Читать книгу Dados Vermächtnis - E. A. Kriemler - Страница 7

4. Kapitel

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«Jenny, he Jenny, hörst du überhaupt zu?» Die Kameradin vom Nachbarsblock stupft sie in die Seite. Jenny öffnet die Augen, zupft das Leibchen zurecht, über ihr dürre Blätter, knorrige Äste einer Weide, spenden spärlich Schatten. Die anderen unten am Fluss. Der sich tief in Bett zurückgezogen, kaum Hüfthöhe, dazwischen Felsbrocken, wuchtige Steine, vertrocknete Algen, fauliger, modriger Geruch. Dahinter alte Fabrikmauern, eingeschlagene Fensterfronten, Sinterlingens Industrieareal, die Hälfte verlassen, eingestürzt. Jenny hebt den Kopf, schaut der Bande kurz beim Plantschen zu, Johlen, Gekreische, die einzige Abkühlung bei der Affenhitze.

Ja, noch da, bloß müde, erschöpft, das erste freie Wochenende seit 'ner Ewigkeit. Solle ruhig weitererzählen, voll bei ihr. Legt sich wieder hin, schließt die Lider, aus weiter Ferne der Bericht, was sie über den Sommer alles verpasst. Einer vom Quartier beim Sprung ins Wasser das Bein gebrochen, sich ans Ufer gerettet, seine Flamme mehr geflennt als er; der alte Malermeister sich im Suff eine Prügelei geleistet, ausstehende Zahlungen oder so; Ende Juni den alten Jugendraum aufgebrochen, die Party des Jahres, bis die Polizei einmarschiert, ihr Bruder vielleicht davon erzählt, habe dort aufgelegt. Ein Sommer wie jeder andere, einschläfernd, Gutenachtgeschichten, drehte Jenny nicht die vergangene Woche im Kopf.

Wurde im Bürgerforum in die zweite Reihe, zu den Kinderpulten gesetzt, im Blick der älteren Jahrgänge, kontrollieren, überwachen sie. Neben ihr ein Schnösel, frisch ab der Uni, Betriebswirtschaft, ausgerechnet, der Anzug schweineteuer, ihr unter die Nase gerieben, von Papa geschenkt. Aber wie hoch die Chance, dass der Sitznachbar dir sympathisch, wenn die Miniausgabe der Gesellschaft im Saal? Ja massig blöde Idioten da draußen, nicht? Die erste Forumssitzung ergebnislos, sollten die Geschäftsordnung abnehmen, vier Stunden darüber gestritten, ohne Resultat. Ein Riesentheater wegen den paar Seiten, glaubt’s bis heute nicht. Ob die Kommissionen tatsächlich nötig, der Stichentscheid gestrichen, die Fraktionspräsidien wiedereingeführt, wer dazu schon ´ne Meinung? Einer zwanzig Minuten lang über die Redezeitbeschränkung hergezogen, bis man ihn vom Podium gezerrt. Dann der Einwurf, nach welchen Regeln überhaupt entschieden ohne gültiges Reglement, bräuchten hundertprozentige Zustimmung, ansonsten eine Diktatur der Mehrheit. Irgendwann nur noch Bahnhof. Erst gestern der Entscheid, die vorgeschlagene Ordnung vorläufig zu übernehmen und zur gemeinsamen Beratung auf die Plattform zu stellen. Werden nie was verabschieden, wenn das so weitergeht.

Grölend kehrt die Meute zurück, schütteln sich, eine wringt die Haare über ihr aus. Was die Frau Bürgervertreterin hier faul herumliege, sich etwa zu schade fürs Wasser? Jenny kreischt, Nutte, lacht auf, windet ihr Shirt aus. Verteilen sich auf die Tücher, lassen ihre nassen Körper in der Sonne trocknen, außer Atem vom Herumbalgen im Fluss. Ein Kumpel streckt ihr ein Bier entgegen, lauwarm, mehr gebe die Kühlbox nicht her, müsse sich damit begnügen, gäbe keinen Erstklasse-Service hier. Die nächste Runde ginge dann auf sie, über Jenny eine Stimme, einer grinst vom Baum herunter. Für die nächsten sechs Jahre unkündbar, ein saftiges Gehalt, sie den Jackpot geknackt. Solle ihr bloß nicht in den Kopf steigen, der kleinen Malergesellin. Sein Onkel ihm nicht mal den Juli-Lohn ausbezahlt. Der Laden laufe nicht gut, was soll er machen, Familie, könne schlecht streiken, sich aus der Kasse bedienen.

Einen Schluck der abgestandenen Brühe, zaghaft, Jenny reicht die Dose rasch weiter. Die Nachbarin kippt die Hälfte weg, den Kopf im Nacken. In der Heimatstadt alles noch im selben Trott, vertraut, drehte sich weiter, bloß ohne sie, ihr Sommer unwichtig, war halt weg, jetzt wieder da. Das gewohnte Programm, selbstverständlich, unbekümmert, beruhigend irgendwie. Kein Bock die Idylle mit ihren Geschichten, Sorgen zu durchbrechen. Muss die nicht interessieren, dass sie die Sommeruni beinahe geschmissen, nur mit größter Mühe über die Runden gebraucht, wirklich nicht.

Schule sie schon immer gehasst, der ständige Kampf um Ansehen, Respekt, Beifall. Der alte Unmut auf einmal wieder da, der Ärger, der Frust, versuchte es abzuschütteln, schaffte es nicht. Musste am Gebäude liegen, am Geruch, der aus den Mauern drang. Energiegetränke, Fliesenreiniger, Angstschweiß. Über Wochen eingesperrt, im ewig gleichen Seminarraum, zwölf Menschen, nichts gemeinsam, außer den einfachen Berufsabschluss. Die Pflegerin mit ihrem Kauderwelsch, ständigen Klagen, der Rücken, die Knie, die Nachtschicht, die ihre Beziehungen zerstört. Der Automechaniker aus ´nem Gott verlassenen Kaff, Groll auf alles Fremde, kurz vor der Pension. Die fünffache Mutter, vor zwei Jahren den ersten Job, die Kinder ausgeflogen, Jesus in jedem dritten Satz. Was wollte sie mit denen? Die vorgesehenen Gruppenprozesse verliefen im Sand. Da gab es nichts zu plaudern, zu diskutieren, sahen alle so. Zwei Typen halbwegs in ihrem Alter, wurde von ihnen angebaggert, großkotzig, billig, von oben herab. Jenny während den Pausen in den Gängen rumgelungert, verlegen, gelangweilt, stumm, Gespräche eine Qual.

An der Tafel Fachidioten, von der Klasse überfordert, strampelten sich einen ab, verzweifelt, lachhaft, bemüht. Kamen nicht an gegen die matten, müden Gesichter, die Stimmung im Raum. Der Stoff viel zu viel, ihnen in drei Monaten eine ganze Bibliothek in den Schädel gedrückt. Da eine Rechtsquelle, hier ein Diagramm, noch ´nen Staatsvertrag. Ihre Gedanken regelmäßig abgedriftet, mochte nicht mehr, sich ausgeklickt. Am Abend geflucht, genervt, sie zu dumm, beschränkt, sich geschämt. Die Übungen in den letzten Wochen unlösbar, ein riesiges Rätsel, müsste jetzt nicht aus der Schaltzentrale fliehen, wenn sie die gecheckt. Nach dem Unterricht sich immer häufiger in ihrem Drei-Sterne-Zimmer eingebunkert, auf Staatskosten die Minibar geplündert, durch die Kanäle gezappt, keinen Plan, was sie mit sich anstellen soll.

Die Jungs gingen auf den Fabrikplatz, kicken, die Nachbarin reißt Jenny aus ihren Gedanken, wolle zuschauen, komme sie mit? Ne, ihr dort zu heiß, schüttelt den Kopf, komme später nach, vielleicht. Eine Umarmung, zwei, drei Handschläge, ein letzter Schluck Bier, die Truppe zieht weiter, verschwindet hinter den Mauern, in der nächsten Seitengasse. Jenny studiert das Rinnsal vor sich, hatte bereits den ganzen Mittwochnachmittag an dessen Ufer verbracht, zig Kilometer weiter abwärts, in Lehenstädt. Derselbe Fluss, nur breiter, zäher, schmutziger, über die Wellen gestarrt, gewartet, dass was geschieht. Im Halbstundentakt die Plattform geprüft, ob da ein Bürgerantrag reinkäme, in den Foren was Spannendes diskutiert, tat sich nichts. Dados gesamtes Profil abgerollt, seine Unterstützer durchgeguckt, enttäuscht, erleichtert zugleich. Niemand, den sie kontaktieren, mit dem sie irgendwelche Positionen verhandeln muss. Die Vorstellung ihr unangenehm, seit sie’s an der Sommeruni geübt, durchgespielt, keine Ahnung, wie sie das deichseln soll, in echt.

Severin kann sie spülen, fragt den nicht um Hilfe an, sicher nicht. Sie wie ein kleines Mädchen behandelt, kann sie mal, bereits am ersten Tag. Doch selbst unsicher, am Herumeiern, von der kleinsten Frage aus der Bahn geworfen, gegen Dres’ Gemecker keinen Stich. Der pessimistische Stänkerer fällt auch grad weg. In der letzten Woche kaum ein positives Wort, den Finger mit Genuss in jede Wunde gelegt. Er Mersad in der Fraktionssitzung ernsthaft vorgeworfen, dass das Übergangsparlament die Geschäftsordnung verkackt, als sei Mersad verantwortlich für das Gekeife, die Uneinigkeit im Parlament. Silvia in der Pause abgewinkt, rangelnde, wetteifernde, Männer, entkomme denen nicht.

Jenny unsicher, ob sie Mersad hier dazuzählen soll. Wenn er sich in den ersten beiden Sitzungen gemeldet, immer was zu sagen gehabt, sprach überlegt, sicher, unaufgeregt. Glaubt nicht, dass dies bloß an den zwei Jahren Ratserfahrung liegt. Seine Stimme angenehm, wünschte sich, er würde nie zu reden aufhören. Vergebens, kein Schwätzer eben. In seinen Augen eine melancholische Weisheit, wo kriegt man die mit sechsunddreißig Jahren bloß her? Könnte mit ihr zusammensitzen, ihr Tipps geben, vorher bei den Grünen, sollte sich auskennen im Umweltschutz.

Ein Pfiff, auf dem Fußweg zwei Typen auf Fahrrädern, rufen ihren Namen, kennt die nicht wirklich, ein paar Mal gesehen, fünfzehn Meter entfernt. «Na, schon mit dem großen Häuptling Dado rumgeknutscht?» Volle Lautstärke, das halbe Ufer dreht sich zu ihr um, peinlich. Jenny streckt den beiden den Mittelfinger entgegen, Arschlöcher, weiß nicht anders zu reagieren, sich zu wehren. Die beiden johlen, brüllen wie Tiere, strecken ihr den Hintern entgegen, greifen sich an den Sack. Jenny steht auf, sollen sich verpissen, macht einen Schritt auf sie zu, wirft einen Stein nach ihnen. Die zwei schwingen sich auf ihre Räder, spotten, grinsen, düsen davon. Sauer legt sich Jenny auf ihr Badetuch, sollen nicht so blöd glotzen, plötzlich froh, dass sie nicht den ganzen Sommer daheim verbracht.

Die Szene, Silvia hätte die spöttisch kommentiert, hormongesteuerte Komplexkompensation, oder so. Ihre neue Lieblingsrentnerin, mit ihr bisher am meisten Zeit verbracht. Am Buffet nach der Vereidigung ihr nicht von der Seite gerückt, fasziniert von ihrer lockeren, leicht ruppigen Art. Hat Jenny in das ganze Ritual eingeführt. Wem man sich vorstellen soll, wer reine Zeitverschwendung, was einem die Körpersprache über die Machtverteilung in einer Gruppe verrät, wie man sich charmant in eine Runde drängt, jemanden abschüttelt, wenn man zugetextet wird. Geschaut, dass Jenny ihr Glas nicht hinunterstürzt, mit vollem Mund spricht. Jenny nie gedacht, dass Essen, Trinken so anstrengend sein kann. Wenn sie das hier nicht beherrsche, alle Kommissionsarbeit wirkungslos, umsonst.

Ihr Mobilgerät vibriert, eine Nachricht von der Nachbarin, hingen heute Abend zum Feiern in 'nem leerstehenden Haus ab, solle sie verbeikommen, sie abholen? Jenny lässt die Frage unbeantwortet, packt ihre Sachen zusammen. Erst mal schauen, ob Mamma was gekocht.

Dados Vermächtnis

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