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4.2 Ernährung auf Basis von Fleisch, Milch und Zucker: bis zu 27-mal höhere Prostatakrebssterblichkeit

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Die Ernährungsweise beeinflusst maßgeblich die Prostatakrebsmortalität

Der Vergleich weltweiter Prostatakrebs-Sterberaten mit dem im jeweiligen Land über Jahrzehnte vorherrschenden Ernährungsmuster liefert sehr interessante Rückschlüsse. Die Schweiz, Schweden und Norwegen waren jahrzehntelang führend im Konsum von Milchprodukten, Fleisch und Zucker. Im Jahr 2000 war die altersstandardisierte Prostatakrebssterblichkeit mit 27 Todesfällen pro 100.000 Männer in allen drei europäischen Ländern 27-mal höher als in China (1 pro 100.000), 19-mal höher als in Vietnam (1,4 pro 100.000), 13,5-mal höher als in Südkorea (2 pro 100.000), 10-mal höher als in Thailand (2,65 pro 100.000) und immerhin noch 5-mal höher als in Japan (5,47 pro 100.000) (s. Abb. 10; Ferlay et al., 2000).


Abb. 10: Altersstandardisierte Prostatakrebssterblichkeit nach WHO-Daten (Ferlay et al., 2000)

Die Überlebensvorteile der Asiaten verschwinden nach einer Migration in westliche Länder und der Übernahme eines westlichen Ernährungsmusters. Chinesen und Japaner in den USA wiesen in den 1980er Jahren, also vor der Einführung des PSA-Tests als möglicher Störfaktor, eine wesentlich höhere Prostatakrebsinzidenz auf als ihre Landsleute im Heimatland (Muir et al., 1991). Auch in Asien selbst ist durch die zunehmende Verwestlichung bereits eine starke Zunahme der altersstandardisierten Prostatakrebssterblichkeit festzustellen. Die

Zunahme ist umso größer, je früher und intensiver die Verwestlichung einsetzte, was sich an den Zahlen Japans und der Philippinen zeigt. Die besonders stark verwestlichten Philippinen lagen im Jahr 2000 mit einer Sterblichkeitsrate von 11/​100.000 nicht mehr weit entfernt von den USA und Deutschland mit jeweils 18/​100.000 (Ferlay et al., 2000). Die altersstandardisierten Prostatakrebsraten sind in den westlichen Ländern rückläufig (von 2000 bis 2008), während sie in Asien steigen. Den Rückgang der Prostatakrebsmortalität in den letzten zehn Jahren in den westlichen Ländern verursachen wahrscheinlich insbesondere verbesserte Therapien und eine verbesserte Früherkennung durch den PSA-Test (Collin et al., 2008; Etzioni et al., 2008). Für den Anstieg in Asien wird die allgemeine Verwestlichung der Länder verantwortlich gemacht, insbesondere der stark steigende Konsum von tierischen Fetten und Proteinen, die Zunahme von Übergewicht und die abnehmende körperliche Aktivität (Baade et al., 2009).

Dieses Kapitel soll die These untermauern, dass die lebenslange Ernährungs- und Lebensweise die maßgeblichen Faktoren bei der Entwicklung des Prostatakarzinoms sind. Entscheidend ist hierbei nicht nur, was Prostatakrebskranke die letzten Jahre vor ihrer Erkrankung gegessen haben, sondern vielmehr ihr lebenslang praktiziertes Ernährungsmuster, das zur Entwicklung des Karzinoms beigetragen hat.

Weltweit korreliert das westliche Ernährungsmuster mit vielen Fleisch- und Milchprodukten sowie viel Zucker durchweg mit einer hohen Prostatakrebsmortalität, während das asiatische Ernährungsmuster auf Basis von Reis, Sojabohnen und Gemüse mit einer sehr niedrigen Mortalität einhergeht (s. Tab. 3, Seite 77).

Traditionelle Ernährung in Okinawa

Die Ernährungsweise in asiatischen Ländern war ursprünglich sehr arm an tierischem Protein aus Milch und Fleisch. Die Bewohner von Okinawa stellten lange Zeit die langlebigste Population der Welt dar. Traditionell (1949) verzehrten sie pro Tag 15 g Fisch, nur 3 g Fleisch und so gut wie keine Milchprodukte (Willcox et al., 2007). Dementsprechend lag der Wert für die Proteinaufnahme aus tierischen Lebensmitteln bei lediglich 3,3 g pro Tag, die Proteinzufuhr aus pflanzlichen Lebensmitteln betrug dagegen 35,7 g. Das pflanzliche Protein stammte zu einem großen Teil aus Sojabohnen, die große Mengen an Isoflavonen enthalten. Isoflavone tragen aufgrund ihrer phytoöstrogenen Wirkung zum Schutz vor Prostatakrebs und Brustkrebs bei. Dennoch kann dies alleine die extrem niedrige Krebsrate nicht erklären. Wesentliche Merkmale der Okinawa-Ernährung waren immer auch reichlich Gemüse, Süßkartoffeln (Carotinoide), Tofu (Isoflavone), Kräuter, Gewürze (z. B. Kurkuma mit Curcumin) und Grüntee (Polyphenole wie z. B. Catechine) sowie insgesamt eine Ernährung mit einer relativ geringen Gesamtenergieaufnahme (Kalorienrestriktion), hoher Vitalstoff- und niedriger Kaloriendichte (Willcox et al., 2007). Mitte der 1990er Jahre war die absolute, nicht altersstandardisierte Prostatakrebsmortalität für Japaner (8/​100.000) übrigens doppelt so hoch wie für die Männer auf Okinawa (4/​100.000), obwohl diese älter wurden (Japan Ministry of Health and Welfare 1996, www.okicent.org). Okinawa liegt geografisch näher bei China und Taiwan als bei Japan – und dies gilt auch kulturell. Erst 1872 fiel es politisch Japan zu.

Traditionelle Ernährung in China

Auch in China wurden traditionell wenig Fisch und Fleisch sowie praktisch keine Milchprodukte konsumiert. Der Verzehr von Fleisch ist jedoch in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch um mehr als das 14-Fache angestiegen, beträgt aber immer noch nur etwa die Hälfte des westlichen Niveaus (Brown, 2009). Nach wie vor werden wenig Milchprodukte verzehrt, auch wenn der Trend neuerdings stark steigend ist. Der Fischkonsum hat sich seit den 1990er Jahren in etwa vervierfacht. Allem Anschein nach folgt China mit einigen Jahrzehnten Verzögerung dem Beispiel Japans, dessen Verwestlichung in den 1960er Jahren begann und dessen Prostatakrebsmortalität im Jahr 2008 altersstandardisiert um 150 % höher lag als in China, Vietnam oder Thailand (Ferlay et al., 2010). Allerdings erfolgt die Verwestlichung Chinas schneller und intensiver als in Japan, was sich bereits in rapide steigenden Zahlen für Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen äußert. Die altersstandardisierte Prostatakrebsmortalität ist in China seit 2000 bereits um 80 % gestiegen (Ferlay et al., 2000 und 2010).

Traditionelle Ernährung in Japan

The Cambridge World History of Food (2000) berichtet, dass Japan auf eine sehr alte Ernährungskultur ohne Fleisch- und Milchprodukte zurückblickt. Von 675 n. Chr. bis in das 15. Jahrhundert war das Essen von Säugetieren weitestgehend staatlich verboten – man nahm die Gewaltlosigkeit der buddhistischen Lehre ernst. Daher gab es auch keine Tierzucht. Milchprodukte konnten sich auch danach nie in Japan, China oder Korea etablieren, da die Laktoseintoleranz in diesen Ländern weit verbreitet ist. Die Betonung der japanischen Küche lag darauf, den natürlichen Geschmack der Lebensmittel zu bewahren. Frischkost galt als Devise, auch Fisch wurde häufig roh verzehrt. Insgesamt basierte die japanische Ernährung auf fettarmer, pflanzlicher Kost mit Fischbeigabe. Dies hat sich im Zuge der Verwestlichung Japans seit dem 2. Weltkrieg zunehmend verändert, auch wenn besonders die älteren Japaner noch an ihren alten Ernährungsmustern festhalten, viel Wert auf eine schlanke Linie legen und besonders lange leben.

In den 1990er Jahren unterschied sich die Inzidenz von Prostatakrebs in den USA von der in Japan noch um einen Faktor von 10: In den USA lag das Auftreten jährlich bei etwa 120 (Weiße) bzw. bei fast 200 (Schwarze) pro 100.000 Einwohnern, in Japan nur bei etwa 12 (z. B. Matsuda und Saika, 2007).

Seit langem bekannt ist das Phänomen der verwestlichten Japaner: Wenn Japaner nach Kalifornien ziehen und „amerikanisiert“ werden, steigt ihr Prostatakrebsrisiko deutlich und nähert sich dem US-amerikanischen Niveau an (Kalifornisches Krebsregister 2002; www.ccrcal.org). Inzwischen hat auch die Verwestlichung im Land die zu erwartenden Ergebnisse erzielt. Nicht nur die Inzidenz hat sich mittlerweile (2008) mit 23/​100.000 fast verdoppelt und ist damit „nur noch“ 73 % niedriger als in den USA (84/​100.000) (Ferlay et al., 2010), auch die Mortalität ist stark angestiegen. Was ist geschehen?

Grüntee, Soja und Natto (traditionelle japanische Speise aus mit Bacillus subtilis fermentierten Sojabohnen, sehr reich an Vitamin K2) sind fundamentale Bestandteile der japanischen Ernährung. Neben hochwertigem pflanzlichem Protein, Ballaststoffen und B-Vitaminen enthält Soja auch reichlich Soja-Isoflavone, insbesondere auch aus fermentiertem Soja (Miso), in dem die Soja-Isoflavone bereits in ihrer bioaktiven Form vorliegen. Japan fällt unter den asiatischen Ländern durch seinen seit jeher relativ hohen Fischkonsum auf (Willcox et al., 2007), der sich seit 1950 um das 2,5-Fache erhöht hat. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges konnte außerdem ein steigender Konsum an Milch (20-fach), Fleisch (9-fach) und Eiern (7-fach) verzeichnet werden (Ganmaa et al., 2003). Die Prostatakrebsmortalität stieg in diesem Zeitraum dramatisch an (s. Abb. 11; Suzuki, 2009).


Abb. 11: Prostatakrebsmortalität in Japan (Suzuki, 2009)

Dennoch ist die Prostatakrebsmortalität immer noch deutlich niedriger als in Europa, Südamerika und den USA. Die alten Generationen der Japaner haben sich viele Jahre traditionell ernährt und profitieren noch immer davon, weshalb die alten Japaner weltweit die zweithöchste Lebenserwartung erreichen (Willcox et al., 2012) und damit direkt hinter den vegetarisch lebenden Adventisten in den USA rangieren. Nach wie vor ist der Konsum von Milchprodukten und Fleisch im Vergleich zu anderen Industrienationen deutlich geringer.

Seit etwa 20 Jahren findet in Japan ein Umdenken statt. Der American Way of Life verliert an Popularität, eine gesunde Lebensweise rückt ins Zentrum. Schlank- und Gesundsein sind zentrale gesellschaftliche Werte, die auch einen hohen sozialen Druck ausüben. Ein wichtiges Element: Die verzehrten Portionen sind viel kleiner als in Europa und den USA. Dieser Bewusstseinswandel drückt sich auch in der weltweit höchsten Lebenserwartung (im Ländervergleich), den meisten gesunden Lebensjahren und einem Rückgang der Sterblichkeitsraten aufgrund diverser Krebsarten aus (Katanoda et al., 2013).

EPIC-Studie und Ernährung in Europa: reich an tierischem Protein und Fett

Die europäische EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), eine multizentrische Studie in zehn europäischen Ländern mit über 500.000 Teilnehmern, die den Zusammenhang von Ernährung und Krebs untersucht, liefert auf den ersten Blick keine herausragenden Ergebnisse bezüglich der ernährungsbedingten Ursachen von Prostatakrebs. Eine genauere Analyse der Daten zeigt allerdings den möglichen Grund: Die Männer in Europa ernähren sich inzwischen alle relativ ähnlich ungesund. Obwohl der Konsum von Fisch, Fleisch und Milch jeweils stark variiert, kann man am Konsum tierischen Proteins erkennen, dass tierische Lebensmittel die Hauptproteinlieferanten waren: Im Schnitt kamen 32 % des Proteins aus Fleisch, 9 % aus Käse und 7 % aus Milch. Getreide lieferte 18 % der Proteinzufuhr. Selbst das niedrigste Quintil (das Fünftel der Bevölkerung, welches am wenigsten aufnimmt) liegt noch bei durchschnittlich 47 g tierischem Protein pro Tag. Das höchste Quintil hält sich bei 80 g pro Tag (Allen et al., 2008). Verglichen mit China essen die Europäer somit 4- bis 11-mal so viel tierisches Eiweiß in Form von Fleisch, Wurst, Käse, Milch, Eiern und Fisch. Und die europäischen Männer mit dem geringsten Verzehr an tierischem Eiweiß nehmen sogar immer noch mehr als 14-mal so viel davon zu sich als die Bewohner Okinawas. Interessant ist hierbei, dass die deutsche Ernährung im 18. Jahrhundert (Lemnitzer, 1977) in Bezug auf die Makronährstoffe noch der traditionellen Ernährung von Okinawa ähnelte.

Der EPIC-Studie zufolge steigert ein hoher Verzehr von Milchprotein das Prostatakrebsrisiko um 22 % (Allen et al., 2008). Ursachen hierfür sind u. a. erstens die damit verbundene hohe Aufnahme von Calcium, das laut World Cancer Research Fund und American Institute for Cancer Research (WCRF, 2007) „wahrscheinlich“ das Prostatakrebsrisiko erhöht, zweitens die in der Milch enthaltenen insulinähnlichen Wachstumsfaktoren wie IGF-1 und drittens die besondere Wirkung des Milchproteins, die IGF-1-Serumspiegel beim Menschen zusätzlich zu erhöhen (Norat et al., 2007; Miura et al., 2007; Parrella et al., 2013). Vor allem tierische Lebensmittel sind reich an Aminosäuren, die erhöhte IGF-1-Serumspiegel verursachen können (Allen et al., 2002; Clemmons et al., 1985). Eine Reduktion der Proteinaufnahme (Smith et al., 1995) und eine rein pflanzliche Ernährungsweise (Allen et al., 2000 und 2002) haben dagegen niedrigere IGF-1-Spiegel zur Folge. Die heutige Kuhmilch liefert aber auch beachtliche Mengen an Östrogenen und Progesteron, die in der Promotion von Prostatakrebs eine wichtige Rolle spielen (Ganmaa et al., 2002). Insbesondere die Kombination von Kohlenhydraten wie Zucker oder Weißmehl, die einen hohen glykämischen Index haben, mit tierischen Proteinträgern wie Milch oder Fleisch führen zu einer sehr hohen Insulinausschüttung (Bao et al., 2011). Gleichzeitig können die in tierischen Lebensmitteln enthaltenen gesättigten Fettsäuren eine Insulinresistenz fördern. Da die krebsfördernden Auswirkungen einer chronischen Hyperinsulinämie bekannt sind, dürfte vor allem die lebenslange Wirkung dieser Lebensmittel in Kombination mit Bewegungsmangel den Stoffwechsel und den Hormonhaushalt nachhaltig verändern und in der Synergie ein bisher kaum untersuchtes kanzerogenes Potential darstellen.

Auffallend ist in Europa der starke Anstieg des Fleischkonsums in den Mittelmeerländern, wie z. B. Spanien, Portugal und Griechenland, wo sich der Fleischkonsum seit 1961 etwa verfünffacht hat (Brown, 2009). Von der mediterranen Ernährungsweise ist nicht mehr viel übrig geblieben, was sich auch in der Prostatakrebsmortalität widerspiegelt (Ferlay et al., 2010). Da scheint auch das viele Sonnenlicht mit der damit einhergehenden höheren Vitamin-D-Synthese nicht mehr ausreichend protektiv zu wirken (s. Kapitel 7.6.1, ab Seite 246).

Da nach den vorliegenden Erkenntnissen Fleisch, Wurst und Milchprodukte die Entwicklung von Prostatakrebs ähnlich fördern, überrascht das Ergebnis der EPIC-Studie nicht. Es erklärt vielmehr, warum deutlich protektive Effekte nur dann zu erwarten sind, wenn man grundsätzlich sein Ernährungsmuster ändert und sich überwiegend pflanzlich ernährt, statt einfach nur Wurst oder Fleisch mit Käse, Joghurt und Milch zu ersetzen. Insbesondere Joghurt korrelierte in der EPIC-Studie mit einem erhöhten Prostatakrebsrisiko (Allen et al., 2008). Wie wirkungsvoll die Verwendung von Sojadrink als Kuhmilch-Alternative ist, zeigt eine Studie von Jacobsen et al. (1998): Männer mit einem hohen Konsum an Sojadrink senkten ihr Risiko für Prostatakrebs um 70 %.

Schweden steht mit seinem hohen Fischkonsum stellvertretend für die skandinavischen Länder (NOAA, 2011). Die Zahlen der Prostatakrebsmortalität in Schweden (20/​100.000), Norwegen (19/​100.000) und Island (18/​100.000) (Ferlay et al., 2010) zeigen, dass der hohe Fischkonsum in diesen Ländern darauf jedoch keine vorteilhaften Auswirkungen hat. Auch in Asien stieg mit der Zunahme des Fischkonsums die Prostatakrebsmortalität. Der Fischkonsum ist daher nicht die Ursache für die niedrigere Mortalität in Japan und den anderen asiatischen Ländern, wie manchmal behauptet wird. Drei sehr große Studien (Prostate Cancer Prevention Trial: Brasky et al., 2011; SELECT-Studie: Brasky et al., 2013; EPIC-Studie: Crowe et al., 2008a) zur Korrelation von DHA- und EPA-Serumwerten mit Prostatakrebs zeigten übereinstimmend eine starke Risikoerhöhung durch hohe DHA- und EPA-Serumwerte, nicht die allgemein erwartete Senkung (DHA: Docosahexaensäure, EPA: Eicosapentaensäure; Omega-3-Fettsäuren aus Fisch).

Ernährung in Uruguay: seit Jahrzehnten besonders viel Fleisch und Milch

Epidemiologisch bietet sich aktuell insbesondere ein Vergleich der asiatischen Länder mit Uruguay an. Die Lebenserwartung ist ähnlich hoch, wodurch die Altersstandardisierung als möglicher Unsicherheitsfaktor entfällt. Der Zusammenhang der Mortalitätsraten mit der Ernährung zeigt sich insbesondere, wenn man die vielen Millionen aktiver Greise in China und die langlebigen Menschen in Okinawa mit den Männern in Uruguay vergleicht.

Uruguay gilt aufgrund seines seit vielen Jahrzehnten bestehenden, relativ stabilen Wohlstands als die Schweiz Südamerikas. Die Einwohner von Uruguay haben sich zeitlebens konträr zu den Asiaten ernährt. Das südamerikanische Land pflegt seit vielen Jahrzehnten einen extrem hohen Konsum von rotem Fleisch (Instituto Nacional de Carnes, 2011) und von Milchprodukten (MercoPress, 2011).

Nach WHO-Zahlen von 2008 sterben Männer in Uruguay 13-mal häufiger an Prostatakrebs als Chinesen, Thailänder und Vietnamesen (s. Tab. 3, Seite 77; Ferlay et al., 2010). Auch die Qualität des Rindfleisches ändert daran nichts, denn in Uruguay wird vorwiegend Fleisch von Weiderindern verzehrt, dessen Qualität sogar in der New York Times in einem ausführlichen Artikel gerühmt wurde (The New York Times, 2009). Eine hohe Zufuhr der Omega-3-Fettsäure alpha-Linolensäure (ALA), die in Uruguay vor allem auch durch den Verzehr von Weiderind aufgenommen wird, wirkt hier nicht günstig, sondern erhöht das Prostatakrebsrisiko um den Faktor 3,91 (De Stéfani et al., 2000). Dass die alpha-Linolensäure und auch die langkettigen Omega-3-Fettsäuren aus Fisch bei Prostatakrebs eine ambivalente Rolle spielen, zeigt sich in zahlreichen Studien und dürfte insbesondere mit der Oxidationsempfindlichkeit der mehrfach ungesättigten Fettsäuren zu tun haben. Eine schonende Verarbeitungs- und Zubereitungsweise ist dabei besonders wichtig. In der Health Professionals Study der Harvard Universität erhöhte der reichliche Verzehr von rotem Fleisch das Risiko für ein metastasierendes Prostatakarzinom um 60 %, tierische Fette um 63 % und Milchprodukte um 40 % (Michaud et al., 2001). Sicherlich spielen hierbei auch die klassischen Kanzerogene wie heterozyklische Amine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe eine Rolle, die beim Braten, Schmoren oder Grillen von Fleisch auftreten (Giovannucci et al., 1993).

Das lebenslange Ernährungsmuster der Uruguayaner dürfte eine wesentliche Ursache für die sehr hohe Mortalität durch Prostatakrebs, Brustkrebs und Darmkrebs sein, die das Land trotz seines optimalen Klimas und seines gut ausgebauten Sozial- und Gesundheitssystems aufweist. Frauen in Uruguay (24,3/​100.000) versterben mehr als 4-mal so häufig an Brustkrebs wie Chinesinnen (5,7/​100.000). Die Dickdarmkrebsmortalität beider Geschlechter ist immerhin noch 2,3-mal so hoch wie in China (16,2 vs. 6,9/​100.000) (Ferlay et al., 2010). Auch Migrationsstudien zeigen: Wer von Ländern mit niedrigem Krebsrisiko nach Uruguay zieht, dessen Risiko für Prostata-, Brust-, Speiseröhren-, Dickdarm- und Gebärmutterkrebs passt sich den erhöhten Raten in Uruguay an (De Stéfani et al., 1990).

Ein hoher Verzehr von rotem Fleisch erhöht in Uruguay auch das Risiko für Krebserkrankungen des Hals- und Rachenraums (um den Faktor 3,65), der Speiseröhre (Faktor 3,36), des Kehlkopfes (Faktor 2,91), des Magens (Faktor 2,19), des Dickdarms (Faktor 3,83), der Lunge (Faktor 2,17), der Brust (Faktor 1,97), der Prostata (Faktor 1,87), der Blase (Faktor 2,11) und der Nieren (Faktor 2,72). Ähnliche Korrelationen wurden nicht nur für rotes Fleisch, sondern auch für die Gesamtaufnahme von Fleisch ermittelt (Aune et al., 2009).

In einer Fall-Kontroll-Studie in Uruguay ergab der Vergleich des höchsten mit dem niedrigsten Quartil der Verzehrmenge von rotem Fleisch folgende Zusammenhänge mit dem Risiko für Prostatakrebs: Rotes Fleisch erhöhte das Risiko um 100 %, süße Nachspeisen um 80 %, eine hohe Energiezufuhr um 90 % und eine hohe Gesamtfettaufnahme um 80 %. Dagegen senkten viel Gemüse und Früchte das Risiko um 50 % sowie Vitamin C und Vitamin E aus der Nahrung um 60 % bzw. 40 % (Deneo-Pellegrini et al., 1999).

Warum man Wurst nicht mit Käse, sondern mit Tofu und Gemüse ersetzen sollte

Im Gegensatz zu den Menschen in Uruguay ernähren sich Chinesen traditionell von viel isoflavonreichem Soja und Gemüse. Insbesondere der zu den Kreuzblütlern zählende Chinakohl und andere Kohlsorten sind Grundnahrungsmittel. Die protektive Wirkung eines hohen Gemüsekonsums in Bezug auf die Entwicklung eines fortgeschrittenen Prostatakarzinoms (Stadien III oder IV) belegt eine Studie von Kirsh et al. (2007): Männer, die viel Gemüse verzehrten, hatten ein um 59 % reduziertes Risiko im Vergleich zu Männern mit einem geringen Gemüseverzehr. Dieser Effekt wurde zu 40 % auf die Wirkung von Gemüsesorten zurückgeführt, die zu den Kreuzblütlern zählen. Insbesondere Brokkoli und Blumenkohl führten zu einer beachtlichen Risikominderung (um 45 % bzw. 52 %), wenn sie häufiger als einmal pro Woche verzehrt wurden, verglichen mit einem Konsum von weniger als einmal pro Monat. Den protektiven Effekt von Kreuzblütlern auf die Entwicklung eines nichtmetastatischen Prostatatumors zu einem progressiven Tumor zeigten auch Richman et al. (2012): Männer mit dem höchsten Verzehr (höchstes Quartil) hatten ein um 59 % vermindertes Risiko verglichen mit dem geringsten Verzehr (niedrigstes Quartil). Chinakohl und Pak Choi, die in China sehr häufig verzehrte Gemüsearten sind, dürften ähnlich günstige Effekte haben: Sie sind reich an Vitamin C, Carotinoiden und Glukosinolaten. Sekundäre Pflanzenstoffe wie Sulforaphan aus Brokkoli, Granatapfel-Polyphenole, Resveratrol, Epigallocatechingallat aus Grüntee, Quercetin und Curcumin sind auch gegen Tumorstammzellen wirksam (vgl. Kapitel 9.4.4 in „Dr. Jacobs Weg des genussvollen Verzichts“).

Hohe Gesundheitsausgaben schützen nicht vor Krankheit und Tod

Auch wenn Uruguay seine besten Zeiten hinter sich hat, geben die Männer dort für ihre Gesundheit bzw. ihre Krankheiten das 3-Fache der Chinesen aus und können sich das auch leisten. Dennoch haben sie eine etwas kürzere Lebenserwartung (WHO, 2013). Die Deutschen ließen sich 2011 ihre Gesundheit das 10-Fache der Chinesen kosten (WHO, 2013) – bei identisch vielen gesunden Lebensjahren (healthy life years) (Jagger et al., 2008).

Zusammenfassung: Der Vergleich von weltweiten, extrem unterschiedlichen Ernährungsmustern kann die außergewöhnlich hohe bzw. niedrige Prostatakrebsmortalität in Uruguay bzw. China und Asien erklären. Die altersstandardisierte Prostatakrebsmortalität unterscheidet sich aktuell (2008) global gesehen um den Faktor 13. Die europäische EPIC-Studie dokumentiert vor allem, dass sich die Einwohner der europäischen Länder inzwischen relativ ähnlich ernähren und im Vergleich zu Asiaten ein Vielfaches an tierischem Protein zu sich nehmen. Für einen hohen Konsum von Milchprodukten ergab die EPIC-Studie ein 1,22-fach erhöhtes Prostatakrebsrisiko (Allen et al., 2008).

Im Gegensatz zur traditionellen Ernährung in Asien ist die Ernährung in den westlichen Ländern und vielerorts in Südamerika gekennzeichnet durch einen hohen Gehalt an tierischen Lebensmitteln und Zucker, aber wenig Ballast- und Pflanzenstoffen. In Uruguay stellt die jahrzehntelang praktizierte Ernährungsweise mit einem übermäßigen Konsum von Fleisch und Milch den Hauptrisikofaktor dar. Die Asiaten dagegen nehmen traditionell nicht nur viel weniger tierische Lebensmittel zu sich, sondern auch große Mengen protektiv wirksamer pflanzlicher Kost wie Soja, Gemüse, Kohl, Kräuter, Pilze und Grüntee. Die Deutschen liegen nicht nur im Konsum von Fleisch und Milchprodukten, sondern auch in der Prostatakrebsmortalität im internationalen Mittelfeld. Sinnvoll wäre es also, das Wurstbrot nicht durch ein Käsebrot zu ersetzen, sondern mehr Pflanzenkost, wie z. B. Tofu, reichlich Gemüse, Kräuter und Gewürze, zu verzehren. Das wäre nicht nur gut für die Prostata, sondern auch für das Herz-Kreislauf-System. Daneben spielen auch regelmäßige Bewegung, Frischluft, Sonnenlicht und ausreichend Entspannungsphasen eine wichtige Rolle.

Offiziell gelten nur Alter, familiäre Häufung und Rasse als gesicherte Risikofaktoren für Prostatakrebs. Dennoch resultierte im Jahr 2000 das traditionelle asiatische Ernährungsmuster in einer Risikoreduktion um 96 % an Prostatakrebs zu versterben. Der „Risikoaufschlag“ für eine westliche Ernährungs- und Lebensweise auf Basis von Milch, Fleisch, Zucker und wenig Bewegung betrug 2600 %.

Auch wenn das lebenslange Ernährungsmuster seine Spuren in der Prostata hinterlässt, ist eine späte Umstellung der Ernährung und Lebensweise bei einer bestehenden Prostatakrebs-Erkrankung noch erstaunlich wirkungsvoll, wie klinische Studien von z. B. Dean Ornish belegen. Nicht nur die Tumorgenetik verändert sich bei Prostatakrebspatienten, sondern die Krankheit wird in ihrem Verlauf nachweislich stabilisiert (vgl. Kapitel 4.1, Seite 66). Viele weitere Informationen zum Thema Ernährung, Lebensweise und Nahrungsergänzung bei Prostatakrebs finden Sie im Internet auf: www.drjacobsinstitut.de.

Tab. 3: Weltweite Ernährungsmuster – 13-mal höhere altersstandardisierte Prostatakrebsmortalität in Uruguay als in China im Jahr 2008


*: traditionelle Ernährung (China: 1981-90; Okinawa: 1949; Japan: 1950)

**: ASR: age-standardised rate; Todesfälle pro 100.000 Einwohner

Quellen: (1) WHO-Daten für 2009 (2013): http://www.who.int/countries/en/; (2) Willcox et al., 2012; (3) European Commission, 2012; (4) Statistisches Bundesamt, 2012b; (5) Ferlay et al., 2010; (6) Altersstandardisierte Rate auf Basis von Japan Ministry of Health and Welfare 1996; (7) Dey et al., 2005; (8) Willcox et al., 2007; (9) NOAA, 2011; (10) Allen et al., 2008; (11) Brown, 2009; (12) Instituto Nacional de Carnes, 2011; (13) MercoPress, 2011; (14) Campbell und Campbell, 2006; (15) Frassetto et al., 2000; (16) Konservativer Schätzwert aufgrund des Fleisch- und Milchkonsums in Uruguay und Werte für Argentinien aus Frassetto et al., 2000; (17) Westhoek et al., 2011; (18) FAO (2010).

Prostatakrebs-Kompass

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