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Lösungsversuche

Kampf oder Flucht?

Viele Unternehmen geben dann, wenn der Tiefpunkt der Negativität erreicht ist, Kampfparolen aus, wie: „Streng Dich doppelt und dreifach an! Bringe noch bessere Leistungen! Sei besser als Dein Mitbewerber! Nur so kannst Du Deinen Arbeitsplatz erhalten.“

In Wirklichkeit bewirken solche Strategien meist das Gegenteil – sie basieren auf Ideen, mit „Mehr des Gleichen“ zu bestehen. Im Bestreben, den Engpass des Negativen zu überwinden, werden neue Widerstände erzeugt.

Die Wirkung ist gleich der einer chinesischen Fingerfalle, durch mehr Aktion verhaken wir uns immer weiter.

Andere Unternehmen bevorzugen Fluchtstrategien. Manager und Mitarbeiter verfallen in Resignation und überlassen sich der vermeintlich stärkeren Macht derer, die es doch wissen müssten. Die Verantwortung wird auf die oberste Instanz abgewälzt – wer immer das sein mag. Ihre Depression wird noch verstärkt, wenn sie realisieren, dass sich die von ihnen durch Passivität unterstützten Hierarchen als Materialisten herausstellen, die Korruption durch „Vogel-Strauß-Politik“ und durch Selbstbereicherung akzeptieren.

„Null-Toleranz-Politik“?

Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise ist aus Gewinnsucht entstanden. „Viele Banken betrachteten Kunden zunehmend als Gegenspieler und Spielmasse. Auch nutzen sie ihren Informationsvorsprung gegenüber Bürgern und Unternehmen, um Geschäfte zu deren Lasten und zum eignen Nutzen zu tätigen“ (Hulverscheidt C., 2015). Der entstandene Vertrauensverlust soll nach erfolgreicher Sündenbocksuche nun durch die Aufstellung von „kulturellen Kernstandards“ geheilt werden. „Um den Schaden zu reparieren, müssten die Banken wieder lernen zu dienen“, so die Vision ehemaliger Bank- und Notenbankchefs der Finanzindustrie, die ethische Standards mit einer „Null-Toleranz-Politik“ und der Anwerbung von „Whistleblowern“ durchsetzen wollen (Vgl. Hulverscheidt C., 2015). Auch diese Strategie versucht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, indem sie Menschen als Wesen betrachtet, die technisch wie Maschinen manipuliert werden können. Eine „Null-Toleranz-Politik“, bei der jeder Verstoß umgehend mit drastischen Strafen geahndet wird, hat wenig Aussichten einen auf Vertrauen basierenden Kulturwandel zu bewirken.

Konstruktive Konfrontation?

Wenn es durch Kampf, Flucht und Strafen nicht klappt, scheint nur mehr übrig zu bleiben: „Der Vergeblichkeit ins Antlitz zu blicken und doch nicht zu verzagen“. Welcher realistischen Hoffnung könnten wir noch folgen? Welche Möglichkeiten könnten wir noch aufspüren, unsere vorhandenen Ressourcen sinnvoll zu erschließen und sie friedlich, angemessen und zum Wohle aller zu nutzen? Traditionelle, lineare und einseitig an Gewinnmaximierung orientierte Denk- und Handlungsstrategien erweisen sich hier zu offensichtlich als ungeeignet.

Aber auch in Nichtkrisenzeiten verzichten wir darauf, unser Potenzial an Talenten befriedigend zu nutzen. Das zeigen die Antworten zu einer Frage, die ich meinen Klienten häufig bei ihrer Potenzialanalyse stelle. Ich falle dann manchmal mit der Tür ins Haus und frage sie, wie viele ihrer Ressourcen sie gegenwärtig persönlich, als Vorstandsgruppe und als gesamtes Unternehmen über den Daumen gepeilt aktivieren. Nach einer zögerlichen Reflexions-Phase weichen die einen aus, andere, die bereit sind, auf diese Frage einzugehen, nennen niedrige Zahlen. Führungskräfte mit einem weiten Handlungsspielraum schätzen ihren Wirkungsgrad durchschnittlich bei 40%, den ihrer Mitarbeiter und des gesamten Unternehmens durchschnittlich bei ungefähr 10–20% ein. Wie kann das sein? Wie kommt so eine erschreckend niedrige Nutzungsrate des vorhandenen Potenzials zustande? Liegt es an den gesellschaftlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen? Was geschieht mit den übrigen 60–80% der Ressourcen der Manager und Mitarbeiter – werden sie bewusst zurückgehalten, oder verpuffen sie quasi „nebenbei“ als Reibungsenergie? Sicherlich gibt es hierfür viele Gründe, die bei einer eingehenden Analyse herausgefunden werden können. Ein bestimmender davon ist höchstwahrscheinlich die globale Werteverunsicherung. Rat- und Orientierungslosigkeit machen sich in einer Welt breit, die mehr von Negativität und Konkurrenz als von Vertrauen und Kooperation gekennzeichnet ist.

Führung auf humanistischen Werten begründet, tut in solcher Zeit bitter Not.

Das individuelle Wertesystem ist vergleichbar mit einem Führungskompass – es dient zur Orientierung, wenn Verhaltensentscheidungen zu treffen sind, es hilft die Komplexität zu reduzieren durch digitale Bewertungskategorien wie „gut oder schlecht“, „richtig oder falsch“. Damit Führungskräfte die Komplexität und die Widersprüchlichkeiten ihrer Führungsaufgabe bewältigen können, bedarf es also einer wesentlichen Voraussetzung: eines richtungsweisenden und jederzeit abrufbaren individuellen Wertesystems. Wollen Führungskräfte ihrer führenden Verantwortung gegenüber sich selbst und gegenüber anderen gerecht werden, so müssen sie einen verlässlichen Zugang zu ihrem individuellen Orientierungssystem entwickeln. Ich erlebe Unternehmer und Führungskräfte, die viel Zeit darauf verwenden, einen reflektierten Zugang zu ihren Glaubensüberzeugungen, zu ihren Ziel- und Handlungstheorien und zu ihren bewusst und unbewusst praktizierten Handlungsstrategien zu finden. Selbsterkenntnis und Selbstführung bilden eine gute Basis für Führungskräfte, die eine Rolle im Prozess des Wertewandels übernehmen wollen. So steht es jedem von uns frei, sich selbst und andere mit den eigenen positiven und negativen Emotionen zu konfrontieren und zu prüfen, was sich aus diesem Stehen zum eigenen emotionalen Potenzial ergibt. Ein solcher Versuch basiert auf einer „Habeas Emotum“-Prämisse. Nämlich: „Nütze deine emotionalen Ressourcen, du hast keine anderen“.

Wir haben die Chance durch Persönlichkeits-, Team- und Organisationsentwicklung die bisher wert-„losen“ brachliegenden und auf fast geheimnisvolle Art und Weise zurückgehaltenen Ressourcen wieder aufzuspüren, sie zu aktivieren und in der Zusammenarbeit – schließlich sind wir als soziale Wesen aufeinander angewiesen – zu multiplizieren. Hierin sehe ich eine vornehme Aufgabe von Führung, sich selbst als Führungskraft, die Mitarbeiter und Gruppen, ja sogar das gesamte Unternehmen durch Energieumwandlung zu qualifizieren. Führung findet ihre Berechtigung, wenn durch sie ein energetischer Mehrwert an Leistung und Lebensqualität für Einzelne, Familien, Gruppen und ganze Unternehmen entsteht. Mit allem was wir tun oder lassen treffen wir auch implizit Entscheidungen über die Nutzung unserer Ressourcen und Energien. Deswegen sind Führungskräfte gute oder schlechte Energiemanager.

Im gruppendynamischen Seminar, wenn die Teilnehmer tagelang nach der Lösung von Engpassproblemen gesucht haben, entsteht meist in der Mitte der Veranstaltung ein Bewusstsein dafür, wie durch Denken, Fühlen und Handeln humane Energien verändert und gewandelt werden können. Die Teilnehmer lernen, Ängste, Aggressionen, Resignation, oft auch Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung zu spüren, sie zu erkennen und sie konstruktiv auszudrücken. Sie verbinden ihren Gefühlsausdruck mit konkreten Beobachtungen und lassen sich damit auf einen erstaunlichen Prozess ein. Das, was sie vorher als beängstigend erlebt haben, wird leichter und löst vieles im Aussprechen. Es entsteht ein kathartischer Effekt für den Sender, er befreit sich von seinen negativen Emotionen ohne andere zu verletzen. Der Empfänger erfährt etwas über seine Wirkung, ein erster Schritt zur Autonomie als Kennzeichen von authentischer Führungskompetenz: Sowohl Sender als auch Empfänger lernen durch Tun. Dieser Rückkoppelungsprozess hilft, wenn er gut angeleitet wird, negativ Hemmendes in kreativ Wachsendes umzuwandeln. Negative Widerstandsenergie kann zu Problemlösungsenergie (Rosenkranz, 2006) gewandelt werden.

„Die Basis für Lern- und Veränderungserfolg sind Self-Leadership-Fähigkeiten“, die sich z.B. durch Selbsterinnerungsstrategien erfolgreich qualifizieren lassen (Koch, 2015). Wie dieser soziale Lernprozess – gleichsam aus „Stroh Gold zu machen“ – professionell durch angeleitete Selbsterfahrung unterstützt werden kann, ist Ziel dieser Veröffentlichung.

Bewusst geplantes Werte- und Changemanagement bedeutet, solche Energieumwandlung im Unternehmen und in der Gesellschaft einzuleiten. Führungskräfte können so Manager eines Wertewandels werden.

Veränderung dieser Art kann gelingen, wenn Führungskräfte bereit sind, sich zu allererst mit ihrem eigenen Wertverständnis und ihrer eigenen Philosophie sozialen Handelns auseinander zu setzen und ihre Führungsrolle neu zu definieren. Ihr Selbstverständnis müsste dann nicht nur die Aufgaben- und Expertenrolle und die Rolle des Hüters der Geschäftsordnung umfassen. Wenn Führung sich nur auf Materialistisches und dessen Ausführung konzentriert, so stellt sie sich nicht der eigentlichen Frage ihrer Sinnhaftigkeit und Legitimität. Der Abgleich von Werten mit einem an Menschlichkeit orientierten Leitbild und einer darauf hin abgestimmten Zieltheorie tut Not und gehört zu meinem Verständnis von Führung. Mir schwebt das Leitbild eines ganzheitlichen Energiemanagers vor, der bereit und fähig ist, rationale und emotionale Führung zu lernen und seine Zieltheorie permanent mit seinem praktizierten Führungsverhalten abzugleichen. Alfred Herrhausen, der ehemalige Chef der Deutschen Bank, der zu früh sterben musste, trifft die Quintessenz dieses Gedankens: „Ich sage, was ich denke, und ich tue, was ich sage.“ (Hambrecht, 2010)

Wie wir aus Stroh Gold machen können

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