Читать книгу Intuitiv gesund. Werde dein eigener innerer Arzt! - Dr. med. Christina Barbara Petersen - Страница 5
Macht Arztsein krank?
ОглавлениеIch war schon immer sehr am menschlichen Körper interessiert und wollte alles über Gesundheit und Krankheit wissen. Diese Neugier war mein persönlicher Antrieb, um Medizin zu studieren und schließlich Fachärztin für Allgemeinmedizin zu werden. Im Verlauf meiner Ausbildung habe ich gelernt, wie der menschliche Körper funktioniert. Gleichzeitig gab es einige Hürden, die ich nehmen durfte, um noch mehr über Gesundheit und Krankheit zu erfahren.
Ich habe mit 18 Jahren das Medizinstudium begonnen. Zu dieser Zeit war ich noch sehr unsicher in meiner Persönlichkeit. Damit meine ich: Ich wusste nicht, wer ich selbst war, hatte den Glaubenssatz, nicht genug zu sein, in mir und war bereit, alles zu geben, um anderen zu helfen. So habe ich mich immer an die Regeln gehalten und Höchstleistungen erbracht.
Das Studium war sehr verschult und durchgetaktet. Es gab viele Prüfungen, in den Semesterferien Pflegepraktikum und Famulatur und nachts nebenbei die Versuche im Labor für die Doktorarbeit. Da blieb keine Zeit zum Nachdenken. Die Ausbildung funktionierte nach alter Schule – über Druck. Ich war zu der Zeit wenig reflektiert und sehr empfänglich dafür, sodass ich mich die meiste Zeit meines Studiums in Angst wiederfand. Es gab damals noch keine Kurse zum Thema Stressbewältigung oder Selbstwahrnehmung. Wir lernten also nicht, auf den Körper zu hören. Stattdessen bekämpften wir die Signale und fanden Ausgleich im Alkoholrausch am Wochenende. Ich hätte mir einen persönlichen Ansprechpartner gewünscht, mit dem ich über meine Ängste hätte sprechen können, denn die waren groß. Nicht ohne Grund hatte ich während der gesamten Studentenzeit Schwindel, der mir einerseits Angst machte und den ich andererseits verheimlichte, weil es mir peinlich war.
Im Nachhinein weiß ich, dass es psychosomatischer Schwindel war. Teilweise war es so schlimm, dass ich ungern vor die Tür ging. Ich wusste damals nicht, wie es weitergehen sollte. Das, was mir im Studium vermittelt wurde, verschaffte mir den Eindruck, dass man als Arzt nicht krank sein durfte. Und schon gar kein Hypochonder! Das wollte ich auf gar keinen Fall. Ich dachte, dass etwas mit mir nicht stimmte, wusste aber nicht, was es war.
In der Facharztausbildung wurden die körperlichen Beschwerden schlimmer. Zu dem Schwindel kam Migräne hinzu. Ich war damals im Bereich der Inneren Medizin tätig. Als ich in der Notaufnahme arbeitete, hatten wir mitunter 24-Stunden-Schichten. Wer das nicht kennt, kann sich die psychische und körperliche Belastung dieser Dienste nur schwer vorstellen. Es war ständig so viel zu tun, dass ich permanent überfordert war.
Mir machte die Arbeit auf der Notaufnahme zwar großen Spaß, denn es gefiel mir, Patienten in Not zu helfen und wie ein Detektiv auf der Suche nach der Ursache der Beschwerden zu sein. Was mich aber überforderte, war die beinahe unzumutbare Anzahl von Patienten. Anstatt einen Patienten ordentlich aufzunehmen, zu befragen, zu untersuchen und eine Diagnose zu stellen, wurde ich ständig unterbrochen. Als einziger diensthabender Arzt in der Inneren Medizin auf der Notaufnahme war ich Ansprechpartner für alle: Telefon, neue Notfälle, Angehörigengespräche, Anfragen von Schwestern auf den anderen Stationen, Anfragen von auswärtigen Ärzten, dazu noch Versorgungsprobleme (also Dinge, die die Sozialarbeiter mir normalerweise abnehmen sollten). Obwohl ich wirklich immer mein Bestes gab, ging ich doch mit einem schlechten Gefühl nach Hause, weil ich dachte, nicht genügend Zeit für alle Patienten gehabt zu haben. Dabei hatte ich mir während meiner 24-Stunden-Dienste häufig nicht mal eine klitzekleine Pause fürs Essen oder Trinken genommen. Ständig hatte ich aufgrund des permanenten Zeitmangels somit das unterschwellige Gefühl, eine Versagerin zu sein, da ich nach meinen Maßstäben nie alles geschafft hatte. In direkter Konsequenz war ich in meinen Augen häufig nicht die Ärztin, die ich sein wollte.
Ich bin sehr empathisch und verständnisvoll. Zu meinen Werten gehören Respekt, Toleranz und Höflichkeit. Mit zunehmender Arbeitsbelastung und Stress wurde ich hart und konnte meine Empathie nicht mehr spüren.
Gleichzeitig stellte ich mir häufig die Sinnfrage: Wozu habe ich Medizin studiert? Ich wollte doch den Menschen helfen.
Oft ging ich nach einem langen anstrengenden Tag trotzdem unzufrieden nach Hause, weil ich mir für Patienten nicht ausreichend Zeit hatte nehmen können. Dieses ungute Gefühl versuchte ich, mit einem Glas Wein und einer Zigarette zu betäuben. Danach fühlte ich mich häufig noch schlechter, da ich als Ärztin Tabak und Alkohol grundsätzlich ablehnte. Mir wurde langsam bewusst, dass irgendetwas nicht richtig lief. Aber ich konnte mich aus dieser Situation damals nicht befreien. Also ging es weitere drei Jahre so. Warum? Weil ich mir nicht die Zeit nahm, darüber nachzudenken, wie ich meine Situation verändern konnte. Und weil ich noch nicht die persönliche Reife besaß, mich für einen anderen Weg zu entscheiden. Ich war blockiert und fühlte mich gefangen in einem System, in dem ich nicht sein wollte. Erst später wurde mir klar, dass es zum großen Teil meine eigenen Glaubensvorstellungen waren, die mich einschränkten – etwa der Glaubenssatz, nicht genug zu sein und es allen recht machen zu müssen, wobei ich mich selbst völlig vergaß.
Diese Zeit war die schrecklichste meines Lebens. Das wusste aber niemand, weil ich Angst vor Ablehnung hatte und es nicht zugeben konnte. Wenn ich das zugegeben hätte, dann hätte ich mich als Versagerin gefühlt, und das wollte ich mir nicht eingestehen. Ich wollte auf keinen Fall Schwäche zeigen. In der Schule und auch später im Studium hatte ich gelernt, die Zähne zusammenzubeißen, mich anzustrengen und auf keinen Fall aufzugeben, komme, was wolle.