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NEIN zu Pille-Palle
oder
Wie ich wirklich bin und wer ich hätte sein können

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Also gleich mal eines vorweg: Ich bin weder Kommunikationswissenschaftlerin noch Soziologin. Dies sei eingangs klargestellt, da ich in zahllosen Talkshows, Interviews, medialen Formaten und Kolloquien stets als Expertin eingeführt, vorgestellt und befragt werde. Befragt zu den großen Debatten ums Menschsein, befragt zu politisch brisanten Themen, befragt zu allen Problemstellungen, die das Leben so aufwirft. Sei es Kunst, Kultur, Religion, Politik, Sexualität, Kochen, Boulevard, Altern, Tratsch und Klatsch, Adel, Prominenz, Unterleibsbeschwerden.

Und immer, wenn ich das Vergnügen habe, neue Kontakte mit diesen Koryphäen und Experten höchsten Ranges zu knüpfen, darf ich mir anhören, ich hätte den Beruf verfehlt:

»Mensch Frau Nick, an Ihnen ist aber auch eine Politikerin verlorengegangen!« – sagte damals schon Klaus Wowereit!

»Schade, dass Sie nicht weitergemacht haben an der Schule, mit Ihnen wäre Religionsunterricht wieder richtig populär!«, meinte unsere Familienministerin Dr. Franziska Giffey.

»Frau Nick, Sie sind eine großartige Gastgeberin, im diplomatischen Dienst hätten Sie eine Riesenkarriere gemacht. Sie als Botschafterin, das wäre genau, was die Welt braucht!« – an dieser Stelle nenne ich keinen Namen, da ich das kleine Einmaleins der Diplomatie beherrsche.

Und was ist? Stattdessen mache ich Ballett!

Nichts Ordentliches gelernt, von Widersachern als Tingeltangeltante beschimpft, von Fans zur Ikone erkoren.

Reingerutscht bin ich in diese bunte Welt, weil ich eine sehr flexible und anpassungsfähige Künstlerin bin, deren größtes Verdienst es anscheinend ist, dass sie sich selbst erfunden hat. Ein Star aus Notwehr, der niemanden nachäfft. Ein Unikat. Ein Original, oft kopiert, nie erreicht. Von keinem zu verbiegen, furchtlos und eisern. Schon recht preussisch. Obwohl mir die prallgefüllten Berge in jedem Dekolleté Bayerns sehr imponieren und ich im Dirndl als blonder »Saupreiss« die Herzen im Alpenland höherschlagen lasse. Überhaupt, ich und Folklore: Das ist auch eine Geschichte, die noch nicht zu Ende erzählt ist. Die Jodelei steht ganz oben auf meiner To-Do-Liste! Florian Silbereisen hatte es mir auch empfohlen. Aber jetzt lerne ich erstmal Gospel.

Vor kurzem wurde ich sogar für ein Nacktformat im TV angefragt. Ich habe einfach für BILD blankgezogen. Das ging schneller als eine Woche Adam sucht Eva in der Südsee. Blankziehen fand bei mir sogar schon Anfang der 1990er statt. Eigentlich mit dem Mauerfall! Wahrscheinlich eine Übersprungsreaktion auf das Ende der DDR. Ich habe Entblößung immer als künstlerischen Akt empfunden. Als Aussage. Es hatte mit Nacktheit überhaupt nichts zu tun, die fand eher nebensächlich statt. Soviel nur zu meiner Bandbreite! In der Regel unterhalte ich mich angezogen mit Leuten.

Inzwischen finde ich es ausgesprochen diskriminierend, dass in der Verwaltung noch kein eigenes Ressort für mich geschaffen wurde. Die Schublade für meine Karteikarte muss erst noch gebaut werden. Jegliche amtliche Zuordnung meiner Person mutet unzulänglich an, deckt quasi nur einen Bruchteil des Gesamtkunstwerkes ab.

Ich habe mir überlegt, dass ich in Zukunft auf amtlichen Formularen den Beruf »Clown« eintragen werde. Denn wenn ich angebe, »Unterhaltungskünstlerin« zu sein, scheide ich in Deutschland automatisch als Schauspielerin aus. Da würde ich dann vom Jobcenter wahrscheinlich an eine Stelle vermittelt werden, wo ich im Club als Faktotum an der Stange tanzen darf.

Gebe ich jedoch »Schauspielerin« an, muss ich mir anhören: »Ach, machen Sie gar keine Shows mehr?« Gastiere ich mit einer Lesung, heißt es hingegen: »Sie spielen wohl gar nicht mehr Theater, jetzt wo Sie Autorin sind?«

Wenn es einen Aspekt gibt, den ich bei meiner Zukunftsplanung immer übersehen habe, dann ist es wohl der Aspekt der Sicherheit. Dazu kann ich nur sagen: Solange ein Schiff im Hafen liegt, ist es sicher. Dafür wurde es aber nicht gebaut. Die offenen Wellen des Lebens haben mich stets mehr gelockt als ein fester Anker und ein sicherer Liegeplatz.

Okay, der Wind hat mir oft stärker um die Ohren geblasen als ich geplant hatte, die peitschende Gischt hat mir definitiv in unpassenden Momenten die Frisur zerstört, aber die Reise hat mich auf unentdeckte Inseln des Lebens geführt.

Und Leute, was sich da in den letzten 30 Jahren im Showbusiness getan hat, das ist ein Science-Fiction-Film!

Jedes Mal, wenn ich den Fernseher einschalte, sehe ich degenerierte Opfer unserer Gesellschaft, die sich bis zur Unkenntlichkeit zu einem Alien haben umoperieren lassen und mit ihrer Selbstverstümmelung makabren Unterhaltungswert bieten. Unsere Gesellschaft schaut ja nur noch hin, wenn Abnormitäten präsentiert werden. Man hat sich öffentlich-rechtlich ganz klar gegen die Kunst entschieden und zu Bildung definitiv NEIN gesagt. Dazu fällt mir nur ein: Pfui Deibel! So klingt nämlich ein krasses NEIN!

Immerhin sind meine Kommentare zu den Knalltüten unserer Zeit hochdotiert! Fragen Sie Frau Nick nach ihrer Meinung zu Posern, Blendern, Nervenschändern, und das Unterhaltungsprogramm ist gerettet.

Nur ob ich auch begrapscht und sexuell belästigt wurde, selbstredend Mitte der 1980er, das hat noch keiner zu fragen gewagt! Wahrscheinlich wohlahnend, dass die Signale, die ich sende, dazu von Hause aus nicht unbedingt einladen. Und so viel gleich vorweg: #MeToo? NEIN! Eins in die Fresse würde es geben, wenn mir der Herr Direktor im Bademantel die Hotelzimmertür öffnet. Nun ja, ich – dankenswerter Weise mit mehr als zwei Gehirnzellen gesegnet – würde ja gar nicht erst hochgehen. Natürlich gab es Offerten! Meine Antwort? »Nee, lass mal stecken … ick mache keene Geschäfte in Schlafzimmern!«

Vertragsangebote? Projektbesprechungen? Immer nur, wenn zwischen mir und dem Produzenten ein Schreibtisch steht! Und ich garantiere: Sex auf dem Konferenztisch ist das Unbequemste, was es für eine Frau nur geben kann. Einmal und nie wieder! In meinem Metier bedeutet eine Vergewaltigung ja auch eher, mir gegen meinen Willen die Haare abzuschneiden. Oder mich festzuhalten und zu schminken.

Offerten von heterosexuellen Producern, Intendanten, Regisseuren, Filmbossen hingegen: Es bleibt beim klaren NEIN!

Muss ja herrlich sein für manche Kolleginnen, wenn man zufälligerweise von einem Typen, auf den man eh steht und mit dem man großartigen Sex hat, noch Verträge und Drehbücher rübergereicht bekäme. Ist mir leeeider noch nie passiert. Ich kenne aber allerhand Kolleginnen, die fleißig ihren Dienst am Mann geleistet, aber trotzdem keine Rollen bekommen haben. Die haben alles gegeben und sind dennoch leer ausgegangen. Darüber spricht auch keiner.

Ich wurde nie begrapscht oder anderweitig sexuell belästigt. Aber ich habe auch Antennen entwickelt, die bis in die Unterhosen meiner Gegner reichen, und ich mache keinen Hehl aus meiner Meinung. Obwohl dies Standard sein sollte, gilt es als ungewöhnlich. Mit Ehrlichkeit fällt man bereits aus dem Rahmen. Die Menschen reagieren sogar erschrocken und sind perplex, wenn man einfach nur die Wahrheit sagt. Oftmals bekommen sie sogar Angst. Die Männer, die mir wirklich beigestanden haben, waren stets Typen, denen aus dem Arsch zwei Regenbogenfahnen wuchsen.

Noch etwas: Es interessiert mich herzlich wenig, was über mich in der Zeitung steht, solange es nicht die Wahrheit ist! Die Presse ist kein Beichtstuhl. Und auch nicht meine Kathedrale! Sie ist ein Organ, aber keine beste Freundin. Schlittenfahren mit den Medien kann Spaß machen, aber man muss sich warm anziehen und damit rechnen, dass man sich unter Umständen ein paar blaue Flecke holt.

Fassen wir zusammen: Bei alldem, was mir als Marke und Titel so übergestülpt wurde – sei es Kodderschnauze, Dreckschleuder, spitzeste Zunge der Nation, Diva, Königin der Schlagfertigkeit, Kaiserin des Boulevards, die Fürstin des Klatsch und Tratsch, the Soul of Berlin … –, die Opferrolle will einfach nicht zu mir passen. Man nimmt sie mir nicht ab. Zurecht!

Vielleicht hat das schöne Theologiestudium ja doch ein paar Spuren hinterlassen, um – gewappnet mit einer Lehrbefugnis bis zur Oberstufe – auch Trashformate unbeschädigt durchzustehen. Wer in der Seelsorge der Jugendstrafanstalt Plötzensee beliebte Praktikantin war und mit Minderjährigen, die mit der Axt ihre Oma erschlagen haben, das Sonntagsfrühstück moderiert hat, der kippt eben nicht so leicht aus den Latschen. Weder bei Big Brother noch im Dschungel. Mit der richtigen Kleidung und dem richtigen Humor lässt sich jedes Elend durchstehen. Wobei das, was uns als schicke Mode angedreht wird, zumeist hässlicher ist als ein nackter Körper es je sein könnte. Denn unsere Haut, dieses Geschenk Gottes, ist das schönste Kostüm, das man tragen kann.

So könnte ob der Bandbreite meines medialen Einsatzes durchaus der Eindruck entstehen, ich sei Vorsitzende des Bezirksleiterinnentreffens von Tupperware! Einfach überall zur Stelle und gern gesehener Gast, wenn brisante Themen, unvereinbare Ideologien und Streitgespräche auf der Tagesordnung stehen.

Jedenfalls bin ich beliebt als eine, die im Expertenteam und als Notnagel überall bella figura macht. Man kann mich als Gast sowohl neben die Königin von England als auch neben eine Prostituierte setzen, und beide werden am Ende sagen, was ich doch für eine umgängliche und nette Person sei. Obwohl ich doch eigentlich all das gar nicht bin, sondern lediglich eine Berliner Entertainerin – alleinerziehend, wohlgemerkt.

Und immer wieder enden die Interviews mit der Frage: »Frau Nick, könnten Sie sich vorstellen in die Politik zu gehen? Erklären Sie uns die AfD! Wieso, weshalb, warum? Was würden Sie besser machen? Warum tun Sie es dann nicht? Dürfen wir Sie in den Vorsitz des Bundesverbandes Alleinerziehender bitten? Ehrenamtlich, natürlich!«

Also mit dem, was heute so in der Politik auf die Überholspur kommt, möchte ich jedenfalls nichts zu tun haben.

Da wäre mein Alter Ego doch lieber eine ausgefuchste Scheidungsanwältin im Nadelstreifenanzug, die den Kerlen vor Gericht zeigt was ’ne Harke ist. In der Tat hätte mich dieser Beruf gereizt, weil man damit Weichen fürs Leben stellen und Zukunft für enttäuschte Menschen gestalten kann.

Aber ich wäre auch gerne die CEO-Lady von Lufthansa geworden. Oder Menschenrechtlerin bei der UNO. Eigentümerin eines Kosmetikunternehmens wie, sagen wir, Estée Lauder. Diplomatin in unbeliebten Krisengebieten. So diese globale Nummer halt. Und wissen Sie, was das Beste ist: Jede einzelne dieser Rollen hätte man mir abgenommen!

Niemand hätte daran gezweifelt, dass ich die Position, das hohe Amt auch ausfüllen könnte. Im Gegenteil: mich als Päpstin? Man hätte es geliebt. Désirée Nick auf dem Heiligen Stuhl? »Dolle Sache«, wäre man sich einig!

Magazine hätten berichtet, was ich bei den entscheidenden Sitzungen des europäischen Parlamentes für Schuhwerk trage. Cocktailkleider, in denen ich öffentlich Alexander Gauland eine schallende Ohrfeige gebe, wären am nächsten Tag ausverkauft. Handtaschen, mit denen ich nach Alice Weidel schlage, wären der Topseller bei Amazon! Ja, all das hätte sein können. Mit ein bisschen mehr Hochschlafen und weniger Qualitätsbewusstsein hätte es vielleicht auch geklappt. Aber ich bin eben im entscheidenden Moment doch immer von der Muse geküsst und liebe die Lachsalven meines Publikums zu sehr, sodass die Bühne und das Theater mir zur Heimat wurden.

Und da bleibst Du eben auf ewig in der öffentlichen Wahrnehmung die arme Gauklerin! Und das verwirrt dann halt auch das Fußvolk. Dass man am Ende halt doch mehr ist, als einfach nur eine vulgäre Dreckschleuder. Oder die Halbschwester von irgendeiner Trash-Knalltüte, die sagt: »Ich bin die Dschenny, und das ist alles, was ich bin!«

Oooh, wie gerne wäre ich nach Macht und Einfluss gierend weltweit unterwegs, angefixt vom globalen Kapitalismus und seinen Auswüchsen. Die Steuergelder verschleudernd, die Firmenpleiten abschreibend. Immer neue Inseln erwerbend. Die Schiffe versenkend! Den Konzern für die Zukunft fit machend. Im letzten Moment meinen Privatflieger erheischend. Meine Partner in Panama bezirzend. Auf dem Rückweg noch schnell ein Date in Monaco einschiebend. Wenn nicht mehr. Und alles immer im richtigen Outfit! Es wäre die beste Show ever, ever!

Doch stattdessen bin ich ausgestattet mit dem Label, dass man bei meiner umfassenden Art der Unterhaltungskunst das Denken eben nicht gänzlich einstellen kann. Was manche schade finden mögen … Es ist ja auch so bequem! Aber für muckelige Hausschuhe und ausgebeulte Jogginganzüge, für Plunder, der beim Homeshopping an die gutgläubige Bevölkerung verschachert wird, stehe ich ja auch nicht unbedingt. Auch dazu gibt es von mir ein klares NEIN! All das bin ich nicht. Die Harald-Glööckler-Nummer, der als Faktotum des schlechten Geschmacks Kasse macht, funktioniert bei mir eher nicht. Kann ja auch nicht, bei einer alten Ballerina!

Ich stelle fest: All das, was ich auch hätte sein können, ist Teil meiner Persönlichkeit und verschafft sich sein Ventil woanders. Und das, was wir in uns tragen, muss entfaltet werden, um die beste Version unserer selbst zu werden. Man nennt es auch Entwicklung, Profil oder Charakter. Niemand ist eindimensional, unter der Oberfläche mag ganz etwas Anderes schlummern als das, was die Kostümierung vermuten lässt.

Letztlich werden wir alle nackt geboren: Der Rest ist immer Travestie.

Mit diesem Bewusstsein habe ich 35 Jahre Showbiz überlebt. Und wurde dabei weder magersüchtig, drogensüchtig, pleite, insolvent und schon gar nicht sexuell belästigt. Das passt ja auch nicht zur Erfinderin des Damenwitzes – was ich amtlich bin. Das leibhaftige Superweib, eben nicht als ausgedachte Fantasiefigur der Literatur, nein, ganz real in Brandenburg, mit den hohen Hacken durch den Schotter gurkend. Das Altglas selbst zum Container schleppend. Den Trampelpfad verzweifelt gegen die Macht des herbstlichen Laubes harkend. Denn dort wo ich lebe, gibt es knapp 30 Jahre nach der Wende noch nicht mal Bürgersteige! Wie habe ich das alles nur überleben können, so ganz ohne Schulden, Alkohol und chirurgische Eingriffe? Mit dieser medial so völlig ungeeigneten Nase? Nun, sehr einfach: Ich habe nicht zu allem JA gesagt! Ich fand frühzeitig den Mut zum NEIN! Und dieses bescheidene NEE kann zur Zauberformel werden, denn es ist das Ruder, mit dem wir das Schiff unseres Lebens steuern.

Ich glaube, in euch allen steckt ein viel besserer Navigator, als ihr glaubt!

Wichtig ist dabei nur, dass man unablässig den Weg zum JA aus Überzeugung sucht. Wer neue Horizonte erreichen will, muss die Segel auch bei Sturm zu setzen wissen. Wenn’s ernst wird, wird das Leben erst so richtig interessant. Alles andere ist doch Pille-Palle!

Nein ist das neue Ja

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