Читать книгу Dados Vermächtnis - E. A. Kriemler - Страница 9
6. Kapitel
ОглавлениеEin Knall, Silvia die Tür des Fraktionszimmers hinter sich zu gedonnert, verwirft die Hände, verkrampft, frustriert, ein stummer Schrei, verzieht ihr Gesicht, für Sekunden eine faltige, furchige Fratze. Mersad in sich zusammengefallen, blickt von seinem Stuhl kurz zu ihr hoch. Hätten das halbe Frühjahr verhandelt, schüttelt er den Kopf. Bei den Grünen diskutiert, über Monate, bis sie eine kompatible Kandidatin gefunden, sich für sie eingesetzt, gekämpft. Und nun das!
Severin den Weg als letztes geschafft, schlurft durch die Tür, schaut starr auf sein Telefon. Mit ihm die ganze Fraktion im Raum, von den Gängen her dumpf die aufregte, hechelnde Medienschar. Jenny geladen, Lust den Papierkorb in die Ecke zu treten. Die Wahl der Regierung heute auf dem Plan, der Abschluss der Revolution, der letzte Schritt. Jenny nervös, aufgekratzt, seit sie wach. Den rebellisch roten Schal umgeworfen, der Anstecker der großen Aktion, zu niedlich, nett sollte es heute nicht sein. Die Stimmung im Bürgerforum gespannt, der Zettel mit dem Zwölfervorschlag der Ex-Parteien, Jenny ihn vor Aufregung beinahe zerknüllt. Vorne beim Präsidium die Übergangsregierung, Vertreter der Bewegung, Parteipräsidenten, Staatssekretäre, für die Stabsübergabe komplett aufgereiht, bereit für den großen Akt. Dado mit Abstand der jüngste, an vorderster Front, in echt, Jenny konnte ihn beinahe berühren, kein Großbildschirm, keine Masse, die sie von ihm trennt. Lies den Blick nicht von ihm, seinen strahlenden Augen, seinem markanten, bärtigen Kinn. Das Lachen zuversichtlich, gewinnend wie immer, Vorfreude, würde ihn heute kennenlernen, die Hand schütteln, endlich, spürte es.
Aufs Mal fünf Bürgervertreter aufm Podest, einer der Nationalen Identität am Mikrofon, die übrigen von den Fraktionen Familie und christliche Werte, starkes Gewerbe, Recht und Ordnung, Landwirtschaft. Müssten leider die Feier stören, tät ihnen leid. Den Eindruck machten sie auf Jenny nicht. Seien letzten Donnerstag zusammengesessen, spontan, Feierabendbier. Am Tisch plötzlich die Frage, wieso das Bürgerforum seine Regierung nicht selbst bestimme, warum dieses neue, weltweit einzigartige Parlament sich freiwillig dem Willen abgetretener Parteien unterwerfe. Hätten seit letzter Woche doch nichts mehr zu melden, verstünden es bis heute nicht. Eine Kunstpause, im Saal Gemurmel. An dem Abend den offiziellen Vorschlag durchgegangen, gestrichen, ergänzt, zuerst zum Spaß, doch als die Vorstellungen sich gedeckt, die Sache schnell konkret.
Unruhe, auf dem Podium irritierte Blicke, die Übergangsregierung vom Aufritt überrumpelt, ein Handzeichen Dados abzuwarten, sich nicht einzumischen. Ihr Führungsteam setze auf Stabilität, fuhr der Typ vorne weiter, auf den Fortbestand der Revolution. Währendem flatterte eine Nachricht mit zwölf Namen rein, ihr Alternativvorschlag, Jenny zu aufgewühlt, um ihn genauer durchzuschauen. Hätten es sich nicht leicht gemacht, seien sich ihrer Verantwortung bewusst. Hätten mit Leitmeyer den idealen Regierungschef gefunden. Habe als Ex-Parteipräsident des Bundes für Freiheit und Recht der Bewegung zum Durchbruch verholfen, sei als Mitglied der Übergangsregierung mit den aktuellen Geschäften, der Lage der Republik vertraut. Ein Garant, dass die Revolution weitergeführt, werde Graatland in eine strahlende Zukunft führen. Dieser Überzeugung auch die Mitkandidaten, der Typ am Rednerpult wedelte mit dem Finger. Eine breit abgestützte Besetzung, für ihr Liste Vertreterinnen, Vertreter aller wichtigen Ex-Parteien gewonnen, darauf besonders stolz.
Fünf Kolleginnen, Kollegen rängen um freie Wahlen und stützten versehentlich die geplante Konsensregierung, so nebenbei, abends, an der Bar. Silvia lacht verzweifelt auf, schließt die Tür des Sitzungszimmers, muss niemand reinlatschen jetzt. Welch verlogene Geschichte, niemandem vorgeschrieben, wen sie wählen sollen. Die Verfassung umgangen, geheime Absprachen, ein hinterlistiger Putsch, von langer Hand geplant, das die Wahrheit. Übers Wochenende schnell, schnell eine zwölfköpfige Regierung aufgestellt, passend, genehm, von allen getragen, eine Koalition zusammengeschustert, doch unglaubwürdig so was.
Ob die Geschichte erfunden, zweitrangig. Mersad matt, fährt mit den Händen über den verspannten Nacken, drückt daran herum. Ihre Strategie aufgegangen, Leitmeyer an der Macht, mit fünf seiner engsten Mitstreitern. Vor zwei Jahren auf den hintersten Bänken der Opposition, danach in der Übergangsregierung und nun mit Stichentscheid in der Regierungsmehrheit. Ein Aufstieg wie im Bilderbuch, hätten die wenigsten Staatsmänner hingekriegt. Wohl eher Hampelmann, Silvia gehässig, fällt Mersad ins Wort, eine Marionette der Eminenz. Gesehen, wie der Leitmeyer neben seinen Ex-Kollegen gegrinst? Sein Glück wohl selbst kaum fassen können.
Als die Aufregung im Forum sich etwas gelegt, übernahm die Frau in der Fünfervertretung das Mikrofon. Ihre Fraktionen stünden geschlossen hinter der Liste Leitmeyer, unbeirrbar, eisern, konsequent. Dieser Pakt, der ginge über den heutigen Tag hinaus, teilten eine gemeinsame Vision für dieses Land, dies die letzten Tage gezeigt. Ihre Stimme eindringlich, schrill. Verkünde hier und jetzt die Geburt der Koalition für Volk und Nation, eine Zusammenarbeit über die thematischen Grenzen hinaus. Für ein Graatland in alter Größe, aufrecht, ruhmvoll, stark. Jenny beinahe gekotzt.
Die fünf Rädelsführer bereits während der Übergangszeit im Parlament, beim Bund für Freiheit und Recht gesessen, alle zusammen, nicht groß aufgefallen. Mersad entschuldigt sich, denke gerade laut. Leitmeyers Mitstreiter damals ihre Kollegen, alte Hasen, in der Hierarchie über ihnen. Sich im Rat gefragt, ob sie denen die Idee eingeflüstert, zugeschoben. Die Beziehungen für einen solchen Coup, die kriege man in den zwei Jahren doch nie hin.
Die sechs Kandidatinnen und Kandidaten der übrigen Parteien pingelig genau zusammengesetzt, der Wahlzettel beinahe perfekt. Silvia holt die Liste hervor, geht sie anerkennend durch. Positionen, Bindungen, Wahlkreis, Alter, Geschlecht, greife alles ineinander, ergänze sich ideal. Da habe jemand gute Arbeit geleistet, wer auch immer das wahr. Wohl freie Auswahl gehabt, beim Entscheid Regierung oder Karriereende, sage dir keiner ab.
Jenny sich auf ihren Platz geschlichen, beobachtet die Szene aus sicherem Abstand, stumm, ihr Bein angezogen, die Lehne an die Täferwand gekippt, erschlagen, keine Kraft zum Mitdiskutieren. Beschissene Berufspolitiker, denen noch nie über den Weg getraut. Angepasste Mitläufer, verzweifelte Sesselkleber, Arschkriecher ohne Rückgrat, schon immer gewusst. Sollen sich verpissen, kein Wunder wollte Dado die weg. Wird Leitmeyers Antrittsrede morgen boykottieren, so was von. Und dann stellen sich die Säcke als Retter der Revolution dar, verfickte Frechheit. Was die denn geleistet, die irgendwo mitmarschiert? Umgeschwenkt, als es nicht mehr anders ging, das haben sie getan! Fertig, mehr nicht. Wie wagen die es, ihre Klappe aufzureißen? Die Revolution, das sind Dado, die Bewegung, sie hier.
So geheim der Plan dann doch nicht gewesen, bloß weil die nicht an die Medien damit. Dres am Fenster, mischt sich in die Diskussion ein, den Blick nach draußen, zu den Übertragungswagen vor dem Forum. Die Ausrufe verhalten, gefasst, als die fünf Nasen das Podest geräumt, nicht das große Chaos. Stattdessen das Bündnis Fortschritt und Innovation ausgerufen, gerade zwei Redner später. Die liberalen, wirtschaftsnahen Fraktionen vorzeitig davon Wind gekriegt, lässt sich nicht anderes erklären.
Und die Armleuchter verkünden gleich, die Liste Leitmeyer zu unterstützen, zu tolerieren! Silvia gibt sich Mühe nicht zu fluchen. Die Wahl damit gelaufen, aufgegeben, bevor das Spiel begonnen. Volk und Nation nicht mal die Mehrheit, bloß zweiundneunzig von zweihundert Sitzen. Eine anständige Debatte hätte Löcher in deren Front gerissen, einige umgestimmt, doch nicht alle auf Linie nach ein paar Tagen Ratsbetrieb.
Dennoch, als Opposition die riesig, viel zu mächtig. Mersad winkt ab. Das Bürgerforum würde dadurch lahmgelegt, die Drohkulisse beängstigend, den Leitmeyer mal machen zu lassen, wohl keine schlechte Strategie. Entgeistert starrt Jenny ihn an, knickt der jetzt auch einfach ein?
Von ihnen schlussendlich Silvia am Rednerpult, die Liste der Ex-Parteien beworben so gut es ging, spontan, unvorbereitet, improvisiert. Jenny ihr angesehen, dass sie am liebsten einfach losgewettert, sich bloß knapp beherrschen konnte. Eine von fünf erfolglosen Beiträgen, zwei Fraktionen meldeten sich schon gar nicht zu Wort. Dado, die Übergangsregierung den Saal für die Debatte verlassen, kehrten zur Verlesung des Wahlresultats nicht mehr zurück.
Ja, ja, die Lage unerfreulich, beschäftige ihn gerade mehr, wieso sie davon nichts mitgekriegt. Dres schaut Severin herausfordernd an. Das halbe Bürgerforum im Bilde, offenbar, und sie heute morgen ahnungslos im Saal, unvorbereitet, liefen direkt in den Hammer hinein. Möchte sich nicht gewöhnen an so was. Die Bewegung doch vernetzt, Severin mit Beziehungen zum großen Häuptling Dado selbst, seit Jahren mit dabei! Was laufe da denn schief? Severin zuckt wortlos mit den Schultern, betreten, ein entschuldigender Hundeblick.
Ein Klingeln, Schellen und Summen, Jenny zuckt zusammen, auf ihren Geräten die Medienmitteilung der Bewegung: Wahl der Liste Leitmeyer: Ernüchterung und Zuversicht. Zur Kenntnisnahme, bevor die offiziell raus. Angespannt, hektisch liest Severin daraus vor:
«Mit dem Geist der Verfassung ist die heutige Wahl ... nur bedingt vereinbar. Diese sieht eine fraktionsübergreife Regierung vor, basierend auf der Unterstützung der Bürgerinnen und Bürgern in der staatlichen Plattform... In einem aufwendigen Prozess habe der Zwölfervorschlag der Ex-Parteien versucht, diesem Ansinnen so nah als möglich zukommen... Die Bewegung zeigt sich enttäuscht, dass die Liste verworfen... akzeptiert das Resultat jedoch im Vertrauen, dass das Bürgerforum die ihr zugewiesene Aufgabe verantwortungsvoll, in bestem Wissen und Gewissen ausgeführt... Zu einzelnen Personalien der heutigen Regierungswahl werden sich weder die Bewegung noch Häuptling Dado äußern.»
Hilfloses, inhaltsleeres Gefasel! Dres verdreht die Augen, wirft sein Telefon auf den Tisch. Ein lausiger Versuch ihre Schlappe zu vertuschen, nicht mal Verantwortliche gefunden, denen mit Konsequenzen gedroht. Nein, ernsthaft, woher wollten die wissen, welches Resultat der gesetzmäßigen Prozedur am nächsten? Ihr Zwölfervorschlag, der Leitmeyer, sonstige Fritzen. Haarspalterei, ne Kristallkugel vertrauenswürdiger. Das Bürgerforum heute zwölf ihrer Vorgänger in die Regierung gehoben, wie verlangt. Halt keine Garantie, dass einem alle genehm, sei Politik, das Parlament einen freien Willen zum Glück. Jenny, die anderen verdattert, betrachten ihn misstrauisch, besorgt. Ihre ungläubigen Gesichter stacheln Dres weiter an. Ja nicht ihre Schuld, dass die Plattform erst jetzt aufgeschaltet, keine Wertung ehemaliger Politiker rausspuke. Und wenn der Häuptling Dado damit nicht zufrieden, hätte er und seine Übergangsregierung halt sechs Jahre anhängen sollen. Die letzten Worte laut, verhallen unerwidert im Raum.
Ein Koalitionsverbot. Der Einschub von Mersad, nüchtern, trocken, schiebt seine Brille zurecht. Letzte Woche die Geschäftsordnung behandelt, niemand einen Gedanken daran verloren, dabei schlicht konsequent. Volk und Nation in ihren Kommissionen nun mit der absoluten Mehrheit, ein schlauer Schachzug, gar bei den Finanzen. Dabei die Regel, dass keine Fraktion irgendwo mehr als dreiunddreißig Prozent. In der Kommission für Nationale Identität und Autonomie die nun quasi allein.
Den Faden mag von ihnen niemand aufnehmen, die Wahl durch, lässt sich nicht ändern, können noch lange rumdiskutieren. Die Runde abgekämpft, müde, matt, der Morgen sie alle geschafft. Stille. Gar nie ´ne Chance gehabt. Jenny dreht die gestrige Begegnung mit der Eminenz im Kopf. Der nach dem Rechten geschaut, sich vergewissert, dass der Plan funktioniert, deshalb hier, das alles längst gewusst. ‹Würde sich noch wundern, was in der Politik alles möglich sei.› Sie angegrinst, sich über sie lustig gemacht, der Arsch. Und sie’s nicht mal kapiert. Jenny fühlt sich gerade nochmal so schwer. Verdammter Bund für Freiheit und Recht, sollen zur Hölle fahren. Raunt vor sich her. Den Schipfer zur Revolution zuzulassen, von Anfang an eine doofe Idee.
Schwachsinn! Dres fährt Jenny an, mürrisch, gereizt, quer durch den Raum, stöhnt, als wäre er von Idioten umgeben. Die Revolution sonst versandet, müsse er wohl nicht erklären. Die Bewegung könne lange Hunderttausende auf die Straßen treiben, Vereine, Gruppierungen und Kleinstparteien hinter sich scharen. Wenn keine großen Tiere an Bord springen, verpuffe der Druck, nach Wochen, Monaten irgendwann. Schaffe keine Mehrheiten mit Gemüsebeilage. Dado das sicher bewusst, der Eminenz sonst an den Karren gefahren, wenn nicht in dessen Schuld, stimmt’s Severin?
Jenny zeigt Dres den Finger, schlaff, aus dem Handgelenkt. Bemerkt es gar nicht, sich mit Severin bereits ein neues Opfer gesucht. Weshalb stehe er die ganze Zeit schlapp, hilflos rum, wie ein begossener Pudel, solle das Maul aufmachen, was tun, irgendwas. Bevor sich Severin wehren kann, melden sich ihre Geräte erneut im Chor. Eine Eilnachricht, fünf Fraktionen sich zur Solidarischen Gesellschaft zusammengefunden. Jenny steckt ihr Telefon in die Tasche, mag nicht weiterlesen. Silvia geht die Beteiligten durch, rechnet kurz, fährt mit der Hand über Mund, Kinn, flucht. Außer ihnen nur noch die Kulturfraktion ohne Koalition. Schaut besorgt zu Mersad, Severin, kraftlos, ausgebrannt, schließt die Augen, schüttelt den Kopf, ein Putsch und sie stünden allein.