Читать книгу Nie wieder Migräne - Dr. med. Klaus-Jürgen Strackharn - Страница 8
ОглавлениеFragezeichen – Was hat Migräne mit dem Genick zu tun?
Ich hatte von meinem Kollegen, der den Vortrag über die Atlas-Impuls-Therapie gehalten hatte, gelernt, dass Migräne doch irgendetwas mit der Halswirbelsäule zu tun haben musste. Fragte sich nur, was. In dem Vortrag wurde ein Diagnoseverfahren erwähnt, das ich nicht kannte. Damit kann man Fehlstellungen von Halswirbeln erkennen und Bewegungen der Wirbel untereinander analysieren. Das Verfahren nennt sich »Röntgen-Funktions-Analyse« und ist ziemlich unbekannt. Vielleicht ein Prozent der Orthopäden und höchstens einer von 200–300 Röntgenärzten arbeiten damit. Es lässt sich aber verhältnismäßig schnell erlernen.
Die Röntgen-Funktions-Analyse schien mir danach die einzige Möglichkeit, dahinterzukommen, was die Halswirbelsäule mit Migräne zu tun haben könnte.
Damals kam ein ganz armer Teufel zu mir. Der hatte mit 18 das erste Mal wegen Kopfschmerzen einen Selbstmordversuch gemacht. Mit 24 hat er sich nochmals die Pulsadern aufgeschnitten, wurde aber wieder gerettet. Was allerdings am Kopfschmerz wenig änderte. Der wurde über die Jahre immer schlimmer. Ein guter Doktor, der zwar auch nicht wusste, wo die Schmerzen herkamen, verschrieb ihm wenigstens Morphin. Das half zuerst. Er konnte wieder arbeiten gehen. Mit 40 war dann auch mit dem Betäubungsmittel nichts mehr zu machen. Es reichte nicht, den Schmerz zu unterdrücken. Die Dosis wurde zu hoch. Da bekam er noch Psychopharmaka. Die sollten die Schmerzwahrnehmung unterdrücken und die Depressionen verscheuchen. Taten sie zwar nicht ganz, aber immerhin konnte er wieder zur Arbeit. Die hatte er nämlich wochenlang nicht mehr machen können. Später reichte auch diese Kombination nicht mehr. Er legte sich ins Bett. Dort waren die Schmerzen noch am ehesten auszuhalten.
Als er zu mir kam, hatte er sieben Jahre fast nur im Bett verbracht, die letzten zwei Jahre dauernd. Ganz zum Schluss konnte er nur noch einmal am Tag passierte Kost zu sich nehmen. Kauen konnte er wegen der sich dabei steigernden Schmerzen nicht mehr. Schlucken war auch schon eine Pein.
Ein klarer Fall von Medikamenten-Kopfschmerz – haben seine Ärzte diagnostiziert. Womit sie allerdings nur die halbe Wahrheit erfasst hatten. Die andere Hälfte blieb ihnen offenbar verborgen.
Normalerweise hätte ich keinerlei Chancen gehabt, hinter die andere Hälfte zu kommen, wenn mir nicht die Röntgen-Funktions-Analyse dabei geholfen hätte. Der arme Teufel war mein erster Fall, den ich mit dem für mich neuen Verfahren diagnostiziert hatte, und gleich ein Volltreffer: Vollkommene Bewegungsstarre des ersten Halswirbels bei allen röntgen-funktions-analytisch geforderten Kopfhaltungen aus der Normalstellung heraus: Vorwärtsbeugen, Rückwärtsbeugen und Nicken. Der Rest der Halswirbelsäule war auch bewegungssteif, aber das war wohl Folge der Bewegungsstarre im Genick.
Da hatte ich nun eine brauchbare Diagnose.
Nach sorgfältiger Aufklärung über eventuelle Risiken machte ich die ersten zaghaften Schritte mit einer neuen Therapie, die ich mir dazu überlegt hatte. Als ich den armen Teufel damit nach einer Woche nicht nur vom Schmerz, sondern auch – für mich völlig unerwartet – vom Rest seiner Nöte für's erste befreit hatte, habe ich verdammt feuchte Augen bekommen.
Hatte ich da etwas Einmaliges gesehen? Hatte ich etwas Systematisches entdeckt, oder war's nur ein Zufall?
Leider nutzte mir die »Entdeckung« für meine Suche nach den Spuren der Migräne gar nichts. Der arme Teufel hatte nämlich gar keine Migräne, sondern Dauerkopfschmerz. Aber mir kam wenigstens eine Idee.
Nach diesem Fall ließ ich bei allen Kopfschmerz-Patienten Röntgen-Funktions-Aufnahmen der Halswirbelsäule anfertigen und wertete sie aus. Dabei sah ich interessanterweise immer wieder ähnliche Verhältnisse: Der Genickmechnismus tat nicht, was er sollte. Der erste Halswirbel war mehr oder weniger außer Betrieb.
Den ersten Halswirbel kann man in der Seitenansicht bei Röntgenaufnahmen sehr schön sehen. Er hat eine ganz andere Form als die anderen Halswirbel. Sein hinterer Wirbelbogen sieht fast aus wie der Zeiger einer Uhr.
Je nach Stellung dieses Zeigers kann man beurteilen, ob sich der Wirbel beim Vorwärts- oder Rückwärtsbeugen des Kopfes oder beim Nicken bewegt oder nicht.
>>> Grundlage der Röntgen-Funktions-Analyse ist die Vermessung und Auswertung von Röntgen-Aufnahmen des Schädels und der ganzen Halswirbelsäule in exakt seitlicher Darstellung in normaler Kopfhaltung, Nickstellung, äußerster Vorbeugung und äußerster Rückwärts-beugung.
Dazu werden Linien jeweils vom Ende des harten Gaumens an die hintere äußere Schädelwölbung und von der Mitte des vorderen Bogens des ersten Halswirbels zur Mitte seines hinteren Bogens gezogen sowie von der Mitte des Querfortsatzes des zweiten Halswirbels zur Mitte der hinteren Rückenmarksbegrenzung am Dornfortsatz des zweiten Halswirbels.
Diese Linien bilden untereinander Winkel, welche die Stellung des ersten und zweiten Halswirbels in bezug auf den Hinterkopf und zueinander in den vier Kopfhaltungen zeigen.
Durch Vergleich dieser Winkel untereinander lassen sich die Bewegungen des Genicks beurteilen: Je kleiner der Unterschied der Winkel zueinander, desto geringer die Beweglichkeit des Genicks.
Als wir merkten, dass da vielleicht doch eine Systematik dahintersteckte, haben wir eine Studie mit insgesamt 278 chronischen Kopfschmerzfällen gemacht. Diese Studie lieferte ganz wesentliche Hinweise auf der Suche nach den Ursachen der Migräne. Doch davon später.
Zuvor gab es noch sehr viel Kleinarbeit, viele Ideen, die nichts brachten, viele kleine Schritte vorwärts, fast genauso viele rückwärts.
Ich hatte noch keine Ahnung, wie ich von den Genickproblemen auf den Anfallsverlauf einer Migräne kommen sollte. Es kamen ja nur akute Probleme in Betracht, die aber hatten wir noch gar nicht gesehen. Jedenfalls waren die bisher gesichteten Genickprobleme chronisch, und das passte nicht zum Anfalls-Charakter einer Migräne.