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I. DER MESSIASGLAUBE UNTER DEM EINFLUSS DES PARSENTUMS
ОглавлениеBei keinem Volke war die Sehnsucht nach Erlösung so lebhaft und die Erwartung so entschieden auf das nahe gedachte Weltende gespannt, wie bei den Juden.
Seit der babylonischen Gefangenschaft (586— 536 V. Chr.) war mit der bisherigen israelitischen Weltanschauung eine tiefe Umwandlung vor sich gegangen. Fünfzig Jahre hatten die Israeliten im fremden Lande zugebracht. Zweihundert Jahre standen sie auch nach der Rückkehr in die alte Heimat unter persischer Oberhoheit und infolge hiervon in lebhaftem politischem und wirtschaftlichem Verkehr mit dem Achämenidenreiche, und dieser hörte auch dann noch nicht auf, als Alexander die persische Macht bezwang und der ganze Osten dem griechischen Einfluss unterworfen wurde. Persische Denkweise und Religionsanschauungen hatten während dieses langen Zeitraums die altisraelitische Gedankenwelt in mannigfacher Weise beeinflusst und eine große Menge neuer Vorstellungen in ihr hervorgerufen. Zunächst hatte der extreme Dualismus der Perser auch dem israelitischen "Monotheismus" einen entschieden dualistischen Charakter aufgedrückt. Gott und Welt, die bisher in der Anschauungsweise noch vielfach ineinander geflossen waren, hatten sich getrennt und waren in ein entschieden gegensätzliches Verhältnis zueinander getreten. Damit hing zusammen, dass der alte Volksgott Jahve sich nach dem Vorbilde des persischen Ahuramazda zu einem Feuer-, Licht- und Himmelsgott, zu einem Gotte überirdischer Lauterkeit und Heiligkeit entwickelt hatte. Von Licht umflossen, sollte er, wie jener, in einem seligen Jenseits thronen, als der Urquell alles Lebens, als "lebendiger" Gott mit seinen irdischen Geschöpfen nur noch durch Vermittlung eines Hofstaates von Engeln, Boten Gottes oder Zwischenwesen verkehren, die in ungemessener Zahl in seinem Dienste sich zwischen Himmel und Erde auf und ab bewegten. Und wie dem guten Ahuramazda der böse Angromainyu gegenüberstehen und der Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Leben und Tod nach persischer Vorstellungsweise den Inhalt des Weltgeschehens bilden sollte, so schrieben die Juden Satan die Rolle eines Widersachers Gottes, eines Verderbers der göttlichen Schöpfung zu und ließen ihn, als "Fürsten dieser Welt" und Anführer der höllischen Heerscharen, seine Macht mit dem Himmelskönig Jahve messen.
In dem Kampfe der beiden Weltgegensätze stand nach persischer Anschauung Mithra im Vordergrunde, der Geist des Lichtes, der Wahrheit und der Rechtschaffenheit, der göttliche "Freund" des Menschen, der "Mittler", "Retter" und "Heiland" der Welt. Er teilte sein Amt mit dem Schöpfungswort und Offenbarungswort Ahuramazdas, dem Honover, und floss auch wohl ganz mit diesem zusammen. Eine Verkörperung des Feuers oder der Sonne, und zwar als des kämpfenden, leidenden und triumphierenden Lichts, das siegreich durch Nacht und Finsternis vordringt, stand Mithra auch zu Tod und Unsterblichkeit in Beziehung und galt als Seelenführer und Richter in der Unterwelt. Er war der "göttliche Sohn", von dem es hieß, dass Ahuramazda ihn ebenso groß und verehrungswürdig wie sein eigenes Wesen geschaffen habe. Ja er war im Grunde Ahuramazda selbst, aus seiner überirdischen Lichtigkeit gleichsam herausgetreten und zu konkreter Individualität verdichtet. Als Mitschöpfer und "Hüter" der Welt hielt er die Weltordnung im Kampfe gegen ihre Feinde aufrecht. An der Spitze der himmlischen Heerscharen stritt er für Gott und scheuchte die Finsternisdämonen mit seinem Flammenschwert zurück ins Dunkel. An diesem Kampf auf Seiten Gottes teilzunehmen, in Leben fördernder Kulturarbeit, durch Urbarmachung unfruchtbaren Ödlandes, Ausrottung schädlicher Tiere usw., und sittlicher Selbstzucht am künftigen "Gottesreich" zu bauen, das erschien als der eigentliche Zweck des Menschendaseins. Wenn aber die Zeit erfüllet sein, die jetzige Weltperiode zu ihrem Abschlüsse gekommen sein würde, dann sollte nach persischem Glauben Ahuramazda aus dem Samen des Zarathustra, des Begründers dieser Religion, den "Jungfrauensohn" Saoshyant (Sraosha), d. h. "Heiland", erwecken oder, wie es nach einer anderen Auffassung hieß, Mithra selbst sollte auf die Welt herabkommen, in einer letzten furchtbaren Schlacht den Angromainyu mit seinen Scharen überwinden und in die Unterwelt hinabstürzen, die Toten in voller Körperlichkeit erwecken und nach einem allgemeinen Weltgericht, durch welches die Bösen zu höllischen Strafen verurteilt, die Guten zu himmlischer Herrlichkeit erhöht werden, das "tausendjährige Friedensreich" errichten. Indessen auch die Hölle sollte nicht ewig dauern. Auch den Verdammten sollte am Ende eine höchste Versöhnung winken. Dann sollte auch Angromainyu mit Ahuramazda Frieden schließen, und auf erneuter Erde, unter einem neuen Himmel sollten alle zu ewiger Seligkeit miteinander vereinigt werden.
Auch diese Vorstellungen gingen in die jüdische Gedankenwelt ein und führten hier zu einer völligen Umbildung des bisherigen "Messiasglaubens."
Messias, d. h. Gesalbter (griech. Christös), hieß ursprünglich der König als Vertreter Jahves vor dem Volk und des Volkes vor Jahve, der nach II. Sam. 7, 13 ff. in dasselbe Verhältnis eines gehorsamen "Sohnes" zu seinem "Vater" eingesetzt war, in welchem das ganze Volk sich zu stehen bewusst war. 1 Dann hatte der Widerspruch zwischen der heiligen Würde des "Gesalbten" Gottes und der menschlich unvollkommenen Persönlichkeit der israelitischen Könige dazu geführt, dass das Idealbild des Messias in die Zukunft verlegt und erst von ihr die volle Verwirklichung der Herrschaft Jahves über sein Volk erwartet wurde. In diesem Sinne hatten schon die älteren Propheten den Messias als einen idealen König der Zukunft gefeiert, der die hohen Gnadenzusicherungen Jahves, deren David gewürdigt worden war, in vollstem Sinne erleben sollte, weil er ihrer vollkommen wert sein werde. Sie hatten ihn als den Helden beschrieben, der mehr als Moses und Josua sein, der die verheißene Herrlichkeit Israels aufrichten, das Volk neu ordnen und Jahves Religion auch den Heiden bringen werde. 2 Sie hatten ihn gerühmt, dass er den Himmel neu spannen, die Erde neu gründen und Israel zum Herrn über alle Völker machen werde. 3 Dabei hatte man den Messias zunächst nur als eine menschliche Person verstanden, als neuen David oder Davidssproß, theokratischen König, gottbegnadeten Friedensfürsten und gerechten Herrscher über sein Volk, sowie der persische Saoshyant ein Mensch aus dem Samen Zarathustras sein sollte, und in diesem Sinne sogar einen Cyrus, den Befreier des Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft, den Retter und Oberkönig Israels, als "Messias" angesprochen. Allein wie Saoshyant in der Phantasie des Volkes unwillkürlich zu einem göttlichen Wesen verklärt und mit der Gestalt des Mithra in eins zusammengeflossen war, 3 so war auch bei den Propheten der Messias mehr und mehr in die Rolle eines Gottkönigs eingerückt. Er hieß "Gottheld", "Vater der Ewigkeit", und der Prophet Jesaia erging sich in der Ausmalung seines Friedensreiches, wo die Wölfe bei den Lämmern ruhen, die Menschen nicht mehr vorzeitig sterben, die Frucht ihres Ackers ohne Abzug genießen und Recht und Gerechtigkeit unter diesem Könige eines goldenen Zeitalters, wie niemals zuvor, auf Erden herrschen sollten. 4 Geheimnisvoll und übernatürlich, wie sein Wesen, sollte auch die Geburt des Messias sein. Ein göttliches Kind, sollte er an unscheinbarer Stätte geboren werden. 4 Ja, die Persönlichkeit des Messias floss vielfach sogar mit derjenigen Jahves selbst zusammen, wie es denn auch Gott selbst ist, von dessen Thronbesteigung und Himmelfahrt in der Endzeit die Psalmisten singen. 5
Dieses Schillern des Messias zwischen einem menschlichen und einem göttlichen Wesen tritt noch deutlicher in der jüdischen Apokalyptik der letzten Jahrhunderte vor und des ersten Jahrhunderts nach Christus zutage. So spricht die Apokalypse Daniels (um 165 v. Chr.) von einem, der "wie eines Menschen Sohn" auf den Wolken des Himmels herabkommen und vor den "Alten der Tage" gebracht wird, und der Zusammenhang der Stelle lässt keinen Zweifel darüber, dass der , ,Menschensohn" (barnasa) ein überirdisches, die Gottheit vertretendes Wesen ist, dem die Herrlichkeit und das Reich von Gott übertragen wird, um am Ende der gegenwärtigen Weltzeit auf den Wolken des Himmels, umgeben von einer Schar von Engeln, herabzukommen und eine ewige Herrschaft, ein "Reich des Himmels" aufzurichten. In den Bilderreden des Henoch (aus den letzten vorchristlichen Jahrzehnten) erscheint der Messias, "der Auserwählte" und der "Menschensohn", als ein übernatürliches, präexistentes Wesen, das in Gott verborgen war, ehe die Welt geschaffen wurde, dessen Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit, dessen Macht von Geschlecht zu Geschlecht dauert, in dem der Geist der Weisheit und der Kraft wohnt, der die verborgenen Dinge richten, die Bösen strafen, die Heiligen und Gerechten aber retten wird. 7 Ja, die Apokalypse des Esra (sog. IV. Buch Esra) bekämpft sogar ausdrücklich die Ansicht, dass das Weltgericht durch einen andern als Gott selbst kommen werde, und beschreibt gleichfalls den Messias als eine Art "zweiten Gott" , als "Gottes Sohn", als menschliche Inkarnation der Gottheit. 8
In dem allen ist der Einfluss des persischen Glaubens unverkennbar, mag nun dieser ein in Iran selbst unmittelbar entstandener, oder mag die Idee eines von Gott berufenen Königs und Welterlösers von den Persern der babylonischen Vorstellungswelt entlehnt sein, wo diese Idee tief eingewurzelt war und zu verschiedenen Zeiten bald auf diesen, bald auf jenen König angewendet wurde. 9 Wie in der persischen Religion die Vorstellung des Saoshyant, so schwankt also auch in der jüdischen Anschauungsweise das Bild des Messias zwischen einem menschlichen König aus Davids Geschlecht und einem vom Himmel herabkommenden übernatürlichen Gottwesen. Und wie nach persischer Vorstellung der Ankunft des Saoshyant und dem endgültigen Siege des Lichtreichs eine Zeit vorangehen soll, wo drohende Zeichen am Himmel erscheinen, die ganze Natur sich in Aufruhr befindet und die Menschheit von furchtbaren Plagen heimgesucht wird, so spricht auch die jüdische Apokalyptik von den "Wehen" des Messias und ergeht sich in der Ausmalung einer Schreckenszeit, die das Kommen des Messias einleitet. Auch sie fasst den Anbruch der Gottesherrschaft als eine plötzlich von oben hereinbrechende Wunderkatastrophe, als einen ungeheuren Weltbrand und eine darauf erfolgende Neuschöpfung der Erde auf und stimmt auch darin mit der persischen Anschauung überein, dass sie dem irdischen Weltreich des Messias ein Himmlisches Reich ungetrübter Seligkeit "im Lichte des ewigen Lebens und in der Gleichheit mit den Engeln" folgen lässt, das sie ganz im Sinne des persischen Paradieses auffasste. Da werden die Frommen "Wasser des Lebens" trinken und sich nähren von den Früchten, die an dem "Baum des Lebens" hängen. Die Bösen aber werden in die Hölle gestürzt und in furchtbaren Qualen die gerechte Strafe für ihre Sünden erleiden. 10
Die Vorstellung einer Auferstehung der Toten und eines Jüngsten Gerichtes war den Juden bis dahin fremd gewesen. Die vorexilische Zeit hatte den Leib zerfallen und die Seele nach dem Tode als fühllosen Schatten in den Hades, das Scheol, hinunterfahren lassen, ohne sich weiter um deren Schicksal zu bekümmern. Jetzt drang mit der Lehre vom Weltuntergang durch Feuer und des allgemeinen Gerichtes auch die Vorstellung der persönlichen Unsterblichkeit in die jüdische Gedankenwelt ein, wie es denn auch bei Daniel heißt, dass am Tage des Gerichtes die Toten auferstehen und die einen zum ewigen Leben, die andern zur ewigen Verdammnis erwachen werden. "Aber die Lehrer werden glänzen, wie der Glanz des Himmels, und die, welche die Menge zur Gerechtigkeit geführt, wie die Sterne immer und ewiglich". 11 Mit der Annahme der persönlichen Unsterblichkeit erfuhr aber auch die gesamte religiöse Denkweise eine Vertiefung und Bereicherung in individualistischem und personalem Sinne. Die bisherige israelitische Sittlichkeit war wesentlich kollektivistischer Art gewesen. Nicht sowohl der Einzelne als vielmehr das Volk als Ganzes war als Gegenstand der göttlichen Fürsorge angesehen worden. Jetzt brach sich die bereits von den Propheten angebahnte Auffassung entschieden durch, dass der Einzelne für sich selbst das religiöse Heil erhoffte und sich infolge hiervon in einem unmittelbaren persönlichen Verhältnis zu Jahve fühlte. Wohl blieb Gott der überirdische, im reinen Lichtglanz thronende Herr des Himmels, der Urquell alles Lebens, der "lebendige Gott", wie das Parsentum ihn verstehen gelehrt hatte. Indessen traten seine metaphysischen Eigenschaften, seine strahlende Herrlichkeit und unüberwindliche Macht, jetzt immer mehr hinter seine sittlichen Bestimmungen zurück : die Güte, Gnade und Barmherzigkeit erschienen als die hervorstechendsten Züge im Charakter Jahves. Der Gott erschien als liebevoller "Vater", der die Seinigen mit freundlicher Huld durchs Leben führt, und ohne dessen Willen seinen Geschöpfen kein Haar gekrümmt wird. Und während die strengere Richtung innerhalb des Judentums, wie sie von der pharisäisch-rabbinischen Oberströmung vertreten wurde, die nationalen Schranken immer enger zog, immer ängstlicher auf die peinlich genaue Beobachtung des Gesetzesbuchstabens, die gewissenhafte Ausübung der kultischen Vorschriften bedacht war, während sie die Ethik in einem geordneten System konventioneller Regeln von wesentlich juridischer Beschaffenheit zu ersticken drohte, arbeitete sich daneben zugleich eine humanere und natürlichere Sittlichkeit, eine innigere Frömmigkeit voll Herzenswärme, Volkstümlichkeit und Gesundheit empor, die auch die engen Schranken des jüdischen Nationalismus durchbrach und einen frischeren Zug in die dumpfe Atmosphäre der offiziellen Gesetzesgerechtigkeit hineinbrachte. Damals wurde in der geläuterten Sittlichkeit der Psalmen, Sprüche und sonstigen erbaulichen Schriften, einem Hiob, Baruch, Jesus Sirach usw., der Grund der späteren christlichen Ethik gelegt. Damals schickte sich der jüdische Monotheismus an, seine Herrschaft über die Landesgrenzen hinaus zu erweitern und in den Konkurrenzkampf mit den übrigen Religionen des Altertums einzutreten, in dem er erst vor dem ausgebildeten Christentum den Kürzeren ziehen sollte.
Fußnoten
1 Exod. 4, 22; Deut. 32,6; Hos. 11, 1.
2 Jes. 49. 6,8. 3 ebd. 51, 16.
3 Cumont: Textes et monuments figurés relatifs aux mystères de Mithra 1899, Bd. I, 188.
4 ebd. ix; 65, 17 ff
5 Jes. 9, 6; Micha 5, 1.
6 Psalm 47. 6, 9; 57.
7 Kap. 45 — 51.
8 6, 1 ff.
9 Vgl. Gunkel: Zum religionsgesch. Verständnis des Neuen Testaments. 1903, S. 23, Anm. 4.
10 Offenb. Kap. 22. Vgl. O. Pfleiderer: Das Urchristentum. Seine Schriften und seine Lehren, 2. Aufl. 1902, Bd. II, 54 ff
11 a. a. O. 12, 3.