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3. JESUS ALS KULTGOTT DES JÜDISCHEN SEKTENGLAUBENS
ОглавлениеDer Seligkeit dieser Gottesschau und Gottgemeinschaft sich zu versichern und schon hier auf Erden einen Vorgeschmack des himmlischen Lebens zu erlangen, war die Sehnsucht aller religiösen Geister der Zeit. Die Juden suchten dieses Ziel durch peinlich genaue Ausführung der Gesetzesvorschriften zu erreichen, aber sie verstrickten sich hierbei in ein solches Netz minutiöser und ängstlicher Bestimmungen, dass die Befolgung des Gesetzes immer schwieriger erschien, je eifriger sie seinem Dienste oblagen. Bald schien es überhaupt nicht mehr möglich, die Anforderungen des gewöhnlichen praktischen Lebens mit den religiösen Pflichten zu vereinigen. Da zog sich ein Teil aus dem Weltgetriebe überhaupt zurück und suchte, in stiller Abgeschlossenheit und Einsamkeit sich ausschließlich der Pflege seines, »inneren Menschen" hinzugeben.
In Ägypten waren es, wie Philo in seiner Schrift "Über das beschauliche Leben" uns mitgeteilt hat, die Therapeuten oder "Ärzte", ein aus Juden und Judengenossen gebildeter Kultverein mit der Hauptkolonie in der Nähe von Alexandria, die in solcher Weise die von Philo ausgesprochenen religiösen Forderungen zu verwirklichen bestrebt waren. Mit der Ausübung gewisser Kultgebräuche, die denjenigen der orphisch-pythagoreischen Sekten nachgebildet waren, wie der Enthaltung von Fleisch und Wein, der Hochschätzung der Virginität, der freiwilligen Armut, der religiösen Mahle und Gesänge, der weißen Kleider und Vertiefung in überlieferte mystische Offenbarungsschriften, deren sie sich als Richtschnur bei der allegorischen Auslegung des mosaischen Gesetzes bedienten, verbanden sie eine beschauliche Frömmigkeit in gemeinsamer religiöser Übung und suchten sich gegenseitig in der Gewissheit des religiösen Heiles zu bestärken. Jenseits des Jordan hatte die jüdische Sekte der Essäer oder Essener (von dem syrischen Worte chase, Plur. chasen oder chasaja, daher der Doppelname) ihre Hauptniederlassung, die sich selbst, wie dies ihr Name ausdrückt, als die "Frommen" oder "Gottesfürchtigen" bezeichneten. In der Hochschätzung der Enthaltsamkeit, der Ehelosigkeit, der Armut, der Verwerfung der Sklaverei, des Privateigentums, des Eides und der blutigen Opfer sowie darin, dass sie die Sonne als Erscheinungsform des göttlichen Lichtes verehrten, stimmten sie mit ( den Therapeuten überein. Aber sie unterschieden sich von diesen durch ihre klösterliche Organisation, die ordensmäßige Gliederung des Gemeinschaftslebens in verschiedene Klassen, ihre strenge Unterordnung unter die Oberen, durch die Innehaltung eines mehrjährigen Noviziats, Geheimhaltung der Ordensüberlieferungen und Pflege der Heilkunst und der Mantik. Brachten die Therapeuten ihr Leben in beschaulichem Müßiggange und geistlichen Übungen hin, so beschäftigten sich hingegen die Essener mit Viehzucht, Ackerbau und Bienenzucht oder betrieben auch wohl ein Handwerk und führten im Übrigen als Wüsteneinsiedler, auf dem Lande oder in den Städten Judäas, wo sie vielfach in gemeinsamen Ordenshäusern zusammen wohnten, ein Leben der Reinheit und Heiligkeit. Darin stimmten aber wieder beide Sekten überein, dass sie erwartungsvoll dem nahen Weltende entgegenblickten und durch Pflege brüderlicher Gesinnung untereinander, durch Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft und Barmherzigkeit gegen ihre Mitmenschen sich auf den Empfang der von Gott gegebenen Verheißungen vorzubereiten suchten und hierin die eigentlichen Aufgabe ihres Lebens fanden.
Welcher Art waren nun die "geheimen Überlieferungen", worauf sich diese Sekten stützten? Wir wissen durch den jüdischen Geschichtsschreiber Josephus, dass die Essener einem extremen Dualismus von Leib und Seele anhingen, worin sie übrigens wohl mit sämtlichen religiösen Vereinigungen des Altertumes übereinstimmten. Wie alle mystischen Sekten, betrachteten auch sie den Leib als das Grab und den Kerker der unsterblichen Seele, in welchen diese aus einem früheren Leben in Licht und Seligkeit gebannt sei. Auch sie gründeten auf den Pessimismus in Bezug auf das irdische Dasein die Sehnsucht nach Erlösung von der Sinnlichkeit und das Streben nach der Herrlichkeit eines besseren Lebens der Seele im Jenseits und betrachteten auch ihrerseits die Vollziehung geheimer Weihen als die notwendige Bedingung der Erlösung. Hierzu gehörte aber nach essenischer Ansicht vor allem die Kenntnis der Namen der Engel und Dämonen, die den Zugang der verschiedenen übereinander gelagerten Himmel erschließen und den Sterblichen durch einen der oberen Götter, einen Gotterlöser, offenbart sein sollte. Es war eine Vorstellung, derjenigen verwandt, wie sie auch im Buch der Weisheit sowie bei Philo zugrunde lag: der Glaube an die Zaubermacht des erlösenden Gotteswortes, nur hier mit vielen fremdartigen, ägyptischen, persischen und babylonischen, Bestandteilen vermischt und aus der Sphäre der philosophischen Betrachtungsweise auf den Boden eines üppig wuchernden Aberglaubens herabgezogen. So hatte auch schon die verwandte jüdische Apokalyptik sich ausdrücklich für die Offenbarung einer geheimen göttlichen Weisheit ausgegeben. 1 Ja, wir wissen jetzt, dass diese ganze Gedankenwelt einer überaus vielgestaltigen synkretistischen Religionsbildung angehört, die, aus babylonischen, persischen, jüdischen und griechischen Bestandteilen zusammengesetzt, in den letzten Jahrhunderten vor Christus das ganze westliche Asien beherrschte, deren Anhänger sich selbst nach dem Namen ihres vermeintlichen Stifters Ado Adonäer nannten, die man jedoch nach einem andern Namen ihrer Anhänger, der sog. Mandaje ("Gnostiker"), in der Regel als die mandäische Religion bezeichnet. 2
Von den zahllosen Sekten, in welche diese Religion zerfiel, sind uns nur einige Namen überliefert, die zum Teil in der Ketzergeschichte des Urchristentums eine Rolle spielen, wie die Ophiten oder Naassener , die Ebioniten, Peraten, Sethianer, Heliognostiker, Sampsäer usw. 3 Umso besser kennen wir die Grundgedanken ihrer übrigens sehr phantastischen und komplizierten religiösen Weltanschauung, Sie alle huldigten dem Glauben an die Erlösung der in der Finsternis begrabenen Menschenseele durch ein ursprünglich in Gott verborgenes, dann eigens zu diesem Zweck von ihm "erwecktes" oder bestalltes Mittelwesen, das im ursprünglichen Mandaismus den Namen Mandâ de hajjê, d. h. Gnosis oder "Wort" des Lebens, führte.
Vom Himmel sollte dieses in der Gestalt des Hibil-Ziwä, des babylonischen Marduk oder Nabu, mit den Himmelsschlüsseln herabsteigen, kraft seines Zaubers die Herrschaft über die Welt gewinnen, die von Gott abgefallenen Dämonen besiegen, das Ende der Welt herbeiführen und die Lichtseelen wieder zur höchsten Gottheit zurückgeleiten.
Auch unter den Juden in Palästina hatte diese Anschauung, wie die Apokalyptik zeigt, zahlreiche Anhänger. Alle diejenigen, die an dem Buchstabenglauben der Pharisäer und der geschäftsmäßigen Äußerlichkeit der offiziellen jüdischen Religion kein Genüge fanden, erbauten sich an derartigen die Phantasie anregenden Vorstellungen. Sie behandelten sie als "Mysterium" und suchten sie, wohl aus Furcht vor Konflikten mit der überlieferten Religion, vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. So kommt es, dass wir von dieser Seite des religiösen Lebens der Juden nur eine so unvollständige Kenntnis haben. Dabei bezogen sie den mandäischen Mittlergott auf den von ihnen erwarteten Messias und scheinen sich, wie aus der Apokalypse des Daniel und Johannes hervorgeht, besonders in der Ausmalung jener Szene gefallen zu haben, wo Gott den Erlöser zu seinem Mittleramt beruft ("erweckt" ) und ihn als Retter, Weltherrscher und Richter über die Lebendigen und Toten einsetzt. 4 So führte der zum Stellvertreter Gottes ernannte "zweite" Gott, der göttliche "Sohn" , bald den Namen des Messias oder Christus, bald denjenigen des Erzengels Michael, was beides so viel wie Fürst, Herr, König und Gesandter bedeutete, bald gab man ihm aber auch den Namen Jesus, d. h. Jah-Hilfe, Gotthilf, Retter, Heiland und Erlöser (griech. soter).
Wir sind es gewohnt, die jüdische Religion für einen strengen Monotheismus anzusehen. In Wahrheit ist sie dies niemals, selbst in den Zeiten des Mosaismus nach der Rückkehr aus dem Exile nicht, gewesen, so große Mühe sich auch die Verfasser der sog. historischen Bücher des Alten Testaments gegeben haben, die Überlieferung in monotheistischem Sinne umzudeuten und die Spuren des ursprünglichen israelitischen Polytheismus zu verwischen. Nicht bloß die babylonische, persische und griechische Weltanschauung haben das Judentum in polytheistischem Sinne beeinflusst: von Anfang an läuft neben der priesterlichen und offiziell betonten Ansicht von dem Einen Gotte ein Glaube an andere Götter nebenher, der durch die fremden Einflüsse bloß neue Nahrung erhalten zu haben und vor allem in den Geheimsekten gepflegt zu sein scheint. In diesen Vorstellungskreis gehört auch der Glaube an einen "zweiten Gott" oder Halbgott Jesus hinein, der offenbar in eine sehr frühe vorchristliche Vergangenheit zurückreicht. So hat Robertson es sehr wahrscheinlich gemacht, dass der Josua des nach ihm benannten Buches ein alter ephraimitischer Sonnengott ist, der in naher Beziehung zur Einrichtung des Passahfestes und zur Sitte der Beschneidung stand. 5 Ist er doch offenbar identisch mit jenem verheißenen Engel des zweiten Buches Moses, in dem der Name Jahves ist, der Israel zum Siege über die Amoriter, Hethiter, Pheresiter, Kananiter, Heviter und Jebusiter führen wird, dieselben Völkerschaften, die Jahve durch Josua überwunden haben soll, 6 der im Talmud mit dem mystischen Metatron, einem dem Logos verwandten Wesen, gleichgesetzt wird, und der auch beim Propheten Sachar ja unter dem Namen des Hohenpriesters Josua in messianischer Beleuchtung auftritt. 7
Bei der vorchristlichen Sekte der Naassener, Ophiten oder Ophianer (von hebräisch nahas, griechisch ophis die Schlange), so genannt, weil sie die göttliche "Weisheit" auf die Schlange des Paradieses bezogen und ebenso wohl als göttliches wie als satanisches Prinzip verstanden, hieß Jesus auch der "Menschensohn", wie in der Apokalypse Daniels. Ein alter vorchristlicher Hymnus dieser Sekte, den Hippolytus, der Verfasser einer Schrift gegen die Ketzer, 8 uns aufbewahrt hat, schildert, , Jesus", wie er seinen Vaterbittet, ihn hinabzusenden zu den in der Finsternis verirrten Menschenseelen, um ihnen die Erlösung zu bringen: "Im Besitz der Siegel (d. h. der geheiligten Namen und Zeichen, deren Kenntnis das religiöse Heil vermittelt) will ich hinabsteigen, alle Äonen will ich durchwandern, alle Geheimnisse eröffnen, die Gestalten der Götter kundmachen und das Verborgene des heiligen Weges, "Gnosis" genannt, den Menschen mitteilen. 9 Das erinnert an die Rolle, die Marduk (Merodach), der Sohn des großen Wassergottes Ea, der Mandä de hajje der Mandäer, als Arzt und Heiland in der altbabylonischen Vorstellungswelt spielt. Ganz ähnlich, wie von jenem Jesus der Naassener, heißt es auch von Marduk (Mirri-dugga) in einem in eine Beschwörung eingeflochtenen Zwiegespräche:
"Mirri-dugga hat sein (nämlich des kranken Menschen) Elend gesehen.
Zu seinem Vater Inki (Ea) tritt er ins Haus und spricht:
'Mein Vater, der Irrsinn kam aus der Unterwelt.'
Und zum zweiten Male spricht er zu ihm:
'Was soll dieser Mensch tun?
Nicht weiß er, womit er Heilung erlangt.'
Da antwortete Inki seinem Sohne Mirri-dugga:
'Mein Sohn, was weißt du nicht schon?
Was soll ich dich noch dazu lehren?
Was soll ich dir noch dazu fügen?
Gehe, mein Sohn Mirri-dugga, nimm ein Gefäß
Und habe darin etwas Wasser von der Mündung der Ströme
Und tue zu diesem Wasser deine reine Beschwörung
Und besprenge damit diesen Menschen, den Sohn deines Gottes.
Und auf der Heerstraße gieße es aus!' —
'Die Krankheit des Hauptes, die wie ein Gespenst
Der Nacht dich bannt, möge sich entfernen!
Das Wort Inkis möge sie austreiben!
Die Göttin Dam-gal-nunna (Damkina) dich wieder zurechtbringen!
Mirri-duggas, des erstgeborenen Sohnes der Wassertiefe Heilbringendes Bild sei dein!" 10
Die Vermutung drängt sich auf, dass auch die Therapeuten und Essener ihren Kultgott unter dem Namen Jesus verehrten ( denn Jesus heißt, wie Epiphanius in seiner Ketzergeschichte sagt, in der hebräischen Sprache so viel wie curator, therapeutes, d. h. Arzt und Heiland, und als Ärzte, insbesondere als Seelenärzte im Sinne ihres Kultheros, betrachteten sich die Anhänger der genannten Sekten. 11 Nach Jesus oder auch wohl nach dessen "Stammvater" Jesse nannten sich auch die Jessäer (Jessaioi), die einerseits mit den Essenern und andrerseits mit der jüdischen Sekte der Nazaräer oder Nazoräer (Nazoraioi) nahe verwandt, wo nicht gar geradezu identisch waren. Diese waren, wie Epiphanius bezeugt, lange vor Christus da und wussten nichts von Christus, d. h. von einem Menschen jenes Namens. 12 Nazoräer aber, wovon Nazarener (Nazarenös) nur eine sprachliche Abwandlung ist, wie Essäer und Essener, hießen sie, weil sie den Mittlergott, den göttlichen "Sohn" als Hüter oder Wächter (syrisch nasarya', hebräisch ha-nösri) verehrten (man denke an den "Hüter von Brabant"). Nach Apog. 24, 5 hießen bekanntlich auch die ersten Anhänger Jesu Nazoräer oder Nazarener. Demnach waren also die Ausdrücke "Jesus" und "Nazoräer" ursprünglich beinahe gleichbedeutend, und Jesus war durch die Hinzufügung von "der Nazoräer" oder "Nazarener" nicht etwa als der Mann aus Nazareth, wie die Evangelien es hinstellen, sondern als der "Hüter", der Heiland und Erretter gekennzeichnet. Darf es doch übrigens durch die Untersuchungen von Cheyne 13 als ausgemacht betrachtet werden, dass es einen Ort "Nazareth" zu Jesu Zeiten überhaupt nicht gab, sondern dieser Ort erst nachträglich erfunden worden ist, um den Ausdruck "Jesus der Nazoräer" in unverfänglicher Weise und in Übereinstimmung mit den Evangelisten zu erklären, woher es sich denn auch begreift, dass der Ort Nazareth im Leben Jesu überhaupt keine Rolle spielt, sondern Kapernaum als "seine Stadt" bezeichnet wird. 14
Aus allen diesen Tatsachen geht hervor, dass Jesus ursprünglich eine Gottheit war, der Mittler und Heilsgott aller jener jüdischen Sektierer, die zum Teil bereits dem zweiten Jahrhundert v. Chr. angehören, und in Bezug auf welche wir auch das Judentum jener Zeit als eine durch und durch synkretistische Religion bezeichnen müssen. Dabei hat neben der persischen vor allem auch die babylonische Religion auf die Anschauung dieser Sekten eingewirkt. Das zeigt auch ihr Glaube an Sterngötter und die Astralmythologie, wie sie für den Mandaismus charakteristisch ist, insbesondere aber beweist es ihr aus Babylon stammender Namenaberglaube, der Glaube an die magische Kraft, die sie dem Namen eines göttlichen Wesens zuschrieben. So scheinen auch die Essener ihre magische und ärztliche Kunst, deren sie sich rühmten, in der Form der Wunderwirkung und Dämonenaustreibung unter feierlicher Anrufung des Namens ihres Heilsgottes ausgeübt zu haben. Wissen wir doch aus den Evangelien und der Apostelgeschichte, dass nicht bloß die Jünger des evangelischen Jesus, sondern auch andere schon bei dessen Lebzeiten "in Jesu Namen" Krankheiten heilten und Dämonen austrieben, woraus zu schließen ist, dass der Namenzauber seit Alters her mit der Vorstellung des göttlichen Heilands und Hüters verknüpft war. 15
Von hier aus wird nun auch das Auftreten des Täufers Johannes verständlich. Er stand den essenischen Wüsteneinsiedlern nahe und verkündete in ihrem Sinne, wie es in den Evangelien heißt, die unmittelbare Nähe des "Himmelreiches" und die bevorstehende Ankunft des Einen, der mächtiger sei als er, des Messias oder Jesus. Johannes hatte hierbei offenbar keinen anderen als den Heilsgott seiner Sekte im Auge, den von Gott gesandten Herrn über die Lebendigen und Toten, dessen Gestalt sich ihm wesentlich in seiner Eigenschaft als strenger und gerechter Richter darstellte. Durch den Hinweis auf das nahe Weltgericht suchte er bei seinen Zuhörern Eindruck zu machen und sie zur Sinnesumkehr zu bewegen, und er taufte sie "im Namen" des zu erwartenden Messias, d. h. er wandte ihnen damit von vornherein die zauberische Wirkung zu, die nach der Anschauung der Geheimsekten von dem Namen des Erlösers ausging. Johannes wusste dabei, wie es scheint, noch nichts von einem Jesus in Menschengestalt, vom Leiden, Sterben und der Auferstehung des Messias. Wofern er sich des bezüglichen Ausdrucks für das griechische Wort anastasis überhaupt bedient hat, so doch jedenfalls nur in dem allgemein gebräuchlichen Sinne der "Erweckung", Bestallung, Einsetzung, Inthronisation des Heilands. Und auch seine Jünger zu Ephesus, die Zwölf, von denen wir in der Apostelgeschichte lesen, dass sie die Taufe des Johannes empfangen hatten, sowie der beredte und schriftkundige Alexandriner Apollo, der die Heilsbotschaft vom Jesus ("ta peri toü Jesoü") verkündigte, scheinen nichts weder vom "Heiligen Geist", noch von einem Erdenleben noch auch von einem Tode Jesu gewusst zu haben. 16
Fußnoten
1 Über den Zusammenhang der Essener und der Apokalyptik vgl. Hilgenfeld: Die jüdische Apokalyptik, 1857, S. 253 ff
2 Vgl. über sie Brandt: Die mandäische Religion, 1889; Realenzyklop. f. d. Protest. Theologie u. Kirche XII, 160 ff; Gunkel a. a. O. 18 ff.
3 Vgl. Hilgenfeld: Ketzergeschichte des Urchristentums, 1884.
4 Dan. 7, 13 f; Apok. Kap. 5.
5 Vgl. Josua, Kap. 5, 2—10.
6 Exod. 23, 20-23; Jos. 24, 11
7 a. a. O. Kap. 3; vgl. John M. Robertson: "Pagan Christs, studies in comparative hierology" , 1903, 154 ff
8 Vgl. über ihn Hilgenfeld: Ketzergesch. des Urchristentums 9 ff.
9 Philosophumena V, II
10 Hommel: Geschichte Babylons u. Assyriens 255.
11 Epiph.; Haeresiol. Kap. 29
12 ebd. 29, 6.
13 Enc .Bibl. Art. "Nazareth".
14 Vgl. hierzu Benjamin Smith: Der vorchristliche Jesus. 1906, insb. 36 f.; 42 ff. Übrigens ist es sehr beachtenswert, dass der Ausdruck nazar oder netzer im Sinne von "Zweig" ("Spross") sich nicht bloß in der bekannten Stelle Jesaia 11, 1 findet, wo der Messias als "Rute aus dem Stamme Jesse", als "Zweig aus seiner Wurzel" bezeichnet wird, sondern dass auch in der angeführten Stelle des Sacharja (3, 8) der Hohepriester Josuah "Zweig" (Zemah) genannt zu sein scheint. Sollte der Zweig am Ende ein Symbol des Erlösers in seiner Eigenschaft als Vegetations- und Lebensgott gewesen sein, wie er es im Kultus des Mithra, des kleinasiatischen Men, des Attis, Apollo usw. war (vgl. Cumont: a.a.O. 195f.), und dieser Gedanke in dem Namen der Nazoräer mit anklingen? Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass der Name Nazoräer auch mit demjenigen der Nasiräer zusammengeflossen ist, jener "Gottgeweihten" oder "Heiligen", die im Judentume ein Überbleibsel aus der Zeit des Nomadentums der israelitischen Stämme waren und ihre Gegnerschaft gegen die höhere Kultur des eroberten Landes durch patriarchalische Einfachheit und "Reinheit" der Lebensweise, Enthaltung von Öl, Wein und Schermesser usw. zum Ausdruck zu bringen suchten. Vgl. Robertson: "A short history of Christianity" 1902, 9ff.
15 Luc. 9, 49; 10, 17. Apog. 3, 16. Vgl. Smith: a. a. O. 33 ff. Genaueres über den Namenzauber bei W. Heitmüller: "Im Namen Jesu", 1903.
16 Apg. 18, 24ff; 19 1—7. Smith: a.a.O. 6— 10; Kap. III.