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1.3.2.2 Die Innenperspektive: poética interna

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In den vorangehenden Kapiteln stand insbesondere die begriffliche und phänomenologische Betrachtung der Poesía Visual im Vordergrund. Dabei wurden bestimmte Charakteristika des Werkes, das poema visual, ansatzweise angeführt. Im Folgenden soll es explizit um die Poetik und die Formspezifik des visuell-poetischen Textes gehen. Von der Innenperspektive einiger Akteure ausgehend, einer poética interna, die als Teil des poetischen Gesamtwerkes verstanden werden kann, wird in den darauffolgenden Kapiteln das poema visual genauer in den Blick genommen.

Als Poetik kann im Allgemeinen die Reflexion über Entstehung, Wesen, Formen, Wirkung und Funktion von Dichtung bezeichnet werden (vgl. Zymner 2007b, 592). Die Betrachtung der Poetik im Hinblick auf die Poesía Visual im Vergleich zur poesía de vanguardia erscheint aufgrund folgender Zusammenhänge relevant: Erstens sind „selbstständige Poetiken“ (ebd.), sogenannte poéticas internas (vgl. Fernández Serrato 1995a, 1995b, 2005), häufig zu beobachten und werden meist in manifestartigen Positionen oder in Prologen von Anthologien (beispielsweise Millán/García Sánchez 2005 [1975]; López Gradolí 2007, 2012; Peralto 2012; Reglero 2013) explizit als solche deklariert; zweitens ist diese Praxis auf die vanguardia zurückzuführen, in der in Manifesten und Proklamationen Überlegungen sowohl über Wesen, Wirkung und Funktion als auch über Verfahren und Klassifizierungen angestellt werden.

Erkenntnisse aus der poética interna geben Aufschluss über das Eigen- und Selbstverständnis der Poesía Visual sowie Anhaltspunkte über Entstehungsprozesse von poemas visuales (vgl. Fernández Serrato 1995b, 55). So fasste der Dichter César Reglero in Sobre poéticas visuales o la dificultad de las definiciones eine Innenperspektive der Poesía Visual zusammen (2013). Dabei stützt er sich ausschließlich auf Selbstpoetiken18 und -definitionen von Dichterinnen und Dichter. Allerdings handelt es sich hier weniger um eine wissenschaftliche Zuordnung und Analyse der Vorgehensweisen als vielmehr um die kreative und freie Darstellung eines Mitwirkenden.

Auch die Stellungnahmen der im Rahmen dieser Forschungsarbeit interviewten Dichterinnen und Dichter (Entrevistas a poetas visuales españoles, siehe Anhang 1) liefern Erkenntnisse über das Selbstverständnis der aktuellen Poesía Visual. Die Interviews wurden mit dem Ziel gehalten, einen Einblick in die Anschauungen aktueller Dichterinnen und Dichter zu bekommen, ohne dabei eine literaturwissenschaftlich tiefergehende Analyse der Stellungnahmen zu verfolgen. Es wurden fünfundzwanzig Dichterinnen und Dichter angeschrieben, deren poemas Teil des Korpus darstellen. Von ihnen haben vierzehn (zwölf Dichter und zwei Dichterinnen) dem Interview zugestimmt und die Fragen schriftlich (digital) beantwortet; zwei haben der Veröffentlichung ihrer Stellungnahmen nicht zugestimmt.

Es kristallisierten sich zwei Aspekte aus den Stellungnahmen heraus, die zum einen bereits bei Reglero (2013) nachzulesen sind und zum anderen für die gattungstheoretischen (insb. Kapitel 1.4 und 1.5) sowie gattungshistorischen (Kapitel 2) Untersuchungen von Belang sind: erstens der Zusammenhang zur avantgardistischen Denkweise und zweitens die Beschreibungen zu den eigenen Entstehungsprozessen und Gestaltungsformen von visuell-poetischen Texten.

So sind in den Stellungnahmen eindeutige Bekenntnisse zu den Grundzügen der vanguardia festzustellen (vgl. Entrevistas: Francisco Aliseda, Francisco Peralto, Julián Alonso, siehe Anhang 1). Dass die Poesía Visual an die avantgardistische Kunstidee anschließt, wird bereits durch den Antrieb deutlich, überhaupt innenperspektivische Definitionen zu äußern (wie ebenfalls bei Reglero 2013). Interessant ist ferner, dass gleichzeitig mit dem Gedanken an eine mögliche Definition stets angemerkt wird, dass Poesía Visual nur bedingt definierbar sei (vgl. ebd.; Aliseda, Frage 2; Jáuregui, Frage 2; Joaquín Gómez, Frage 1). Obwohl der Eindruck entsteht, dass durch die Definitionsversuche der Dichterinnen und Dichter weniger Klarheit als Konfusion geschaffen wird, helfen ihre Gedanken zu verstehen, auf welcher Linie sie sich selbst sehen. Die Infragestellung von Definitionen stützt sich auf die Prämissen der Avantgarde, deren Anhänger Kunst ganz bewusst von Kategorien und Determinationen zu befreien suchen und sich an der Erschaffung eines Gesamtkunstwerkes, im Spanischen arte total, orientieren (vgl. auch Entrevista Peralto, Frage 6). Reglero beschreibt diesen Aspekt unter „el mestizaje de las zonas fronterizas: un camino hacia un arte total“ und erklärt, dass Poesía Visual keineswegs nur als „un terreno fronterizo entre la literatura y la plástica“ gesehen werden darf (Reglero 2013, 17). Vielmehr verbinde sie sich ebenso mit anderen Elementen, beispielsweise „la acción“ und „lo sonoro“ (ebd. 18).

Die Aussagen der poetas visuales lassen auf einen direkten Zusammenhang zu einem weiten Verständnis von Kunst, die keine Grenzen kennt, schließen. Entweder wird auf abstrakte Weise lediglich geäußert, dass verschiedene künstlerische Disziplinen das visuelle Gedicht ausmachen, wie es Antonio Gómez formuliert: „Las distintas disciplinas poéticas coexisten independientes y en algunas ocasiones de una manera anárquica“ (Entrevista Antonio Gómez, Frage 2). Oder es wird konkret über „la aceptación de la poesía visual como una disciplina autónoma, independiente tanto del arte como de la literatura situándola en una posición híbrida entre ambas“ (Entrevista Juan José Ruiz Fernández, Frage 7), der Poesía Visual als „unabhängige“ und hybride Kunstform gesprochen. Unverkennbar ist hier die bereits von der klassischen Avantgarde propagierte „künstlerische Alternative zur hegemonialen Kunst“ (van den Berg/Fähnders 2009, 1; Kapitel 1.3.1.), die darauf zielt, die Grenzen der Künste zu überschreiten, sodass hybride Kunstwerke entstehen.

Interessant erscheinen zudem die Äußerungen der Befragten zum Phänomen der „Poesía Visual Española“ (Entrevista, Fragebogen, Frage 1), aus denen fast ausnahmslos hervorgeht, dass die Dichterinnen und Dichter eine nationale Spezifik der visuellen Poesie als nicht zutreffend betrachten und dagegen sogar darauf bestehen, dass die Poesía Visual als „en gran medida universal“ verstanden wird „y en ese sentido sería equiparable [..] a la de cualquier otra parte del mundo“ (Entrevista Juan Rosco Madruga, Frage 1). Hier könnte wieder der avantgardistische Hintergrund die Ursache für das Verständnis des „idoma universal“ (Entrevista Francisco Peralto, Frage 2) als die Sprache der Poesía Visual sein. Allerdings können genauso anti-nationalistische Haltungen, die in künstlerisch-intellektuellen Kreisen Usus sind, die Dichterinnen und Dichter zu ihren Äußerungen bewegt haben.

In den Stellungnahmen geben die Dichterinnen und Dichter in den Antworten auf Frage 6 (En pocas palabras: ¿podrías describir tu poética?, Fragebogen, Anhang 1) teilweise sehr ausführlich Auskunft über ihre poetischen Prinzipien. Zu finden sind Anhaltspunkte über die Charakteristik des visuell-poetischen Textes, die mit der im Kapitel 1.1 vorgestellten Definition von Joan Brossa durchaus übereinstimmen. So wird die Vermittlung einer Botschaft ˗ im Sinne Brossas ˗ mehrmals betont, „importante [es] el mensaje“, schreibt Joaquín Gómez; eine Botschaft, die durch visuelle Gestaltungstechnik den Rezipienten außerdem besonders rasch erreichen soll: „que éste [el lector] pueda entender o al menos intuir el significado del poema con un solo golpe de vista“ (Julián Alonso, Hervorhebung v. d. Verf.). Verstanden werden poemas visuales ferner als Kürzesttexte, so beschreibt Julia Otxoa das poema objeto als „ese lenguaje visual de la brevedad“. Die brevedad wird durch die Kombinationsmöglichkeiten von Schrift, Bild und Gegenstand erreicht, wodurch eine „correspondencia lúdica e irónica de analogías y yuxtaposiciones inesperadas, un tipo de pensamiento combinatorio e iconoclasta“ (Julia Otxoa) erzeugt werden kann. Dabei wird das Visuelle, das Bildliche als vielfache Gestaltungsmöglichkeit erklärt, dazu zählt Francisco Peralto “[…] la forma / + la letra / + el color / + los textos / + la fotografía / + el espacio / + los blancos / + el dibujo / + la caligrafía […]”. Über seine „poesía visual“ erläutert Juan López de Ael „es más bien figurativa en el sentido de ‘hacer ver’ y entender un mensaje“. Die zur Verfügung stehenden Instrumente, seien es schriftsymbolische, bildliche oder gegenständliche, werden auf eine bestimmte Weise miteinander kombiniert, sodass neue Sinnzusammenhänge und dadurch eine poetische Botschaft entstehen. Bei Juan Rosco Madruga handelt es sich um “la búsqueda de objetos de cuya combinación con otro objeto o contexto, surja la chispa reactiva de la significación”, bei ihm nicht selten mit sozialkritischen Absichten („intención de denuncia social“) verbunden.

Joaquín Gómez sucht weniger die Kritik an der Gesellschaft als das für ihn erstaunliche Ergebnis dekontextualisierter Kombinationen: „es a través de los objetos, las cosas, cuanto más distintos y distantes sean, mayor será el impacto visual en el espectador“. Dekontextualisierung und Kombination sind die Prinzipien der Poesía Visual, insbesondere der poesía objeto (siehe hierzu Kapitel 1.5.4). „Descontextualizar las imágenes” beschreibt Juan José Ruiz Fernández „para darles nuevos significados a través del juego, el humor, la ironía, la crítica […]“. Die imágenes, werden oftmals zufällig angetroffen, denn darin stimmen mehrere Aussagen überein: „Vivimos rodeados de imágenes“ (Juan José Ruiz Fernández). Es gilt sie zu entdecken und daraus poetische Texte zu kreieren, “la realidad que nos rodea nos regala el poema. Sólo hay que verlo” (Francisco Aliseda).

Aus den Beschreibungen der Dichterinnen und Dichter über ihre Beschäftigung mit Poesía Visual lässt sich eine Gemeinsamkeit beobachten: Alle Akteure verbindet eine Art spontane Bereitschaft zur Suche und Entdeckung von Gegenständen, Bildern oder schriftsymbolischen Texten, die dekontextualisiert zu einem neuen, oftmals (aber nicht immer) intendierten Sinn, einer poetischen Botschaft kombiniert werden. Antonio Gómez definiert die Poesía Visual deshalb treffend als eine „poesía espontánea“.

Poesía Visual im Spanischunterricht

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