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NEIN zu halbherzigen
Verpflichtungen
oder
Die Kunst des negativen Denkens

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Im Gegensatz zu einer Computerfestplatte, die irgendwann ihr maximales Volumen erreicht hat, stürzt unser Hirn nie ab. Doch was auf den ersten Blick ganz gut klingt, zeigt schnell seine Schattenseite: Der Überschuss an unnützen Informationen vergiftet stattdessen nämlich Geist und Seele.

Zum täglichen Ballast gehören Starbucks-Gutscheine ebenso wie Zalando-Schlussverkäufe, Amazon-Lotterien und Online-Promotionen, die uns mit billigen Handtaschen, Schuhen, in denen keiner laufen kann, und Nuttenfummeln aus China zumüllen – und dabei immer das drängende Gefühl vermitteln, die Chance des Lebens auf ein besseres Dasein wäre zum Greifen nah. Wer heute nicht NEIN sagen kann, wird vom System und von dem ganzen Polyester verschluckt. Völlig neue Organisationssysteme sind nötig, um einerseits effizient die Werkzeuge, die uns angeboten werden, zu nutzen, andererseits zu selektieren, wie wir Zeit, Energie und Geld darauf verwenden, überhaupt noch ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Das, was uns wirklich Freude bereitet, was wir wirklich dem Leben abgewinnen wollen, findet gar nicht mehr statt, weil die Verpflichtungen, die mit Portalen, der Pflege von Foren und Auftritten in der Cyberwelt einhergehen, beste Ablenkung verschaffen. Und am Ende ist das alles doch nur eines: Ablenkung von uns selbst. Und das Individuum bleibt auf der Strecke!

Und dann sollen wir gefälligst noch positiv denken? Forget it! Ich für meinen Teil habe das negative Denken für mich entdeckt. Und damit meine ich hier konkret: Erstmal skeptisch selektieren und diese neue Welt beschnuppern, um nicht von den medialen Monstern, die da draußen lauern, verschlungen zu werden.

Hier dienen wir der Marktforschung, dort dem Wettbewerb, da dem Bonusprogramm, und das alles nur, weil wir irgendwann mal irgendwo eine »Einverstanden«-Box angetickt haben. Oder online bezahlt haben. Wir dienen immer den anderen. Gehetzt, verheizt und verwaltet von Platinstatus und Membershipanforderungen, denen wir uns gefälligst zu unterwerfen haben. Deren Anbetung wurde uns so sehr eingeprügelt, dass der Manager am Wochenende bereitwillig mal eben um den Erdball fliegt, nur um seine Platin-Membershipcard der Lufthansa nicht zu verlieren und sinnloserweise nochmal schnell nach Neuseeland düst, obwohl es dort gar nichts zu erledigen gibt. Aber Hauptsache, ich bleibe die Nummer Eins in meinem Vielfliegerprogramm!

Hier hilft nur ein eindeutiges NEIN! All diese unsäglichen Dinge existieren ja nur, weil wir JA-Sager sind! In der digitalen Welt brauchen wir neue Strategien, um uns zu schützen. Und ich denke negativ!

Ich frage mich, ob ich nicht besser NEIN zu Dingen sagen sollte, die nicht zu meinen Werten passen, mir keine Freude bringen, anderen nichts nützen und in keinem guten Verhältnis zueinander stehen. Muss ich als Schulbrot für die Kinder Tomatenrosen schnitzen und aus dem Toastbrot ein Hasengesicht mit Eier-Augen, einem Schnurrbart aus Dill und einem Mund aus Karottenstreifen basteln? NEIN! Muss ich in der Laubenkolonie auch noch den Kassenwart machen? Ist das nicht eine schöne Tätigkeit für einen pensionierten Finanzbeamten? Muss ich aufgrund des Vorhandenseins von Holunderbüschen eine Sektkellerei betreiben? Muss ich meine Rehkeule an Weihnachten selbst schießen? Schön, wenn die Gelegenheit sich bietet, aber ich sortiere es vorerst als Zeitfresser aus. Auch eine Schürze oder ein Dirndl nähe ich mir nicht mehr selbst. Es gibt diese Dinge in Fülle zu kaufen. Ich stricke Socken aus Spaß an der Freud, aber ich häkele keinen Poncho für meinen Sohn.

Wenn man NEIN sagt, ist es wichtig, sich nicht zu entschuldigen. Es ist nicht unhöflich, wenn man Pläne ablehnt, und nur wegen eines NEINs gilt auch niemand als arrogant. Bevor man JA zu anderen sagt, muss man überprüfen, ob man damit nicht NEIN zu sich selbst sagt.

Wenn man erstmal rausgefunden hat was man nicht will oder braucht, ist man schon auf dem halben Wege zum JA zu den richtigen Dingen.

Das schöne Wort »Zielsetzung« bedeutet nämlich, dass man sich darüber klar geworden ist, worauf man getrost verzichten kann.

Ja, genau. Lesen Sie noch mal ganz langsam nach. Zur Not laut! Am besten, Sie legen sich einen kleinen Zettel mit genau diesen Zeilen in Ihr Portemonnaie.

Und wenn Sie die Antwort darauf, worauf Sie verzichten können, gefunden haben, dann ist der Moment gekommen, in dem das Instrument Ihres Sprechapparates laut und deutlich formuliert: »Ich erhebe meine Stimme zu einem entschiedenen NEIN! Ich widerspreche!« Das ist Ihr erster Schritt zu einem selbstbestimmten Leben.

Ob Sie nun also darüber unglücklich sind, dass Sie Schulden angehäuft oder 20 Kilo Übergewicht zugelegt haben, die Rückbank Ihres Autos im Laufe der Jahre zur mobilen Launderette geworden ist, Sie hauptberuflich zum Fuhrunternehmen Ihrer Kinderschar geworden sind, ob Sie jeden Morgen neben dem falschen Partner aufwachen, neben dem Job und Stress am Arbeitsplatz auch noch Yoga, Kochkurs, Fitnesstraining, Bastelarbeiten, Buchclub, Finanzen, Autowartung, Hundesitting und Ehrenämter stemmen sollen … egal was auch immer Sie traurig, ausgelaugt oder frustriert sein lässt: Umarmen Sie die Macht negativen Denkens und verwandeln Sie Ihre Gefühle in Aktionen.

All der aufgestaute Frust produziert so viel Energie, dass daraus unweigerlich etwas erwachsen muss. Bei manchen ist es schlechte Laune, bei anderen eine umfassende Depression. Ein Nierenleiden. Eine psychosomatische Krankheit, die Ihnen obendrein noch jede Menge Therapien und Sitzungen bei Ärzten beschert. Ein saurer Magen. Ein dicker Hals. Eine Laus auf der Leber. Oder es verschlägt Ihnen die Stimme. Woher kommen denn all die Zipperlein und Gebrechen mit den schleichenden Schmerzen, an die wir uns still und heimlich schon gewöhnt haben? Bevor nicht der Komplettausfall droht, werden die alltäglichen Beschwerden doch gar nicht hinterfragt.

Schalten Sie doch einfach mal auf Sparmodus, nehmen Sie sich eine Auszeit, besorgen Sie sich ein hübsches rosa Heftchen mit Einhörnern drauf und notieren Sie bei einer schönen Tasse Tequila – oder einem Martini – Folgendes:

»Könnte es sein, dass mein größtes Hindernis darin besteht, das ich Angst habe, was andere über mich denken?«

Und fragen Sie gleich weiter: »Was gehört in meinem Dasein auf die Mülldeponie? Wer nervt? Wer ist der Klotz am Bein?« Sind es die ausgeleierten alten Jogginganzüge, die von Wollmäusen absorbierten Pullunder mit den lila Rauten oder nervige Nachbarn, High-Maintenance-Freundschaften, Hypochonder im Umfeld, Egomanen in der Familie und Einladungen zu Events aus der Abteilung »Promis, deren Namen keiner kennt«? Kurz: Wer sind die Knalltüten, die Ihnen den letzten Nerv rauben?

Und wenn Sie über all diese Fragen einmal gründlich nachgedacht haben – ruhig noch mal den Tequila nachschenken – dann bleibt nur noch eine: Wann fangen Sie konkret an, NEIN zu sagen, ohne Schuldgefühle dabei zu haben?

Mit dem Reflex, zu allem »JA« und »Amen« zu sagen, wollen wir Konflikte vermeiden. Denn man hat uns antrainiert, immer hübsch gefällig zu sein. Okay, wir mögen mit unserem unterwürfigen JA Konflikte vermeiden, aber wir werden sie auf diese Weise nie lösen! Wir kehren sie nur unter den Teppich!

Wir tauschen mit dem halbherzigen JA nur ein Problem gegen das andere aus. Wie auf einem Basar. Und die Folgen sind, dass wir immer erneut gezwungen werden nachzugeben, endlose Kompromisse einzugehen, mit denen wir am Ende mehr Probleme und Ärger haben, als wir mit einem charmanten, aber bestimmten NEIN je gehabt hätten.

Sagen wir, Ihre Schwester fragt Sie, ob Sie am Wochenende nicht deren Wohnung neu streichen könnten. Und nebenbei für die Zeit des Umzuges vom Schwesterherz vielleicht auch deren Katzen beherbergen? Wenn Sie keine privaten Pläne gemacht haben, die gemeinsame Zeit mit Ihrer Schwester genießen und gerne an heißen Wochenenden in geschlossenen Räumen körperlich hart arbeiten: toll!

Wenn Sie aber bereits zum Fliegenfischen verabredet sind, Ihnen der Gestank von Malerfarbe Kopfweh bereitet und Ihnen Ihre Schwester sowieso seit langem auf die Nerven geht, sieht die Sache anders aus. Ihre Schwester wird Ihnen das Wochenende ruinieren, die Katzen drehen durch, weil sie desorientiert sind, und Sie können wieder nicht die eigene Bügelwäsche abarbeiten und endlich die Beine, die Bikinizone und den Damenbart enthaaren.

Eine sehr große Verführung besteht darin, aus Gefälligkeit heraus zuzustimmen, obwohl es bedeutet, dass man die eigenen Bedürfnisse hintanstellen muss. Entweder schuldet man noch einen Gefallen, fürchtet verzickte Reaktionen, fühlt sich machtlos oder lässt standardmäßig andere Menschen Vorteile aus der eigenen, nachgiebigen Natur herausschlagen, was man auch als Ausbeutung bezeichnen könnte.

Wenn Sie jetzt Ihre Energie investieren, indem Sie halbherzig »Okay« sagen, nur weil Sie nett sein wollen, dann werden Sie eine Unterstützung und Hilfe sein, die halbherzig daherkommt, schlechte Resultate liefert, nervöse Katzen abliefert, schlampige Arbeit hinterlässt und am Ende frühzeitig davondüst, weil Ihnen die ganze Sache auf die Nerven geht. Was bleibt ist Enttäuschung, wenn nicht gar Zank. Denn man notiere: Wenn Sie etwas versprechen, was Sie im Grunde nicht liefern wollen, stellen Sie sich selbst eine Falle, in die Sie früher oder später hineinstolpern.

Die Ironie an der Sache ist, dass Sie am Ende das Gegenteil produzieren: Ihr Einsatz für ein Projekt ohne Elan, Sachkenntnis und Überzeugung wird halbherzig, verantwortungslos und hinderlich erscheinen. Es bleiben zwei ruinierte Wochenenden, neue Debatten und ein übler Nachgeschmack.

Und das Schlimmste daran: Wenn Sie unwillkommene Einladungen oder Angebote akzeptieren, rauben diese Ihnen Zeit für die Menschen und Projekte, die Ihnen wirklich am Herzen liegen.

Die andere Seite dieser Münze mit zwei Seiten – nämlich JA und NEIN – ist die Energiequelle für das, was Ihnen wertvoll ist: Zeit für Ihre Kinder, Zeit zum Kuchenbacken, Zeit für die Fahrradtour durch die USA als Single, Gesangsstunden, Theaterabende, Zeit für ein romantisches Date mit einem neuen Kollegen oder Ihr Nachmittag bei der ehrenamtlichen Hotline für junge, attraktive Asylanten, die Ihre Amtsunterlagen nicht alleine ausfüllen können. Als Gegenpol zu der ganzen JA-Sagerei, die nur den Absichten Anderer dient, brauchen Sie klare Ziele und Dinge, zu denen Sie im eigenen Interesse beherzt JA sagen! Und umso klarer und präziser Ihre Vorstellungen von dem, wonach Sie wirklich streben, sind, desto leichter wird es Ihnen fallen, zu all den Dingen NEIN zu sagen, die Sie von Ihrem Weg abbringen.

Ihr Leben ist zu kurz, um Angelegenheiten zu unterstützen, für die Sie nicht wirklich brennen! All die Energie brauchen Sie, um Ihre persönlichen Herzensangelegenheiten, Überzeugungen und Ziele zu verwirklichen.

Anstatt vergeblich mit einem löchrigen Schmetterlingsnetz den bunten, wilden Traumfaltern hinterherzuhecheln, die in unseren Köpfen umherflattern, sollten wir die Kakerlaken, von denen wir umgeben sind, zertrampeln. So eine Aktion an der richtigen Stelle bringt nicht nur den Kreislauf ordentlich in Schwung, sondern sie verleiht uns tatsächlich Flügel!

Nein ist das neue Ja

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