Читать книгу Hart's Bay: Wo unser Herz sich entscheidet - E. P. Davies - Страница 8
Kapitel Drei
ОглавлениеJesse
Es war unglaublich, wie schnell ein Tag vergehen konnte. Saubermachen und Auspacken, die Hausarbeit zu verteilen und zu diskutieren, wie sie es mit dem Kochen halten wollten, ließ die Zeit verfliegen. Dann war ihnen aufgegangen, dass sie zwar ihre Mahlzeiten geplant hatten, aber noch nicht dazu gekommen waren, Zutaten einzukaufen.
Eine Fahrt zum Supermarkt hatte nach einer guten Idee geklungen, aber das galt für die meisten Ideen, bevor man sie umsetzte.
Jesse hatte halb erwartet, Finn irgendwann wieder über den Weg zu laufen – aber nicht sofort und zwischen Erbsendosen und Spargel. Es war ihm unglaublich schwergefallen, seine Freunde zu ignorieren. Sie hatten ihn gedrängt, mit dem heißen Typ zu reden, der ihn anstarrte. Nicht, wenn er Finn mit jeder Faser seines Körpers wiedersehen wollte – aber nicht unter neugierigen Blicken.
Und dann war er auf die Einfahrt neben Finns eingebogen.
Nun wollte er nur noch in die Bar und mehrere Pints Bier, in denen er seine Demütigung ertränken konnte. Natürlich musste seine wilde Affäre genau nebenan wohnen und natürlich hatten all seine Freunde die Blicke gesehen, die sie ausgetauscht hatten.
Gott sei Dank war er heute der Fahrer gewesen. Er teilte sein heruntergekommenes altes Auto mit den anderen, damit sie zu fünft mit zwei Wagen auskamen.
»Er steht auf dich.« Ezra nahm ihm eine Tüte aus den Händen. »Geh und rede mit ihm.«
Jesse schüttelte den Kopf und nahm sich eine andere Tasche aus dem Kofferraum. »Nope.«
»Komm schon.« Aaron zwinkerte. »Irgendwann musst du über Dominic hinwegkommen. Wie ginge das besser, als den heißen Nachbarn zu ficken? Das ist was anderes, als miteinander zu gehen.«
»Bedräng ihn nicht«, warf Beau ein. »Es war eine stressige Woche.«
»Umso besser, den Stress loszuwerden«, widersprach Aaron. Er warf einen verstohlenen Blick über die Schulter, dann lehnte er sich an den Wagen und legte einige Umdrehungen auf sein Sex-Appeal drauf. »Oh mein Gott, er ist süß. Wenn du ihn nicht nimmst, nehme ich ihn.«
Eifersucht brannte in Jesses Brust und er warf Aaron einen bösen Blick zu. »Nein. Waren wir uns nicht einig, als wir hergezogen sind? Keine Jungs, die uns das Herz brechen?«
Aaron sackte seufzend in sich zusammen, nahm sich stattdessen eine Tüte und drückte Ross eine weitere in die Hand. »Na guuut«, stöhnte er. »Du bist langweilig.«
»Ich bin überhaupt nicht langweilig«, murmelte Jesse. Er musste sich ein Grinsen verbeißen. Ausgerechnet Finn wusste das genau.
Gott, der Sex am Strand war verdammt noch mal großartig gewesen. Und mehr als wert, im Cher's End Table, der dunklen kleinen Bar gegenüber dem Supermarkt, vorbeizuschauen. Der Kassierer im Laden hatte ihn vorgewarnt, dass die Besitzerin Cheryl nur dann öffnete, wenn ihr danach zumute war.
In einer Kleinstadt zu leben, würde auf eine gewaltige Umstellung hinauslaufen.
Jesse beschwerte sich nicht, dass er nach kaum einer halben Stunde, in der er an der Bar gesessen und die Leute beobachtet hatte, auf diesen gut aussehenden Fremden getroffen war. Die Einheimischen schienen sich alle untereinander zu kennen. Jesse hatte nicht sagen können, ob es daran lag, dass die Stadt so klein war, oder ob sie einfach die örtlichen Trunkenbolde waren.
Vielleicht konnte man hier einfach nichts anderes erwarten – außer einander. Zu Besuch herzukommen, um ein Haus zur Miete auszusuchen, war eine Sache gewesen. Wirklich herzuziehen eine ganz andere.
Besonders jetzt, da er wusste, dass er neben seinem One-Night-Stand vom vergangenen Abend wohnte.
Jesse errötete und ging hinein, um die Lebensmittel in den Kühlschrank zu räumen.
Es war nicht so, dass der Sex schlecht gewesen wäre. Gott, nein. Das komplette Gegenteil. Er war so froh, dass Finn direkt auf ihn zugekommen war, um ihn anzusprechen, und dass seine Freunde sich dagegen entschieden hatten, ihn auf einen Drink zu begleiten. Jesse war anfangs ein wenig nervös gewesen, allein auszugehen; unübersehbar schwul und ohne Reue.
Aber dies war ihre Zukunft, sein neues Leben. Er war entschlossen, die Zeit zu nutzen; besonders ohne eine Beziehung, die ihn ablenkte.
Aber Sex? Der war drin.
»Oh mein Gott, Jesse steht tierisch auf ihn.« Dankenswerterweise hatte Aaron gewartet, bis die Tür zu war, bevor er seine Ankündigung heraustrompetete.
»Leck mich.« Jesse zeigte ihm den Mittelfinger. »Ich hab's dir gesagt: keine Jungs.«
»Ich sag ja nicht, dass du ihn mit nach Hause nehmen sollst.« Aaron ließ seine Tüte neben Jesse auf den Tresen fallen. Dann sackte er gegen den Schrank, spreizte die Beine und ließ den Kopf nach hinten fallen, während er stöhnte: »Jedenfalls nicht für mehr als eine Nacht.«
»Buh. Hoch mit dir, du Schlampe.« Jesse zielte mit einer Tüte gefrorenen Erbsen auf Aarons Schritt.
Aaron fing sie und richtete sich schmollend wieder auf. »Na gut. Beschwer dich ruhig, dass ich versucht habe, dir Sex zu verschaffen.«
»Es wäre wirklich gut für dich, um über das Arschloch hinwegzukommen.« Mit diesen Worten verkündete Ezra seine Ankunft.
»Der erste Zentimeter ist immer am engsten.« Aaron hüstelte in seine Faust, aber es war unzweifelhaft seine Stimme gewesen. Es sah ganz danach aus, als wollten Ezra und Beau sich ihrer Küchendebatte anschließen. Zum Glück stand wenigstens Beau auf seiner Seite.
»Ich bin über ihn hinweg. Ehrlich.« Sicher, Jesse knirschte mit den Zähnen, als er es sagte, aber er war entschlossen und es war ihm ernst. Wenn es jetzt noch nicht so weit war, dann bald.
Ross, Aaron, Ezra und Beau musterte ihn allesamt mit Mienen, die ihm verrieten, dass sie ihm nicht glaubten.
»Was?« Jesse widerstand dem Drang, sie anzufauchen. Das würde ihre Vermutung nur bestätigen und er wollte sich nicht in ihren mitleidigen Umarmungen wiederfinden. Er wollte seinem verdammten Ex das Auto zerkratzen und ihm Glitzer durch die offenen Fenster werfen. »Nur weil er ein fremdgehendes Arschgesicht ist… heißt das nicht, dass ich ihm nachheulen muss.«
»Pisser«, grollte Ezra. Die Augen des Rothaarigen glitzerten gefährlich. Er knallte die Butter in den Kühlschrank. »Und dich in der Öffentlichkeit abzuservieren! Ich werde mich deswegen nie weniger aufregen. Du verdienst etwas Besseres, Schatz.«
Jesse nahm seufzend die Saftflaschen entgegen, die die Jungs ihm reichten. »Ich weiß.« Es war schlimm gewesen, sich bewusst zu machen, dass Dominic nicht nur untreu war, sondern auch einen weit höheren Sextrieb besaß, als er vorgegeben hatte. Er hatte ihn nur woanders befriedigt.
Es war ein Albtraum von einer öffentlichen Trennung gewesen. Hinterher, als ihnen die Rechnung gebracht wurde, hatte der arme Kellner des Steakhouse gar nicht gewusst, wo er hinschauen sollte. Jesse hatte Dominic zahlen lassen.
»Schon gut.« Er schloss die Tür und trat beiseite, als Beau mit dem Eis auf ihn zukam. »Damit bin ich nur offen für neue Gelegenheiten.«
»Offen für neue Gelegenheiten«, giggelte Aaron. »So wie mein Arsch steht dem Schwanz des heißen Nachbarn offen.«
Die Jungs brachen in Gelächter aus und stöhnten auf, was wenigstens etwas Zeit fraß.
»Tja, dann hättet ihr mich gestern Nacht in die Bar begleiten sollen«, sagte Jesse grinsend zu ihnen. »Vielleicht hättet ihr da ja was Süßes für eine Nacht gefunden.«
»Hier?« Beau klang, als hätte er Zweifel.
Ross schnalzte mit der Zunge, als er die Schnalle eines seiner schwarzen Handschuhe richtete. Sein Quasi-Emo-Style passte nicht zu ihrer entspannten Gruppe. Wie es seiner zynischen Natur entsprach, lautete sein erster Kommentar: »Als gäbe es in dieser Stadt mehr als einen heißen Kerl. Ich glaube, wir haben ihn bereits gefunden.«
»Und jemanden, der ihn nicht teilen will«, warf Aaron mit einem gerissenen Lächeln in Jesses Richtung ein.
Jesse streckte ihm die Zunge raus. »Er hat mich abgecheckt.« Gott, warum war er so besitzergreifend? Er griff nach der erstbesten Erklärung: Es wäre einfach merkwürdig, wenn einer seiner Freunde ebenfalls mit Finn schlafen würde. Das war alles. Er ersparte ihnen nur einen peinlichen Moment. Und er wollte nicht, dass sie Finn für ein Trostpflaster hielten. Eine Menge guter Gründe, nicht über ihr Aufeinandertreffen zu reden.
»Und du hast geguckt, als hätten wir dich mit der Hand in der Keksdose erwischt.« Aaron kniff vier Finger zusammen und rollte den Daumen ein. »Oder im…«
»Aaron!« Jesse stieß seinem Freund den Ellbogen in die Seite, bevor er den Witz beenden konnte. »Mann!«
Aaron grinste ihm ohne jede Reue zu, riss einen Stuhl unter dem Esstisch hervor und drehte ihn um, damit er sich rücklings auf ihn setzen konnte. »Ich sag's ja nur. Einfach ein bisschen Stress loswerden.«
»Oder uns gegenüber unseren neuen Nachbarn nicht komplett eigenartig verhalten.« Das kam von Beau, der ihrer Unterhaltung etwas Sinn hinzufügte.
Jesse nickte. Sie konnten es nicht ändern, dass sie Nachbarn waren. Sich nur vertragen und so tun, als ob nichts vorgefallen sei. »Richtig. Ich werde mich mit ihm unterhalten, wenn ich ihn das nächste Mal sehe. Nur… verhaltet euch normal. Aber zuerst sollten wir reden, solange wir alle zusammen sind.«
»Oh, das klingt ernst.« Ezra schloss den Kühlschrank, dann stopfte er ihren Tüten zusammen in eine und hängte sie an den Türknauf. »Was ist los? Ist es was so Ernstes, dass es nach Wein verlangt?«
»Vermutlich.«
Er schenkte jedem von ihnen ein Glas ein und sie setzten sich um den Tisch.
Jesse nahm einen langen Schluck und seufzte zufrieden, als die Süße über seine Zunge rollte.
»Okay«, sagte er, froh, das Thema wechseln zu können. »Ich habe heute also zum ersten Mal versucht, dort zu arbeiten.« Er deutete auf die große, überwiegend leere Küche.
Sie hatten sich vorgestellt, sie gemeinsam als Arbeitsplatz zu nutzen, während sie an der Kunst für ihre Kooperative arbeiteten. Bevor sie ein Ladengeschäft anmieten und zum Laufen bringen konnten. Aber die Töpferei verlangte nach viel Platz. Nur mit seinen Gerätschaften und trocknenden Töpfen, erklärte er ihnen, hatte sich der Raum bereits zu klein angefühlt.
»Es wird nicht funktionieren«, beendete Jesse seine Ausführung. »Wann wollt ihr auspacken und euch einrichten?«
»Oh, Scheiße.« Beau stützte das Kinn auf die Faust. »Wie wäre es, wenn wir was anmieten? Man bekommt hier die Immobilien fast hinterhergeschmissen.«
Jesse nickte. »Daran habe ich auch gedacht. Wie wäre es mit einem Haus, das schon eine richtige Ladenfront hat? In der Innenstadt?«
»Vermutlich genauso günstig wie überall sonst«, stimmte Beau zu. »Ezra braucht Platz, damit seine Leinwände trocknen können. Wenigstens nimmt mein Schmuck nicht so viel Raum ein. Ich brauche nur gute Lichtverhältnisse.«
»Wenn wir darüber reden, wer am wenigsten Arbeitsfläche braucht, gewinne ich«, merkte Ross an. Seine Fotografien brachten rasches Geld ein. Da er nicht selbst entwickelte, wie es die Fotografen alter Schule taten, brauchte er beinahe gar keinen Platz. Aber er könnte mehr Geld verdienen, wenn er Einzel- und Familienporträts in einem richtigen Studio aufnehmen könnte.
»Nein, ich«, unterbrach Aaron. Er arbeitete derzeit in einer Kaffeebar ein Stück die Küste herunter, an einem Hotspot für Surfer. Er war ein verflixt guter Barista und sie waren übereingekommen, dass es weiser war, wenn wenigstens einer von ihnen einen traditionelleren Job hatte, bis ihre Verkaufszahlen zulegten.
»Okay, wir sehen uns morgen nach etwas Passendem um«, entschied Jesse. »Jetzt lasst uns in die Bar gehen. Es könnten heiße Typen da sein.« Wieder. Er würde es nicht zugeben, aber er hoffte irgendwie, Finn zu begegnen. Sie hatten eine Menge zu klären und wenn er einfach nach nebenan ginge, um mit ihrem Nachbarn zu reden, wüssten all seine Mitbewohner, dass etwas los war.
»Heiße Männer für alle!« Aaron sprang auf die Beine. »Ich bin wortwörtlich jederzeit bereit.«
***
Sie hatten Glück. Das Cher's End Table hatte offen. Und Pech, denn heiße Männer gab es nicht.
Positiv war, dass den Einheimischen auffiel, dass Jesse zum zweiten Mal vorbeikam. Die Barkeeperin begrüßte ihn dieses Mal mit einem breiteren Lächeln. »So bald zurück?«
»Es ist zu nett hier, um wegzubleiben«, antwortete Jesse sofort und zwinkerte. Die Billardtische in der Ecke und die verrostete Jukebox waren mehr oder weniger das Aufregendste an der Bar, aber das reichte. Sie lachte und ging zum Kühlschrank. »Wieder ein Cocktail?«
»Bring mir deinen besten. Und dasselbe für meine Freunde hier, bitte.«
Ein Mojito schien das Kreativste zu sein, was sie zustande brachte, aber Jesse beklagte sich nicht. Er lehnte sich an den Tresen und sah sich um.
»Schau mal, wer sich schon auskennt.« Ross neigte sich nach vorn, um flüstern zu können. Ezra nickte zustimmend.
»Bevor wir es uns versehen, wird er den Postboten mit dem Vornamen ansprechen.« Beau grinste. »Besorg mir seine Nummer.«
»Ich sag's euch immer wieder: Leute mit festen Anstellungen sind langweilig. Keine Spontanurlaube«, sagte Aaron kopfschüttelnd. »Sucht euch was Nettes, das mit Medien oder Grafikdesign arbeitet oder so was.«
»Du bist der Einzige von uns, der gern Spontanurlaube macht«, sagte Jesse lachend. Aaron schien ein Faible dafür zu haben, auf Grindr fremde Männer anzulocken, die gern etwas Hübsches am Arm haben wollten.
»Bitte sehr. Fünf Mojitos.«
»Danke …?«
»Cher«, antwortete die Frau hinter dem Tresen grinsend. »Wie der Superstar.«
»Schön, dich kennenzulernen, Cher. Ich glaube, wir werden alle gute Freunde«, sagte Beau. »Besonders, wenn du uns die heißen Kerle überlässt.«
Cher schielte zu Jesse und Jesse warf ihr einen flehenden Blick zu. Zweifellos hatte jeder gesehen, dass er gestern nach einem zehnminütigen Gespräch an der Bar mit Finn verschwunden war. Er wollte seinen Freunden nicht erklären müssen, dass er das bereits hinter sich hatte.
Sie zwinkerte ihm zu und sagte: »Oh, ich glaube, die bestaussehenden Männer sind bereits vergeben.«
»Oder hetero.« Aaron beugte sich nach vorn, als er sich beklagte.
Cher schüttelte den Kopf. »Oder schwul, wollte ich sagen.«
Ross riss seine Vorstellung eines Witzes. »Wenn das Gras auf der anderen Seite immer grüner ist, warum geben wir uns überhaupt Mühe, Zäune zu errichten?« Sie blinzelten ihn alle an und er seufzte. »Der Moment ist vorbei.«
»Wie dem auch sei, danke«, sagte Jesse und er meinte nicht nur die Drinks. Danke, dass sie zu seinem neuen Mann geschwiegen hatte.
Moment. Nein. Finn war nicht sein neuer Mann, egal, wie stark ihre Verbindung gewesen war. Himmel, Jesse. Mach den Deckel drauf, dachte er. Sonst stehst du in deinen Tagträumen demnächst vor dem Altar.
»Auf Hart's Bay und unsere neue Zukunft.« Beau stieß mit ihnen an und sie tranken.
Die Tür öffnete sich und der hereinstreichende Wind weckte Jesses Aufmerksamkeit. Dasselbe galt für den Mann, der hereinkam. Mist.
»Zwei Abende hintereinander?« Cher begrüßte Finn, der in seinem engen T-Shirt sogar noch massiger aussah. Es umrahmte seinen Bizeps. Der verdammte Stoff betonte sogar jede kleine Mulde zwischen seinen Bauchmuskeln und vor allen Dingen das V zwischen seinen Hüften.
Das war verflucht noch mal unfair.
»Du weißt ja, wie das ist.« Finns Blick landete auf Jesse und für eine endlose Sekunde sah er nicht beiseite. Die Hitze, die zwischen ihnen knisterte, ließ Jesses Wangen brennen. »Ich kann mich einfach nicht fernhalten.« Sein Mundwinkel hob sich in einem verdorben köstlichen Halblächeln und seine Lider waren halb geschlossen, als hätte er eine Einladung ausgesprochen. Direkt in sein Bett.
»Tja, ich werde mich nicht beschweren. Bier?«, bot Cher an.
Ein Ellbogen traf Jesse in die Rippen, sodass er keuchte. Tränen traten in seine Augen. Er wirbelte herum und starrte Aaron böse an. »Was?«
»Das ist der Typ von vorhin«, zischte Aaron, während die anderen die Köpfe zusammensteckten. Es sah aus, als wollten sie ihn dazuholen.
Ärger stieg in Jesse auf. Natürlich standen sie auch auf ihn. Und Finn hatte deutlich gemacht, dass er nur an einer Nacht interessiert war. So scharf, wie jeder seiner Freunde war, war nicht daran zu denken, dass er sie abweisen würde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es dazu kam.
»Ja. Dann einigt euch mal, wer ihn bekommt«, sagte Jesse kühl und hoffte, dass seine Röte im Eis seines Tonfalls unterging. »Offensichtlich ist es ja zu schwer, sich zwei Tage lang daran zu halten, keinen Männern nachzujagen.«
Er schnappte sich sein Glas und ging zur Tür. Er hatte draußen vor der Bar ein paar Kunststoffgartenstühle und einen Terrassentisch entdeckt. Es war schließlich nicht so, als ob Portlands Gesetze zum Alkoholausschank hier gälten.
Wie erwartet hielt ihn niemand auf – die anderen waren zu sehr damit beschäftigt, miteinander zu flüstern und vermutlich ihren Schlachtplan zu entwerfen.
Draußen angekommen atmete Jesse tief ein und schloss die Augen, um die Brise zu genießen. So nah am Wasser konnte er immer noch das Meer riechen.
Und er konnte darüber nachdenken, wie verdammt gut sich der Sex gestern angefühlt hatte, auch wenn er wirklich nicht vorgehabt hatte, sich so bald auf diese Weise auf die Stadt einzulassen.
Doch er würde sich auf keinen Fall auf etwas einlassen, das über die nächsten zehn Minuten hinausging. Wenigstens nicht, bevor er ein solides Studio aufgebaut und genug Verkäufe vorzuweisen hatte, um seine Rechnungen zu bezahlen. Er wollte nicht berühmt werden – nur genug zum Leben haben.
»Hier draußen ist es kühler.«
Die Stimme ließ ihn zusammenfahren. Er drehte sich um und entdeckte Finn neben der Tür, in der Hand ein Pint Bier.
»Du folgst mir wohl gern«, sagte Jesse, aber ungeachtet seines ablehnenden Tons konnte er nicht anders, als zu lächeln. Wem wäre das angesichts dieser Augen schon gelungen?
»Ich glaube, letzte Nacht bist du mir gefolgt«, konterte Finn und deutete mit seinem Glas auf Jesse. »Aber ich geb's zu: Ich war neugierig, was dich wieder hergeführt hat. Normalerweise verschwinden Touristen am nächsten Tag wieder. Und dann habe ich gesehen, wo du wohnst.«
»Eine Hiobsbotschaft. Oder doch nicht?« Jesse biss sich auf die Unterlippe und sah zu Finn. Er gab sein Bestes, nicht zu flirten. Es reichte nicht. »Ich hatte schon schlimmere Nachbarn.«
»Ein weiteres Argument dafür, dass du mir gefolgt bist.« Finn zwinkerte und schlenderte näher. Und selbst wenn Jesse wusste, dass er sich fernhalten sollte, konnte er nichts dafür, dass der Stress aus seinem Körper sickerte. Ja, sein Körper war, was Finn anging, zu einer anderen Entscheidung gekommen als sein Gehirn. Daher nickte er, als Finn auf die heruntergekommene Bank mitten auf dem leeren Platz deutete.
»Kommt man da sicher durch?« Er blieb an der Ecke stehen und beäugte den Wildwuchs des ungepflegten Rasens.
Finn schaute empört. »Natürlich ist es hier sicher. Nur… ein bisschen vom Glück verlassen.«
»Das habe ich gehört. Deshalb bin ich hergezogen.«
»Das ist nicht die Antwort, die ich normalerweise zu hören bekomme«, sagte Finn. Seine Lippe hob sich erneut zu diesem verflixt attraktiven Halblächeln. »Was hat es damit auf sich?«
»Wohnraum ist billig, Werkstätten und Studios auch.«
»Studio? Bist du ein Künstler oder Maler? Ohh.« Finn lehnte sich zu ihm, seine Augen glänzten vielsagend. Unmöglich, dass etwas anderes als der Versuch zu flirten dahintersteckte. »Kann ich dich beauftragen, mich zu malen? Wie einen deiner heißen Jungs?«
»Nein, dafür brauchst du Ezra. Den Rothaarigen, der bei mir war. Er ist der Maler. Ich töpfere nur.« Jesse widerstand der messerscharfen Eifersucht in seinem Bauch.
»Aber ich will nicht ihn.« Die Betonung auf ihn war nur schwach, aber eindeutig vorhanden. Finn wollte, dass er es hörte.
Jesse leckte sich die Lippen und trank ein paar Schlucke des Mojitos. »Wie ist das bei dir? Warum bist du hier, wenn du doch meinst, dass die Stadt auseinanderfällt?«
»Ich hänge hier irgendwie fest. Das älteste Kind. Hab das Gefühl, dass ich es der Stadt schulde hierzubleiben.«
»Warum das?«
Finn zögerte, dann starrte er eine Weile auf die heruntergekommenen Gebäude um den Platz. »Erzähl ich dir ein anderes Mal.«
Ein paar Minuten lang saßen sie in behaglichem Schweigen zusammen. Jesse wäre davon ausgegangen, dass es sich unangenehm anfühlen würde, tat es aber nicht. Genau genommen fühlte es sich sogar gut an, sich nicht unterhalten und eine Verbindung herzustellen zu müssen wie bei den Speeddatings in der großen Stadt.
Wenn alles gut ging, hatte er ein ganzes Leben lang Zeit, jeden hier kennenzulernen. Oder wenigstens ein paar Jahrzehnte. Es war schwer, so weit vorauszudenken. Ein paar Jahre?
Schließlich unterbrach Finns Stimme Jesses Gedanken. »Also, wann wirst du deinen Freunden sagen, dass wir gevögelt haben?«
Das war eine gute Frage. Eine wirklich gute Frage. Und Jesse hatte verflixt noch mal keine Ahnung, wie die Antwort lautete. Nicht mehr lange und man würde sie zusammen sehen und sowieso Mutmaßungen anstellten.
Was zum Teufel sollten sie jetzt machen?