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17. „Besser zehn Rasputins …“

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Anna Sederholm, die Ehefrau eines Offiziers der kaiserlichen Wache in Zarskoje Selo, lernte Rasputin im Januar 1906 in der Wohnung von Olga Lochtina kennen. Die 28-Jährige erzählte ihm, ihr Mann habe im Dienst gewisse Schwierigkeiten, und sie beklagte sich über ihre unschöne Lage. „Wie? Erwartest du etwa, im Leben immer nur glücklich zu sein?“, fragte Rasputin sie barsch. „Bist du besser als die anderen Menschen? Du hast doch Gott an deiner Seite.“

Als Lochtina das nächste Mal die Sederholms besuchte, brachte sie Rasputin und einige seiner Anhängerinnen wie Sana Pistohlkors und Sina Manschtedt mit. Dort las Rasputin ihnen aus der Bibel vor und sprach über den Glauben.

Sederholm hatte das Gefühl, Rasputin wolle sie als Angehörige seines engeren Zirkels rekrutieren; sie war neugierig, aber auch skeptisch. Bald wuchs die Gruppe weiter an, um Wyrubowa und die Ammen der Romanow-Kinder: Anna Utkina, Alexandra Teglewa (genannt Schura) und Maria Wischnjakowa. Utkina und Teglewa fühlten sich in Rasputins Anwesenheit sichtlich unwohl und schienen nicht so recht zu wissen, was sie tun oder sagen sollten, wenn er dabei war. Bei Wischnjakowa, so Sederholm, war das ganz anders: Ganz offensichtlich hielt sie ihn für einen veritablen Heiligen und hatte keine Zweifel, dass es in seiner Macht stand, für Alexeis Unversehrtheit zu sorgen.1 Sederholm fand einiges von dem, was sie da mit ansehen musste, ziemlich seltsam.

Lochtina küsste Rasputin immer die Füße, und einmal war sie so aufgeregt, dass sie behauptete, sie habe um ihn herum eine Aura gesehen. „Er hat sich verwandelt!“, stieß Lochtina hervor. „Er hat sich verwandelt! Er ist Christus!“

Sederholm rief Wyrubowa an und sagte ihr, sie müsse sofort vorbeikommen und sich das Schauspiel ansehen. Wyrubowa antwortete ausweichend, sie sei leider gerade beschäftigt, aber Sederholm glaubte eher, dass sie mit der Situation nichts zu tun haben wollte.

Im Mai 1909 beschloss die Zarin, eine Gruppe von Frauen nach Pokrowskoje zu schicken, damit diese sich ein Bild von Rasputins Leben in Sibirien machen konnten. Sie sollten sich selbst davon überzeugen, dass er ein wahrer Mann Gottes sei.2 Zu der Reisegruppe gehörten Wyrubowa, ihre Magd, eine ältere Dame namens Orlowa, Anna Utkina sowie eine Frau namens Jelena, die Tochter eines Priesters, der Rasputin im Palast kennengelernt hatte. Wahrscheinlich war auch Maria Wischnjakowa mit von der Partie. Wyrubowa besuchte Anna Sederholm und teilte ihr mit, die Zarin wünsche, dass auch sie die Gruppe nach Pokrowskoje begleite; Alexandra werde auch für die Reisekosten aufkommen. Anna zögerte zunächst, aber schließlich versprach sie mitzukommen. Wyrubowa informierte Anna, wie sehr sich die Zarin darüber freue und dass sie sich dafür erkenntlich zeigen werde.

Sie reisten mit dem Zug. In Perm stieg Rasputin zu und fuhr in ihrem Eisenbahnwaggon mit. Er redete lang und breit über die Ikone der Wehklagenden Muttergottes von Kasan, die er zu Hause hatte. In Jekaterinburg stiegen sie in einen Schlafwagen um und teilten sich auf zwei Zugabteile auf: In dem einen fanden Rasputin, Jelena und Sederholm Platz, Wyrubowa, Orlowa und Utkina in dem anderen. (In welchem Abteil Wischnjakowa mitfuhr, wissen wir nicht.)

Jelena, die sich, wie Sederholm nicht entging, in einer Art „religiöser Ekstase“ befand, war überglücklich, so nah bei Rasputin zu sein. Als Rasputin und Jelena auf die obere Liege des Abteils kletterten und „ganz unverschämt herumzumachen“ begannen, protestierte Sederholm und befahl Jelena, herunterzuklettern, aber die weigerte sich und sagte, sie sei dort glücklich und zufrieden. Während es über ihrem Kopf immer weiter raschelte, schlief Sederholm irgendwann ein.

Mitten in der Nacht wachte sie auf und erschrak fürchterlich: Auf dem Kopfkissen neben sich spürte sie einen groben Männerbart. Sie sprang aus dem Bett und schrie Rasputin an, er solle ihr bitteschön erklären, in welchem heiligen Buch er gelesen habe, dass man so etwas tun dürfe. Rasputin sagte nichts, zog sich auf seine Liege zurück und ließ Sederholm für den Rest der Zugfahrt in Ruhe. Am nächsten Morgen erzählte sie Utkina und Wyrubowa, was geschehen war, aber keine von beiden nahm es sonderlich ernst. „Er ist zu dir gekommen, um mit deinem Geist Zwiesprache zu halten“, sagte Wyrubowa. „Das ist eine göttliche Handlung.“

In Tjumen stiegen sie in eine Kutsche um, mit der sie den Rest des Weges zurücklegten. Rasputin war der Kutscher. Die Fahrt war holprig und staubig, und die alte Orlowa hörte überhaupt nicht mehr auf zu stöhnen. Rasputin wurde wütend und rief: „Warum habe ich mir das bloß angetan und sie mitgenommen?“ Um zwei Uhr morgens trafen sie in Pokrowskoje ein. Die Frauen wurden in das obere Stockwerk des Hauses geführt, wo sie im Schein von Ikonenlampen auf einfachen Matratzen nächtigten, die man auf dem Fußboden ausgelegt hatte.

Am Morgen empfahl Rasputin Sederholm, im Fluss zu baden. Als sie sich dort wusch, tauchte eine Frau mit mehreren Eimern auf. „Woher kommen Sie, meine Liebe?“, fragte sie. Sederholm erzählte ihr, sie sei zusammen mit ein paar anderen Damen hier, um die Rasputins zu besuchen. Die Frau bedachte sie mit einem mitleidigen Blick, packte ihre Eimer und ging wieder. Offenbar war ihr Gastgeber nicht bei allen Dorfbewohnern gleichermaßen beliebt.

Später an jenem Tag ging Rasputin mit Praskowja und Jelena zum Badehaus. Dort wusch ihn seine Frau, während Jelena draußen auf einer Bank saß und wartete. Auf einmal kam Wyrubowa zu den anderen ins Haus gelaufen und sagte, sie sollten schnell kommen: Rasputin habe eine Vision gehabt und sei im Begriff, eine Predigt zu halten. Utkina begann zu weinen und weigerte sich, mitkommen. Wyrubowa gelang es nicht, sie zu überreden, und am Ende verpassten sie Rasputins Predigt. Nachdem Rasputin, Praskowja und Jelena vom Bad zurück waren, trank die ganze Gesellschaft im ersten Stock zusammen Tee, und danach besuchten sie gemeinsam mit zwei von Rasputins „Brüdern in Christo“ die Dorfkirche. Als sie die Kirche verließen, schenkte Rasputin jeder der Frauen ein Kopftuch, und Wyrubowa machte ein Foto als Andenken. Die Hauptmahlzeit des Tages bestand aus Rosinenbrötchen mit Marmelade, Pinienkernen und kleinen Fischpasteten. Rasputin platzierte Sederholm ganz am anderen Ende des Tisches; sie spürte, dass ihm ihre vorsichtige, abwartende Haltung überhaupt nicht gefiel.

Sie war geschockt von seinen Tischmanieren. Er wühlte mit den Fingern im Essen herum und leckte den Löffel ab, bevor er anderen damit etwas auf den Teller gab. Und Sederholm war nicht die Einzige, die sich daran störte. Rasputin hatte nie die entsprechende Etikette gemeistert, er aß buchstäblich wie ein Bauer. Servietten und Besteck waren seine Sache nicht; meistens langte er mit vor Fett triefenden Händen zu, die er zwischendurch sauberleckte oder am Tischtuch abwischte. Er schlürfte und schmatzte, das halbe Essen hing ihm im Bart. Ein Reporter behauptete, er habe zugesehen, wie jemand Rasputin einen Apfel und ein Messer in die Hand drückte. Rasputin nahm das Messer, um den Stiel abzuschneiden, dann legte er es beiseite und brach den Apfel mit den Händen entzwei. Einige Beobachter meinten, in diesem Verhalten eine bewusste Strategie zu erkennen. Erzpriester Ioann Wostorgow erzählte einmal, wie er versucht habe, Rasputin Tischmanieren beizubringen, aber Rasputin wisse genau, dass die Faszination, die er auf die Menschen ausübte, zumindest teilweise mit seinen rohen Sitten zu tun habe. Wenn er sich plötzlich ein vornehmeres Verhalten zulegte, würde ihm etwas Wichtiges fehlen. Wostorgow war der Ansicht, dass Rasputin klug genug war zu wissen, dass seine Macht eben darin bestand, dass er „der erste Mann im Dorf [war] und nicht der zweite in der Stadt“.3

Als der Tag in Pokrowskoje sich dem Ende entgegen neigte, sang die ganze Gruppe Kirchenlieder. Sederholm fiel auf, dass Rasputin die Arme schwang, als würde er dirigieren. Danach wurde vor der wundertätigen Ikone der Wehklagenden Muttergottes von Kasan gebetet. Rasputin betete vor, sie sprachen ihm nach. Sein Gebet war voller Inbrunst, und er verneigte und bekreuzigte sich immer wieder, erst ganz langsam, dann immer schneller. Sederholm bemerkte nichts, was Rasputin als einen Angehörigen der Chlysten ausgewiesen hätte. Am nächsten Tag unternahmen sie eine Bootsfahrt auf der Tura, obwohl Wyrubowa furchtbare Angst davor hatte, zu kentern und zu ertrinken, und angelten dabei ein paar Fische.

Olga Lochtina war bereits in Pokrowskoje, als die Frauen eintrafen. Sie schickte ein Telegramm nach St. Petersburg, in dem sie beschrieb, wie sie alle zusammen den Dreifaltigkeitssonntag begangen hatten, einen ganz wichtigen Feiertag in Russland, an dem die Bauern ihre Häuser und Kirchen mit frischen Blumen, Gräsern und Zweigen schmückten: „Mir geht es heute ausgesprochen gut, ich könnte stundenlang schreiben und erzählen. Zur Mittagszeit am 19. Mai gab Vater Grigori mir, Sina, Meri [Wischnjakowa] und Lena Sprossen von seinem Ficus und Zweige, die wir hier in der Pokrowskojer Kirche verteilten.“ In ihrem Telegramm listete sie die „Reliquien“ auf, die sie während ihres Aufenthalts ergattert hatte:

1/ Birkenblätter. 1909, 7. Mai

2/ Eine Blüte von einem Traubenkirschbaum im Garten des Hauses von G. J. in Pokrowskoje. Er hat sie uns selbst überreicht

3/ Kleine Schalen von Sonnenblumenkernen. G. J. hat sie geknackt und vor mir auf den Tisch gelegt – 2 Hälften

4/ Haare vom Bart von G. J.4

Sederholm dachte gar nicht daran, irgendwelche Haare von Rasputin aufzubewahren. Inzwischen machte sie sich Sorgen, dass ihre misstrauische Haltung den anderen die Reise verdarb, und sie fragte sich, ob dies auch der Grund für Wyrubowas seltsames Verhalten war: „Wyrubowa schien in Pokrowskoje äußerst nervös, sie hatte Angst vor irgendetwas und war nicht sie selbst. Rasputin hatte schlechte Laune. Offenbar meinetwegen. Mehr als einmal sagte Rasputins Frau zu ihrem Gatten: ‚Ach, Grigori, du verschwendest deine Zeit mir ihr!‘“ Gemeint war Sederholm. Sederholm hingegen fand Praskowja „sehr nett“. Wie es der Dame des Hauses gezieme, habe sie sie alle herzlich begrüßt.

Drei Tage blieben sie in Pokrowskoje, dann ging es zurück nach Hause. Auf der Reise versuchte Rasputin, Sederholm zu küssen. Sie gab ihm eine Ohrfeige, und er tat es nie wieder. Sie war nun fest davon überzeugt, dass Rasputin kein Heiliger war – weit gefehlt. Dennoch musste sie zugeben, dass er die Gabe der Hellsichtigkeit besaß: Einmal hatte sie miterlebt, wie jemand Rasputin ein Foto vorlegte, auf dem mehrere ihm unbekannte Personen zu sehen waren. Rasputin studierte die Gesichter, dann zeigte er auf einen der Männer und sagte: „Der da glaubt nicht an Gott.“ Er hatte recht, die betreffende Person war Atheist. Dafür gebe es keine logische Erklärung.

Wieder daheim schrieb Sederholm der Zarin einen Brief, um ihr für ihre Großzügigkeit zu danken und um ihr mitzuteilen, dass Rasputin des großen Vertrauens, das sie in ihn legte, nicht würdig sei. Sie ging nicht ins Detail, da dies, wie sie schrieb, zu schwierig für sie sei, fügte aber hinzu, Madame Orlowa könne ihre Worte bestätigen. Leider bekam Orlowa kalte Füße; stattdessen machte sie der Zarin weis, Sederholm habe es bei Rasputin nur nicht gefallen, weil sie so „nervös“ gewesen sei. Danach bat Sederholm Utkina, mit Alexandra zu reden, aber die hatte solche Angst, dass sie behauptete, überhaupt nicht zu wissen, worum es ging. Wyrubowa hingegen legte Alexandra im Einzelnen dar, wie Sederholm auf Rasputin reagiert habe, und sie hatte auch eine geeignete Erklärung parat: Diese Frau verstehe „die Unschuld und Naivität des gemeinen Volkes, seine heilige Einfalt“ einfach nicht. Wyrubowa versuchte auch weiterhin, Sederholm bezüglich Rasputins Heiligkeit die Augen zu öffnen, doch es gelang ihr nicht. Sederholm wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben.

Ein paar Jahre später fuhr Wyrubowa noch einmal nach Pokrowskoje, diesmal mit Munja und Ljubow Golowina und der Baronin Iskul von Gildebrand. Munja war beeindruckt von der ehrlichen Einfachheit des Lebens dort. Sie besuchte Rasputins Freunde und Verwandte, ging angeln auf der Tura und trank braschka, das selbstgebraute Bier der Bauern, das die Frauen schwindlig werden ließ. Munja fühlte sich von Praskowja sehr herzlich aufgenommen und fand sie eine „ernste und angenehme Frau“. Als Ljubow ihr erzählte, wie Rasputin Munja ausgeredet habe, in ein Kloster zu gehen, sagte Praskowja:

Siehst du, deshalb musste Grigori uns verlassen: um sich um euch alle zu kümmern! Und der kleine Aljoscha, er ist so krank, wäre er [Rasputin] nicht an seiner Seite, was würde wohl passieren? Aber Tante Ljuba [Ljubow], ist es wahr, dass es böse Menschen gibt, die dort das Sagen haben und die gegen unseren lieben Zaren aufbegehren wollen und solcherlei Dinge und Grigori stets so übel mitspielen, wie sie nur können? Sag ihnen, sie sollen aufhören, es ist gegen Gottes Willen!

Als Munja abreiste, hatte sie viele positive Eindrücke vom Leben in Pokrowskoje im Gepäck. Sie hatte das Gefühl, nun besser zu verstehen, was Rasputin meinte, wenn er sagte: „Die Einfalt kommt von Gott, man muss einfältig sein wie ein kleines Kind, um in den Himmel zu kommen.“ Auch wenn diese Worte aus der Bibel stammten: Hier und jetzt wusste sie zum ersten Mal, was damit gemeint war.5

Etwa einen Monat lang blieb Rasputin in St. Petersburg, bevor er mit Feofan nach Sibirien zurückkehrte. Früher in jenem Jahr, am 4. Februar 1909, hatten die beiden gemeinsam Nikolaus und Alexandra in Zarskoje Selo besucht. Es gab etwas zu feiern: An jenem Tag war Feofan zum Rektor des Theologischen Seminars von St. Petersburg ernannt worden.6 Ende Februar wurde Feofan außerdem zum Bischof von Simferopol geweiht. Einige glaubten, für Feofans Aufstieg in der Kirchenhierarchie sei maßgeblich sein Schützling Rasputin verantwortlich. Immerhin hatte die Zarenfamilie Feofan am 13. November 1905 gebeten, als ihr persönlicher Beichtvater zu fungieren, und das war nur wenige Tage, nachdem sich Nikolaus und Alexandra zum ersten Mal mit Rasputin getroffen hatten.7

Als Rasputin und Feofan das nächste Mal in den Palast kamen, am 23. Juni, brachten sie den Starez Makari von Werchoturje mit. Wenjamin sollte später behaupten, Rasputin habe Makari nur nach St. Petersburg mitgebracht, weil er Nikolaus und Alexandra demonstrieren wollte, welche brave, fromme Freunde er hatte, und um der Verleumdungskampagne entgegenzuwirken, die gegen ihn im Gange war.8 Diese Behauptung lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Kurz nach dem Treffen im Palast reisten die drei Männer von St. Petersburg nach Werchoturje, wo sie sich gemeinsam fotografieren ließen. Anschließend fuhren Rasputin und Feofan weiter nach Pokrowskoje.9

Auf der Rückreise nach St. Petersburg trennte sich Feofan von Rasputin, um auf eigene Faust das Kloster in Sarow zu besuchen, wie er es möglicherweise schon im Jahr zuvor getan hatte. Dort begab er sich allein in die Zelle des heiligen Serafim, um zu beten. Er blieb so lange fort, dass die Mönche befürchteten, ihm sei etwas zugestoßen, und tatsächlich hatte Feofan so inbrünstig gebetet, dass er in Ohnmacht gefallen war. Als er endlich wieder zu sich kam, konnte er den Ordensbrüdern nicht erklären, was mit ihm geschehen war. Acht Jahre später teilte Feofan der Außerordentlichen Untersuchungskommission mit, er habe an jenem Tag Gott und den heiligen Serafim darum gebeten, ihm dabei zu helfen, Rasputin zu verstehen. Eben dort in der Zelle sei ihm die Wahrheit offenbart worden: Rasputin befand sich „auf dem falschen Weg“.10

Als er wieder in St. Petersburg war, bestellte Feofan Rasputin zu sich. Wenjamin war ebenfalls dabei. Sie befragten ihn zu seinem verdächtigen Umgang mit Frauen (die Besuche im Badehaus, das Händchenhalten und Streicheln, das Küssen). All das hatten sie mit eigenen Augen gesehen, und sie hatten so viele Leute darüber reden hören, dass sie es nicht länger ignorieren konnten. Man muss bedenken, dass Feofan solch ein „Asket“ war, dass er sich sogar weigerte, Frauen die Hand zu schütteln oder mit weiblichen Mitreisenden ein Zugabteil zu teilen. Rasputin räumte ein, mit Frauen ins Badehaus zu gehen. Als sie erwiderten, dies sei aus Sicht der heiligen Väter nicht akzeptabel, versprach Rasputin, damit aufzuhören. Dabei beließen sie es. Später gab Feofan an, sie seien nicht allzu streng mit ihm ins Gericht gegangen, denn immerhin war er ein einfacher Bauer, und sie hätten von Männern in den Provinzen Olonezk und Nowgorod gelesen, die sich ganz ähnlich verhielten – dies sei weniger ein Anzeichen moralischer Degeneration als vielmehr ein Zeugnis der patriarchalischen Struktur des bäuerlichen Lebens. „Darüber hinaus wussten wir, dass die heiligen Narren von Byzanz, der heilige Simeon und der heilige Ioann, ebenfalls mit Frauen die Bäder besucht hatten und dafür beschimpft worden waren“, teilte Feofan der Außerordentlichen Untersuchungskommission mit. „Und dennoch waren sie bedeutende Heilige.“ Rasputin sagte Feofan, er sehe sich die nackten Körper von Frauen nur an, um sich selbst zu testen und festzustellen, ob seine Leidenschaft auch wirklich erloschen sei. Feofan warnte ihn, ein solches Vorgehen sei nicht ungefährlich, „denn nur die großen Heiligen sind in der Lage, das zu tun, und wenn er das tue, falle er der Selbsttäuschung zum Opfer und schlage einen Pfad ein, der große Gefahren birgt“.11

Im selben Sommer setzten sich Feofan und Wenjamin noch einmal mit Rasputin zusammen. Immer noch erreichten sie so viele Berichte über sein ungebührliches Verhalten, dass sie Rasputin dieses Mal der „spirituellen Selbsttäuschung“ bezichtigten. Besonders erschütternd fand Feofan, dass Rasputin seine weiblichen Anhänger angeblich anwies, ihrem Priester nicht zu beichten, wenn sie Ehebruch begangen hätten; die Priester würden das nicht verstehen, und es würde sie nur aufregen. „Feofan ist ein Einfaltspinsel und versteht diese Mysterien nicht“, soll Rasputin gesagt haben. „Er würde die Frauen verurteilen, und damit würde er den Heiligen Geist verurteilen, und das ist eine Todsünde.“12 Feofan und Wenjamin versuchten ihm klarzumachen, dass dies seine letzte Chance sei, sein Verhalten zu ändern. Andernfalls würden sie sich in aller Öffentlichkeit von ihm lossagen und alles, was sie über ihn wüssten, vor den Zaren bringen. In der Presse war später zu lesen, Feofan habe zu Rasputin gesagt: „Komm mir nicht zu nahe, Satan! Du bist nicht gesegnet, sondern ein Betrüger!“13 (Diese Formulierung war sicher reichlich übertrieben.)

Rasputin sei dermaßen geschockt gewesen, so Feofan später, dass er zusammengesackt und in Tränen ausgebrochen sei. Er habe zugegeben, dass er hin und wieder Fehler mache, und habe versprochen, sich die schlechten Gewohnheiten abzugewöhnen, der Welt zu entsagen und sich ganz und gar Feofans Autorität zu unterwerfen. Mit dieser Reaktion waren Feofan und Wenjamin zufrieden, und sie baten Rasputin, gemeinsam mit ihnen zu beten.

Doch es dauerte nicht lange, bis Feofan erfuhr, dass Rasputin weder der Welt entsagt noch sein Verhalten geändert hatte. Als man Feofan dann auch noch erzählte, dass Rasputin Maßnahmen treffe, um sich gegen ihn zu schützen, beschloss er, sich direkt an den Zaren zu wenden. Im Palast wurde er allerdings nicht von Nikolaus empfangen, sondern von Alexandra und Wyrubowa. Feofan redete fast eine Stunde lang auf die Zarin ein und versuchte ihr dazulegen, dass Rasputin der spirituellen Selbsttäuschung erlegen sei. Alexandra wollte nichts davon wissen. Für sie waren das alles nichts als Lügen und Verleumdung. Sie schien auf das Gespräch gut vorbereitet, und Feofan ging davon aus, dass Rasputin sie vor ihm gewarnt hatte. Feofan sah Rasputin nur noch ein einziges Mal, und bei dieser Gelegenheit sagte er ihm ins Gesicht, dass er ihn für einen Betrüger hielt. Später schrieb Rasputin Feofan einen Brief, in dem er ihn um Vergebung bat. Feofan ignorierte seine Bitte nach Aussöhnung.

Im August zeigte sich, dass einer der wichtigsten Männer der Kirche, Antoni (Wadkowski), der Metropolit von St. Petersburg, Feofans Bedenken teilte. Antoni glaubte Feofans Ausführungen, für ihn war Rasputin ein direkter Auswuchs der abnormen Begeisterung der Menschen für alles Mystische. Sergei Lukjanow, der seit dem 5. Februar 1909 Vorsitzender des Synods war, sah das genauso. Angeblich waren Nikolaus und Alexandra über Lukjanows Ernennung alles andere als glücklich, schließlich versuchten er und Premierminister Stolypin schon seit einiger Zeit, Rasputins Machenschaften aufzudecken. Mit Hilfe von Antoni sammelte Lukjanow kompromittierendes Material über Rasputin. Das übergab er Stolypin, der damit noch einmal versuchen sollte, dem Zaren endlich die Augen zu öffnen. Es war vergebens. Antoni konnte wenig mehr tun, als mit stillschweigender Zustimmung Lukjanows in der religiösen Petersburger Presse ein paar Rasputin-kritische Artikel aus den großen Zeitungen nachdrucken zu lassen.14

Im Sommer 1909 bekam Rasputin Nikolaus, Alexandra und die Kinder kaum zu Gesicht, und das änderte sich auch nicht, als die Familie zu Beginn des Herbstes Zarskoje Selo verließ und nach Liwadija auf der Krim fuhr. In der ersten Oktoberwoche brach Nikolaus zu einer längeren Reise auf, ohne den Rest der Familie. Alexandra schrieb ihm voller Sorge, sie vertraue ihn Rasputins Obhut an.“15

In jenem Herbst hielt sich Rasputin mehrere Wochen in der Petersburger Wohnung von Wladimir Korolenko auf, dem Herausgeber der liberalen Zeitschrift Russischer Wohlstand. Der Schriftsteller, ehemalige Revolutionär und glühende Verfechter der Menschenrechte wohnte zusammen mit seiner Frau, der radikalen Populistin Jewdokia Iwanowskaja, in der Kabinezkaja-Straße 7.16 Ob Korolenko und seine Frau damals überhaupt in der Stadt waren, wissen wir nicht (seit 1900 wohnten sie meistens in Poltawa). Doch für Rasputin hätte das ohnehin keine Rolle gespielt. Er gab wenig auf irgendwelche Parteizugehörigkeiten und verstand sich mit Menschen aus dem gesamten politischen Spektrum. Im November reiste Rasputin nach Saratow, wo er sich mit Germogen traf, und anschließend fuhren beide zusammen nach Zarizyn, um Iliodor zu besuchen. Seit er das Petersburger Theologische Seminar verlassen hatte, hatte sich Iliodor durch seine extremen Ansichten immer wieder in Schwierigkeiten gebracht. Im Jahr 1907 hatte der Synod ihn vom Potschajewer Kloster nach Schytomyr strafversetzt und dort der persönlichen Aufsicht von Vater Antoni (Chrapowizki) unterstellt. Nicht einmal ein Jahr später wurde er schon wieder versetzt, diesmal in das Heilig-Geist-Kloster in Zarizyn, wo er zum Missionsprediger ernannt wurde. Hier unterstand er der Supervision von Germogen, der damals Bischof von Saratow war. Vielleicht hatte die Kirche Zarizyn ausgewählt, weil dort verhältnismäßig wenige Juden lebten. Aber Iliodor kümmerte das wenig – nun richtete er seinen Zorn eben gegen die örtlichen Journalisten, Geistlichen, Geschäftsleute und Beamten.17 „Ich wurde in ein dreistes Scheusal verwandelt“, schrieb er später über diese Zeit.18

Im August 1908 erlangte Iliodor landesweite Bekanntheit, als es in seinem Kloster zu einem heftigen Zusammenstoß mit der Polizei kam. Der Gouverneur von Saratow wandte sich an Stolypin, um Iliodor aus Zarizyn entfernen zu lassen, aber Germogen und andere kamen ihm zu Hilfe, und Iliodor durfte bleiben. Ende November 1908 befahl der Synod schließlich doch, Iliodor erneut versetzen zu lassen, diesmal in die Diözese Minsk; Grund war eine Reihe von Reden, in denen Iliodor den Premierminister angegriffen hatte. Iliodor legte Berufung ein, und die endgültige Entscheidung wurde auf das Frühjahr 1909 vertagt. Germogen stellte sich, soweit es ihm möglich war, hinter Iliodor, und zusätzlich riet er ihm, nach St. Petersburg zu gehen und Rasputin um Hilfe zu bitten – anscheinend war sonst niemand bereit, ihn zu unterstützen. Rasputin arrangierte für Iliodor eine Privataudienz bei der Zarin. Sie trafen sich am 3. April bei Anna Wyrubowa. Alexandra rang Iliodor das Versprechen ab, ab sofort keine Minister des Zaren mehr anzugreifen. Außerdem sollte er Rasputin gehorchen: „Hören Sie auf Vater Grigori […]. Er wird Sie zum Licht führen. Er ist der größte lebende Asket. Er meditiert ständig über das Wohl Russlands. Ein Heiliger ist er, ein großer Prophet.“19 Das waren ihre Worte – wenn man dem nicht allzu vertrauenswürdigen Iliodor glauben will. Rasputin hatte gewonnen. Nikolaus erklärte die Entscheidung des Synods für nichtig, und Iliodor blieb, wo er war. „Er war wie ein Engel“, schrieb Iliodor über Rasputin nach dessen Intervention, „die rechte Hand meines Erlösers.“20 Als der „verrückte Mönch“ nach Zarizyn zurückkehrte, hatte er mehr Selbstvertrauen denn je zuvor.

Germogen und Rasputin trafen also Anfang November 1909 in Zarizyn ein und blieben bis Ende des Monats. 1912 schrieb Iliodor, während seines Aufenthalts habe sich Rasputin eines Nacht in die Kammer einer 29-jährigen Nonne namens Lebedewa geschlichen, die im Haus eines Händlers wohnte, und habe sie vier Stunden lang „belästigt“.21 Davon habe er allerdings erst viel später erfahren, erklärte er, ansonsten hätte er an Ort und Stelle mit Rasputin gebrochen. Verifizieren lässt sich diese Geschichte nicht.

Ende November fuhren Rasputin und Iliodor von Zarizyn nach Pokrowskoje, und Germogen kehrte allein nach Saratow zurück. Auf der Reise nach Sibirien erzählte Rasputin Iliodor von seinem Verhältnis zu Nikolaus und Alexandra: „Der Zar hält mich für Christus höchstpersönlich. Zar und Zarin verbeugen sich vor mir, sie sinken vor mir auf die Knie und küssen mir die Hände. […] Ich habe die Zarin in meinen Armen getragen. Ich habe sie gehalten, sie gestreichelt, sie geküsst.“22 Natürlich ist das, was Iliodor hier schreibt, pure Fantasie, genau wie seine Beschreibung des Aufenthalts in Pokrowskoje, wo Rasputin eines Nachts angeblich die beiden Petscherkinas in sein Zimmer rief, um mit ihnen zu schlafen. Außerdem behauptet Iliodor in seinem Buch, Rasputin habe ihn überreden wollen, sich den Chlysten anzuschließen. Im Folgenden beschimpft er Rasputins Sohn Dmitri, nennt ihn faul, verkommen und widerwärtig. Rasputin, so Iliodor, habe ihn mit Geschichten von seinen vielen Orgien beglücken wollen; er habe ihm erzählt, wie er im Badehaus Sex mit Wyrubowa und anderen Frauen gehabt habe und wie damals in der Zelle von Makari in Werchoturje mehrere Frauen ihre nackten Beine um sein Gesicht und andere Körperteile geschlungen hätten. Iliodor meinte zu wissen, dass „sein Genital nicht funktioniert“. Trotzdem brachte er es anscheinend irgendwie fertig, mit einer ungeheuren Zahl Frauen zu schlafen.23

Ein wenig glaubhafter ist Iliodors Beschreibung, wie Rasputin ihm die Hemden zeigt, die die Zarin für ihn genäht hatte, und die Briefe, die sie und die Kinder sowie mehrere Großfürsten und ‑fürstinnen ihm geschrieben hatten. Iliodor bat Rasputin, ihm diese Briefe auszuhändigen, und das tat er auch – alle bis auf einen Brief von Alexei. (Einige Zeit später sollten diese Briefe für einen großen Skandal sorgen.) An seinem letzten Abend in Pokrowskoje traf sich Iliodor – angeblich gegen Rasputins Willen – mit Vater Ostroumow. Ostroumow nannte Rasputin angeblich einen Bösewicht, Lüstling und Säufer. Am folgenden Tag, dem 15. Dezember, verließen Iliodor und Rasputin Pokrowskoje. Es war das letzte Mal, dass Iliodor einen Fuß in Rasputins Haus setzte. Keiner der beiden hatte bemerkt, dass die Polizei ihren Aufenthalt im Dorf überwachte. Die Polizisten vermerkten ihre Abreise und versuchten, Informationen über den Zweck von Iliodors Besuch zu erhalten. Laut den Akten im Archiv von Tjumen war Iliodor mit dem Versprechen angereist, für Rasputins lange gehegten Herzenswunsch, die neue Kirche, 20.000 Rubel zu spenden.24 Das Geld wurde niemals ausgezahlt.

Die beiden Männer fuhren nach Zarizyn zurück, wo sie gemeinsam das Weihnachtsfest verbrachten. Als Rasputin sich am 30. Dezember auf den Weg nach St. Petersburg machte, organisierte Iliodor eine aufwendige Zeremonie, bei der 1500 Menschen den, so Iliodor, „glühenden Diener, Bruder Grigori“ verabschiedeten. Am Bahnhof verkündete Iliodor der Menschenmenge, wie leid es ihm tue, Grigori abreisen zu sehen, und dass alle, die ihm nicht zuhörten, wenn er „Gottes Wort“ verkünde, „Atheisten, Bösewichte, unsere Feinde und Gegner des orthodoxen christlichen Glaubens“ seien. Zum Abschied sang die Menge das Lied „Viele Jahre“.25 Noch am selben Abend traf Rasputin in St. Petersburg ein. Später schrieb Iliodor, zu jener Zeit, in den letzten Monaten des Jahres 1909, habe er die ersten Zweifel an Rasputin gehegt.

Falls wir Iliodor glauben dürfen, versteckte er hinter seiner öffentlichen Unterstützung für Rasputin seine wachsenden persönlichen Zweifel an dem Mann. In Der heilige Teufel beschreibt Iliodor, wie er Gott Ende des Jahres 1909 darum bittet, er möge ihm offenbaren, ob Rasputin ein Engel sei oder der Teufel. Er erhielt auch eine Antwort, und sie lautete: „Der Mensch gewordene Teufel“.26

Laut Pawel Kurlow, der von 1909 bis 1911 stellvertretender Innenminister und ab 1910 Generalleutnant war, erhielt Stolypin um den Jahreswechsel 1909/10 herum einen Auftrag (von wem, verschweigt Kurlow), die polizeiliche Überwachung Rasputins zu beenden. Stolypin leitete die Direktive an Kurlow weiter. Ein paar Tage später bat er Kurlow, am Nachmittag in sein Büro zu kommen, er habe ein Treffen mit Rasputin arrangiert und wolle Kurlows Meinung über den Mann hören. Und so saß Kurlow in einer hinteren Ecke des Büros seines Chefs und tat so, als beschäftige er sich mit irgendwelchen Papieren, während er in Wirklichkeit sorgfältig zuhörte, wie Rasputin Stolypin über eine Stunde lang davon zu überzeugen versuchte, dass er fälschlich verdächtigt werde und eigentlich doch nur eine ganz bescheidene, harmlose Seele sei. Stolypin selbst kam kaum zu Wort. Erst als Rasputin aufbrach, sagte er, wenn das alles stimme und er sich tatsächlich korrekt verhalte, müsse er sich auch keine Sorgen machen, von der Polizei belästigt zu werden. Nachdem Rasputin fort war, wollte Stolypin Kurlows Meinung hören. Kurlow sagte, für ihn gehöre Rasputin zu einer ganz bestimmten Kategorie hinterlistiger russischer Bauern, die immer ganz genau berechneten, was sie täten; wie ein Scharlatan sei er ihm allerdings nicht vorgekommen. „Trotz allem“, gab Stolypin zurück, „werden wir uns überlegen müssen, wie wir mit ihm umgehen.“ Die Genauigkeit und Uneigennützigkeit von Kurlows Einschätzung sind vielfach infrage gestellt worden. General Gerassimow von der Petersburger Ochrana, der zuvor von General Dedjulin beauftragt worden war, Rasputin polizeilich überwachen zu lassen, glaubte, dass Kurlow seine Stellung einflussreichen Freunden verdankte und dass er mit seinem Einfluss dafür gesorgt hatte, dass Rasputin der Verbannung aus der Hauptstadt entgangen war.27

Stolypin hinterließ keine eigenen schriftlichen Zeugnisse zu Rasputin – wir müssen also glauben, was andere ihm in den Mund gelegt haben. So berichtete Michail Rodsjanko, Stolypin habe ihm Folgendes erzählt:

Er betastete mich gleichsam mit seinen weißlichen Augen, murmelte rätselhafte und zusammenhanglose Sprüche aus der Heiligen Schrift, machte eigentümliche Bewegungen mit den Armen, und ich fühlte, wie in mir ein unüberwindliches Gefühl des Ekels vor diesem Schurken aufstieg, der mir gegenübersaß. Ich war mir bewußt, daß dieser Mensch über eine große hypnotische Kraft verfügte und daß er einen starken (wenn auch widerlichen) seelischen Eindruck auf mich machte.28

Maria Bok, Stolypins Tochter, erinnerte sich, bei ein paar wenigen Gelegenheiten mit ihrem Vater über Rasputin gesprochen zu haben, so im Sommer 1911, kurz vor Stolypins Ermordung:

Als mein Vater den Namen Rasputin hörte, verzog er das Gesicht und sprach mit ganz trauriger Stimme: „Wir können nichts gegen ihn tun. Jedes Mal, wenn ich Gelegenheit hatte, den Zaren zu warnen, tat ich es. Und erst kürzlich sagte er zu mir: „Ich stimme Ihnen zu, Pjotr Arkadjewitsch, aber besser zehn Rasputins als einen der hysterischen Anfälle der Zarin.“ Das war der eigentliche Grund. Die Zarin ist krank, schwer krank. Sie glaubt, dass Rasputin die einzige Person auf der ganzen Welt ist, die dem Thronerben helfen kann, und ihr das auszureden, übersteigt alle menschlichen Fähigkeiten.“29

An anderer Stelle wurde berichtet, Nikolaus habe zu Stolypin gesagt: „Ich habe keinen Zweifel, Pjotr Arkadjewitsch, dass Sie mir aufrichtig zugetan sind. Es mag auch sein, dass alles, was Sie sagen, wahr ist. Aber ich bitte Sie: Sprechen Sie mich nie wieder auf Rasputin an! Ich kann an der ganzen Sache ohnehin nichts ändern.“30 Was Nikolaus ihm über seine hysterische Frau anvertraut hatte, behielt der Premierminister nicht für sich, und schon bald erzählte man sich in der feinen Gesellschaft, der Zar von Russland habe solche Angst vor seiner Frau, dass es seine Regierungsgeschäfte beeinflusste.

Wassili Schulgin konnte kaum glauben, was sich da vor ihrer aller Augen ereignete: „Da ist dieser furchtbare Knoten … Der Zar beleidigt das Land, indem er einem überführten Wüstling solch ungehinderten Zugang zum Palast gewährt, wie ihn sich nicht einmal die Besten von uns erhoffen dürfen. Und unterdessen beleidigt das ganze Land den Zaren mit seinen schrecklichen Verdächtigungen … So lösen sich die Bande, die sich langsam über Jahrhunderte aufgebaut haben und die Russland zusammenhalten, nach und nach auf … Und warum? Weil ein einziger Mann nicht gegen seine Ehefrau ankommt …“31

Und die Erde wird zittern

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