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13. Die Augen

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Im Juli 1907 verließ Nikolaus Russland, um einem Manöver beizuwohnen, das seine Marine gemeinsam mit den Deutschen durchführte. Aus Schloss Peterhof schrieb ihm die besorgte Alexandra am 17. Juli: „Ich hoffe, dass alles ohne Hindernisse und unangenehme Gespräche verläuft – Gr[igori] wacht über Deine Reise, alles wird gut.“1 Später in jenem Sommer, während die Familie durch die finnischen Schären segelte, führte Alexandra ein privates Gespräch mit Nikolai Sablin, einem hochrangigen Marineoffizier und Adjutanten des Zaren. Sie fragte ihn, ob er schon einmal von einem Mann namens Rasputin gehört habe und wenn ja, was er von ihm halte. Er antwortete, er habe von einem einfachen Mann gehört, der die kaiserliche Familie besucht habe, aber mehr wisse er nicht. „Das ist ein ganz frommer, weitsichtiger, echter russischer Bauer“, erzählte sie ihm. „Er kennt sich sehr gut mit dem Gottesdienst und der Kirche aus. Natürlich ist er niemand aus unseren Kreisen, aber ich könnte mir vorstellen, dass Sie ihn interessant finden, wenn Sie ihn kennenlernen.“2 Sie fügte hinzu, es gebe Menschen, deren Gebete dank ihrer asketischen Lebensweise eine besondere Kraft hätten; Rasputin sei so jemand.3 Sie gab Sablin seine Adresse und bat ihn, Rasputin noch am selben Tag aufzusuchen.

Sablin besuchte Rasputin bei den Lochtins im Gretscheski-Prospekt 13, wo dieser damals wohnte. An Rasputins herzlichem Empfang erkannte Sablin gleich, dass er bereits erwartet worden war. Er fand Rasputin unterdurchschnittlich groß und so schmal gebaut, dass er fast zerbrechlich wirkte. Er trug ein langes russisches Hemd und einen schlichten Mantel, die Hose hatte er in die hohen Stiefel gesteckt. Sein Haar war braun und sein Bart, wie Sablin auffiel, schmutzig und ungleichmäßig geschnitten. Rasputin sprach mit ihm über Religion und Gott und pries den Zaren und dessen Familie. Sablin selbst kam nur wenig zu Wort. Dann fragte Rasputin Sablin aus heiterem Himmel, ob er trinke. Sablin fühlte sich von dieser Frage völlig überrumpelt und erhob sich, um zu gehen. Als er schon an der Tür war, bettelte Rasputin ihn zu guter Letzt noch um fünf Rubel an. „Mein Lieber, gib mir einen Fünfer, ich bitte dich, mir ist irgendwie komplett das Geld ausgegangen.“ Sablin wunderte sich zwar, gab ihm aber das Geld. Insgesamt machte Rasputin auf Sablin einen ziemlich unangenehmen Eindruck.

Da Alexandra es so sehr wünschte, traf sich Sablin noch mehrmals mit Rasputin. Wie er später erzählte, wollte die Zarin, dass er Rasputin besser kennenlernte und seinen Segen erhielt. Schließlich hatte Sablin jedoch genug und teilte der Zarin mit, er habe Rasputin nun kennengelernt, habe jedoch keinen besonders guten Eindruck von ihm. „Sie können ihn nicht verstehen“, gab Alexandra zurück, „weil Ihnen Menschen wie er so fern sind, aber selbst wenn Ihr Eindruck richtig wäre, so wäre es doch immer noch Gottes Wille, dass er so ist, wie er ist.“4

Das Einzige, was Sablin an Rasputin wirklich beeindruckt hatte, waren seine Augen. „Da war ‚etwas‘ in seinem Blick“, wie er zugeben musste. Mit dieser Meinung war Sablin nicht allein: Wenn es an Rasputin etwas gab, auf das sich wirklich alle einigen konnten, dann war es dieses Etwas in seinem Blick.

„Wie Nadelstiche traf einen sein Blick“, erzählte Lydia Basilewskaja, eine reiche, schöne, geschiedene Frau von 28 Jahren, nachdem sie Rasputin kennengelernt hatte.5 Prugawin sah in Rasputins Augen „das grüne, räuberische Feuer eines Lüstlings“.6 Seine Nichte Vera Schukowskaja sagte: „Der Starez hat geradezu erstaunliche Augen – grau, aber von einem Moment auf den anderen glühen sie rot. Niemand kann seinem Blick widerstehen: Sie sind erfüllt von ihrem ganz eigenen inneren Magnetismus. Wenn Frauen anwesend sind, fangen sie Feuer – das Zeichen einer ganz außergewöhnlichen Leidenschaft.“7 Wojeikow nannte sie „die Augen eines Schurken, die stets umherschweiften und einem niemals geradewegs ins Gesicht blickten“.8 Ein Reporter der Petersburger Zeitung merkte an, es liege „etwas Beunruhigendes und Alarmierendes in dem metallischen Ausdruck jener kalten, grauen Augen, die einen geradewegs durchbohren“.9 Was ihre Farbe betrifft: Rasputins Augen waren grün-grau, daran besteht kein Zweifel.

Im Herbst 1915 schrieb eine Bekannte:

Nun, da wären seine Augen. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, staune ich aufs Neue, wie ausdrucksvoll sie sind und welche Tiefe sie besitzen. Es ist unmöglich, seinem Blick längere Zeit standzuhalten. Es liegt etwas Schweres darin, als ob irgendeine Art materieller Gewalt von seinem Blick ausgeht. Und doch leuchtet oft eine große Güte und Zärtlichkeit aus seinen Augen, gepaart mit einem Hauch Schläue. Trotz allem können sie einen mitunter auch erschrecken, nämlich immer dann, wenn er wütend wird.10

Selbst Maria gab an, dass einen die „magnetischen Augen“ ihres Vaters auf eine „verstörende Weise fixierten“, was die meisten Menschen unruhig werden ließ.11 Eine Frau empfand seinen Blick als so furchterregend, dass sie in die Kirche zur Beichte lief, um ihre Seele zu läutern – dabei hatte Rasputins sie lediglich angesehen.12 Eine polnische Herzogin erlitt einen regelrechten Nervenzusammenbruch, nachdem sie ihm in die Augen gesehen hatte: „Ich kann es einfach nicht!“, rief sie aus. „Ich kann diese Augen nicht ertragen. Sie sehen alles! Das verkrafte ich nicht.“13

Vielen Russen galt Rasputins Blick als die maßgebliche Quelle seiner Macht. Sein guter Freund Nikolai Solowjow sprach aus, was viele dachten, als er der Presse gegenüber erklärte: „Der Charme dieses Mannes liegt in seinen Augen. Sie besitzen etwas, das einen anzieht und dazu zwingt, sich seinem Willen zu unterwerfen. All das lässt sich psychologisch gar nicht erklären.“14 Eine seiner Verehrerinnen kommentierte, Rasputin könne allein durch seinen Blick dafür sorgen, dass Frauen einen hysterischen Anfall erlitten.15 Meriel Buchanan, Tochter des britischen Botschafters, erblickte Rasputin einmal, wie er durch die Straßen der Hauptstadt ritt: „Blaßgraue, tiefliegende, aber lebhaft glänzende Augen sahen mich an, und während dieser Blick mich traf, stand ich reglos […], von einem Gefühl der Hilflosigkeit so stark berührt […].“16

Was Rasputins gesamte physische Erscheinung betraf, so gingen die Meinungen auseinander. Lily Dehn, eine enge Freundin der Zarin, lernte Rasputin um 1911 kennen und war erstaunt, wie fürchterlich er aussah. Abgesehen von seinen Augen – auch sie musste zugeben, dass sein Blick sie „in seiner Macht hielt“ – sah er genauso aus wie ein typischer russischer Bauer. Er war von durchschnittlicher Körpergröße – auch wenn er größer wirkte, als er war –, sein Gesicht war schmal und blass, das Haar lang, der ungepflegte Bart von einem dunklen Kastanienbraun.17 Zu Beginn des Jahres 1912 saß Rasputin dem Künstler Alexander Rajewski Porträt. Die beiden Männer kannten sich vorher nicht, und Rajewski kam aus dem Staunen nicht heraus: „Wie überrascht ich war, als ich einem großen, wohlproportionierten, kräftig gebauten Mann gegenüberstand. Er hatte kein einziges graues Haar und bewegte sich mit einer ganz erstaunlichen Leichtigkeit und Geschmeidigkeit. Er stieg im Laufschritt bis zur sechsten Etage empor, ohne dass er innehalten musste, um Luft zu holen.“ Rajewski nahm eine nervöse Energie an Rasputin wahr, die ihn ganz und gar auszufüllen schien. Er hatte „rastlose Finger“, mit denen er sich ständig über den Bart strich.18 Stepan Belezki, der von 1912 bis 1914 Petersburger Polizeichef war und Rasputin später gut kennenlernte, verwies ebenfalls auf die unübersehbare „Nervosität seiner gesamten lebhaften, geschmeidigen Gestalt“.19

Viele mochten Rasputins Stimme. „Weich und angenehm“ nannte sie Konstantin Globatschow, der während des Krieges die Petrograder Geheimpolizei (die Ochrana) leitete: „Seine Art zu sprechen ist die eines einfachen Bauern, aber dennoch intelligent.“20 Man erzählte sich, er spreche stets in einer langsamen, unaufgeregten Manier. Außerdem soll er eine schöne Singstimme gehabt haben.21

Das verbreitete Vorurteil, dass Rasputin ein „schmutziger Bauer“ war, spiegelt vor allem die Vorurteile der Oberschicht wider. Laut den Zeugnissen der Menschen, die Rasputin besonders gut kannten, hielt er seinen Körper rein und badete regelmäßig. Sowohl in Pokrowskoje als auch in St. Petersburg frequentierte er bewiesenermaßen die öffentlichen Bäder. Sogar in der russischen Presse, die generell mit Rasputin auf Kriegsfuß stand und die absurdesten Lügengeschichten über ihn verbreitete, hieß es, seine großen und kräftigen Hände mit den ungewöhnlich langen Fingern „waren sauber“.22 Sein guter Freund Alexei Filippow kommentierte einmal, Rasputin sei „äußerst reinlich“ gewesen: „Rasputin war ungewöhnlich reinlich, wechselte oft die Wäsche und ging ins Bad, er roch nie unsauber.“ An Rasputins Genitalien fiel Filippow nichts Außergewöhnliches auf, außer dass sie nicht die dunklere Färbung aufwiesen, die Geschlechtsorgane mit zunehmendem Alter üblicherweise annehmen.23 Woher er das so genau wusste, darüber schwieg sich Filippow allerdings aus.

Und die Erde wird zittern

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