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1.4.2 Schrift und Bild als semiotisches Zeichenensemble: Symbol und Ikon

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Zeichentheoretische Ansätze bieten eine theoretische Grundlage, die es ermöglicht, das Verhältnis von Schrift und Bild überhaupt zu begreifen. Sie dienen dabei als gemeinsame Ausgangsbasis für Literatur und bildende Kunst. Da Schrift und Bild als Zeichensysteme verstanden werden, können ihre medialen Darstellungen mithilfe zeichentheoretischer Ansätze kontrastiv untersucht werden. Sie werden hinsichtlich zeichenspezifischer Funktionen, gegenseitiger Wechselwirkungen sowie gemeinsamer Bedeutungskonstitution ausgelegt. Die Medien Schrift und Bild sind als sprachliche, wenngleich zeichentheoretisch unterschiedliche, jedoch keineswegs hierarchisch angeordnete Medien zu verstehen.

Grundlegend für die kontrastive Beschreibung von Schrift und Bild, schriftsymbolischen und visuellen Sprachcodes sind Theorien und Begriffe aus der strukturalistischen Semiotik nach Ferdinand de Saussure (1995 [1916]) sowie aus der Mediensemiotik nach Charles Sanders Peirce (vgl. Bense/Walter 1973; Clausen 1984; Eco 1972; Nöth 2000)19. De Saussure differenziert in seiner dyadischen Systematik zwischen signifiant (Bezeichnendes, Darstellung) und signifié (Bezeichnetes, Vorstellung). Diese Unterscheidung ermöglich die gezielte Betrachtung beider Zeichenseiten: wie sich das Zeichen darstellt (das signifiant) und was es bedeutet beziehungsweise welche Vorstellung es evoziert (das signifié). Ergänzend wird das triadische Zeichensystem nach Charles Sanders Peirce hinzugezogen, anhand dessen weitere wesentliche Aspekte der Funktion von Schrift und Bild fassbar werden. Peirce’ Ansatz erweist sich für die strukturalistische Untersuchung von Schrift und Bild insofern als vorteilhaft, als er sich besser als die Saussure’sche Systematik auf visuelle Kommunikationsphänomene anwenden lässt. Anders als de Saussure, der sich insbesondere auf das linguistische Sprachsystem konzentriert hatte, verfolgte Peirce einen sehr viel weiter reichenden zeichentheoretischen Ansatz, der das Medium als Phänomen zu erklären suchte und so vor allem auch auf die visuellen Facetten der Kommunikation, auf Bilder, eingeht (vgl. Eco 1972, 198). Unter einem Zeichen wird nach Peirce ein Element der menschlichen Wahrnehmung verstanden, das ein anderes repräsentiert und von jemandem verstanden wird (vgl. Bense/Walter 1973, 120). Das poema visual kann strukturalistisch-semiotisch als Zeichenensemble gesehen werden. Damit wird die Kombination verschiedener Zeichen in räumlicher oder zeitlicher Anordnung bezeichnet (vgl. ebd. 1973, 127).

Die Berücksichtigung der Peirce’schen Zeichentheorie wurde für die Analyse visuell-poetischer Texte bereits in der Forschungsarbeit von Jochen Dubiel fruchtbar gemacht (2014, 24 ff.). Auch Sabine Gross wendet Peirce Theorie auf Schrift-Bild-Kombinationen an (vgl. Gross 1994, 48).

Im Hinblick auf die strukturalistische Analyse von Schrift und Bild im poema visual wie auch auf die anschließende didaktische Anwendbarkeit erscheinen insbesondere zwei Aspekte der Peirce’schen Theorien relevant: Zum einen wird das signifiant unter dem Begriff des Objektbezugs (womit das Verhältnis von signifiant zu signifié bezeichnet wird; vgl. Nöth 2000, 63) als ikonisches oder symbolisches Zeichen genauer bestimmt. Zum anderen wird zwischen dem realen Objekt und der mentalen Repräsentation des signifié unterschieden. Letzteres wird im gegenwärtigen Zusammenhang nicht weiter vertieft. Um überhaupt die medialen Feinheiten von Schrift und Bild als Zeichen zu begreifen, erscheint für die didaktische Untersuchung insbesondere die Unterscheidung von ikonischem und symbolischem Zeichen gewinnbringend.

Die folgende Grafik (Abbildung 2) veranschaulicht die Erweiterung der dyadischen Systematik de Saussures um die zentralen Begriffe aus der Peirce’schen Theorie.20

Abbildung 2.

Grafische Darstellung der Zeichentheorie nach Ferdinand de Saussure, ergänzt um ausgewählte Peirce’sche Begriffe.

Auf der Ebene des signifié (in diesem Zusammenhang nicht weiter vertieft, daher in der Grafik grau markiert) wird die Unterscheidung zwischen realem Objekt (nach Peirce „Objekt“; vgl. Bense/Walter 1973, 70) und der mentalen Repräsentation (von Peirce „Interpretant“ bezeichnet; ebd. 44) ergänzt. Auf der Ebene des signifiant werden die Begriffe ikonisches Zeichen und symbolisches Zeichen hinzugezogen, die eine wesentliche Differenzierung zwischen Schrift und Bild, wie im Folgenden näher erläutert, gezielt ermöglichen.

Die Erkenntnis aus der Differenzierung zwischen ikonischen und symbolischen Zeichen ist, dass sich die Repräsentation des Objekts der beiden Medien auf unterschiedliche Weise vollzieht.

Das ikonische Zeichen (auch Ikon) stellt eine eindeutige Verbindung zwischen signifiant und signifié her. Es handelt sich um eine Repräsentation, die auf Ähnlichkeit basiert. Das ikonische Zeichen bildet das Objekt ab, es imitiert es, indem es bestimmte Merkmale visuell wiedergibt. Ikonische Zeichen sind zum Beispiel Bilder (oder auch Muster, Strukturen, Figuren etc.) (vgl. Bense/Walter 1973, 38).

Das symbolische Zeichen (Symbol)21 hingegen konstituiert eine nurmehr abstrakt nachvollziehbare Verbindung zwischen Signifikant und Signifikat. Ungeachtet einer Ähnlichkeit mit dem zu bezeichnenden Objekt, wie im Falle des ikonischen Zeichens, stellt das symbolische Zeichen eine konventionelle Kodierung dar, wie beispielsweise die Schrift. Der wesentliche Unterschied zwischen Schrift und Bild ist, dass Schrift vorrangig auf symbolische und das Bild vorrangig auf ikonische Zeichen zurückgreift. Obwohl diese Feststellung banal erscheint, für die Bestimmung von Schrift und Bild im poema visual erweist sich die Unterscheidung zwischen ikonischen und symbolischen Zeichen als äußerst ergiebig. Beispielhaft lässt sich diese Überlegung anhand des Gedichts Poema llave (Abbildung 3) erläutern.

Abbildung 3.

Poema llave (2007), Eddi J. Bermúdez, unveröffentlicht.

Das Gedicht stellt das Wort poema dar, dessen Buchstaben jeweils aus einem Schlüsselbart hervorgehen, entsprechend gehen die Buchstaben in grafisch dargestellte Schlüsselfiguren über. Aus zeichentheoretischer Sicht lassen sich zwei Zeichenreihen (eine lineare Annordnung von Zeichen; vgl. Bense/Walter 1973, 134) bestimmen: eine symbolische Zeichenreihe, repräsentiert durch die fünf Buchstaben p-o-e-m-a, und eine ikonische Zeichenreihe, bestehend aus insgesamt fünf grafisch dargestellten schwarzen Schlüsseln. Das ikonische Zeichen, das Bildliche in dem visuellen Gedicht, ist die visuelle Darstellung der Schlüssel, das symbolische Zeichen gibt entsprechend das schriftliche Wort poema wieder. Gemeinsam konstituieren sie die Bedeutung, poema llave und lassen auf die Funktion der Dichtung als Schlüssel zu anderen geistigen Erkenntnissen oder auf die Aussage, dass Gedichte zu entschlüsseln sind, schließen.

Allerdings lässt sich eine Zuordnung nicht immer eindeutig abgrenzen, weil, wie aus medientheoretischer Sicht betont wird, stets zu berücksichtigen ist, dass auch Schrift über ikonische und Bilder über symbolische Eigenschaften verfügen (vgl. Eco 1972, 213; Nöth 2000, 481 f.). Beim poema llave (Abbildung 3) bestehen die Schlüsselbärte aus Buchstaben, sie sind also gleichermaßen Schrift wie Bild.

Die komplexe Frage, inwiefern das Sprachsystem als symbolisch-konventionell-dominantes Zeichensystem auch ikonische Zeichen produziert und entsprechend das bildliche Zeichensystem über symbolische Eigenschaften verfügt, wird in der Theorie kontrovers diskutiert (vgl. u. a. Clausen 1984; Eco 1972; Weiss 1984). Selbstverständlich verfügt Sprache bereits in ihrer grafischen Darstellung über einen ikonischen Charakter (womit sich beispielsweise die Typografie befasst). Auch birgt das Bild symbolische Zeichen (Farben, Formen etc.), die dementsprechend symbolisch entschlüsselt werden müssen. Eine strikte Beschränkung ikonischer Zeichen auf das Medium Bild und symbolischer Zeichen auf Schrift ist nicht zweifelsfrei möglich. Die Grenzen werden als fließend definiert (vgl. Eco 1972, 216 f.).

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