Читать книгу Prostatakrebs-Kompass - Dr. med. Ludwig Manfred Jacob - Страница 49
4.1 Was ergeben klinische Studien zur Veränderung der Ernährungs- und Lebensweise?
ОглавлениеProstatakrebs-Patienten haben häufig einen starken Willen, ihren Gesundheitszustand aktiv durch Veränderungen ihrer Lebens- und Ernährungsweise zu verbessern. Darin liegt eine große Chance, nicht nur das Prostatakrebs-spezifische Leben deutlich zu verlängern, sondern die Lebensdauer und vor allem auch die Lebensqualität insgesamt zu erhöhen. Dieser Wille, selbst Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen, ist vielleicht der wichtigste Faktor für ein langes Leben. Gesunde Ernährung und Lebensweise nicht als Last, sondern aus Freude am Leben. Das Gefühl der Selbständigkeit, Selbstverantwortung und eigenen Einflussmöglichkeit ist in sich ein wichtiger präventiver und wohl auch kurativer psychologischer Faktor, worauf auch die Arbeiten von Roland Grossarth-Maticek (Autonomietraining; Grossarth-Maticek, 2002) und Aaron Antonovsky (Salutogenese) hinweisen.
Ist die Entwicklung eines Prostatakarzinoms das Ergebnis von Genetik, Schicksal oder vor allem eines lebenslangen Ernährungsmusters? Gewiss kann einer Erkrankung eine genetische Disposition zugrunde liegen, doch über 70 % liegen in unserer Hand. Zwar verdoppelt die familiäre Vorbelastung für ein Prostatakarzinom in etwa das Erkrankungsrisiko, doch die Expression unserer Gene kann durch unsere Ernährung und Lebensweise positiv oder auch negativ verändert werden. Forscher um Dean Ornish von der University of California hatten in der viel beachteten GEMINAL-Pilotstudie (Ornish et al., 2008a) 30 Männer mit Prostatakrebs rekrutiert. Diese mussten ihren Lebensstil radikal umstellen: Sie ernährten sich gesund, sehr fettarm und rein pflanzlich, nahmen Nahrungsergänzungsmittel, gingen 6 Tage pro Woche mindestens 30 Minuten spazieren, nahmen an Stress-Management-Kursen (Yoga, Atemübungen, Meditation, Visualisierungsübungen, progressive Muskelentspannung) und einmal in der Woche an einer gemeinsamen Gruppensitzung teil. Nur 10 % der täglichen Energiezufuhr wurden über Fett aufgenommen, täglich wurde Tofu und Soja verzehrt.
Die Mediziner entnahmen den Probanden sowohl vor als auch drei Monate nach dieser Intervention Biopsien der Prostata. In diesen konnten die Forscher Veränderungen der Expression für mehrere hundert Gene nachweisen. Für die Tumorbildung wichtige Gene waren herunterreguliert, dagegen waren krebsbekämpfende Gene aktiver als vor der Lebensstilumstellung.
Dass diese Auswirkungen auch von prognostischer Relevanz sind, zeigte eine weitere Studie von Ornish, in der sich durch die gleiche Lebensstilintervention die Ergebnisse der aktiven Überwachung (active surveillance) deutlich verbessern ließen. Das Fortschreiten des Prostatakarzinoms zu einer notwendigen invasiven Therapie konnte durch die oben beschriebenen Maßnahmen um mindestens zwei Jahre verzögert werden (Frattaroli et al., 2008). Nach zwei Jahren mussten sich nur 5 % der Ornish-Gruppe einer invasiven Therapie unterziehen, während in der Kontrollgruppe das Fortschreiten der Erkrankung 27 % der Patienten zu einer invasiven Therapie zwang.
Zudem untersuchte Ornish in einer Pilotstudie, ob Lebensstilfaktoren, die Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern, auch die Telomerasefunktion beeinträchtigen: Patienten mit Prostatakrebs, die an einer umfassenden Lebensstilintervention nach Ornish teilnahmen, wiesen eine deutliche Steigerung der Telomeraseaktivität und folglich eine hohe Telomer-Erhaltungskapazität in humanen Zellen des Immunsystems auf (Ornish et al., 2008b). Bei der Anschluss-Studie waren die Telomere in der Versuchsgruppe nach 5 Jahren sogar verlängert, in der Kontrollgruppe dagegen signifikant verkürzt. Je besser die Lebensstilveränderung eingehalten wurde, desto stärker war der positive Effekt (Ornish et al., 2013).
Ornish betont die Bedeutung der Gruppensitzungen. Als er das System 1977 einführte, ging es zunächst darum, die Compliance in Sachen Ernährung und Lebensstil durch die Gruppensitzungen zu verbessern. Doch bald zeigte sich, dass die Gruppensitzungen eine viel wichtigere Rolle spielten. Ornish (2001): „Warum zeigt die Unterstützung durch eine Gruppe […] so viel Wirkung? Sie bietet Menschen einen sicheren Ort, ihre emotionalen Verteidigungsmechanismen und Barrieren bewusst aufzugeben, um ihre Gefühle auszudrücken und ihr Herz zu öffnen. Wenn Menschen einander ihr Herz öffnen, kommt es oft zur Heilung. Eine unterstützende Gruppe hilft, Isolation, Entfremdung und Einsamkeit zu heilen. […] Uns geht es darum, eine wohlmeinende Gemeinschaft von Menschen zu schaffen, die sich verpflichten, Einsamkeit und Isolation zu heilen.“ Es geht also letztlich um Liebe und Empathie und das Bewältigen der Ängste, die bei Männern sich meist unbewusst verbergen und nicht ausgedrückt werden, was sie wahrscheinlich sogar belastender macht.
In einer kleinen Studie aßen 14 Patienten mit rezidivierendem Prostatakrebs über 6 Monate eine fettarme, pflanzliche Ernährung und praktizierten Stressmanagement. Vier von zehn auswertbaren Patienten wiesen ein absolutes Absinken des PSA-Wertes auf, neun von zehn erreichten eine deutliche Verlängerung der PSA-Verdopplungszeit – im Median von 11,8 Monaten auf 112,3 Monate (Saxe et al., 2006). Die Studie bestätigte die Ergebnisse einer früheren Studie der gleichen Forschungsgruppe (Saxe et al., 2001).
Diese Lebensstilinterventionen hatten auch wichtige positive „Nebenwirkungen“:
1 Die Lebensqualität der Studienteilnehmer stieg deutlich im Vergleich zu der Kontrollgruppe.
2 Es zeigten sich ausgesprochen positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System, wie z. B. 90 %-ige Reduktion von Angina Pectoris-Anfällen und Rückgang der Stenosen in Herzkranzgefäßen bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (Ornish et al., 1998).
Im Jahr 2002 wurde durch Forscher an der University of California in Los Angeles gezeigt, wie wirkungsvoll Ernährung und Bewegung für unsere Gesundheit sind. In einer Studie untersuchten sie Blutproben von acht Männern, die über mehrere Jahre hinweg eine fettarme Ernährung und regelmäßige Bewegung praktizierten, wie auch von übergewichtigen Männern, die dies nicht taten. Das Serum der Männer wurde einer standardisierten Zelllinie zugesetzt. Das Serum derjenigen Männer, die dem Ernährungs- und Bewegungsprogramm folgten, reduzierte das Wachstum der Krebszellen um 49 % im Vergleich zum Kontrollserum der übergewichtigen Männer. Der Grund für diese Effekte liegt zum Teil in den unterschiedlichen Testosteron-, Östrogen- und Insulinspiegeln der untersuchten Seren, aber auch andere, noch unbekannte Faktoren im Blut zeigten hier ihre Wirkung (Tymchuk et al., 2002).
Wie schnell diese Effekte eintreten, zeigt eine andere Studie der gleichen Forschungsgruppe: Das Serum von 13 übergewichtigen Männern zeigte bereits innerhalb von 11 Tagen nach Beginn einer fettarmen Ernährungsweise und einem Trainingsprogramm eine Krebshemmende Wirkung (Tymchuk et al., 2001). Durch das nach dieser Intervention entnommene Serum jedes Probanden wurde im Vergleich zum jeweiligen Serum vor der Intervention das Wachstum von Prostatakrebszellen in Kultur um durchschnittlich 30 % reduziert. Noch wirkungsvoller war das Serum der Männer, die diesem Programm länger folgten.
Eine andere Studie ergab (Liz et al., 2008), dass eine sehr fettarme, ballaststoffreiche Ernährung, die täglich mit 40 g Sojaprotein unterstützt wurde, nicht nur gut von den PCa-Patienten angenommen wurde, sondern auch zu einer Reduktion zirkulierender Hormone oder Wachstumsfaktoren wie IGF-1 führte, die das Prostatakrebswachstum stimulieren.
In einer Studie mit 47 Männern, die nach erfolgloser Primärtherapie ein PSA-Rezidiv hatten, wurde die Wirkung einer Intervention untersucht, die eine intensive, pflanzenbetonte Ernährungsumstellung, körperliche Bewegung und Meditation umfasste (Hébert et al., 2012). Bei 56 % der Männer, die ihren Obstkonsum steigerten, stieg der PSA-Wert nicht an. Dies war hingegen nur bei 29 % der Männer der Fall, die ihren Obstkonsum nicht steigerten. Im Rahmen der Intervention zeigten mehrere Lebensstilparameter positive Gesundheitseffekte. Bei Männern mit rezidivierender Erkrankung war sowohl der erhöhte Verzehr von Obst als auch die Reduktion gesättigter Fettsäuren (Hauptquelle Milchprodukte und Fleisch) damit assoziiert, dass sich der PSA-Wert nicht mehr änderte (Hébert et al., 2012).
Die aktuelle Studienlage weist insgesamt auf die hohe Bedeutung einer pflanzenreichen Kost und bestimmter Pflanzenstoffe in Bezug auf die Prävention, das Fortschreiten und das Überleben bei Prostatakrebs hin (Berkow et al., 2007). Es gilt auch als wissenschaftlich gesichert, dass regelmäßige Bewegung sowie Normalgewicht das Risiko eines Prostatakarzinoms deutlich senken.
Eine Reihe von Studien zeigt auch bezüglich der gutartigen Prostatahyperplasie, dass sich eine Ernährung, die arm an tierischen Produkten, pflanzlichen Ölen und Energie sowie reich an Sojaprodukten ist, günstig auswirkt (Araki et al., 1983; Denis et al., 1999; Gaynor, 2003; Lagiou et al., 1999; Suzuki et al., 2002).
Der im 7. Kapitel (ab Seite 201) beschriebene Ernährungsplan berücksichtigt alle bisherigen Erkenntnisse zur Ernährungstherapie von Prostatakrebs. Insbesondere übergewichtigen Prostatakrebspatienten kann er zudem helfen, ihr Gewicht auf eine nachhaltige und gesunde Weise zu normalisieren.