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1.2.2 Die begriffliche Erklärung von Poesía Visual im Kontext der vanguardia

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Die Entwicklungen und Zusammenhänge von Poesía Visual und poesía experimental sind insbesondere in der sogenannten segunda vanguardia, der Wiederaufnahme und Fortführung der Avantgarde ab den 1960er Jahren in Spanien, zu beobachten. Die Bezeichnung poesía de vanguardia ist der Versuch, einer überaus unübersichtlichen Wechselwirkung von Film, Musik oder plastischer Kunst und poetischer Praxis einen Namen zu geben. Mit den Worten Fernández Serratos „quiere [la poesía de vanguardia] aglutinar experiencias más o menos novedosas desarrolladas del medio literarios, cinematigráfico, musical y plástico“ (Fernández Serrato 1995b, 45). Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Ausstellungskataloges Poesía Internacional de vanguardia (Madrid, April 1970) zeigt, inwiefern poesía de vanguardia als übergeordneter Begriff verwendet wurde:

poesíaconcreta poesíacinética

carteles objetos libros films

poesíaespacial poesíaobjetiva

revistas cintasmagnetofónicas

poesía n.o. poesíasemiótica

discos serigrafías grabados y

poesíaexperimental poesía n.o.

fotomontajes librósobjeto [sic] y

poesía-simbiótica metaart zaj

plásticos revistas objetos y

poesíagráfica poesíavisual y

carteles objetos libros films

verbofonía poesíasemántica y

cintasmagnetofónicas grabados

música poesíamatemática y zaj

diseños serigrafías grabados

poesíavisiva poesíatecnológic

fotomontajes grabados objetos

poesíasónica poesíacinética

plásticos revistas grabados

músicaelectrónica poesía n.o. (vgl. Díez Borque 1973, 41)

Auffällig ist, neben den vielen als poesía de vanguardia geltenden Genres, der Zusammenhang mit audio-visuellen Medien („cintasmagnetofónica, serigrafías, films“), womit die Hinwendung zum technischen Fortschritt und mit ihr die avantgardistische Haltung abermals deutlich wird. Es ist möglich, dass die Wiederaufnahme des Begriffs vanguardia als Bezeichnung poetischer Praktiken lediglich den Wunsch der spanischen Künstlerinnen und Künstler manifestiert, die „nueva poesía“ als einen „paso más allá de la evolución del arte“ zu sehen (Fernández Serrato 1995b, 46). Es wäre auch denkbar, dass die infolge des Bürgerkriegs und der anschließenden Franco-Diktatur versäumte Zeit wieder aufgegriffen und erlebt werden musste, was den Zusammenhang zu den Grundsätzen der Avantgarde erklären würde (vgl. ebd.).

Für die begriffliche Entwicklung ist poesía de vanguardia eher ein historischer Terminus. Er wird dem frühen 20. Jahrhundert, sei es der klassischen oder der Neo-Avantgarde, zugeordnet und läuft deshalb nicht Gefahr, mit poesía experimental oder poesía visual verwechselt zu werden. Vielmehr hat poesía de vanguardia den Weg für poesía experimental und ferner Poesía Visual geebnet: In dem 1973 erschienenen Themenschwerpunkt Literatura Experimental der Zeitschrift El Urogallo (Soriano/Montero 1973) beziehen verschiedene Theoretiker und Dichter (u. a. José María Díez Borque, Jesús García Sánchez, Alfonso López Gradolí oder Fernando Millán) zum Begriff poesía experimental erstmals Stellung. In der Diskussion um „lo experimental“ postuliert Millán, dass es sich eher um einen Terminus technicus handele als um „una nueva forma de hacer poesía“ (Millán 1973, 45). Es wird insbesondere die von Max Bense (1954, 15) lancierte Theorie des Experiments in der Dichtung aufgenommen (vgl. Lanz Rivera 1992, 57). Bense versteht das Werk deshalb als Experiment, weil es zum einen als Kontinuum im Prozess nie als abgeschlossen gelten darf und - als Konsequenz daraus - zum anderen eine Vielfalt an Lesarten zulässt (vgl. ebd.). Poesía experimental ist daher eine Bezeichnung, die den Modus Operandi fokussiert (vgl. Fernández Serrato 1995b, 51/52). Das Experiment selbst zielt nicht auf ein Ergebnis ab, sondern nur auf den Prozess, weshalb es nie als abgeschlossen gilt. Die Vielzahl von Varianten des poetischen Experimentierens entsteht aus der Hybridisierung der Bestandteile von Dichtung mit einer anderen künstlerischen Ausdrucksform (Musik, darstellende Kunst, bildende Kunst etc.) (vgl. del Villar 1974). Die Gemeinsamkeit all dieser verschiedenen Genres liegt lediglich im experimentellen Charakter ihrer Techniken. Alle möglichen Varianten der poesía experimental zu bestimmen, ist daher unmöglich. Je nach technischen Verfügbarkeiten, was in Anbetracht der digitalen Wende während der 1990er Jahre besonders relevant wird, erweitern sich die Möglichkeiten des Experimentierens und der daraus entstehenden Varianten entsprechend.

Poesía experimental ist also ein allgemein gehaltener Oberbegriff für eine heterogene und vielschichtige Gruppe, unter der alle denkbaren poetischen Manifestationen subsumiert werden, die Überschreitungen von verschiedenen künstlerisch-medialen Ausdrucksformen erkennen lassen. Sie zu typisieren, erweist sich daher als äußerst schwierig. Es lassen sich dennoch einige Kategorisierungen und Typologien finden, die den Versuch aufzeigen, Struktur in die komplexe Vielfalt zu bringen. Lanz Rivera beispielsweise gruppiert die unzähligen Varianten der poesía experimental in zwei kategorische Untertypen (1992, 66): poesía visual und poesía fónica. Jene poemas, die sich der Visualität von Sprache widmen, ordnet er der Poesía Visual zu, und jene, die das Akustische hervorheben, der poesía fónica. Diese kategorische Zweiteilung ist insofern bedenklich, als sie nur bedingt die vielen Schnittmengen zwischen visuell und akustisch oder gar anderen Formen, wie etwa poesía acción (darstellende Gedichte), berücksichtigt. Félix Morales Prado (2004, 11 ff.) versucht der Heterogenität der poesía experimental in seiner Typologie gerecht zu werden und beschreibt neun Typen: „letrismo, poesía concreta, poesía fonética, poesía semiótica (o ícono-verbal), poema objeto, poesía acción, poema propuesta, videopoema, poesía cibernética“ (ebd.).

Inwiefern diese Typologien die einzelnen Typen sinnvoll definieren, mag dahingestellt bleiben. Indes lässt sich mit ihrer Hilfe der Zusammenhang zur Poesía Visual bestimmen. Anhand der dargestellten Eigenschaften der poesía experimental wird klar, dass Poesía Visual als deren Genre zu verstehen ist.

Des Weiteren lässt sich festhalten, dass das Visuelle die wohl stärkste Ausprägung der spanischen experimentellen Dichtung ist. So bemerkt bereits Felipe Boso:

Ohngeachtet der individuellen Varianten und Abschattungen ist, was die spanische experimentelle Dichtung am meisten auszeichnet, ihre Anschaubarkeit, ihre Betonung des Visuellen […]. Das Auge dichtet. Oft scheint es, als fehlten dem spanischen experimentellen Dichter andere Sinne. (Boso 1972, 303)

Dass Anschaulichkeit und Betonung des Visuellen als wichtige Merkmale der poesía experimental hingestellt werden, erklärt, wieso sich die Bezeichnung bis heute als Synonym von Poesía Visual hält (z. B. Diputación Badajoz 2002-2013, Hermosilla 2013, López Gradolí 2012; Morales Prado 2004). Poesía experimental bedeutet auch Poesía Visual, aber nicht nur. Sie hat zudem, wie bereits dargelegt, viele andere Ausrichtungen. Daher ist, zusammenfassend, Poesía Visual immer dann der angemessene Begriff, wenn er explizit das Visuelle an der Gestaltungsform des Gedichtes bezeichnen soll.

Poesía Visual im Spanischunterricht

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