich verschluckt.« So viel zu meinem Charme! Bevor er auflegte, erwähnte ich Transportmittel. Ich hatte daran gedacht, mit dem Zug zu fahren, aber als er sein Auto vorschlug, fand ich das Angebot unwiderstehlich. Sofort hatte ich vor Augen, wie wir majestätisch durch die Tore von Merlins Schloss rauschten.

»Gut«, sagte ich zu Mr. Haskell. »Setzen Sie das Benzin mit auf die Rechnung.«

Was er zusicherte, bevor er auflegte.

Ich saß neben dem Telefon, starrte die Decke an und presste die Knie zusammen. Sie schlotterten schlimmer, als meine Zähne klapperten.

»Wie heißt er?«, fragte Jill. Ich sagte es ihr. »Hört sich an wie ein Auto«, fand sie.

»Jill, du weißt, ich reagiere sehr empfindlich auf Namenswitze.«

»Entschuldige. Hatte vergessen, dass Ellie eine Abkürzung ist. Wie wär’s, wenn wir zur Feier eine Flasche Rhabarberwein köpfen?«

Sobald ich mich von dem Schock erholt hatte, wurde es ein schöner Abend. Ich ließ das Telefongespräch noch einmal Revue passieren und redete mir ein, jemand, der so schroff und unhöflich war wie Bentley Haskell, musste ein Prachtexemplar sein. Weniger attraktive Männer geben sich mehr Mühe. In jedem Lore-Roman ist der ansehnliche Held anfangs ein abweisendes Raubein, bis die Heldin ihn sich mit samtweichen Pfötchen gekrallt hat. In Gedanken versah ich Mr. Haskell mit einem interessanten Hinkegang und einer Narbe auf gebräunter Wange – Überbleibseln des unvermeidlichen Jagdunfalls.

Nach dem dritten Glas Wein war ich richtig gut drauf. Wieder nüchtern fiel mir am nächsten Morgen ein, dass all diese Heldinnen aussehen wie Vanessa. Sollte ich je in einem Lore-Roman besetzt werden, dann mit der drallen Minna, die als treuer Dienstbolzen durchs Leben trudelt. Das ist die Wirklichkeit.

Die nächste Woche verging in einem Taumel der Entschlusslosigkeit. Ich verbrauchte meinen gesamten Vorrat an Briefpapier – Geschenke aus drei Jahren – für Entwürfe an Mrs. Swabucher mit der Anweisung, meinen Auftrag zu streichen; alle wurden wütend zerrissen und im Küchenherd verbrannt. Tobias, dieses furchtlose Raubtier, wagte nicht mehr, »miau« zu sagen. Ich war barsch zu Jill. Mit einem Wort, ich war völlig fertig und wurde von Minute zu Minute fetter. Die Zeit wurde knapp. Ich schrieb Tante Sybil, ich käme in Begleitung, und schickte der Agentur den Terminplan mit der Bitte, ihn an Mr. Haskell weiterzuleiten.

Als der Schicksalstag heraufkam, waren meine Augen blutunterlaufen und meine Haut – meine einzige Attraktion – übersät mit roten Flecken. Die Minuten verrannen unaufhaltsam und brachten den geisterhaften Mr. Haskell immer näher. Ich konnte die Schlüssel zu meinem Koffer nicht finden, und die Haferschleim-Eiweiß-Gesichtsmaske, die mir Jill verpasst hatte, war zu Beton erstarrt. Eine Weile hatten wir Angst, wir müssten jemand von der nächsten Tankstelle holen, um mich rauszumeißeln.

»Schade, dass es kein Kostümfest ist«, seufzte Jill. »Du könntest prima als Felsbrocken gehen.«

Glücklicherweise musste ich lachen und der Fels bröckelte. Jetzt kam die nächste schwierige Prozedur – mich in neue Strumpfhosen zu quetschen, ohne dass sie platzten wie zu stark aufgeblasene Ballons.

Jetzt noch den Kaftan über den Kopf.

»Meinst du wirklich, ich bin passend angezogen?« Ich mühte mich mit einem widerspenstigen Perlohrring ab.

»Klar!« Jill stopfte meinen linken Fuß in einen schwarzen Ripsschuh, den ich seit Jahren nicht getragen hatte.

»Heutzutage kannst du in Packpapier rumlaufen und keiner zuckt auch nur mit der Wimper.«

»Wie spät ist es?« Ich suchte meine kleine goldene Uhr. Meine normale im Big-Ben-Format passte nicht zu der Aufmachung. »Er kommt um halb vier.«

»Du hast noch Zeit. Obwohl ich finde, du solltest nicht ewig diesen Oma-Dutt tragen oder wenigstens was mit deiner Haarfarbe machen. Mittelbraun ist dies Jahr nicht angesagt.« Jill war beim rechten Fuß angekommen. »Noch zehn Minuten.«

Es klingelte, und Jill büßte beinahe ihre Hand ein, als ich zurückwich. Ich hasse Zufrühkommer. Pünktlichkeit steht ganz oben auf meiner Liste unverzeihlicher Sünden. Es klingelte wieder, hartnäckig. Jill machte die Tür auf, während ich zwischen Schlaf- und Wohnzimmer hin- und herflatterte wie eine riesige rote Motte.

»Miss Simons?« Er hörte sich nett an und irgendwie – erleichtert?

»Nein, Jill, eine Freundin aus dem Haus; Ellie ist da drin.«

Tusch und Trommelwirbel – meine verflixten Knie schlotterten wieder. Endlich standen wir uns Auge in Auge gegenüber. Er war nicht groß, dafür dunkel und gutaussehend, und zwei von drei möglichen Punkten sind immerhin was. Seine Körpergröße war höchstens durchschnittlich, vielleicht eins fünfundsiebzig, drei Zentimeter mehr als ich auf hohen Absätzen. Sein Haar war lockig und dunkel, fast schwarz. Bei seiner olivfarbenen Haut hätten seine Augen von Rechts wegen braun sein müssen, aber sie waren intensiv blaugrün. Er trug eine Nickelbrille, die ihm keineswegs Minuspunkte einbrachte (später erfuhr ich, dass er sie nur zum Autofahren aufsetzte), und er war schlank, schlank und noch mal schlank. Vielleicht nicht hübsch, wie es im Buche steht, aber entschieden attraktiv. Angesichts seines gut geschnittenen Mantels über dem Anzug aus dunklem Wolltuch, dem weißen Hemd und der gestreiften Seidenkrawatte wurde mir klar, wie ich aussah – wie die Dicke vom Rummelplatz, nuttig, ordinär und grotesk.

Der arme Mann, was für eine Art, sein Geld zu verdienen! Ich nahm mir vor, nett zu ihm zu sein. Morgen würde ich zu meinen Tweedsachen zurückkehren und ihm am Schluss des Wochenendes ein anständiges Trinkgeld geben, damit er seine Mutter oder seine Freundin zum Essen ausführen konnte – oder seine Frau. Gab es vielleicht ein Gesetz, dass Begleiter ledig zu sein hatten?

Ich band mir mein bestes Lächeln um, ging auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. Er hatte einen angenehm festen Griff, aber seine Augen waren kalt und unpersönlich. Absurderweise nahm ich ihm das übel. Kein Mensch hatte ihn gezwungen herzukommen.

Er entdeckte meinen Koffer und ergriff ihn schwungvoll mit einer Hand. »Ich bringe ihn ins Auto, während Sie sich fertig anziehen.«

Ich bedachte ihn mit einem frostigen Blick. »Sie stehen vor dem Endprodukt.«

Die leuchtend graugrünen Augen musterten jeden purpurroten Quadratzentimeter; seine Lippen verzogen sich. »Sie müssen verzeihen«, sagte er, »aber Damenbekleidung war mir immer ein Rätsel. Ich hielt das für den Morgenmantel. Sie sind so weit?«

»Nicht ganz.« Meine Stimme verrutschte um eine Oktave, aber das war mir egal. »Bevor wir aufbrechen, möchte ich etwas klarstellen. Mr. Haskell, Sie sind hier, um Ihre Arbeit zu tun, so gut wie irgendein Angestellter. Da ist nichts dabei, die meisten von uns sind gezwungen, sich ihr tägliches Brot zu verdienen. Ich habe mit Leuten zusammenarbeiten müssen, die ich nicht auf eine Tasse Kaffee gebeten hätte, selbst wenn ich auf einer einsamen Insel mit ihnen gestrandet wäre, aber ich habe eine wichtige Lektion gelernt.«

»Ja?«

»Sorgen Sie immer dafür, dass die Chefin zufrieden mit Ihnen ist, denn sonst kriegen Sie womöglich kein Geld, weder per Scheck noch in bar noch sonst wie.«

Seine Brauen waren ein einziger schwarzer Strich. Einen Augenblick dachte ich, er würde den Koffer nach mir werfen, und athletisch, wie er war, hätte er ins Schwarze getroffen – meine Nase.

»Amüsiert euch gut«, zwitscherte Jill und reichte mir meinen Mantel.

Wir machten uns auf den Weg.

Die dünne Frau

Подняться наверх