Читать книгу "Nichts kannst du uns beweisen, das glaubt dir keiner!" - D.T.W. Rocken - Страница 8

Subtile Begegnungen

Оглавление

Im Jahr 1996 nahm ich ein weiteres Studium zum Wirtschaftsingenieur auf, und Stephanie wünschte sich ein zweites Kind. Maria spielte noch immer begeistert mit Penny, im Außenbereich des Hauses kamen wir gut voran und meine kleine Firma begann zu laufen. Eigentlich konnten alle zufrieden sein.

Frau M. verplante weiterhin unsere Nachmittage, indem sie das Zusammentreffen der Kinder weiter in die Hand nahm und uns von Zeit zu Zeit zu sich einlud. Wir waren zu dieser Zeit bereits sicher, dass Frau M. unter Kontaktarmut litt und diese auszugleichen versuchte, indem sie unserer gesamten Familie förmlich auflauerte und beobachtete, wann wir nach Hause kamen. Dann wartete sie den erstbesten Zeitpunkt ab, sprach uns schnell auf der Straße an oder klingelte an der Tür, um die kleine Maria oder uns zu sich zu locken.

Dies gelang ihr auch ab und an, denn eine ablehnende Reaktion unsererseits hätte sich mit Sicherheit auf die Kinderfreundschaft zwischen Maria und Penny ausgewirkt. Gleichzeitig wollten wir zu dieser Zeit ehrlich versuchen, einen überschaubaren und niveauvollen nachbarschaftlichen Kontakt zu den Nachbarn M. herzustellen. Wir bemerkten aber auch, dass Herr M. zunehmend an den Einladungen teilnahm.

Arglos nahmen wir die Freundlichkeiten der Nachbarn M. hin, damals wussten wir noch nicht, dass sie anderes vorhatten und es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen.

Familie M. versuchte, uns persönlich und zeitlich einzunehmen, dabei nutzte sie die Zusammenkünfte, um Stephanie und mich moralisch und psychisch zu formen und dabei ihre weitgehende Isolierung gegenüber anderen Nachbarn zu erklären.

So wurden wir deshalb nicht zufällig nach und nach über alle anderen Nachbarn in der Straße aufgeklärt. Bis auf zwei waren nach Meinung der Familie M. alle anderen Nachbarn psychisch auffällig, arrogant, voller Neid und im Übrigen unfähig, ihr Leben richtig zu leben. Meine Frau Stephanie und ich waren verwundert, denn die von Familie M. angesprochenen Nachbarn machten auf uns einen netten und normalen Eindruck. Die Beschreibungen des Herrn M. hinsichtlich der Charaktere konnten wir nicht nachvollziehen und sie erzeugten bei uns ein gewisses Misstrauen und eine Ablehnung der Äußerungen.

Mit schwülstigen Worten begannen die Nachbarn M. nun auch, mehr und mehr von sich zu berichten, insbesondere Herr M. Er war mit etwa 1,74 Meter ein relativ kleiner Mann, deshalb litt er offenbar unter dem Napoleon-Komplex und musste sich mit jedem Satz hervortun und behaupten.

Mit einem galligen Gefühl verfolgten wir bei einem Treffen die angeordnete Fröhlichkeit der Nachbarn M., die mit dem geschickten Einsatz wiederkehrender Lachsalven ihre Thesen über andere Nachbarn festigen wollten und zugleich ihre eigene Persönlichkeit hervorzuheben versuchten. Bösartige Denunzierungen der Nachbarn wechselten sich mit immer heftig werdendem Selbstlob ab.

Die Nachbarn M. waren den geistigen Getränken nicht abgeneigt und dozierten bei deren Genuss völlig selbstsicher, dass sie allein, egal in welcher Lebenslage, stets die richtige Antwort wüssten. Stephanie und mich beschlich eine dunkle Vorahnung und gleichzeitig eine Ratlosigkeit, wer diese Nachbarn wohl in Wirklichkeit sein könnten.

Unter einem Vorwand beendeten wir das Zusammensein, riefen nach unserer Tochter Maria und verabschiedeten uns freundlich. Frau M. ließ uns jedoch nicht gehen, bevor wir ihr versprochen hatten, sie in den nächsten Tagen wieder zu besuchen.

Es waren nur wenige Schritte über die Straße zu unserem Haus, doch der Weg schien uns weit. Wir waren innerlich bestürzt und eine Zeit lang sprachlos. Die kleine Maria merkte von alldem nichts und äußerte unentwegt, wie schön es doch bei Penny sei und dass sie sehr bald wieder zu ihr in das Nachbarhaus wolle. Dies machte uns zusätzlich ratlos.

Am Abend versuchten Stephanie und ich, das Geschehene aufzuarbeiten. In einer gewissen Naivität versuchten wir, das Erlebte zu verdauen und schließlich als eine eher lustige Entgleisung der Nachbarn M. abzutun. Denn den Gedanken an eine soziale und psychische Fehlentwicklung der Nachbarn mit dem Ergebnis einer verhängnisvollen Verhaltensstörung unterdrückten wir zu dieser Zeit.

Ende 1996 ging es mit meiner Firma schon besser voran und ich entschloss mich, ein neues Auto zu kaufen, diesmal sollte es ein deutsches Fahrzeug sein. Allerdings waren die neuen Modelle zu teuer, und so entschieden wir uns für den Erwerb eines Gebrauchtwagens mit wenigen Kilometern und akzeptablem Alter.

Herr M. erwähnte zu dieser Zeit, dass er seinen Pkw verkaufen wolle, da er bereits ein weiteres deutsches Modell in seiner Tiefgarage stehen hatte. Mit funkelnden Augen und stolzgeschwellter Brust teilte er mir die Neuigkeit mit. Da ich keinen Neid kannte, fragte ich ihn, ob er nicht sein erstes Fahrzeug an mich verkaufen wolle. Er bejahte dies und nannte mir einen Verkaufspreis. An der Kofferraumklappe des Autos war ein Typenschild angebracht, welches das Modell und die Motorgröße verriet. Das Fahrzeug hatte demnach einen Vier-Liter-Motor und 286 PS. Am nächsten Tag rief ich die nächste Niederlassung des Autoherstellers an und wollte erfahren, zu welchen Preisen ein solches Auto in der Niederlassung gehandelt wird. Die erhaltene Information versetzte mich in Erstaunen. Vonseiten der Niederlassung gab man mir zu verstehen, dass in dem von mir genannten Baujahr noch keine 4-Liter-Maschinen in dieses Modell eingebaut worden waren. Der nette Mann am anderen Ende meinte sehr überzeugend, dass es sich bei diesem Modell nur um ein Fahrzeug mit Drei-Liter-Motor handeln könne, das auf 188 PS käme. Enttäuscht sprach ich noch am selben Tag den Nachbarn an, der in der Tat, aber sehr zögernd, zugab, dass er auf den Kofferraumdeckel seines Autos ein falsches Typenschild geklebt hatte. Das Auto besäße lediglich einen Drei-Liter-Motor mit 188 PS, aber ansonsten sei alles gut. Ich hingegen fühlte mich hintergangen und bekundete daraufhin mein Desinteresse an seinem Fahrzeug.

Zugleich wurde mir aber auch klar, dass sich der Nachbar in dieser Sache merkwürdig zeigte und es für ihn eine Art Selbstbefriedigung sein musste, vor anderen aufzuschneiden. Sein Ziel war es offenbar, durch ein falsches Typenschild auf seinem Pkw mehr aus sich zu machen, als wirklich da war. Für jedermann sollte auf der Straße erkennbar sein, dass er sich ein bärenstarkes Automodell leisten könne, damit erzielte er für sich offenkundig eine Befriedigung. Ich hingegen sah darin den Ausdruck eines Minderwertigkeitskomplexes, unter dem Herr M. offensichtlich litt.

Ich machte mich anschließend auf die Suche und fand einen passenden Wagen in Nürnberg. Später holte ich dieses Auto ab.

Bereits am nächsten Tag kam Herr M. auf der Straße auf mich zu, nachdem er mich zuvor minutenlang heimlich beobachtet hatte, und sah sich meinen Wagen an. Ihm fiel auf, dass der Neuerwerb über mehr Leistung verfügte als sein Wagen auf der Straße und als jener, der sich in seiner Tiefgarage befand. Sein Gesicht verfinsterte sich zusehends und seine Stimme wurde knurrig. Mit abwertenden Bemerkungen trat er den Rückzug an und verschwand für lange Zeit in seinem Haus, um offenbar seiner Frau die Neuigkeit mitzuteilen und darüber zu beraten.

Ich schüttelte den Kopf und wunderte mich über sein Verhalten. Ein Nachbar mit untersetztem Körperbau, der zufällig an mir vorbeilief, blieb stehen und beglückwünschte mich zum Erwerb des Fahrzeugs. Ich dankte ihm. Dann äußerte er zu meiner Überraschung, dass es vielleicht ein Fehler sei, ein solches Fahrzeug zu fahren, das im Aussehen und in der Leistung mehr zu bieten habe als das Fahrzeug des Herrn M. Ich sah den Nachbarn verdattert an. Dieser bemerkte offenbar meinen Blick und äußerte weiter, dass Herr M. in dieser Straße stets die ansehnlichsten Modelle mit der größten Motorleistung fahre. Mit meinem Fahrzeug stehle ich ihm die Show, was der Familie M. keinesfalls schmecken werde. Ich begann zu lachen, da ich zu diesem Zeitpunkt nicht glaubte, dass es so etwas geben könnte. Ich entgegnete dem freundlichen Herrn, dass ich mir dies gar nicht vorstellen könne, außerdem befände ich mich in keinem Wettstreit mit Herrn M. Der Nachbar meinte daraufhin, dass Familie M. und insbesondere Herr M. dies ganz anders sehe. Schließlich bedankte ich mich freundlich bei dem Nachbarn für die Mitteilung seiner Betrachtungsweise, und wir verabschiedeten uns.

Anschließend ging ich ins Haus und berichtete Stephanie von der Unterhaltung.

Herr M. verkaufte einige Wochen später sein Auto mit dem falschen Typenschild. Noch am selben Tag fuhr er den neueren Wagen aus seiner Tiefgarage. Ich wusch gerade meinen Pkw auf der Straße. Frau M. stellte sich ebenfalls auf die Straße und wartete darauf, dass ihr Mann das neue, aber gebrauchte Fahrzeug präsentieren werde. Als Herr M. seinen Wagen draußen abstellte, herrschte allgemeine Heiterkeit bei den beiden. Ich blickte in ihre Richtung und versuchte zu ergründen, warum die Nachbarn so entzückt auf der Straße herumtanzten. Ein anschließender Blick zum Fahrzeug des Herrn M. lieferte die Antwort.

Herr M. hatte auch an seinem neuen Auto das Typenschild geändert. Anhand des nunmehr falschen Typenschildes sollte jedem Betrachter suggeriert werden, dass das Fahrzeug keinen Sechs-, sondern einen Acht-Zylinder-Motor mit etwa 300 PS besäße. Natürlich gab es hierfür einen Grund, dies war kein Zufall. Ich erinnerte mich an die Worte des freundlichen Nachbarn, der eine Reaktion der Nachbarn M. vorausgeahnt hatte. Mir hingegen war es egal und ich belächelte innerlich das Treiben des Herrn M.

Als Ironie des Schicksals wurde das Fahrzeug des Herrn M. nur einige Monate später vor seinem Haus auf der Straße gestohlen, die Diebe waren auf das falsche Typenschild hereingefallen. Die Enttäuschung muss groß gewesen sein, als sie einen Blick unter die Haube geworfen haben. Irgendwie war die Sache kurios und lud uns zum Schmunzeln ein.

Das Jahr 1997 begann und Frau M. beherrschte noch immer unsere Nachmittage, indem sie die Zusammenkünfte der Kinder zeitlich immer enger organisierte und Stephanie oder mich oder immer öfter auch uns beide zusammen einlud. Auffällig war dabei weiterhin, dass zu den Einladungen zunehmend auch Herr M. in der Tür stand und ebenfalls Kontakt zu uns suchte.

Im Sommer 1997 wurde Stephanie wieder schwanger. Voller Freude teilte sie der kleinen Maria die Schwangerschaft mit. Ende Februar oder Anfang März 1998 sollte das Kind zur Welt kommen. Es dauerte erwartungsgemäß nicht lange, bis Maria der kleinen Penny und ihrer Mutter die Neuigkeit mitteilte. Familie M. blieb in ihrer Reaktion erstaunlich zurückhaltend und äußerte recht gefühlskalt, dass sie selbst ein weiteres Kind nicht in Betracht ziehe, da man ja nie wisse, was noch alles kommen werde. Doch Frau M. äußerte später, dass sie sich durchaus ein zweites Kind wünsche, aber Herr M. altersbedingt kein Interesse an einem weiteren Kind zeige und zudem ihr Haus nicht den nötigen Platz biete.

Das Haus der Familie M. war in der Tat kein Haus für eine Familie. Herr M. hatte es über Jahrzehnte hinweg ausgebaut, ohne offenbar zu glauben, dass er später eine Familie mit Kindern gründen werde. Weitere Zimmer für Kinder wurden deshalb nicht eingeplant.

Nach dem Genuss geistiger Getränke äußerte Frau M. später bei einem Treffen mit Tränen in den Augen, dass sie in keiner monogamen Beziehung lebe. Vielmehr habe ihr etwa 22 Jahre älterer Mann nebenher noch mindestens eine Freundin und es sei aus diesem Grunde schon zu Schwierigkeiten in der Ehe gekommen. Dies war offensichtlich ein weiterer Grund, warum Herr M. keine Kinder mit Frau M. mehr wollte.

Frau M. tat uns zunehmend leid, nicht zuletzt deshalb, weil Stephanie und ich im Sommer 1997 sahen, wie Herr M. eine unbekannte junge Frau in sein Haus führte und für mehrere Stunden darin verschwunden blieb. Frau M. war zu dieser Zeit mit ihrer Tochter Penny für einige Wochen zu ihrer Mutter gefahren. Diese Situation nutzte Herr M. gnadenlos aus, auch auf die Gefahr hin, dass er mit der unbekannten Frau von Nachbarn gesehen wurde.

Wir waren über das Tun des Herrn M. sehr erstaunt, beschlossen aber, Frau M. nichts davon zu sagen, da es letztlich nicht unsere Angelegenheit war, auch wenn wir uns mittlerweile auf das Drängen der Nachbarn hin mit den Vornamen ansprachen.

Frau M. litt augenscheinlich noch immer unter Kontaktlosigkeit, da sie tagtäglich allein im Haus zurückblieb. Abgesehen vom Umgang mit ihrer Tochter ließ sich kaum Besuch bei ihr feststellen, sodass Stephanie mir gegenüber äußerte, dass sie beabsichtige, zu ihrem Geburtstag im Spätherbst auch Frau M. einzuladen. Zwar hatte das Bild dieser Nachbarn in unseren Augen einige Flecke erhalten, aber die naive Gemütsbeschaffenheit der Frau M. und die sündige Leidenschaft des Herrn M. veranlassten uns, Frau M. einzuladen. Sie sollte zumindest an diesem Tag nicht allein zu Hause sein, denn ihr Mann war, wie so oft, wieder nebenher als Handwerker arbeiten und Penny ohnehin bei uns zu Gast.

Der Geburtstagsabend verlief anfangs recht normal. Wir, unsere übrigen Gäste und Frau M., die sich extra für diesen Abend eher unpassend herausgeputzt hatte, saßen zusammen, aßen und tranken alkoholische und alkoholfreie Getränke. Maria und Penny begaben sich auf Marias Zimmer und spielten dort. Frau M. konzentrierte sich zusehends auf den Konsum von Wein und schien nach etwa einer Stunde ihre Befindlichkeit zu ändern. Für sie lag die „Wahrheit“ offenbar im Wein und so begann sie stolz, über ihre Familienverhältnisse zu plaudern. Dabei trug sie unter anderem in ihrem typischen sächsischen Dialekt eigene Versionen ihrer Ehe vor und vermittelte den Eindruck, als sei ihr Erinnerungsspeicher gelöscht worden. Sie beschrieb ihren Mann mit blumigen Worten als einen überaus fleißigen, allwissenden und moralisch hochanständigen Menschen.

Die anderen Gäste waren beeindruckt von derart viel Lob für ihren Gatten und lächelten ihr freundlich zu, wohl wissend, dass Frau M. gern übertrieb.

Plötzlich klingelte es an unserer Haustür, und Herr M. stand draußen. Mit rissigen Händen und schmutzigen Fingernägeln gratulierte er Stephanie, die sich brav bedankte. Dann fragte sie ihn, wie er es geschafft habe, vor der Haustür zu stehen, denn die Gartentür sei verschlossen und er habe nicht von der Straße aus geläutet. Herr M. erwiderte mit einem breiten Grinsen, dass er über den Gartenzaun gesprungen sei, ein Klingeln sei deshalb nicht nötig gewesen. Stephanie und ich schauten uns verdutzt an und gingen anschließend ins Wohnzimmer zurück.

Dort boten wir Herrn M. einen Platz an. Für gewöhnlich trank er Sangria, heute jedoch erhielt er Rotwein. Seine Körperhaltung und seine kurzen, spitzen Bemerkungen zeigten an, dass er sich inmitten unserer Gäste als etwas Besonderes fühlte. Er hob seinen anstrengenden Berufsalltag und seine Nebenverdienstmöglichkeiten hervor, die ihm und seiner Familie einen sicheren Jahresablauf hinsichtlich des Jahresurlaubes und der täglichen Ausgaben sichern sollten. Die Wortwahl fiel Herrn M. dabei sehr schwer, er formulierte kaum zusammenhängende Sätze.

Frau M. schien stolz angesichts des selbstsicheren Auftretens und der vermeintlichen Überlegenheit ihres Mannes und genoss seine Borniertheit. Doch damit nicht genug, Herr M. sah sich ferner in der Lage, uns und unseren Gäste zu erklären, wie man ein Leben erfolgreich zu bestreiten habe. Alle Gäste bemerkten die Situation und nickte nur müde. Ausgerechnet ein Mensch mit geringer Bildung und ungepflegter Erscheinung dozierte in brüchiger Artikulation über den richtigen Weg im Leben.

Die Stimmung änderte sich plötzlich, als Frau M. offenbar bemerkte, dass ihr Ehemann nach einem Parfum roch, das sie nicht zuzuordnen wusste. Sie wurde putzmunter. Stephanie sah zuerst, wie vom aufgesetzten Lächeln der Frau M. nur ein grimmiges, fahles und versteinertes Gesicht blieb. Sie stieß mich an und deutete mit einem kurzen Augenzwinkern auf die Nachbarn. Auch ich bemerkte nun, dass Herr und Frau M. leise, aber ernst, teilweise gar aggressiv, miteinander sprachen. Dass ihre Unterhaltung nunmehr auch anderen Gästen auffiel, interessiert die beiden nicht. Mit einem mulmigen Gefühl verfolgten wir die Auseinandersetzung, ausgerechnet an Stephanies Geburtstag.

Aus der zuvor demonstrierten intellektuellen Überlegenheit wurde ein Debakel, als Herr M. überraschend aufstand und sich seine Frau an ihm festklammerte. Mit wenigen Bewegungen konnte er sie abschütteln, woraufhin sie sich mit einem absurden Verlangen nach seiner Nähe erneut schluchzend an ihn klammerte. Durch seine Körperkraft konnte sich Herr M. schließlich von seiner Ehefrau befreien, die sich ihrerseits auch nicht zimperlich zeigte und ihn zu stoßen begann. Daraufhin lief er schnell aus unserem Haus, um ihren Angriffen zu entkommen.

Alle waren geschockt und wussten in dieser Situation keinen Rat. Für einen Moment herrschte absolute Stille, allein die spielenden Kinder waren aus dem Obergeschoss des Hauses zu hören.

Mit gesenktem, aber wütendem Blick und bitterem Lächeln folgte Frau M. ihrem Mann und verschwand wortlos von der Bildfläche.

Die Stimmung der Zurückgebliebenen war gedrückt, wir schauten uns verdattert an und jeder fragte sich, was nun passieren wird. Nach einer Pause äußerte ein Gast die böse Befürchtung, dass es wohl bei diesem Konflikt zu ernsten Reibereien kommen werde. Das konnte sich tatsächlich jeder vorstellen.

Stephanie und ich aber beschlossen, erst einmal abzuwarten.

Nur wenig später kamen Maria und Penny aus dem Obergeschoss ins Wohnzimmer gelaufen und fragten nach Pennys Eltern. Stephanie meinte zu der Zweijährigen, dass ihre Mama nur kurz nach Hause gegangen sei, um etwas zu holen. Das Kind schien beruhigt und spielte mit Maria im Wohnzimmer weiter.

Nach etwa zehn Minuten stellte Penny wiederholt die Frage, wo die Mama bliebe. Stephanie versuchte, das Kind abermals zu beruhigen, und gab ihm zu verstehen, dass die Mama sicherlich gleich zurückkäme.

Nach weiteren Minuten wiederholte die kleine Penny M. die Frage nach ihrer Mutter, die weiterhin verschwunden blieb. Nun begann das Kind zu weinen und ließ sich nicht mehr beruhigen. Schließlich nässte Penny vor Beunruhigung ein, woraufhin Stephanie einige Sachen von Maria holte und das Kind aus seiner nassen Kleidung befreite.

Die Zeit war gekommen, um nachzusehen, wo Frau und Herr M. waren. Ich machte mich auf den Weg und klingelte mehrmals an der Tür des Nachbarhauses. Nach langen Minuten öffnete Frau M. mit verschmiertem Gesicht und Tränen in den Augen die Haustür.

Sie erklärte, dass ihr Mann das Weite gesucht habe, nachdem sie ihn zur Rede stellen wollte. Teufel Alkohol war offensichtlich nicht geeignet, den Prozess harter Auseinandersetzungen zu beenden, denn im gesamten Wohnzimmer ihres Hauses lagen Glas- und Porzellanscherben verstreut umher. Herr M. hatte es deshalb für eine rationale Zwischenlösung gehalten, die Flucht anzutreten.

Nur schwer ließ sich Frau M. beruhigen, denn immer wieder schrie sie, dass ihr Mann eine Freundin habe und dies nicht zum ersten Mal. Es dauerte weitere Minuten, bis mir das Nervenbündel zuhören konnte. Ich machte ihr begreiflich, dass ihre Tochter weinend auf sie warte. Ihre seelischen Reserven schienen aufgebraucht und ihre Bewegungsfähigkeit eingeschränkt, somit benötigte sie noch einige kostbare Minuten, um sich zu fangen und mir schließlich in langsamen Schritten zu folgen.

Ihre Tochter Penny weinte in dieser Zeit in unserem Hause unablässig und wirkte verstört, da sie ihre Mutter vermisste. Unsere übrigen Gäste schienen von einer inneren Anspannung erfasst zu sein, denn aufgrund der erlebten Vorfälle war die allgemeine Heiterkeit verflogen.

Frau M. betrat relativ kühl unser Wohnzimmer, beruhigte schnell ihre Tochter und nahm sie auf den Arm. Anschließend verabschiedete sie sich mit einem kurzen „Tschüss“ und ging augenblicklich nach Hause, als sei nichts geschehen.

Irgendwann in der Nacht tauchte Herr M. wieder auf. Ob es zu einem häuslichen Vulkanausbruch kam, ist nicht bekannt, denn Frau M. erwähnte uns gegenüber nie wieder den peinlichen Vorfall.

Unsere Beklommenheit und die unserer Gäste angesichts des Geschehenen löste sich nur langsam auf. Stephanie brachte Maria ins Bett, denn es war schon spät geworden. Die sonderbare Nachbarschaft war für den Rest des Abends Gesprächsthema Nummer eins. Nicht nur für uns, sondern auch unsere Gästen waren die Nachbarn M. ein außergewöhnliches Pärchen mit dem Hang zur sozialen Verwilderung.

Dieser Abend hatte aber insofern etwas Gutes, als ein weiterer Silberstreif am Erkenntnishimmel entstand. Nach den teils unangenehmen, teils schockierenden Erfahrungen der letzten Jahre mit den Nachbarn M. war nun überdeutlich, was wir uns bisher nur bedingt hatten eingestehen wollen, nämlich dass Herr und Frau M. unter einer enormen sozialen Fehlentwicklung litten.

Irgendwie fühlten wir uns bestätigt, dass jene, die sich in einer übertriebenen Art und Weise positiv in Szene setzen, mehr Probleme haben, als sie nach außen hin zugeben möchten. Die mühsam errichtete Fassade unserer Nachbarn war an diesem Abend massiv gebröckelt, diese Nachbarn waren nicht die, die sie zu sein vorgaben. Den Beweis hierfür lieferten sie selbst. Dies war die Erkenntnis und die Wahrheit, die wir schon seit Langem spürten. Instinktiv bemerkten wir, dass wir künftig noch massivere Probleme mit diesen Nachbarn bekommen würden. Bei einer nüchternen Betrachtung der letzten zwölf Monate hatten wir einiges mit diesen Nachbarn erlebt, eigentlich zu viel für ein Jahr. Drängender denn je stellte sich uns die Frage, wie es weitergehen sollte.

Für unsere Tochter Maria war die Lage indes klar, sie wollte ohne Unterlass zu den Nachbarn, denn dort war ja ihre Spielgefährtin.

Eine schwierige Situation ergab sich für uns, daher beschlossen wir, die Annäherungsversuche der Nachbarn M. uns gegenüber zwar etwas einzuschränken, andererseits aber unserer Tochter nicht den Kontakt zu Penny zu verbieten, denn wir wollten Maria nicht unglücklich machen.

Zwischenzeitlich ereignete sich ein anderer interessanter Fall. Familie M. bestellte sich einen Springbrunnen aus Granit, der ein beachtliches Gewicht haben musste. Mit viel Getöse, das nicht zu überhören war, begleitet von lauten Freudenrufen, wiesen Herr und Frau M. den Lkw-Fahrer auf einem Weg an der rechten Seite ihres Grundstücks entlang. Alle Nachbarn sollten hören, dass sich Familie M. etwas gekauft hatte. Der Lkw entlud seine Fracht und fuhr davon. Die Nachbarn M. liefen anschließend noch eine gute Stunde an der Stirnseite ihres Grundstücks lachend auf und ab. Sie schauspielerten derart laut ihre Freude, dass jeder Nachbar auf sie aufmerksam werden musste. Jeder konnte dabei den Eindruck erlangen, Familie M. sei glücklicher Gewinner einer Lotterie geworden.

Einige Tage später erklärte uns Frau M., dass sie einen nicht gerade billigen Steinmetz beauftragt hätten, den Springbrunnen als Unikat in Granit zu meißeln, worauf sie sehr stolz seien. Zu dieser Zeit glaubten wir ihren Worten, denn es schien uns nicht abwegig, da Herr M. beinahe pausenlos arbeitete. Seine offiziellen und inoffiziellen Arbeiten mussten sich auszahlen, womit die Bezahlung einer solchen handwerklichen Tätigkeit ohne Weiteres möglich war.

Erst viele Monate später bemerkten wir, dass wir angelogen worden waren, offensichtlich um sich wichtig zu machen. Denn zufällig fuhr ich auf einen Gewerbehof, der Skulpturen aus Stein und Steine jeglicher Art anbot. Beim Rundblick über das unübersichtliche Gelände des Anbieters blieben meine Augen plötzlich an einer bekannten Skulptur hängen. Ich sah den Granit-Springbrunnen der Familie M. Der Verkäufer erklärte mir darauf, dass auf seinem Hof noch weitere sieben Exemplare stünden, ein Massenprodukt aus China oder Indien. Mit großer Verwunderung und dem Wissen, dass die Nachbarn M. die Unwahrheit gesagt haben, fuhr ich nach Hause und berichtete Stephanie von meiner zufälligen Entdeckung.

Wir konnten uns diese Lügen der Nachbarn M. nur dadurch erklären, dass sie unter einer Art Minderwertigkeitskomplex leiden mussten. Sie waren bestrebt, mit einem Konstrukt aus Lügen Anerkennung zu erhalten, ganz gleichgültig, ob sie dadurch auch eine nachbarschaftliche Freundschaft aufs Spiel setzten.

Gegen Ende 1997 sprach mich ein älterer Nachbar, den ich zuvor schon schätzen gelernt hatte, beiläufig auf der Straße an, wie es mir ginge, und fragte nach meinen Kindern und meiner schwangeren Frau. Nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten, kam der Nachbar plötzlich auf die Familie M. zu sprechen und warnte mich vor dieser Familie. Er erzählte von den Nachbarn M., die er bereits seit vielen Jahren kenne, und mahnte mich zur Vorsicht. Mein Erstaunen über seine Worte blieb ihm nicht verborgen und er konkretisierte seine Warnung. Hierbei betonte er, dass beinahe jeder Nachbar mit der Unzurechnungsfähigkeit des Herrn und der Frau M. konfrontiert gewesen sei, der eine mehr, der andere weniger. Der ältere Herr erklärte weiter, dass es ein inneres Bedürfnis der Nachbarn M. sei, quasi als Zeitvertreib andere Nachbarn zu traktieren. So würden sie andere Nachbarn pausenlos beobachten, ihnen nachstellen und sich ungewöhnlich laut negativ über Nachbarn äußern, stets einhergehend mit gehässigem Lachen. Dabei werde so laut abfällig gesprochen, dass der betroffene Nachbar sich gedemütigt zurückziehe. Der Mann unterstrich, dass es sich bei den Nachbarn M. im Grunde genommen um eine Mischung aus intellektueller Unterentwicklung, sozialer Unbekümmertheit, Dreistigkeit und Kaltschnäuzigkeit handele. Er gab mir den Rat, unbedingt vorsichtig zu sein und nur nicht zu viel von uns zu erzählen, denn seiner Meinung nach werde die Familie M. zu einem späteren Zeitpunkt jedes gesagte Wort gegen uns verwenden.

Die Worte des netten Herrn wirkten einerseits alarmierend auf mich, andererseits konnte ich nicht ganz glauben, was ich da hörte. Ich hielt es für etwas übertrieben, lächelte dem Nachbar aber dennoch dankbar zu. Dabei reagierte ich stolz und sagte, dass mir schon nichts passieren werde. Ich ahnte seinerzeit nicht, wie Recht der ältere Herr hatte.

Das Jahr 1998 begann mit viel Arbeit im privaten wie beruflichen Alltag. Mein Studium und meine Tätigkeit als Selbstständiger verlangte mir einiges an Kraft ab.

Jede freie Minute steckten wir in unseren kleinen Garten. Stephanies Vorstellung von einem Bauerngarten war nur schwer und vor allem langwierig umzusetzen. Unzählige Pflanzen waren zu besorgen und schließlich auch zu pflegen. Uns dämmerte schon damals, dass es wohl Jahre dauern würde, bis der Garten zu einem ansehnlichen Pflanzenmeer heranwächst, denn zuvor war das Grundstück eine wahre Mondlandschaft gewesen, weil das Bauen beinahe jegliches Grün vernichtet hatte.

Stephanies Schwangerschaft zeichnete sich immer deutlicher ab, Mutter und Kind ging es gut.

Familie M. fokussierte sich noch immer auf uns und wurde nicht müde, uns und unsere Tochter zu sich locken zu wollen. Das abschreckende und zwanghafte Geltungsbedürfnis der Nachbarn M., sich ständig als Personen mit hohen moralischen und ethischen Grundwerten darzustellen, wobei sie jedoch genau das Gegenteil dessen lebten, machte sie nicht gerade sympathisch.

Aufgrund des chronischen Anerkennungswunsches und des gleichzeitigen theatralischen Auftretens, etwa mit den unnatürlich und psychotisch wirkenden Lachparaden, konnte sich unsererseits keine Zuneigung entwickeln. Eine weitere dieser Merkwürdigkeiten leistete sich immer wieder Herr M. Selbst bei winterlichen Minusgraden lief er mit freiem Oberkörper oder im Muskelhemd in seinem Garten oder auf der Straße herum. Mit diesem außergewöhnlichen Verhalten versuchte er sich in der gesamten Nachbarschaft in Szene zu setzen, trotz seines nahenden Rentenalters und des entsprechenden körperlichen Zustandes. Letztlich war dies aber nur eine von vielen Auffälligkeiten. Die Botschaft war indes klar: Er gehörte zu den starken Typen, deren Körpern auch Frost und Schnee nichts anhaben konnten. Ein theatralisches Spielchen, das alle Nachbarn nur den Kopf schütteln ließ.

Gleichzeitig beobachteten wir eine wachsende Einflussnahme der Nachbarn M. auf unsere Tochter. Insbesondere Frau M. gab gern Regieanweisungen an Maria. Diese berichtete auch, dass sie sich von Frau M. unter Druck gesetzt fühle, und zwar insbesondere dann, wenn sie sich bei ihr im Haus aufhielt. Dies missfiel uns.

Im Januar lud uns Frau M. allesamt zu ihrem Geburtstag ein, eine Reaktion auf die Geburtstagseinladung Stephanies im Vorjahr. Nachdem meine Frau am Vormittag noch ein Geschenk besorgt hatte, kamen wir abends der Einladung nach. Maria durfte uns begleiten, und wir waren gespannt, was uns erwarten würde. Unser mittlerweile 13-jähriger Sohn Gordon blieb daheim.

Neben einem weiteren unbekannten Pärchen waren wir die einzigen Gäste, die sich zum Geburtstag von Frau M. einfanden. Das Wohnzimmer schien den Nachbarn M. für ihren Besuch offenbar zu schade, sodass wir in einem ausgebauten Kellerraum Platz finden mussten, der spartanisch mit einfachen Möbeln ausgestattet war. Ein altes Radio spielte Musik für die Kinder. Beide Mädchen aßen und tobten danach kräftig herum. Die Erwachsenen setzten sich an einen längeren Tisch mit unbequemen harten Stühlen, aßen, tranken und versuchten sich an einer sinnvollen Unterhaltung. Allerdings kam nur bedingt ein Gespräch in Gang. Die Unterhaltung mit dem unbekannten Paar gelang zeitweise gut, ein sinnvolles Gespräch mit Herrn und Frau M. schien jedoch unmöglich, denn der Hang zum Alkohol setzte sie bereits nach einer Stunde außer Gefecht. Herr und Frau M. schrien und lachten überlaut und gekünstelt herum, auch bei Themen, bei denen ein Lachen unangebracht war. Dabei wurde vonseiten der Nachbarn gewitzelt und über jeden Dritten, dessen Name in einer versuchten Unterhaltung fiel, hemmungslos und zynisch hergezogen. Parallel dazu erfolgte die übliche eitle Selbstdarstellung der Gastgeber. Selbst die anderen Gäste, welche die Nachbarn M. schon länger kannten, schienen über den Ablauf der Geburtstagsfeier überrascht und machten im Laufe des Abends immer öfter einen gequälten Eindruck.

Es ist mir noch heute ein Rätsel, wie es bei dieser Feier zu derart unkontrollierten Ausbrüchen der Nachbarn kommen konnte. Alles wirkte unwirklich und künstlich. Ein Grund hierfür war die von den Nachbarn angenommene geistige Überlegenheit gegenüber allen anderen Menschen. Ich hingegen sah hinter dieser völlig unnatürlichen und übertriebenen Art, sich als lustig darzustellen, nur ein Defizit an persönlicher Reifung. Bis heute kann ich gut mit lustigen und gut gelaunten, auch mit leicht alkoholisierten Menschen umgehen, doch muss sich dies in einem akzeptablen Rahmen halten.

Bei den Nachbarn M. war alles anders. Deren zwanghafte Lustigkeit, die eine vernünftige Unterhaltung verhinderte, mündete nunmehr in ein dauerhaftes und über Stunden anhaltendes Geschrei. Der unkontrollierte Drang der Nachbarn nach Selbstdarstellung zwang uns wieder einmal dazu, an eine seelische Störung der Nachbarn zu glauben.

Verständlicherweise kam daher bei dieser Geburtstagsfeier keine Behaglichkeit auf. Auch die anderen Gäste, die eher ruhig wirkten, schienen genervt und wenig begeistert über die abnormen Seelenzustände der Gastgeber.

Zu Beginn der Feier konnte die knapp dreijährige Maria mit dem Toben der Nachbarn M. umgehen. Zum einen ertragen Kinder derart chaotische Zustände anscheinend besser, zumindest für eine gewisse Zeit, zum anderen war Maria durch ihre Spielkameradin Penny abgelenkt.

Nach etwa drei Stunden schien das Kind allerdings mit der Situation nicht mehr fertig zu werden und kuschelte sich an seine Mutter. Maria äußerte den Wunsch, zu gehen. Die schwangere Stephanie griff den Wunsch des Kindes auf, denn dadurch eröffnete sich auch für sie die Möglichkeit, den Abnormitäten der Nachbarn zu entkommen. Schon seit Längerem hatte Stephanie meine Nähe gesucht und mir mehrmals mit leiser Stimme zu verstehen gegeben, dass sie hier raus musste. Ich befürchtete, dass die Nachbarn M. ein zu frühes Aufbrechen als unfreundliche Geste verstehen könnten, wiegelte deshalb immer vorsichtig ab und bedeutete Stephanie, dass wir bestimmt nicht mehr lange bleiben würden. Insbesondere für Stephanie schien es ein Höllentrip zu sein. Der Egozentrismus und die Zügellosigkeit der Nachbarn motivierten sie, nicht locker zu lassen, und so stieß sie mich immer wieder an. Letztlich gab sie mir zu verstehen, dass sie jetzt gehen werde, da dies nicht mehr auszuhalten sei, sich das Baby stark bewege und auch Maria nach Hause wolle.

Ich gab nach und informierte die Gastgeber, dass es Stephanie nicht gut ginge und sie gleich die kleine Maria mit nach Hause nehmen werde. Frau M. war überrascht und wollte Stephanie unbedingt daran hindern, die Geburtstagsparty zu verlassen. Nach einigen Diskussionen und Erklärungen, welche die alkoholisierten Gehirne der Nachbarn M. nur schwer erreichten, gingen Stephanie und Maria hinüber in unser Haus. Ich beschloss, meinen Rückzug aus dieser Klapsmühle erst etwas später anzutreten, denn schließlich musste unsere Flucht unauffällig geschehen und nicht zur gleichen Zeit.

Mit krankhafter Eitelkeit und der beschriebenen Zügellosigkeit tobten die Nachbarn weiter, bis ich mich nach einer weiteren Stunde aus der unangenehmen Zwangslage befreite und mich verabschiedete.

Zu Hause empfing mich Stephanie. Sie sah noch immer abgekämpft aus und stand mir einen Moment wortlos gegenüber. Ihrem Blick konnte ich entnehmen, dass sie in höchstem Maße besorgt war. Nach diesem Moment des Schweigens und mit dem Gefühl, etwas Unerklärliches erlebt zu haben, informierte sie mich, dass das Baby in ihrem Bauch noch immer äußerst unruhig schien, gerade so, wie sie es noch in keiner Schwangerschaft erlebt habe. Wir waren uns sofort einig, dass dies mit dem furchtbaren Abend in Zusammenhang stehen musste. Das stundenlange Geschrei und das Verhalten der offensichtlich sozial gestörten Familie M. hatte nicht nur uns, sondern auch das ungeborene Kind angegriffen.

Diese Nacht verlief unruhig. Stephanie konnte kaum schlafen, da das Kind in ungewohnter Bewegung blieb. Erst am frühen Morgen beruhigte sich das Ungeborene. Ich träumte unentwegt von dem Herumbrüllen der Nachbarn und war am nächsten Tag froh, endlich aufstehen zu können.

Der Horrorabend bei den Nachbarn M. sollte noch eine gefährliche Nachwirkung haben, denn das Baby in Stephanies Bauch begann sich in der unruhigen Nacht zu drehen, in eine sogenannte Steißlage. Stephanie bemerkte dies natürlich zuerst und stellte fest, dass im oberen Bauchbereich der Kopf zu spüren war.

Die eilig herbeigerufene Hebamme diagnostizierte in der Tat eine Lageveränderung des ungeborenen Kindes und schlug vor, auf homöopathischem Wege die Drehung des Kindes in die richtige Lage einzuleiten. Die Zeit drängte, weil die Gewichtszunahme in den letzten beiden Monaten vor der Geburt besonders schnell erfolgt und sich das Kind dann kaum noch drehen lässt. Doch die angestrebte Lageveränderung des Kindes auf alternativem Wege scheiterte, trotz des großen Bemühens der Hebamme. Deshalb musste ein kurzfristiger Termin im Krankenhaus vereinbart werden, um mit ärztlicher Hilfe die Kindesdrehung einzuleiten. Leider misslang auch dieser Versuch.

Nun blieb nur noch die Hoffnung, dass die bevorstehende Steißgeburt ohne größere Probleme vonstattengehen würde. Als letzter Ausweg blieb der Kaiserschnitt. Hierzu wurde Stephanie befragt, doch während der Vorbereitungszeit bis zum Tag der Geburt lehnte sie diese Prozedur ab. Nur für den Fall, dass sich Mutter oder Kind in einer bedrohlichen Lage befänden, sollte der Kaiserschnitt zum Einsatz kommen. Die mögliche Komplikation der bevorstehenden Geburt versetzte Stephanie und mich in große Anspannung.

In der Zwischenzeit versuchten die Nachbarn M. wieder, mit freundlichem Winken und Lächeln Kontakt zu uns aufzunehmen. Wir waren bemüht, unsere wachsende Ablehnung, die sich aus den Erfahrungen der letzten Zeit entwickelt hatte, nicht spürbar werden zu lassen, und wiegelten die Einladungen zu weiteren Treffen mit der Schutzbehauptung ab, keine Zeit für Besuche zu haben. Es war klar, dass diese Ausrede auf Dauer kaum wirken würde und die Nachbarn unser Zurückziehen früher oder später bemerken würden.

Gleichzeitig entschieden wir uns, unsere Tochter nur noch in seltenen Fällen zur Familie M. gehen zu lassen, denn insbesondere Frau M. war noch immer bestrebt, die kleine Maria zu „erziehen“. Sie versuchte, dem Kind bestimmte Umgangsformen und Verhaltensweisen anzutrainieren, wie etwa den sparsamen Verbrauch ihres teuren Toilettenpapiers.

Nach all dem Erlebten schien es uns auch einfach zu unheimlich, unsere Tochter zu Nachbarn gehen zu lassen, die offenbar ein seelisches Problem hatten. Stattdessen warben wir bei den Nachbarn M. dafür, dass deren Tochter Penny uns bzw. Maria besuchen sollte. Wir waren mit der von uns neu eingeleiteten Vorgehensweise beim künftigen Umgang mit den auffälligen Nachbarn zufrieden und hofften, dass diese die veränderte Situation begreifen und sich darauf einstellen würden. Außerdem gingen wir davon aus, dass diese Nachbarn unser grundsätzliches Recht auf Privatsphäre und die freie Entscheidung, wann und mit wem wir Kontakt haben wollten, respektieren würden. Damit schien alles gut organisiert zu sein, und wir konnten endlich zur Ruhe kommen. Natürlich wussten wir, dass es auch anders ablaufen konnte, aber wir hielten eine diesbezügliche Reaktion der Nachbarn für unwahrscheinlich, denn sie hatten keinen Grund hierfür. Wir verlangten letztlich nichts Ungewöhnliches oder Illegitimes, sondern lediglich mehr Privatsphäre für uns.

Im März 1998 wurde unsere zweite Tochter geboren. Es war eine aufregende Geburt, denn sie war schwieriger, als wir zuvor geahnt hatten. Unserer neugeborenen Tochter Sina ging es den Umständen entsprechend gut. Es dauerte nach ihrer Geburt noch mindestens zehn Minuten, bis wir sie in den Armen halten konnten. Unser zweites gemeinsames Kind war geboren, und mit Gordon waren wir nun zu fünft in unserem Haus.

Voller Freude gestaltete ich am Computer einen Flyer zur Geburt unserer Tochter und warf ihn allen in der Nähe wohnenden Nachbarn in den Briefkasten. Auch die Eltern von Penny erhielten einen Flyer. Nach und nach gratulierten uns die benachrichtigten Anwohner zur Geburt unseres Kindes, Familie M. hingegen tat dies erst Wochen später.

Wir ignorierten das untrügliche Zeichen und hielten weiter an unserem Konzept fest, das vorsah, den Nachbarn M. zum einen grundsätzlich aus dem Weg zu gehen und zum anderen etwaigen Einladungen mit der Erklärung zu begegnen, von unserer Freizeit bliebe nicht viel übrig. Ein Zusammentreffen sei deshalb gegenwärtig nicht möglich. Dahinter verbarg sich die Hoffnung, dass die Nachbarschaftsbeziehung von ganz allein einschlafen würde. Dabei war es unser vordringlichstes Ziel, die Nachbarn M. nicht zu demütigen, indem wir ihnen sagen mussten, dass ein weiterer Kontakt nicht gewollt sei, sondern alles auf einer Ebene belassen werden solle, wie sich Nachbarn auf der Straße allgemein begegnen. Ausnahme blieben die Begegnungen zwischen Maria und Penny, die überwiegend bei uns im Haus stattfanden. Wir waren sicher, dass sich Familie M. dadurch nicht provoziert fühlen und uns ein Hinausschleichen aus der kleinen Nachbarschaftsbeziehung ohne Nachwirkung gelingen würde.

Nach einigen Wochen reagierten die Nachbarn M., zuerst mit vorsichtigen Nachfragen, warum wir keine Zeit mehr für sie hätten, später mit zunehmenden beobachtenden Blicken. Es dauerte nun nicht mehr lange und wir wurden mit bösen Blicken verfolgt, wenn wir uns im Garten oder auf der Straße bewegten. Zwischendurch versuchte Frau M., den Kontakt mit uns bei Begegnungen auf der Straße oder an unserem Gartenzaun herzustellen, indem sie herantrat und Stephanie oder mich fragte, ob wir mal zu ihr kommen möchten. In diesen Situationen mussten wir unsere Weigerung mit immer neuen Ausreden versehen, um Frau M. nicht zu kränken.

In absurder Weise empfand sie unsere Zurückhaltung als Ungerechtigkeit und reagierte mit grimmiger werdenden Blicken und einer nicht tolerierbaren Einflussnahme auf Maria. Denn diese wurde nun ihr Ziel. Frau M., aber auch Herr M. verwickelten die kleine Maria immer dann in Gespräche, wenn sie bei Penny im Haus der Familie M. weilte. Maria berichtete, dass sie zum Beispiel gefragt wurde, weshalb wir uns kaum sehen ließen und warum wir keine Zeit mehr für die Nachbarn hätten. Die damals dreijährige Maria wusste darauf keine Antwort und verstand die Fragen der Nachbarn nicht. Möglicherweise hofften diese, durch ihre bohrenden Fragen irgendetwas aus dem Kind herauszuholen. Immer wieder folgten in den nächsten Wochen ähnlich analytische Befragungen, die das Kind wiederholt in Konflikte brachte, von denen sie uns berichtete. Mit immer persönlicheren Fragestellungen behelligten die Nachbarn unsere Tochter, wobei sie zu den gestellten Fragen bereits die Antworten zu wissen meinten und letztlich nur auf Unterstellungen abzielten. Eine weitere Frage an unsere Tochter lautete, ob Stephanie und ich auf das Haus der Nachbarn M. neidisch seien und deshalb nicht mehr zu Besuch kämen. Eine ebenso dumme Bemerkung der Nachbarn gegenüber Maria war auch, dass man in Deutschland keinen Urlaub machen könne und uns sicherlich das Geld fehle, um mit dem Flugzeug zu verreisen. Natürlich ließen die Nachbarn M. dabei nicht die Bemerkung aus, dass sie gern und oft in den Urlaub flögen und nur dies ein richtiger Urlaub sei. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub trug Herr M. noch ein bis zwei Wochen das All-inclusive-Handgelenksband mit sich herum, um jeden Nachbarn beeindrucken zu wollen. Wir hingegen fuhren mit dem Auto ans Meer oder auf das Grundstück meiner Eltern mit direktem Zugang zu einem idyllischen See.

Man kann sich vorstellen, welche Auswirkungen solche Fragen auf ein Kleinkind hatten. Maria wirkte oft verstört, wenn sie abends nach Hause kam, denn die Selbstdarstellungen der Nachbarn M. blieben nicht ohne Spuren.

Noch ärgerlicher war der Umstand, dass die Nachbarn nicht nur das Kind verunsichern wollten, sondern genau wussten, dass die gestellten Fragen auch uns erreichen würden. Damit musste ich annehmen, dass die Fragen im eigentlichen Sinne Provokationen darstellten, die an die Adresse der Eltern gerichtet waren. Die Nachbarn waren offenbar im Begriff, eine Art Abrechnung auf die Beine zu stellen. Ich zweifelte zunehmend an der Zurechnungsfähigkeit dieser Leute.

Wir reagierten auf diese Vorfälle, indem wir Maria nicht mehr unbeaufsichtigt zu ihrer Freundin Penny ließen. Wir wollten unser Kind dem Tun der Nachbarn nicht weiter aussetzen. Im Grunde genommen war dies ein klares Zurückrudern hinsichtlich des bis dahin durch uns unterstützten Zusammenbringens der Kinder. Aber wir mussten unsere Tochter schützen, auch wenn sie dies im Alter von drei Jahren noch nicht verstehen konnte.

Da ich, meine Ehefrau und Maria das Haus der Nachbarn M. nicht mehr betraten, war der Rückzug praktisch besiegelt, ohne dies den Nachbarn M. je ins Gesicht gesagt zu haben. Unsererseits bestand keinerlei Interesse, einen Kontakt aufrechtzuerhalten, der über eine übliche Begrüßung hinausging.

Eine einzige Ausnahme blieben die Kinder: Penny durfte jederzeit zu uns kommen und mit Maria spielen. Wir klammerten uns an die Hoffnung, dass das Geschehene keine gravierenden Auswirkungen auf die Kinder haben werde.

Wir gingen noch immer davon aus, dass die Zeit die vielleicht entstandenen Wunden unserer vorsichtigen Zurückweisung gegenüber den Nachbarn M. heilen und die bösen Blicke der Nachbarn nach und nach ausbleiben würden. Nach den Erfahrungen der letzten etwa eineinhalb Jahre stand für uns fest, dass unsererseits an einer Reanimation der nachbarschaftlichen Beziehung kein Interesse bestand. Dazu hatten wir einfach zu viel erlebt.

Wir gingen auch davon aus, dass es eine Art Grundrecht gäbe, seine Freundschaften, auch die nachbarschaftlichen, frei auszusuchen, wobei wir die erkennbare labile Gemütsverfassung von Herrn und Frau M. hinreichend berücksichtigen wollten. Das geltungsbedürftige, verschlagene, lügnerische und krankheitswertige Verhalten, das die Nachbarn aus ihrem Inneren immer wieder hervorbrachten, wirkte auf Dauer zu abstoßend, um eine freundschaftliche Beziehung aufzubauen. Die Nachbarn versuchten mit ihrer überzogenen Heiterkeit, ihre fragwürdigen menschlichen Eigenschaften zu kaschieren. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb erzeugte ihre gespielte Freude und Freundlichkeit einen bitteren Nachgeschmack.

Die Wochen vergingen und der Sommer 1998 zeigte sich überwiegend von seiner angenehmen Seite. An einem heißen Wochenende im August 1998 waren wir in den Garten meiner Eltern eingeladen. Maria tollte herum, Stephanie und Sina suchten zumeist im Schatten einen Platz. Ich badete mit Gordon im See, und wir ließen es uns richtig gut gehen. Gegen Abend packten wir unsere Sachen und fuhren wieder nach Hause.

Es war bereits dunkel, als wir dort ankamen. In unserer kleinen Wohnstraße hatten erstaunlich viele Fahrzeuge geparkt, weshalb ich mich kurzerhand entschloss, vor der Toreinfahrt der Nachbarn M. zu halten, um die bereits schlafenden Kinder ins Haus zu tragen. Herr M. war am frühen Morgen mit dem Pkw zu seiner hauptberuflichen Arbeit gefahren. Es bestand also keine Gefahr, dass er plötzlich mit seinem Fahrzeug auftauchen würde, da er in der Regel 24-Stunden-Dienste absolvierte. Damit war klar, dass Familie M. von meinem kurzzeitigen Halten vor ihrer Ausfahrt nicht belästigt werden konnte.

Stephanie und ich trugen die Kinder in unser Haus. Alsdann lief ich in Richtung des Autos, um es weiter entfernt auf der Straße einzuparken. Als ich in die Nähe meines Fahrzeuges kam, sah ich plötzlich im Dunkeln Frau M. in ihrem Vorgarten stehen, nahe ihrer Ausfahrt. Ich grüßte mit einem freundlichen „Hallo“. Frau M. begrüßte mich ebenfalls, doch in einer für mich völlig überraschenden und abscheulichen Weise. Sie rief: „Eh Arschloch, fahr Deinen Dreckskarren hier weg, hau hier ab, Du Penner“, denn angeblich käme sogleich ihr Mann zurück.

Ich entgegnete ruhig, warum sie sich so aufrege, denn hier kurzzeitig zu stehen sei keine Schandtat und ihr Ehemann käme sowieso erst am nächsten Tag nach Hause.

Sie ignorierte meine Bemerkung und entgegnete wieder mit beleidigenden Worten: „Hau ab, Penner, Du hast hier nicht zu stehen.“

Ich war schockiert und überlegte, dass in diesem Moment ein sinnvolles Gespräch nicht zustande kommen würde. Deshalb stieg ich widerspruchslos in mein Auto, fuhr ein ganzes Stück zurück und parkte dort in der Straße. Als ich anschließend vom Auto in Richtung meines Hauses ging, stand Frau M. noch immer an ihrem Gartenzaun und beobachtete mich. Sie starrte mich provozierend an und lachte mich schallend aus, dabei sprach sie laut in meine Richtung: „Da is a, da is a“, anschließend lachte sie erneut laut auf.

Als ich unser Haus betrat, kam Stephanie mir bereits entgegen, sie hatte einige Worte der Nachbarin durch die geöffneten Fenster gehört. Sie fragte mich sofort, ob etwas vorgefallen sei. Ich zuckte mit den Schultern und brachte kein Wort hervor, so stark wirkte noch immer der abendliche Überfall. Nach kurzer Besinnung berichtete ich ihr, was geschehen war.

Stephanie und ich sahen uns eine ganze Weile wortlos an. Wir benötigten einige Minuten, um das Geschehene zu verarbeiten. Nun spürte ich, mehr als je zuvor, eine unheilvolle Entwicklung.

Das außergewöhnliche Ereignis dieses Abends und die dabei ausgesprochenen unerhörten Provokationen und Beleidigungen, beschäftigten mich fortwährend. Ich und Stephanie hofften, dass es sich um einen einmaligen Ausrutscher der Frau M. handelte und ihr Mann davon nichts wisse. Die Ernsthaftigkeit der Situation war uns noch immer nicht hinreichend bewusst, wir verdrängten das Erlebte, vielleicht um uns selbst Mut zu machen und uns irgendwie einzureden, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Vielleicht war das Auftreten der Nachbarin vom Alkohol bestimmt gewesen oder sie hatte tagsüber viel Stress gehabt? Jedenfalls wollten Stephanie und ich nicht von einer grundsätzlichen nachbarfeindlichen Haltung ausgehen, wir beschlossen aber, künftig aufmerksamer zu sein.

Bereits am nächsten Tag folgte ein weiteres Ereignis. Herr M. kehrte früh am Morgen erwartungsgemäß von seinem Dienst zurück, parkte den Pkw vor seinem Haus und stieg aus. In diesem Augenblick stürmte Frau M. aus dem Haus, begrüßte ihren Mann und begann sofort gut hörbar, über den gestrigen Abend zu berichten. Mit einem triumphierenden Unterton erzählte sie ihm, wie sie mich am Vorabend von der Straße gescheucht habe, und unterbrach sich dabei immer wieder selbst durch Lachattacken. Herr M. hörte ihr auf der Straße stehend aufmerksam zu, konnte bisweilen ein Kichern nicht unterdrücken und sprach dabei meinen Namen aus. Beide belustigten sich noch einige Zeit auf der Straße über die üble Aktion der Frau M. und gingen anschließend in ihr Haus. Es war unglaublich, was ich da durch das offene Fenster hörte, und ich berichtete Stephanie davon, die sich in dieser Zeit um Sina kümmerte.

Stephanie und ich fühlten uns danach noch schlechter, denn nunmehr schien klar, dass Frau M. ihren Angriff nicht im Affekt unternommen hatte, und falls doch, dann hieß sie dies im Nachhinein noch gut und belustigte sich darüber. Ein unglaublicher Vorgang, wir waren geschockt. In einem weiteren Gedanken wurde auch deutlich, dass Herr M. nach seiner Reaktion das Tun seiner Frau billigte. Uns erstaunte auch, dass sich die Nachbarn M. über mögliche Konsequenzen offenbar nicht im Klaren waren. Denn nun mussten sie damit rechnen, dass wir jeglichen Kontakt abbrechen würden, doch das schien ihnen egal zu sein, womit sie ihre gestörte Persönlichkeit erneut offen zeigten.

Die nächsten Tage hielten eine Überraschung für uns bereit. Freundlich grüßten die Nachbarn M. mit einem „Hallo“ oder einem Winken auf der Straße, wenn sie Stephanie oder mich sahen. Als ob nichts vorgefallen wäre, als ob es zu keiner Kränkung gekommen wäre, grüßten und lächelten sie in unsere Richtung, sobald einer von uns die Straße oder das Grundstück betrat. Wir waren verwirrt.

Das Verhalten der Nachbarn war unklar und widersprüchlich. Es stellte sich für uns zunehmend die Frage, ob den Nachbarn M. ihr vorheriges Tun nicht bewusst war oder ob dies vielleicht ihre Art war, darüber hinwegzugehen. Oder gab es da vielleicht andere diffuse Überlegungen?

Auch sprach die Nachbarin M. Stephanie oder mich wieder an, wenn es nach ihrer Meinung bezüglich des gemeinsamen Spielens der Mädchen etwas zu bereden gab. Als ob sich kein Vorfall am Gartenzaun ereignet hatte, wiederholte sie gebetsmühlenartig, dass Maria endlich auch zu ihr kommen solle, um mit Penny zu spielen. Diesen altbekannten Vorschlag der Frau M. lehnten wir immer wieder ab. Denn insbesondere nach den letzten Kränkungen wollten wir unsere kleine Tochter auf keinen Fall zu einer Familie gehen lassen, die sich schlimmer als die Flodders benahm.

Für diese Ablehnung ernteten wir weitere böse Blicke. Das begleitende Lächeln war nach unserem Eindruck keine freundliche Geste, sondern vielmehr ein ironisches Lächeln, das eine Überlegenheit in dieser Situation demonstrieren sollte. Noch immer konnten wir nicht fassen, warum die Nachbarn M. dies taten. Welche Erwartungen standen hinter ihrem ironischen Verhalten?

Das Gebaren der Nachbarn M., das immer stärker von Beobachtungen und Neugier uns gegenüber geprägt war, stieß uns ab. Gleichzeitig aber sprachen sie uns auch normal an, um über unsere Töchter zu sprechen. Dies zeigte letztendlich die absurde Einstellung der Nachbarn. Unser Gefühlszustand schwankte, das widersprüchliche Treiben der Nachbarn irritierte unsere geradlinigen Gedanken. Nach und nach drängte sich uns die Erkenntnis auf, dass das Verhalten der Nachbarn M. ein wohlüberlegtes und nicht zufälliges sei. Offenbar wollten sie uns mit einer Reihe von subtilen und diffusen Handlungen ihren Willen aufzwingen, in unser Leben eindringen, das nachbarschaftliche Verhältnis nach ihrem Wunsch steuern und Schmähungen über uns bringen, die wir widerspruchslos hinnehmen sollten.

Nach unserer Überzeugung bewiesen die Nachbarn M. damit eine überaus beschränkte Gedankenwelt, in der eine selbstkritische Prüfung ihres Verhaltens uns gegenüber nicht vorgesehen war.

Getrieben von innerer Anspannung entschloss ich mich, Herrn M. bei Gelegenheit anzusprechen. Ein klärendes Gespräch von Mann zu Mann hatte schon so manchen Konflikt gelöst. Bereits zwei Tage später sah ich den Nachbarn wieder in seinem Garten stehen. Entschlossen ging ich auf ihn zu und stellt mich auf dem Gehweg vor seinen Gartenzaun. Freundlich grüßte ich ihn, bat ihn näher heran und versuchte, ihn diplomatisch auf die gegenwärtige Situation aufmerksam zu machen. Dabei bat ich ihn, nicht weiter in dieser Art und Weise mit uns umzugehen, und hoffte auf seine Einsicht.

Überraschend vertrat Herr M. den Standpunkt, dass doch nichts passiert sei. Er könne nicht verstehen, was eigentlich los sei. Ich versuchte, ein wenig auszuholen und noch einmal auf die Beleidigungen beim Parken und die wiederkehrenden ironischen Lächelaktionen zu sprechen zu kommen. Herr M. fiel mir dabei immer wieder ins Wort und stritt solch subtile Handlungen wie das ironische Anlächeln ab. Beim Parken vor seinem Haus, so der Nachbar, sei ich doch selbst schuld gewesen, seine Frau habe schließlich nur ihr Missfallen zum Ausdruck gebracht, und dies sei legitim. Angesichts dieser unbefriedigenden Antworten des Nachbarn war ich für einen Moment sprachlos.

Nachdem ich meine Gedanken geordnet hatte und zu der Erkenntnis gekommen war, dass die Geschehnisse der Vergangenheit für Herrn M. kein akzeptabler Diskussionspunkt waren, wollte ich zumindest das zukünftige nachbarschaftliche Zusammenleben klären. Doch Herr M. nahm mir wieder rasch das Wort ab und kam sofort auf seine Sicht der Dinge zu sprechen. Er stellte dabei ein Ultimatum, wonach er sich eine einvernehmliche Nachbarschaft nur unter Erfüllung seiner Bedingungen vorstellen könne. Nur seine Überlegungen seien die Grundlage einer gut funktionierenden Nachbarschaft. Dabei legte er einen Ton in seine Stimme, der vor Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit strotzte. Alles im allem klang dies nach dem bisher Erlebten wie Hohn in meinen Ohren, und so ging ich zerknirscht zurück zu meiner Frau und unterrichtete sie über das Gesagte des Nachbarn.

Das so hoffnungsvoll begonnene Gespräch mit dem Nachbarn endete damit in einem Desaster. Der Nachbar hatte mir letztlich eröffnet, dass er mit seiner Frau bestimmen wollte, wie wir uns gegenüber Familie M. zu positionieren hatten. Deren dekadente Lebensweise und deren Milieu sollten wir ohne Widerspruch akzeptieren, nur dann konnten wir davon ausgehen, dass wir in Zukunft ein ruhiges Leben führen würden. Aus unserer Sicht erwarteten die Nachbarn von uns ein devotes Verhalten. Sie waren im Begriff, eine Art Führungsrolle zu übernehmen, und wollten über uns bestimmen, eine törichte und bedrückende Anmaßung. Die Lage schien verzweifelt.

Einige belastende Fragen stellten sich: Was war jetzt zu tun? Wie sollten wir auf das anmaßende Verhalten der Nachbarn M. reagieren? Sollten wir überhaupt irgendeine Reaktion zeigen?

Nach tagelangen Überlegungen und Abwägungen beschlossen wir, weder in positiver noch in negativer Weise zu reagieren. Wir wollten nicht auf die unverschämten Forderungen eingehen, verbunden mit der Hoffnung, es werde sich vielleicht doch noch alles einrenken. Vor allem wollten wir nicht mehr diskutieren und den Nachbarn zudem keinen Anlass bieten, von uns Unmögliches zu verlangen. Trotzdem wollten wir den Spagat wagen und den Kontakt zwischen Maria und Penny aufrechterhalten, denn auf die Kinder sollte sich das drohende Zerwürfnis nicht auswirken.

Natürlich erwies sich die Umsetzung unserer Vorstellung in die Praxis als schwierig, denn die Nachbarn versuchten, durch den Kontakt der Kinder auch Kontakt zu uns herzustellen. Die kleine Penny wurde von ihren Eltern benutzt, um Botschaften an uns heranzutragen. Das Kind äußerte, sobald es sich bei uns im Haus zum Spielen aufhielt, dass seine Eltern sich gern mit uns treffen würden und wir uns bei ihnen melden sollten. Wir ließen das Werben der Nachbarn unbeantwortet, um den von uns initiierten Prozess des Auseinanderlebens nicht zu unterbrechen. Selbst eine zufällige Begegnung mit den ominösen Nachbarn versuchten wir zu verhindern, indem Stephanie und ich vor dem Verlassen des Hauses zuerst aus der Haustür schauten, ob sich irgendwo die Nachbarn M. zeigten.

Allerdings konnte ein zufälliges Zusammentreffen nicht gänzlich ausgeschlossen werden, da wir schräg gegenüber den Nachbarn wohnten und eine Begegnung in der Natur der Sache lag, wenn meine Frau oder ich nach Hause kam.

Auffällig war hierbei, dass plötzlich immer öfter einer der Nachbarn M. in ihrem Vorgarten stand, wenn einer von uns nach Hause kam. War das Zufall? Unweigerlich begegneten sich dabei unsere Blicke. Mit einem freundlichen, aber kurzen Gruß, meist verbunden mit einem Handzeichen, grüßte Stephanie oder ich zuerst, was von den Nachbarn M. stets mit einem bohrenden Blick erwidert wurde.

Damit war aus unserer Sicht die Grundlage für eine sorgfältig gesteuerte und unvermeidliche Trennung geschaffen. Bestärkt wurden wir darin von Freunden und Bekannten, die genau wie wir der Meinung waren, dass es letztlich jedem selbst überlassen sein musste, mit wem er nachbarschaftlichen oder freundschaftlichen Kontakt halten möchte. Daher waren wir sicher, dass wir uns auf dem richtigen Weg befänden.

Einige andere Nachbarn, die zuvor mit misstrauischen Blicken unseren Umgang mit den Nachbarn M. zur Kenntnis genommen hatten, bemerkten den Wandel und hießen diesen gut. Dabei waren in den entsprechenden Gesprächen aber auch warnende Worte zu hören, die darauf hinwiesen, dass sich die Nachbarn M. zukünftig ausgegrenzt fühlen könnten und es zweifelhaft sei, dass sie dies einfach hinnehmen würden. Diese Ansichten der Nachbarn machten uns etwas nervös.

Im Laufe der folgenden Wochen kam es zu wiederholten Versuchen vonseiten der Frau und des Herrn M., mit Blicken und Anlächeln um Kontakt zu uns herzustellen, wobei die Nachbarn Stephanie und mich zunehmend beobachteten, wenn wir uns im Garten oder auf der Straße bewegten. Zusätzlich wurde von nachbarschaftlicher Seite getuschelt und gelacht.

Wir ignorierten diese subtilen Formen von Belästigung und grüßten die Nachbarn freundlich in der Erwartung und Ansicht, wir müssten nur lange genug das Ignorieren weiterer Kontaktversuche durchhalten, um das drohende Schicksal zu entkommen.

Privat ging es 1998 voran, Stephanie blieb ihrer Arbeit als Krankenschwester noch fern und versorgte die ein Jahr alt werdende Sina. Das Ende meines Zweitstudiums zeichnete sich ab, im nächsten Jahr sollte die Diplomarbeit folgen, und meine kleine Firma warf ab und an Gewinne ab. Wir konnten eigentlich zufrieden sein.

Das Jahr ging schließlich seinem Ende entgegen und das neue begann. In der kalten Jahreszeit zu Beginn des Jahres waren die Begegnungen mit den Nachbarn nicht sehr zahlreich und deren Zudringlichkeit hielt sich in Grenzen.

Zu Beginn des Frühjahrs 1999 änderte sich diese Situation. Mit den ersten warmen Sonnenstrahlen weilten die Nachbarn M. wieder vermehrt an ihrem Gartenzaun und beobachteten die Straße und die übrige Umgebung. Herr und Frau M. waren nun überwiegend zu Hause. Frau M. übte keine berufliche Tätigkeit aus, Herr M. war die letzten Jahre vor seiner Pensionierung angeblich krank, ging aber seiner nebenberuflichen Tätigkeit mehrmals in der Woche nach. Diese Beschäftigung bezeichnete er selbst als Schwarzarbeit.

Wir stellten eine weitere Situationsveränderung fest, denn bei jeder Begegnung kam es nun bei den Nachbarn M. verstärkt zu Lachattacken, einhergehend mit Blicken in unsere Richtung.

Nach und nach beschlich uns ein beklemmende Gefühl. Die wachsende Neigung der Nachbarn, uns mit Blicken und Gelächter zu verfolgen, musste ihnen in ihrer Erfüllung eine Art innere Befriedigung verschaffen. Stephanie und ich gingen jedes Mal mit dunkler Vorahnung auf die Straße, um zum Auto zu gelangen. Jederzeit mussten wir damit rechnen, dass einer der beiden oder beide Nachbarn sich bereits in der Nähe befanden und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit unserer Person wiederholt missachteten.

Aus diesem Grund wurde auch die Kommunikation mit den Nachbarn immer schwieriger, wenn es um die Absprache der Treffen der Kinder ging. Maria und Penny besuchten zudem dieselbe Kindertagesstätte. Das bedeutete, dass man sich unweigerlich beim Bringen oder Abholen der Kinder begegnete, da es hierfür feste Zeiten gab.

An einem Märztag brachte ich die kleine Maria in die Tagesstätte und bemerkte dort, dass Familie M. zeitgleich mit ihrem Pkw eintraf. Herr M. blieb im Auto, Frau M. stieg mit Tochter Penny aus. Beide blieben anschließend stehen und schienen abzuwarten. Als ich Maria in ihrer Gruppe abgeliefert hatte und im Begriff war, aus dem Gebäude zu treten, kam mir Frau M. schnellen Schrittes entgegen. Unweigerlich mussten wir aneinander vorbeigehen, denn sie wollte ins Gebäude und ich in Richtung Auto. An ihrer rechten Hand hielt Frau M. ihre Tochter Penny, beim Vorbeigehen blickte sie mich mit ihren wässrig-grünen, stechenden Augen an. Ich erwiderte ihren Blick und bemüht mich, sie leise zu grüßen. Frau M. reagierte überheblich und distanzlos, indem sie dicht an mich herantrat und mir dabei laut ins Gesicht lachte, ohne ein Wort zu sagen. Der Anblick war widerwärtig, denn Frau M. verzerrte das Gesicht und schleuderte dabei ihre zerzausten Haare mit mehreren gewaltigen Zuckungen ihres Kopfes umher. Bei diesem kurzen, aber heftigen Auftritt verspürte ich augenblicklich eine tiefe Abneigung und sogar Ekel gegen die Nachbarin.

Auf dem Weg zum Auto grinste mich auch Herr M. an. In diesem Moment wurde mir erneut klar, dass wir es mit Nachbarn zu tun hatten, die intellektuell verkürzt, asozial geprägt und unberechenbar waren.

Zu Hause dachten Stephanie und ich über dieses Vorkommnis nach. Welchen tieferen Grund hatte das Verhalten der Nachbarn M.? Welche Umstände zwangen sie zu solchen Handlungen?

Für den Augenblick der Analyse stellten wir, resultierend aus dem früher und jüngst Erlebten, eine Kombination aus zumindest zwei ausgeprägten Auffälligkeiten der Nachbarn M. fest. Zum einen schien unsere eingeleitete Zurückhaltung gegenüber den Nachbarn, wenngleich behutsam vorgenommen, bei diesen eine ungewollte Reaktion hervorzurufen, ähnlich wie bei einem zurückgewiesenen Liebhaber. Zum anderen viel Familie M. mit einem überhöhten Selbstwertgefühl auf, das sich in einem inszenierten Luxusleben und gänzlich übertriebener Feierlichkeit ausdrückte, überdeckte lediglich tiefsitzende Komplexe und Neid, die auch darin gründeten, dass beide Nachbarn über keine akademische Ausbildung verfügten und Herr M. mit Schwarzarbeit die Familie über "Wasser halten" musste. Unsere Zurückweisung im Speziellen und ihre Komplexe im Allgemeinen erklärten ihre Verhaltensstörungen.

Herr und Frau M. hatten offenbar ein zunehmendes Problem damit, dass wir uns mehr und mehr von ihnen zurückzogen. Ein Problem, das tief wurzelte, denn weitere Freunde und Bekannte waren bei diesen Nachbarn selten zu sehen. Folge dieser sozialen Bindungsarmut war eine gewisse Einsamkeit, gerade bei Frau M.

Unsere Zurückweisung, die von den Nachbarn M. offensichtlich als soziale Ausgrenzung verstanden wurde, sowie der zusätzliche Neid der Nachbarn auf unsere zahlreichen Sozialkontakte waren also augenscheinlich die Gründe für ihre Reaktionen. Aus unserer Sicht handelten sie damit überaus primitiv. Diese Erkenntnis war für uns ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, was in den Köpfen der Nachbarn vor sich ging.

Nur einen Monat später vollzog Frau M. den nächsten Angriff. Vor ihrem Grundstück parkte, wie so häufig, ganz legal mein Pkw. Plötzlich trat sie mit einem Gartenschlauch in der Hand auf den Gehweg vor ihrem Grundstück und begann, den Gehweg abzuspritzen, und zwar in einem bestimmten Winkel, sodass mein Auto großflächig durch den hochspritzenden Schmutz verdreckt wurde. Dabei lachte sie und starrte mich, als ich in diesem Moment die Straße betrat, an. Andere Pkws blieben sauber, insbesondere jener ihres Mannes, der direkt hinter meinem Auto geparkt war. Voller Freude über ihren vermeintlich genialen Schachzug tanzte Frau M. zusätzlich auf dem Gehweg. Ich stieg wortlos in mein Auto und fuhr davon.

Nur wenige Tage später, als ich abends mit dem Auto nach Hause kam, fand ich in nächster Nähe unseres Grundstückes keinen Parkplatz. Daraufhin parkte ich wieder vor dem Grundstück der Nachbarn M. Offenbar fühlten sich diese erneut provoziert, denn am nächsten Morgen musste ich feststellen, dass mein Wagen mit Dreck beworfen war, und am vorderen rechten Kotflügel zeigten sich Kratzspuren.

Die Botschaft war eindeutig. Von nun an parkte ich nicht mehr vor dem Grundstück der Nachbarn M., auch wenn sie dies als Sieg betrachteten und sich noch später an ihr Tun erinnerten, ferner es mit lauten Lachaktionen untermalten.

Anfang Mai 1999 stellte ich einem Kaufinteressenten meinen Wagen vor, der sich diesen intensiv ansah. Mein Auto stand etwa zwölf Meter vom Grundstück der Familie M. entfernt. Der Kaufinteressent stellte sein Auto ahnungslos vor dem Grundstück der schwierigen Nachbarn ab. Es dauerte nur wenige Minuten, dann stand Frau M. mit Gartenschlauch in ihrem Vorgarten und bespritzte ohne Vorwarnung das fremde Auto. Der Interessent sah Frau M. verdattert an und glaubte an einen Zufall. Anschließend schwenkte sie den Gartenschlauch in meine Richtung und versuchte, mich nass zu spritzen. Das Wasser erreichte mich jedoch nicht. Lachend und triumphierend rief Frau M. mir dennoch ironisch zu: „Habe ich dich etwa nass gemacht? Das hätte mir aber leidgetan.“ Anschließend lachte sie lauthals weiter.

Unsere Vermutung zum Handeln der Nachbarn bestätigte sich weiter in den folgenden Wochen. Sobald wir das Haus verließen, wurden meine Frau und ich von den Nachbarn M. beinahe täglich mit überheblichem Lachen und Blicken verfolgt.

Eine jüngere Nachbarin, die wir schätzten und welche die Angriffe der Nachbarn gegen mich und meine Familie schon länger beobachtet hatte, sprach uns in dieser Angelegenheit an. Sie betonte, dass es aus ihrer Sicht zu einer dauerhaft heiklen Lage kommen werde, wenn sich die Nachbarn M. erst einmal permanent auf uns konzentrierten. Sei dieser Zustand erreicht, werde es schwer, jemals wieder Ruhe zu finden. Ich ahnte, dass ihr Ausblick der Realität entsprach, wollte aber noch immer an eine Wende zum Positiven glauben.

Indes hielten die Auswirkungen der defizitären Sozialisierung der Nachbarn M. an. Sie sannen auf weitere Demütigungen, indem sie mich immer wieder teilweise lautstark anlachten, Fotos aus Illustrierten an der Frontscheibe meines Autos befestigten oder demonstrativ den Mittelfinger nach oben streckten, sobald sie mich sahen. Stephanie erging es nicht anders. Dabei nahmen die Nachbarn wieder in Kauf, dass ihre unerlaubten Handlungen ein friedliches nachbarschaftliches Zusammenleben nicht gerade förderten. Ob dies der geringen Intelligenz oder dem überzogenen Geltungsbedürfnis der Nachbarn M. geschuldet war, blieb seinerzeit unklar. Beide Defekte sollten sich zukünftig jedoch noch stärker ausprägen.

Auch zu Beginn des Jahres 2000 setzten die Nachbarn ihre Anfeindungen fort. Nach und nach wurde uns klar, dass sie sich auf den neuen Zeitvertreib eingestellt hatten. Mit zunehmender Freude positionierten sie sich an ihrem Fenster, auf ihrem Balkon oder in ihrem Garten und beobachteten uns oder demonstrierten mit Gesten und Blicken ihre gefühlte Überlegenheit und Macht. Für uns ergab sich eine ausweglose Lage, wir suchten nach einem Rezept der Gegenwehr oder einer gütlichen Einigung.

Der Zeitpunkt war gekommen, unseren Anwalt in dieser Sache zu konsultieren. Nachdem ich ihm die Situation geschildert hatte, entgegnete er, Nachbarschaftsauseinandersetzungen seien ein sehr schwieriges und zeitraubendes Gebiet mit oft unklarer Beweislage. Er machte den Vorschlag, zunächst jedes Vorkommnis aufzuschreiben und dabei abzuwarten, ob sich das Geschehen nicht von selbst beruhige.

Im März 2000 kam es zu einer weiteren Auseinandersetzung. Frau M. betrat, nachdem sie die hinter uns wohnende Nachbarin aufgesucht hatte und deren Grundstück wieder verließ, unseren Grundstücksanteil, um zur Straße zu gelangen. Als sie mich sah, kehrte sie um und stellte sich provokant auf unser Grundstück abseits des Durchganges, verschränkte die Arme und begann mich auszulachen. Mit ihrem bösen Blick und einer schrillen Lachattacke provozierte sie eine Reaktion. Ich forderte sie in ruhigem Ton auf, sofort mein Grundstück zu verlassen, womit ich vonseiten der Frau M. nur Spott erntete. Ich wiederholte meine Forderung, sie aber erwiderte, dass es ihr egal sei und sie sich keinesfalls bewegen werde. Daraufhin begann ich, sie mit einem Besenstil aus dem Grundstück zu schieben, wobei sie sich heftig wehrte, indem sie nach mir zu schlagen begann. Dabei traf sie mich am Kinn. Ich musste nun beide Hände benutzen und sie mit Kraft auf die Straße schieben. Dort stehend brüllte und fluchte Frau M. vor sich hin und ging anschließend eilig in ihr Haus. Nur wenige Augenblicke später trat Herr M. heraus, begab sich in seinen Vorgarten und brüllte und lachte dort lautstark vor sich hin. Seine Frau, die ebenfalls wieder heraustrat, lamentierte dabei laut, als ob ihr ein körperlicher Schaden entstanden sei. Mit dieser auch später praktizierten trickreichen Methode, laut über mich oder meine Familie zu sprechen, sollte bei allen nahen Nachbarn der Eindruck erweckt werden, dass Familie M. ein Unrecht geschehen sei. Beide amüsierten sich noch minutenlang, bis sie sich einig wurden, die Tatsache der eigenen Provokation zu verdrehen und eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten.

Das Ermittlungsverfahren wurde später eingestellt, da Frau M. bei einer weiteren Vernehmung der Polizei selbst angab, dass es keinen Anlass gebe, an der Anzeige festzuhalten, da sie nicht grob angefasst worden sei. Ich stellte fest, dass die unsinnige Anschuldigung der Frau M. letztlich nur der Versuch gewesen war, zu provozieren und einen nachbarschaftlichen Kriegsschauplatz zu eröffnen.

Die kurze Einsicht der Nachbarn M. ermunterte mich zu einem nochmaligen Gespräch mit Herrn M. und später auch zu einer Unterredung mit Frau M. Beide zeigten sich aufgrund meines Drängens bereit, einen Neuanfang zu wagen. Frau M. schien dabei ehrlicher in ihren Aussagen und bestätigte zudem, dass die Belästigungen und Beleidigungen gezielte Aktionen gegen uns darstellten.

Herr M. argumentierte hingegen, wie bereits in vorangegangenen Gesprächen, völlig zusammenhanglos und bediente sich wieder eines arroganten und machtvollen Tones, um von Beginn an mögliche Gegenargumente zu unterdrücken.

Trotzdem sahen wir eine gewisse Chance, dem nachbarschaftlichen Unfrieden zu begegnen, und die Hoffnung auf eine normale Nachbarschaft wurde belebt. Auch wenn wir uns zuvor geschworen hatten, niemals wieder mit den Nachbarn irgendwelche Kontakte zu schließen, sahen wir nun den Moment gekommen, endlich eine gewisse Normalität in dieser Nachbarschaft herzustellen, denn die Alternative schien uns wenig attraktiv. Unser Schmusekurs war durch das Nachbarverhalten bedingt, jedoch sahen wir für eine nachhaltige Besserung der nachbarschaftlichen Situation keine andere Möglichkeit.

Von nun an grüßten wir einander wieder normal, wenn wir uns begegneten, auch die Kinder konnten wieder ohne Vorbehalt miteinander spielen. Es waren entspannte Monate, ohne Angst und mit befreiender Unkompliziertheit. Der Schritt auf die Straße oder in unseren Garten wurde nicht mehr neugierig beäugt und von beleidigenden Kommentaren begleitet – ein eindrucksvolles Ergebnis. Wir hielten uns indes noch immer zurück und betraten das Grundstück der Nachbarn, trotz des Werbens der Familie M., nicht.

Ein kurzes Gespräch auf der Straße oder am Gartenzaun kam dagegen zustande. In einem dieser Gespräche fragte mich Frau M. nach unseren Plänen für den Sommerurlaub. Ich erzählte ihr, dass wir ans Meer fahren und dort den Urlaub verbringen würden. Daraufhin fragte sie nach dem konkreten Urlaubsort, den ich ihr ehrlich nannte. Erfreut rief sie sogleich, sie werde dort im Sommer ebenfalls Urlaub machen, ihre Mutter wohne dort und die gesamte Familie M. mache dort gern Urlaub. Ich sah sie verblüfft an und lächelte ihr dann etwas düster zu. Sie ignorierte meinen Blick, übernahm sofort die Initiative und bemerkte, es sei kein Problem, sich dort zu treffen, denn ihr Urlaubsort sei vom unsrigen nicht weit entfernt. Sie bot sogleich ein Treffen auf der Urlaubsinsel an. Ich bejahte ihre Idee freundlich, verabschiedete mich und informierte Stephanie und Maria hierüber.

Die Neuigkeit stieß bei meiner Frau auf wenig Begeisterung, Maria hingegen war voller Freude. Stephanie bemerkte zu Recht, dass sie die Nachbarn nicht wieder zu dicht an sich heranlassen möchte, schon gar nicht nach den Geschehnissen der Vergangenheit und am wenigsten im Urlaub, wo sie eigentlich ihre Ruhe haben wollte. Ich stimmte ihr zu.

Die Sommerferien begannen und wenig später machten wir uns auf den Weg zur See. Unser Hotel, direkt am Strand, aber abseits der quirligen Seebäder gelegen, versprach bei überwiegendem Sonnenschein schöne Urlaubstage. Bei herrlichem Sommerwetter saßen wir eines Nachmittags am Strand, das Meer blieb an diesem Tag besonders ruhig, und wir hofften, dass Familie M. uns vergessen hatte.

Plötzlich hörten wir die unverwechselbare Stimme der Frau M. und sahen von unserem Strandkorb aus am Ufer tatsächlich die Nachbarn näher kommen.

Maria sprang auf und rannte Penny laut rufend entgegen. Na ja, wenigstens eine freut sich, dachte ich und richtete mich mit Stephanie fast zeitgleich auf, um den Besuch zu begrüßen. „Was man nicht alles tut, um später zu Hause weniger Stress zu haben“, flüsterte ich Stephanie leise ins Ohr. Sie nickte.

Wenige Sekunden später stand Familie M. vor uns und begrüßte uns in ihrer lauten und überschwänglichen Art, sodass einige Urlauber in der Nähe ungläubig die Szenerie beobachteten.

Anschließend setzten wir uns nieder und unterhielten uns über unsere Kinder, den Urlaub und unsere Unterkunft. Frau M. betonte dabei immer wieder, wie schön sie untergebracht seien, mit einem Unterton der Kritik an der Lage unseres Hotels. Erst später erfuhr ich, dass ihre Unterkunft das Haus ihrer Mutter war, inmitten trister Plattenbauten. Wir nahmen die Meinung lächelnd hin und versuchten, die Unterhaltung auf die spielenden Kinder am Strand zu lenken. Herr M. übte sich, wie gewohnt, in leeren Phrasen und begab sich wieder in seine eigene Gedankenwelt.

Frau M. hatte zu unserem Erstaunen vorgesorgt und der Temperatur entsprechend einen Vorrat an Getränken mitgebracht. Beim Auspacken hielt sie statt Mineralwasser jedoch mehrere Flaschen Bier in den Händen, öffnete diese und trank eine Flasche nach der anderen in der Nachmittagshitze. Insbesondere Stephanie war dies sehr peinlich, denn der Auftritt der Frau M. blieb auch den Strandkorbnachbarn nicht verborgen, die uns kritisch beäugten. Bereits in der ersten Stunde gelangten zwei Bier in die Leber der Frau M. Ihr Gesicht war leicht gerötet. Herr M. gab zu jedem Diskussionspunkt seine typischen Kommentare ab, die lustig wirken sollten, stattdessen aber eher seine wirren Gedanken offenbarten.

Etwas später schlug meine Frau vor, die Kinder aus der Sonne zu holen und in Richtung unseres Hotelzimmers zu gehen. Auch wurde es Zeit, die Nachbarn M. vom Strand wegzulocken, denn wir wollten dort mit unserem Besuch nicht länger auffallen.

In unserem Hotelzimmer angekommen inspizierten die Besucher unsere Unterkunft, dabei durften Bemerkungen nicht fehlen, dass sie dies alles schon besser gesehen hätten. Um weiteren Äußerungen zu entkommen, unterbreiteten wir den Vorschlag, auf die Hofterrasse des Hotels zu gehen, da heute Livemusik gespielt werde und dabei ein gemütliches Zusammensein bei einem Glas Wein möglich sei. Das Angebot wurde gern angenommen.

Auf der Hofterrasse angekommen setzten wir uns nahe dem musischen Alleinunterhalter. Nach dem Konsum der durch das Hotelpersonal verabreichten Getränke wurde die Stimmung gelöster. Herr M. bemühte sich noch immer darum, lustig zu wirken, allerdings vergeblich, und Frau M. genoss das Bier in vollen Zügen.

Nach etwa zwei Stunden gelangten wir alle zu der Einsicht, etwas essen zu müssen. Ich machte den Besuchern den Vorschlag, sich im hoteleigenen Restaurant zu stärken, wo es für einen Festpreis von 18 Euro das Abendessen mit einheimischen Spezialitäten am Buffet gebe. Um in das Restaurant zu gelangen, musste man an der Hotelrezeption vorbeigehen und sich anschließend am Restauranteingang bei einem Hotelmitarbeiter anmelden. So erklärte ich es den Besuchern, die freudig nickten und äußerten, sie würden uns gleich folgen. Ich ging also mit Stephanie und den Kindern voran.

Als wir im Restaurant eintrafen, sahen wir unseren Besuch bereits winkend an einem Restauranttisch sitzen. Wir waren überrascht und fragten sie, wie sie hereingekommen seien. Lachend erklärten sie, dass sie mit ihrem Kind einfach über den ein Meter hohen Zaun gestiegen seien, der die Hofterrasse vom Restaurant trennte. Kichernd gaben sie zu verstehen, dass ihnen die Kosten für das Buffet zu hoch erschien und sie deshalb nicht den offiziellen Weg gewählt hätten. Natürlich stärkten sie sich anschließend ausgiebig am Buffet und freuten sich den gesamten Abend über den gelungenen Betrug.

Zu den individuellen Eigenschaften der Familie M. gehörte eben auch ihre gerissene Art, sich jederzeit geldwerte Vorteile zu verschaffen, auch wenn dies illegal war. Manche Menschen kennen eben keine Moral.

Obwohl Herr M. am Abend noch Auto fahren musste, kippte er ein Glas Wein nach dem anderen in sich hinein. Dabei hob sich seine Stimmung von Glas zu Glas. Mit seiner typischen überzogenen Selbstdarstellung betonte er konsequent seine Rolle eines Mannes für alle Herausforderungen des Lebens. Frau M. outete sich nicht eleganter. In ihrem Bierkonsum konnte mit jedem gestandenen männlichen Biertrinker mithalten. Mit fröhlichem Geschrei reagierte sie auf jede noch so dumme Bemerkung ihres Mannes und zog zunehmend die Blicke anderer Gäste auf sich. In diesem abendlichen Auftritt der Familie M. sahen wir eine Wiederholung der Ereignisse vom Geburtstag im Januar 1998. Mit erzwungener Zurückhaltung beobachteten Stephanie und ich das Gelage und das auffällige Benehmen unserer Besucher. Eine kritische Bemerkung wagten wir nicht, dies hätte uns nur nachhaltig geschadet.

Zu unserer Freude musste der genussvolle Abend ein relativ frühes Ende finden, denn das Restaurant schloss bereits um 22 Uhr. Unsere Besucher verabschiedeten sich endlich und luden uns mit einer minutenlangen Schwärmerei über ihre Urlaubsunterkunft zu sich ein, wobei wir diese Einladung dankend annahmen, ihr aber letztlich nie folgten.

Natürlich kamen wir an diesem Abend erst sehr spät ins Bett, denn die vergangenen Stunden beschäftigten uns anhaltend. Bei unserer nächtlichen Unterhaltung wechselte stetig die Erkenntnis über die Absonderlichkeiten der Nachbarn M. mit einem Gefühl der inneren Leere und der dunklen Vorahnung, dass wir unaufhaltsam auf eine Ausweglosigkeit bzw. eine Ausgeliefertsein zusteuerten. Mit diesen fürchterlichen Gedanken konnten wir nur schwer einschlafen und erwachten am nächsten Tag mit schwerem Kopf und schlechter Laune. Kein guter Start in einen sonst sehr schönen Urlaubstag.

Nur mit Mühe vergaßen wir das Erlebte und konzentrierten uns auf die letzten verbliebenen Tage. Der Urlaub endete schließlich und wir mussten mit den Kindern wieder nach Hause fahren.

Glücklicherweise stellten wir fest, dass die Nachbarn M. noch nicht daheim waren und sich noch an ihrem Urlaubsort aufhielten. Sicher war aber auch, dass es sich nur um eine Schonfrist von wenigen Tagen handelte. Wir bemühten uns, wieder in den Alltag zu finden, und vergruben uns in der Hoffnung, dass die Anreise der ungeliebten Nachbarn noch etwas dauern werde. Doch wir wurden enttäuscht – nur einen Tag später fuhren diese mit dem Pkw an ihrem Haus vor.

Schon am nächsten Tag winkte und lachte Herr M., der zuerst gewohnheitsgemäß minutenlang die Anwohnerstraße ausgekundschaftet hatte, uns bereits zu und wir erwiderten müde seinen Gruß.

Für uns stand fest: Die Sache musste irgendwie ein Ende haben. Wir beschlossen, uns endgültig zurückzuziehen.



Подняться наверх