Читать книгу Poesía Visual im Spanischunterricht - Dr. Victoria del Valle Luque - Страница 10

1.2.1 Poesía experimental in der Tradition der Konkreten Poesie

Оглавление

In den 1970er Jahren führen verschiedene Kausalitäten dazu, dass die Theorien und auch Praktiken der deutschsprachigen Konkreten Poesie in das Umfeld der spanischen poesía experimental geraten und deren Begriffskonstitution beeinflussen. Der in Deutschland wohnhafte Felipe Boso und Ignacio Gómez de Liaño, beides Dichter und Verfasser zahlreicher theoretischer Arbeiten über die spanische visuelle Dichtung, veröffentlichen in der Literaturzeitschrift Akzente (1972) unter dem Titel Experimentelle Dichtung in Spanien dreißig zeitgenössische Gedichte. Sie präsentieren dabei die spanische poesía experimental als Variante der Konkreten Poesie, ohne die Bezeichnungen explizit zu erläutern, und versuchen, vermutlich im Hinblick auf die deutsche Leserschaft, sich dem deutschen Diskurs der Konkreten Poesie anzuschließen. Gómez de Liaño beleuchtet den möglichen Einfluss der brasilianischen8 und deutschen Konkreten Poesie auf die spanische experimentelle Poesie und leitet daraus eine zusammenhängende Entwicklung ab (1972, 291 f.). Eine solche Schlussfolgerung ist nicht abwegig, denn sie ist anhand von Fakten belegbar: Während des „tardofranquismo“ (Fernández Serrato 1995a, 269) in den 1960er Jahren, als Spanien unter der Zensur der faschistischen Diktatur leidet, verbreiten beispielsweise Eugen Gomringer und Reinhard Döhl systematisch die Ideen des deutschen Konkretismus. Dies geschieht im Rahmen der Vortragsreihe Conferencia pronunciada en el ciclo. Nuevas tendencias: poesía, música, cine im Instituto Alemán in Madrid (Dezember 1967) und deren anschließenden Veröffentlichung (1968) (vgl. ebd.; López Gradolí 2008, 114).9 Was die Autoren damals wahrscheinlich nicht wissen, ist die Tatsache, dass etwa zur gleichen Zeit im deutschsprachigen Konkretismus intensive Diskussionen im Hinblick auf die Begriffe konkret und visuell aufkommen. Daran maßgeblich beteiligt sind unter anderem Eugen Gomringer selbst (1972) wie auch Max Bense (1972), Klaus Peter Dencker (1972), Siegfried J. Schmidt (1971, 1974) sowie später Heinz Gappmayr (1978) und Christina Weiss (1984). Sie alle versuchen in langen Traktaten, die Begriffskonfusion aufzuklären. Diese war dadurch entstanden, dass der von Gomringer analog zur Konkreten Kunst10 etablierte Begriff Konkrete Poesie in theoretischen Positionen programmatisch beschrieben und von den Dichterinnen und Dichtern übernommen worden war (vgl. Stieg 1979, 43). Konkret wird in diesem Zusammenhang nach philosophischen Grundsätzen als Eigenschaft verstanden, die einem Gegenstand zusteht, der real wahrnehmbar, also sichtbar und greifbar ist (vgl. Kopfermann 1974, X). Dementsprechend beansprucht die Konkrete Poesie in ihren Anfängen das weite Gebiet des Konkreten für sich. Dies führt dazu, dass unter Konkreter Poesie alles bezeichnet wird, was sich mit der konkreten, materiellen Gestalt von Sprache beschäftigt. In diesem Sinne wird auch Visualisierung als Konkretisierung verstanden. Konkrete Poesie gilt in diesem Kontext folglich als Überbegriff für alle poetischen Entwicklungen, die die äußere Gestalt von Sprache (den Saussure’schen signifiant) zum Thema haben. Diese Art von Generalisierung berücksichtigt jedoch in keiner Weise die lange Tradition der Visuellen Poesie. Nicht zuletzt deshalb widmen sich auch neuere wissenschaftliche Untersuchungen der historischen Entwicklung (vgl. u. a. Alcón Alegre 2005; Dietz/Gálvez 2013; Millán Domínguez 1999; Muriel Durán 2000; Pineda 2002). Anhand der historischen Entwicklung zeigt sich, dass es sich bei der Visuellen Poesie eben nicht um ein Genre der konkreten oder experimentellen Dichtung, sondern um eine eigene, traditions- wie typenreiche Gattung handelt. Infolge ihrer literaturhistorischen Unkenntnis zeichnete sich bei den Vertretern der Konkreten Poesie indes die Tendenz ab, die Begriffe konkret und visuell synonymisch zu verwenden. Im Verlauf der Zeit wurde die Visuelle Poesie schließlich zu einem Genre der Konkreten Poesie erklärt, was letztendlich die Begriffsverwirrung provozierte (vgl. Dubiel 2004, 10). Gomringer beschreibt in diesem Zusammenhang visuelle Gedichte als „in den meisten fällen seh-gegenstände, seh-texte, die unter dem überbegriff ‚konkrete poesie‘ angeboten werden“ (1996, 9; Kleinschreibung v. d. Verf. übernommen). Primär lanciert durch literaturhistorische Forschungen über Visuelle Poesie (u. a. Higgins 1987; Adler 1989; Adler/Ernst 1990), zeichnete sich ab den 1990er Jahren jedoch der Gattungsbegriff Visuelle Poesie in der deutschen Literaturwissenschaft ab. Er emanzipierte sich von der Konkreten Poesie und gilt heute - gemeinsam mit seinen europäischen Entsprechungen visual poetry, poésie visuelle etc. - als Bezeichnung einer eigenständigen poetischen Gattung (vgl. Dencker 2011; Ernst 2012).

Die beiden Autoren Boso und Gómez de Liaño unterschlagen zwar nicht die Bezeichnung, doch sehr wohl die künstlerische Bewegung, die bereits in Spanien etablierte poesía experimental, und passen sich, wie es zumindest in der Zeitschrift Akzente (1972) den Anschein macht, den damaligen poetischen Konventionen der Konkreten Poesie an. Boso erklärt die poesía experimental zu einem (späten) spanischen Beitrag der Konkreten Poesie und lässt erahnen, dass er sie, wenn nicht als Genre, so doch als Synonym versteht:

Zu was also hier und im Jahre 1972 diese Auswahl an spanischer experimenteller Dichtung? Um es vorweg zu sagen: weil sie eben dabei ist, in Spanien populär zu werden. […] Gewiß ist jedenfalls, daß in der Abenddämmerung der konkreten Dichtung ihr spanischer Beitrag erst wichtig wird. (Boso 1972, 300)

Allerdings ist poesía experimental im spanischsprachigen Kontext, wie im Folgenden dargestellt, letztendlich die kontinuierliche und daher angemessenere Bezeichnung (vgl. Millán/García Sánchez 2005 [1975], 12).

Poesía Visual im Spanischunterricht

Подняться наверх