Читать книгу "Nichts kannst du uns beweisen, das glaubt dir keiner!" - D.T.W. Rocken - Страница 7
Die ersten Kontakte
ОглавлениеNoch im September fuhren wir in unsere zukünftige Wohnstraße, dorthin, wo wir den Rest unseres Lebens verbringen wollten. Stephanie, Gordon und ich betraten das Grundstück und sahen uns darauf um, dabei ließen wir unsere Blicke auch über die benachbarten Grundstücke schweifen.
Unsere Augen fixierten dabei eine bestimmte Stelle. Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite stand ein Einfamilienhaus, eigentlich nichts Besonderes, doch auf dem Dach befand sich ein Kinderwagen, was bei uns für Verwunderung sorgte.
Der erste Gedanke lautete, dass dieser Nachbar allen anderen Nachbarn und jedem, der zufällig an seinem Haus vorbeilief, etwas mitteilen wollte: Schaut her, ich werde Vater!
Der zweite Gedanke beinhaltete, dass jener, der den Kinderwagen auf das Dach gestellt hatte, letztlich nur der Besitzer des Einfamilienhauses sein konnte. Vermutlich war dieser Mensch ein lustiger und cooler Typ oder er war etwas verrückt. Dass Letzteres der Realität entsprach, konnten wir zu dieser Zeit nicht wissen.
Relativ jung, wie wir waren, ich war 31, Stephanie 29 Jahre alt, erkannten wir noch nicht das Obskure, das von dem Kinderwagen auf dem Dach des Nachbarhauses ausging. Schnell wandten wir uns anderen Dingen zu und verschwendeten vorerst keinen Gedanken mehr an das eigenartige Nachbarhaus.
Die anderen umstehenden Häuser zeigten keine Auffälligkeiten, auch deren Bewohner waren nicht zu sehen. Wahrscheinlich standen sie hinter ihren Gardinen und beobachteten uns. Schließlich waren wir die neuen, die zukünftigen Nachbarn.
In den folgenden Wintermonaten waren wir gemeinsam mit dem Doppelhauspartner und seiner Familie damit beschäftigt, das asbestbelastete Haus und den Schuppen abzureißen.
Nur selten war währenddessen ein Nachbar auf der Straße zu sehen. Doch ein bestimmter Nachbar fiel immer wieder auf, und zwar jener mit dem Kinderwagen auf dem Dach, der von gegenüber. Er ging, scheinbar grundlos, immer wieder von seinem Grundstück auf die Straße zu seinem Pkw und blickte oder fasste kurz hinein. Anschließend beobachtete er uns mit wiederkehrenden neugierigen Blicken bei unserer Arbeit.
Weitere Nachbarn, die unmittelbar neben unserem Grundstück wohnten, ein Mann mit dickem Bauch und seine Frau, interessierten sich ebenfalls für unser Bauvorhaben. Zumeist mit ernster Miene verfolgten sie unsere Tätigkeiten von ihrem Garten aus. Zu unserer Überraschung gab es aber auch, zumindest ab und an, ein nettes Wort über den Gartenzaun. Ansonsten verliefen die Beobachtungen dieser Nachbarn noch ruhig.
Unsere allgemeine Reaktion auf alle Nachbarn, wenn wir sie zu Gesicht bekamen, war ein kurzer Gruß, ein Nicken oder eine Handbewegung, um Freundlichkeit zu demonstrieren.
Letzten Endes hatten wir mit uns, der Grundstücksberäumung und den Vorbereitungen zum Hausbau zu tun, sodass weitere Gedanken oder Beobachtungen in Sachen Nachbarschaft in den Hintergrund rückten.
Das Jahr hatte mittlerweile gewechselt, das neue Jahr 1995 sollte das Jahr der Jahre werden. Der Keller musste gebaut und das Haus aufgestellt werden sowie der Einzug der Familie samt dem erwarteten Baby vonstattengehen. Außerdem stand für mich die Diplomarbeit an, und die Firma musste weitergeführt werden. Eine Menge Arbeit kündigte sich also an.
Im März war das Grundstück endlich geräumt, alle Anstrengungen hatten sich gelohnt. Gemeinsam mit den Doppelhauspartnern und vielen Helfern hatten wir die Arbeit geschafft, alle waren froh und natürlich auch ein wenig stolz.
Neben den aufregenden Neuerungen auf der Baustelle gab es eine noch größere Aufregung: die Schwangerschaft von Stephanie, die leider nicht komplikationslos verlief. Stephanie musste sich schonen, viel liegen und durfte auf keinen Fall schwer heben oder schwere Dinge tragen. Wir hofften, dass Stephanies Schwangerschaft bis zum Geburtstermin Anfang Juni noch einen guten Verlauf nehmen würde.
Beim nächsten Besuch unseres Baugrundstückes im April fiel mir auf, dass der Kinderwagen vom Dach des seltsamen Nachbarn verschwunden war. Dieser Nachbar M., ein Herr mit Schnauzbart, mit lichten und zumeist ungekämmten Haaren, etwa 50 Jahre alt, zeigte sich aber immer wieder. Dabei warf er mir merkwürdig beobachtende Blicke zu, belud Tag für Tag sein Auto und entlud es dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder. Der Grund hierfür sollte mir später noch klar werden.
Im April 1995 wurde die Baugrube ausgehoben, womit sich prompt ein handfestes Problem einstellte. In der Baugrube stand plötzlich Schichtenwasser. Damit hatte niemand gerechnet. Der uns begleitende und gutdotierte Bauingenieur zuckte mit den Schultern und meinte, in dieser Gegend habe es noch nie Probleme mit Grund- oder Schichtenwasser gegeben.
Die Kellerbaufirma musste umdisponieren, das drückende Wasser erforderte eine sogenannte schwarze Wanne. Die Kosten für den Hausbau stiegen deutlich an. Nach Fertigstellung der Wanne im Mai wurde schließlich mit dem Kellerbau begonnen, denn üblicherweise wird der Keller in die schützende Wanne gebaut. Von Tag zu Tag wuchsen die Wände empor. Mit Freude beobachteten wir den Fortschritt am Bau.
Auch Stephanie Bauch wuchs immer schneller an. Trotzdem besuchten wir gemeinsam die Baustelle, denn Stephanie wollte das Geschehen ebenfalls miterleben.
Bei einem Besuch unserer Baustelle stand nur wenige Minuten nach unserem Eintreffen wieder der Nachbar von gegenüber auf der Straße. Herr M. tat so, als suche er etwas in seinem Pkw, der gegenüber unserem Grundstück auf der Straße abgestellt war. Wir grüßten ihn mit einem kurzen „Hallo“, blieben weiter vor unserem Rohbaukeller stehen und sprachen miteinander. Obwohl wir den Nachbarn nicht sahen, da wir ihm den Rücken zudrehten, fühlten wir uns beobachtet. Ein kurzer Blick nach hinten verriet, dass Herr M. tatsächlich noch immer dort stand und uns beobachtete. Offenbar wollte er nicht nur Blickkontakt aufnehmen, sondern erwartete mehr. Mit diesem Gefühl im Bauch gingen wir auf ihn zu und fragten ihn, ob alles in Ordnung sei. Er antwortete knurrig, dass alles stimmen würde. Dann drehte er den Spieß geschwind um und fragte, wie es uns mit dem Bauen erginge. Für uns war dies zu jener Zeit eine alltägliche Frage, die wir schnell beantworteten. Dabei machten wir auch deutlich, dass durch den Wassereinbruch in die Baugrube ein Mehraufwand entstanden war, der uns zeitlich und finanziell zurückwarf. Außerdem machten wir Andeutungen, dass wir aus Kostengründen auch Eigenleistungen in Form der Elektrifizierung und der Durchführung von Wärmedämmmaßnahmen im Keller erbringen mussten.
Der Nachbar M. knurrte wieder und sagte anschließend, dass er das mit dem Bauen alles ganz anders gemacht hätte. Er gab an, bereits Dutzende von Kellern gebaut zu haben und nicht nur über das entsprechende Wissen zu verfügen, sondern auch sehr kostengünstig einen Keller herstellen zu können. Diese Aussage erstaunte uns und wir fragten ihn, ob er eine Baufirma besäße, die solche Arbeiten erledigen könne. Der Nachbar verneinte und behauptete, er mache das alles neben seinem Hauptberuf. Wir fragten ihn daraufhin, was er eigentlich hauptberuflich täte. Zögernd erwiderte er, dass er Feuerwehrmann sei und im Übrigen seine Nebentätigkeiten preiswert ausführe.
Mit dieser Äußerung wurde uns klar, warum der Nachbar ein überaus teures Auto fuhr, das er gern voller Stolz direkt vor seinem Haus abstellte und das wöchentlich eine Handwäsche erhielt.
Klar wurde uns nun auch, worum es dem beobachtenden Nachbarn von gegenüber eigentlich ging: Er versuchte, mit seinen eigentümlichen Kontaktversuchen auf sich aufmerksam zu machen, um seine Dienstleistung anzubieten.
Im Gespräch machten wir Herrn M. noch deutlich, dass der Kellerbauvertrag seit langer Zeit unterschrieben sei und es für den arbeitssuchenden Nachbarn bei uns nichts zu tun gäbe.
Daraufhin setzte er einen grimmigen Blick auf, der verriet, dass das Gespräch aus seiner Sicht nicht wie gewünscht verlief, dann ging er rasch auf sein Grundstück und verschwand im Haus.
Meine Frau und ich sahen uns schulterzuckend an und waren der Meinung, dass sich zum einen ein unterschriebener Kellerbauvertrag in der Tat nicht ohne schwerwiegenden Grund aufkündigen ließe und zum anderen der merkwürdige Nachbar nicht erwarten könne, dass wir unsere Bauplanung wegen ihm änderten.
Offenbar sah dieser Nachbar das etwas anders, denn er beobachtete uns von nun an mit bösen Blicken aus der Ferne und winkte uns nur kurz zurück, wenn wir ihn von Weitem grüßten. Auch seine Frau, eine korpulente Dame mit sächsischem Dialekt und stechend grünen Augen, beäugte uns von nun an.
Der Keller wuchs in der Zwischenzeit bis zu seiner vollständigen Höhe und ich überprüfte eines Nachmittags die Arbeiten. Dabei fiel mir auf, dass die Mauerfugen sehr ungleichmäßig waren.
In diesem Moment fuhr wieder dieser rätselhafte Nachbar vor, hielt und beobachtete mich aus seinem Pkw heraus. Ich nutzte die Gelegenheit, ging auf ihn zu und grüßte ihn freundlich. Er grüßte kurz zurück. Ich fragte ihn, ob er die Freundlichkeit besäße, mich in den Kellerneubau zu begleiten, um nach dessen Qualität zu sehen.
Der Nachbar mit dem zuvor behaupteten perfekten handwerklichen Geschick zierte sich plötzlich und brabbelte zunächst einige Minuten vor sich hin, er könne dazu nun gar nichts sagen.
Schließlich gab er meinem Bitten nach und ging mit mir gemeinsam auf die Baustelle in unseren Keller. Ich forderte ihn immer wieder freundlich auf, mir doch zu zeigen, welche Fehler er mit seinem Sachverstand sofort feststellen könne. Nach anfänglicher Zurückhaltung wies er auf eine ganze Reihe unregelmäßiger Mauerfugen und falsch übereinandergeschichtete Kalksandsteine hin. Anschließend betonte der inzwischen zugängliche Herr M., dass auf den meisten Baustellen keine Fachleute mehr anzutreffen seien, sondern vielmehr ungelernte Kräfte, die keine fachmännische Arbeit erbringen könnten. Aus diesem Grund werde falsch gearbeitet und eine miserable Qualität bei den Maurerarbeiten geleistet. Ich stimmte ihn zu, denn seine Aussage schien realistisch. Dann bedankte ich mich für die Mitteilung seiner Sicht der Dinge. Der Nachbar nahm die Situation zum Anlass, noch einmal auf seine Fähigkeiten beim Hausbau hinzuweisen, indem er betonte, dass bereits alle Nachbarn seine Dienstleistungen in Anspruch genommen hätten, da er jeden Wunsch im Haus oder im Garten erfüllen könne. Ich machte Herrn M. gegenüber die Andeutung, dass er von uns künftig bedacht werde, und dankte ihm nochmals.
In der Tat waren die Aussagen des Nachbarn hilfreich, denn ein ernstes Gespräch mit der beauftragten Kellerbaufirma führte dazu, dass diese eine Wand einreißen und neu aufbauen musste. Die unterschiedlichen Breiten der Fugen kosteten die Kellerfirma zusätzliches Geld. Gespartes Geld, das wir irgendwie dem Nachbarn zu verdanken hatten.
Ende Mai 1995 ging Stephanies Schwangerschaft zu Ende, wir bekamen unser erstes gemeinsames Kind, eine Tochter mit dem Namen Maria. Sie war toll, seit mehreren Generationen hatte es in meiner Familie keine weiblichen Nachkommen mehr gegeben. Marias Geburt war wirklich großartig.
Meine studentische Ausbildung neigte sich ebenfalls dem Ende zu, die Diplomarbeit von mehreren Hundert Seiten lag in den letzten Zügen.
Im Juni 1995 war der Kellerbau nach vielem Hin und Her endlich fertiggestellt, das Haus konnte kommen. Ein Fertighaus des angeblich bekanntesten Hausherstellers aus Süddeutschland war für Juli 1995 angekündigt und wurde erwartet. Zuerst musste die hintere Doppelhaushälfte unseres Doppelhauspartners aufgestellt werden, einen Tag später waren wir dran. Stück für Stück wurde unsere Haushälfte von den Schwertransportern auf die massive Kellerdecke gestellt. Stephanie wollte unbedingt zumindest für einen Moment dem Schauspiel beiwohnen und bat mich, sie und unsere Kinder zur Baustelle zu fahren. Zu viert standen wir auf der Straße und beobachteten staunend und mit einer Kamera bewaffnet das Treiben der Bauleute sowie die stückweise Fertigstellung unseres neuen, eigenen Hauses. Vor unseren Augen entstand unser neues Zuhause, wir waren einfach nur glücklich.
Offensichtlich interessierten sich auch einige Nachbarn für die Vorgänge auf unserem Grundstück. Herr M. von gegenüber und seine Frau standen ab und zu an ihrer Balkontür oder liefen scheinbar uninteressiert in ihrem Garten herum, um möglichst viel von der Situation mitzubekommen.
Erst Jahre später erfuhren wir von Frau M., dass Familie M. verärgert darüber war, dass wir in wenigen Tagen ein Haus errichten ließen, wofür sie selbst etwa 30 Jahre in Selbstbauweise benötigt hatten. Es gab also den ersten Neid in der sonst ruhigen Wohnstraße.
Nach dem Aufstellen des Hauses waren die Innenarbeiten zu erledigen. Zuerst wurden die Elektro- und Sanitärarbeiten ausgeführt, dann die Wände gespachtelt und geschliffen. Zum Schluss wurde der Estrich eingebracht und außen die Fassade im Mehrschichtverfahren zusätzlich wärmegedämmt und verputzt.
Während der Arbeiten wurden nicht nur die Bauarbeiter, sondern auch wir, da wir uns jeden Tag auf der Baustelle aufhielten, vom gegenüberliegenden Nachbarn beobachtet und mit erwartungsvollen Blicken bedacht. Offensichtlich wartete er noch immer auf seine Chance, am Baugeschehen irgendwie teilzunehmen und an einen Verdienst zu gelangen.
Der Sommer 1995 war sehr heiß und ich beschäftigte mich nach Fertigstellung meiner Diplomarbeit mit dem Innenausbau des Hauses. „Fast fertig“ hieß die gekaufte Variante. Für mich bedeuteten die Eigenleistungen allein deshalb eine echte Herausforderung, weil die Familie noch jung war und die Kinder auch mal den Vater sehen wollten. Nach Abschluss meines Studiums stand zudem eine berufliche Neuorientierung an. Die gegründete Kleinfirma musste endlich den richtigen Kick bekommen, damit auch nennenswerte Einnahmen zu sehen wären. Alles sollte nicht nur angepackt werden, sondern es mussten auch sichtbare Erfolge her.
Nachdem die Innenarbeiten der Hausbaufirma weitgehend abgeschlossen waren, gehörten sämtliche Maler-, Tapezier- sowie Boden- und Fliesenarbeiten zu meinen Aufgaben. Klar war auch: Sind keine Fliesen an der Wand und auf dem Boden, dann gibt es auch keine Toilette. Und ohne Toilette gibt es früher oder später ein Problem.
Gott sei Dank hatte die Hausbaufirma ihr Toilettenhäuschen, auch nachdem die Einrüstung um das Doppelhaus herum abmontiert war, zunächst stehen gelassen. Doch eines schönen Tages war es weg. Ein großes Problem, das mir deutlich machte, dass sich die Arbeiten beim Innenausbau beschleunigen mussten.
Zum 1. Oktober 1995 war unsere Wohnung gekündigt und wir zogen in unserer ersehntes Eigenheim, allerdings ohne Küche, ohne Bad, ohne Toilette, ohne fertiges Wohnzimmer, ohne fertige Fliesenarbeiten, ohne Treppe außen am Haus, ohne Terrasse und ohne jegliche Gartenarbeiten.
Gott sei Dank befanden wir uns 1995 in einem Alter, in dem man mit den geschilderten Schwierigkeiten relativ entspannt umgeht. Wir lernten relativ rasch, mit den Widrigkeiten zu leben, und auch die Kinder – oder zumindest Gordon – wussten, dass sich der Zustand von Woche zu Woche bessern würde. In der darauffolgenden Zeit wurden die Fliesen im Wohnzimmer verlegt und verfugt, anschließend die Küche mit einem Helfer eingebaut und nach drei Wochen Einbauzeit in Betrieb genommen. Das Kochen auf zwei Herdplatten im Keller, wo sich zu dieser Zeit der einzige Wasseranschluss befand, hatte damit ein Ende. Stück für Stück wurde das Innere des Hauses von uns fertiggestellt, auch wenn dies noch weitere Wochen in Anspruch nahm.
Von Zeit zu Zeit liefen Stephanie und ich draußen umher, um das Grundstück zu betrachten und Überlegungen anzustellen, welche Maßnahmen im Außenbereich demnächst in Angriff genommen werden sollten. Es galt, den Garten nicht nur praktisch, sondern auch geschmackvoll zu gestalten.
Unser Nachbar Herr M. wollte noch immer an uns partizipieren. Immer dann, wenn Stephanie und ich im Garten standen und über das weitere Vorgehen berieten, stand er plötzlich auf der Straße oder an seinem Auto und starrte uns an. Währenddessen versuchte er, uns zu belauschen und dabei möglichst nicht aufzufallen. Dabei murmelte er vor sich hin oder grinste uns plötzlich freudig an, um offensichtlich auf diesem Weg einen Kontakt herzustellen. Immer öfter kam auch seine Frau auf die Straße gelaufen, die etwa 20 Jahre jünger als Herr M. ist, und gesellte sich zu ihm. Das Aussehen dieser Frau hatte schon etwas Auffälliges. Ihr Gesicht schien aufgedunsen, ihre Haare strohig und teilweise blond gefärbt, ihr dicker Bauch ragte unter ihrem ohnehin üppigen Busen hervor. Ihr Blick ging des Öfteren in unsere Richtung und verfolgte uns nach einem knappen „Hallo“ fortwährend.
Nachdem der Innenausbau des Hauses fast abgeschlossen war und die ersten Ideen zum Außenbereich zwischen Stephanie und mir abgesprochen waren, ging es in der Tat auch in den Garten. Dort musste noch vor dem Winter Humusboden angeliefert, der Garten planiert und anschließend Rasen gesät werden.
Als ob Herr M. von gegenüber meine Gedanken lesen konnte, stand er eines Tages plötzlich in meiner Nähe und sprach mich an, ob denn alles so liefe wie gewünscht. Ich bejahte vorsichtig seine Frage. Er kam näher und fragte nun direkt, ob der Sockel am Haus – bis dato unverputzt – so bleiben solle. Der Sockel, hm, darüber habe ich noch nicht nachgedacht, antwortete ich ihm. Sogleich entgegnete er, er habe da eine Adresse, unter der Kunstharzputz in verschiedenen Farben angeboten werde. Dieser Putz eigne sich besonders gut, da er sehr widerstandsfähig sei. Im Übrigen, so fügte der vermeintlich nette Nachbar hinzu, kenne er sich mit der Verarbeitung dieser Putzsorte gut aus und könne, sollte er den Auftrag erhalten, einen fairen Preis garantieren.
Herr M. hatte sich offenbar mit seiner Frau über längere Zeit Gedanken gemacht, welche Arbeiten er uns anbieten konnte, um irgendwie doch noch an unserem Baugeschehen zu verdienen. Doch mir kam das Angebot nicht ungelegen, denn schließlich gab es im Haus noch genug zu tun, und vom Verputzen hatte ich wirklich keine Ahnung. Wenig später sprach ich den etwas eigenartig wirkenden Nachbarn an und willigte in seine Offerte ein. Offensichtlich hatte er mit meiner Einwilligung gerechnet, denn er schien nicht überrascht oder begeistert, sondern bat mich in sein Haus, um über die Bezahlung zu sprechen.
Sein freistehendes Einfamilienhaus war von der Wohnfläche etwas größer als das unsere, umfasste aber nur zwei Zimmer. Es barg ein Schlafzimmer über zwei Etagen und ein großes Wohnzimmer mit offener Küche. Das Wohnzimmer war an einigen Wänden mit übereinandergestapelten Steinen geschmückt, dazwischen befanden sich verborgene Lampen, die ein indirektes Licht ausstrahlten. Dazu fiel ein zwar einfach gemauerter, aber großer Kamin auf, der die Atmosphäre des Wohnzimmers aufwertete. Das Zimmer der Tochter befand sich im Keller.
Erst später wurde mir bewusst, dass die Einladung in das Haus unseres Nachbarn ein Stück seines Planes war. Zu dieser Zeit wusste ich auch nicht, dass er und seine Frau sich in unserer Abwesenheit bereits unerlaubt Zutritt zu unserem Grundstück und unserem im Bau befindlichen Haus verschafft hatten, um auszuspähen, wie wir in Zukunft leben würden. Auch vor diesem Hintergrund lud er mich zum Gespräch in sein Haus ein, unter dem Vorwand, mit mir über die Bezahlung reden zu wollen. Tatsächlich aber wollte er sein größeres Haus und seine Einrichtung zeigen, um mich zu beeindrucken und deutlich zu machen: Schau her, egal was du da tust, mein Haus ist größer und schöner als deines!
Letztlich erteilte ich dem penetranten Nachbarn den Auftrag, der recht schnell, des Geldes wegen, mit seiner qualifizierten Tätigkeit im Sockelbereich unseres Hauses begann. Nach nur zwei Tagen waren die Arbeiten erledigt, der fleißig arbeitende Nachbar erhielt sofort sein verdientes Geld, dankte und verabschiedete sich.
Wir dachten nunmehr, dass uns mit den Putzarbeiten des Nachbarn nicht nur eine Arbeit abgenommen worden sei, sondern auch das Beäugen und Bedrängen vonseiten der Familie M. ein Ende finden werde. Weit gefehlt. Immer wieder beobachteten der Nachbar und seine Frau mit stechenden Blicken, welche Arbeiten und Veränderungen auf unserem Grundstück vonstattengingen. Seinerzeit deuteten wir die stetigen Beobachtungen dieser Nachbarn als überzogene Neugier, wobei die Beobachtungsart immer wieder wechselte. Sie standen mal auf der Straße, mal auf dem Gehweg oder blickten von ihrem Vorgarten aus oder hinter den Fenstern stehend herüber. Mit starren Blicken oder sogar mit ironisch wirkenden Lächel- oder Lachreaktionen beobachten sie uns in zunehmendem Maße. Wir ahnten nicht, dass dies einen bestimmten Hintergrund hatte und der Auftakt zu einem bösen Spiel war.
Im Laufe der Monate stellten wir uns mental darauf ein, dass, sobald ein Mitglied unserer Familie das Grundstück oder das Haus betrat, der Nachbar und seine Frau uns sofort auszuspähen begannen. Unsere Verwunderung hierüber blieb dennoch, denn das seltsame Verhalten dieser Nachbarn war für uns unerklärlich.
Auch der neben uns wohnende dicke Mann und seine Frau, die ständig alkoholisiert wirkte, machten sich nun mehr und mehr bemerkbar. Dieser Nachbar, der mit Herrn M. gut befreundet war, tuschelte mit diesem nicht selten, und beide warfen immer wieder ironische Blicke zu mir oder meiner Familie herüber. Der dumpfe Eindruck blieb, dass die beiden Nachbarn uns ins Visier nahmen. Aber warum?
Eines Tages rief mich Stephanie ans Fenster und deutete mit ihrer Hand nach draußen. Herr und Frau M. schritten langsam auf der Straße bzw. dem Gehweg entlang und musterten minutenlang die Gärten jedes einzelnen Nachbarn. Eigentlich nicht ungewöhnlich, denn auch einige andere Spaziergänger blieben bisweilen stehen und sahen sich einen Augenblick lang den einen oder anderen Garten von der Straße aus an. Die Nachbarn M. hingegen blieben minutenlang stehen, zeigten immer wieder mit ihren Fingern in die Gärten, lamentierten dabei laut und lachten über die Gartengestaltung beinahe jedes Nachbarn.
Stephanie und ich waren überrascht. Langsam begriffen wir, dass die Nachbarn M. ein besonderes Kaliber waren, zumindest konnten wir hier erstmals ein deutlich unnormales Verhalten erkennen.
Das Jahr 1995 endete und das nächste brach an. Die kleine Maria wuchs schnell heran und konnte bald die ersten wackligen Schritte unternehmen. Während der warmen Monate des Jahres 1996 begegneten sich Stephanie und Frau M. mehrmals mit den Kinderwagen auf der Straße. Aus reiner Freundlichkeit und wegen ihrer gleichaltrigen Kinder kamen beide ins Gespräch. Die Frauen unterhielten sich und zeigten gegenseitiges Interesse an den Kindern. Erstaunlich rasch schlug Frau M. vor, dass die Kinder zusammen-spielen könnten. Im Grunde war dagegen nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, es war geradezu ideal, dass Maria nun eine Spielgefährtin gefunden hatte und dies auch noch in unmittelbarer Nachbarschaft. Wie praktisch.
Allerdings war Stephanie von Beginn an zurückhaltend, sie wollte diese merkwürdigen Nachbarn nicht zu dicht an sich heranlassen. Noch immer waren unsere Erfahrungen dahin gehend, wie sich beide Nachbarn seit unserem Einzug verhalten hatten, zu präsent, als dass ein vorbehaltloser Umgang möglich gewesen wäre. Außerdem ist allgemein bekannt, dass ein zu enger Kontakt mit Nachbarn auch Probleme nach sich ziehen kann.
Frau M. zeigte sich von nun an aufgeschlossen, wirkte freundlich und stellte, wann immer möglich, einen visuellen Kontakt mit einem freundlichen Winken sowie einem Lächeln oder einen verbalen Kontakt mit einem kurzen „Hallo“ zu uns her. Offenbar war ihr sehr daran gelegen, dass nicht nur ihre Tochter Penny in unserer Tochter eine Spielkameradin sehen konnte, sondern dass auch für sie eine Chance bestand, ihre relativ triste Hausfrauenrolle etwas lebendiger zu gestalten. Frau M. blieb stets allein, da ihr Mann zumeist seinem Hauptberuf nachging und zwischen den Diensten irgendwo seine Tätigkeit als Handwerker ausübte.
Mit Freundlichkeit erschlich sich Frau M. in den nachfolgenden Wochen und Monaten unser Vertrauen. Maria wurde immer öfter zu den Nachbarn eingeladen. Pennys Mutter konstruierte ein drei- bis fünfmaliges wöchentliches Zusammentreffen der beiden Nachbarskinder, das in dieser Zeit obligatorisch wurde. Dabei achtete Frau M. peinlich genau darauf, dass ihre Tochter Penny ebenso häufig unser Haus betreten durfte wie umgekehrt.
Sobald wir die Straße oder unser Grundstück betraten, kam Frau M. ebenfalls in ihren Garten oder lief direkt auf die Straße, um neben dem Blickkontakt auch augenblicklich einen verbalen Kontakt zu uns herzustellen. Dabei wurden ihrerseits zielsicher neue Begegnungen zwischen den Kindern terminiert. In einer dieser Unterredungen, die zumeist auf der Straße stattfanden, lud uns Frau M. mit gespielter Schamhaftigkeit zu sich ein, um uns einen Kaffee anzubieten. Eigentlich eine nette Geste.
Nach und nach beschlich uns jedoch das Gefühl, dass Frau M. und mit Sicherheit auch ihr Mann mehr vorhatten. Nach unseren Feststellungen der letzten Monate bekamen die Nachbarn M. selten Besuch, eine feste Freundschaft mit anderen Personen bestand offenbar kaum.
Nachdem Frau M. ihre Einladungen uns gegenüber in den darauffolgenden Tagen mehrfach wiederholte und die beiden Mädchen gern zusammenspielten, gaben wir dem unerklärlichen Drängen der Nachbarin nach. Stephanie und ich folgten ihrer Einladung. Wir wollten nicht ablehnend wirken, fühlten aber ein gewisses Unbehagen. Herr M. war zum Besuchstermin nicht zu Hause, sicherlich ging er – getrieben vom Geld – seinen handwerklichen Tätigkeiten nach.
Das war Stephanie sehr recht, denn Herr M. wirkte ohne Ausnahme auffällig, mit der Tendenz zur eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit, begründet durch sein permanentes Beobachten jeder unserer Bewegungen.
Frau M. bemühte sich, den Eindruck eines überdurchschnittlichen Lebensstandards zu vermitteln. Neben dem hübsch dekorierten Kaffeetisch im Freien mit einem üppigen Angebot an Kuchen und Keksen sorgte sie sich um einen ebenso nett hergerichteten Kindertisch. Die Kinder nahmen daran Platz, direkt neben dem aufgeblasenen Badebecken, in dem die beiden bereits geplanscht hatten.
Dass das Ambiente und die angenehme Atmosphäre letztendlich ein ausgeklügelter Schachzug und einer Mischung aus Prahlerei und Annäherungsversuch geschuldet war, konnten wir zu dieser Zeit nicht wissen. Ich zog mich später aufgrund eines Termins zurück, Stephanie blieb, um die Nachbarin nicht zu enttäuschen.
Frau M. bemühte sich mehr als eine Stunde lang, die nette Nachbarin zu spielen, und versuchte, so normal wie möglich zu wirken. Sie erging sich dabei geschickt in der Aufklärung über ihre Persönlichkeit und die ihres Mannes. Nur Positives über sich und Herrn M. quoll aus ihrem Mund und hinterließ bei Stephanie den Eindruck, dass sich Frau M. und ihr Mann jedem anderen Menschen geistig und finanziell überlegen fühlten. Dabei ging sie uns gegenüber sehr sachte vor, wohl in Erwartung eines materiellen Vorteils, denn seinerzeit glaubten die Nachbarn M. noch, sie würden mit weiteren Arbeiten an unserem Haus bedacht.
Als Stephanie und Maria vom ersten gemeinsamen Besuch bei Frau M. in unser Haus zurückkehrten, schien Stephanie etwas verwirrt. Sie äußerte mir gegenüber, dass sie nicht genau wisse, wie das Verhalten der Frau M. zu deuten sei. Schließlich sei sie zwar generell freundlich gewesen, aber andererseits auch irgendwie merkwürdig. Frau M. wirkte sozial ausgegrenzt, da sie unter anderem keiner Beschäftigung nachging und kaum Besucher empfing, aber gleichzeitig trat sie in ihrer Wortwahl und Körpersprache sehr bestimmend auf.
Von allem ahnte unsere Tochter Maria nichts und ging auf das Werben der Frau M. ein, die zielgerichtet beinahe jeden Tag plante, wann, wie und vor allem wo die Kinder miteinander spielen sollten. Mit Akribie lenkte Frau M. die Kinder an einem Tag auf ihr Grundstück und am nächsten Tag auf das unsrige.
Das Zusammensein der Kinder am Nachmittag, in der Regel nach dem Kindergarten, wurde vonseiten der Nachbarin hoffnungsvoll erwartet. Nicht selten standen sie und ihre Tochter Penny bereits an ihrem Gartentor, wenn Stephanie oder ich unsere Kleine aus der Kindertagesstätte abgeholt hatten und nach Hause brachten. Sofort schrillte ein lautes „Hallo“ über die sonst ruhige Straße, gefolgt von einer Einladung. Maria solle doch sofort mit Penny spielen und im Übrigen sei der eine oder andere Elternteil auch herzlich eingeladen, so verkündete Frau M. täglich ihr Ansinnen. In Anbetracht der Tatsache, dass Stephanie und ich berufstätig waren und weitere Aufgaben im Haus auf uns warteten, waren die zunehmenden Einladungen zeitlich schwer zu absolvieren. Frau M. hingegen langweilte sich offensichtlich tagein, tagaus und schien unsere Nachmittage ausrichten zu wollen.
Zumeist war Herr M. nicht anwesend. Dieser Umstand versetzte meine Frau oder auch mich in die Lage, der einen oder anderen Einladung von Frau M. auch nachzukommen, dem Nachbarschaftsfrieden und unserer Tochter zuliebe. Maria war zu klein, um sie allein bei der Nachbarin zu lassen, deshalb mussten Stephanie oder ich sie dorthin begleiten. Langsam beschlich uns der Gedanke, etwas für uns ändern zu müssen. Eine eigene Planung des nachbarschaftlichen Umgangs war vonnöten und anzukündigen, denn die Vereinnahmung unserer Freizeit durch die Nachbarin erstreckte sich nun beinahe auf jeden Tag, auch auf die des Wochenendes.
Es gab nur an jenen Tagen ein Aufatmen für uns, wenn Herr M. nicht seinen Arbeiten nachging und zu Hause blieb. An diesen Tagen wurde die kleine Penny bevorzugt zu uns abgeschoben, damit die Eltern für sich allein bleiben konnten.
Trotz des zunehmenden Mangels an einem selbstbestimmten Leben, zumindest an den Nachmittagen, wenn Maria und Stephanie oder ich zu Hause weilten, versuchten wir, unser Verhalten gegenüber den Nachbarn nicht wesentlich zu verändern, was sich später noch als Fehler herausstellen sollte. Wir befürchteten bei einer Abwehr der Zudringlichkeiten eine negative Reaktion mit der Vorprogrammierung eines Nachbarschaftsproblems.
Ohne echte Entscheidungsmöglichkeiten ergaben wir uns schließlich der Situation, dass der Verlauf der Nachmittage vonseiten der Nachbarin gesteuert wurde. Dabei spielte auch der Umstand eine Rolle, dass sich Maria, bis auf einige Bemerkungen der Frau M., bei ihrer Freundin Penny stets wohl fühlte.